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OLG Hamm Urteil vom 03.04.2003 - 6 U 124/02 - Reichweite des Vorfahrtsrechts im Kreisverkehr

OLG Hamm v. 03.04.2003: Reichweite des Vorfahrtsrechts im Kreisverkehr bei Vorhandensein eines Fahjrbahnteilers


Das OLG Hamm (Urteil vom 03.04.2003 - 6 U 124/02) hat entschieden:
Das Vorfahrtrecht des Kreisverkehrs gilt auch bei einer Verkehrsführung, bei der Fahrzeuge, die den zweispurigen Kreisverkehr weiter befahren wollen, auf Grund eines "Fahrbahnteilers" die linke Fahrspur benutzen und sodann beim Ausfahren in die nach dem "Fahrbahnteiler" folgende Ausfahrt die rechte Fahrspur überqueren müssen. Ein Fahrer, der in Höhe eines "Fahrbahnteilers" in den Kreisverkehr einmünden will, muss insoweit damit rechnen, dass ein zunächst auf der linken Fahrspur fahrendes Fahrzeug nach Ende des "Fahrbahnteilers" auf die rechte Fahrspur wechselt, um in die nächste Ausfahrt abzubiegen, und muss diesem Fahrzeug ein solches Fahrmanöver ermöglichen.


Siehe auch Kreisverkehr und Stichwörter zum Thema Vorfahrt


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall im zweispurigen Kreisverkehr C-Platz in E am 29.05.2001.

Der Kläger fuhr aus der C...-Straße in die rechts Spur des Kreisverkehrs ein. Der Beklagte zu 1) befuhr im Kreisverkehr die linke Spur. Diese Verkehrsführung wird durch eine Art Fahrbahnteiler vorgegeben, der Fahrzeugen, die den Kreisverkehr weiter befahren wollen, an dieser Stelle nur die linke Spur zur Verfügung stellt. Für den einbiegenden Verkehr ist "Vorfahrt gewähren" (Zeichen 205) angeordnet, für denjenigen im Kreisverkehr "Vorfahrt" (Zeichen 301) ausgeschildert. Der Beklagte zu 1) wollte an der ca. 15 bis 20 m nach Ende des Fahrbahnteilers folgenden Einmündung X-Straße den Kreisverkehr verlassen und musste dazu die rechte Spur überqueren. Sein Mazda MX 5 kollidierte im hinteren Bereich der rechten Tür mit dem Kotflügel links vorn des neuwertigen Audi A 4 des Klägers.

Hinsichtlich der Örtlichkeit wird auf die Fotos der Anlagen B 1 bis B 16 zum Gutachten des Sachverständigen ... vom 11.02.2003 verwiesen.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger Schadensersatz zu 100 % mit der Behauptung, er habe schon mindestens 3 Sekunden auf der rechten Spur gestanden, als der Beklagte zu 1) durch eine Lücke habe fahren wollen.

Das Landgericht hat nach Zeugenvernehmung und Verwertung eines im Bußgeldverfahren eingeholten E1-Gutachtens nur 33 % zugesprochen und verschiedene Schadenspositionen gekürzt oder aberkannt. Der Kläger habe nicht gestanden, sondern sei in Fahrt gewesen. Ihm sei ein Vorfahrtsverstoß anzulasten, während der Beklagte zu 1) seine Vorfahrt erzwungen und nicht auf den einfahrenden Kläger geachtet habe.

Mit der Berufung begehrt der Kläger Zahlung weiterer 9.040,00 Euro nebst 12,01 % Zinsen seit dem 29.05.2001, nämlich weiterhin 100 % einschließlich der aberkannten Positionen. Da er bereits mindestens 15 m im Kreisverkehr gefahren sei und dann gestanden habe, könne von einer Vorfahrtsverletzung nicht gesprochen werden.


II.

Die Berufung des Klägers hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.

Dem Kläger steht aus dem Verkehrsunfall vom 29.05.2001 gegen die Beklagten ein weiterer Schadensersatzbetrag von 401,66 Euro zu, §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 3 Nr. 1 PflVG.

1. Ohne Erfolg bleibt das Rechtsmittel, soweit der Kläger eine höhere Haftungsquote als die vom Landgericht zugebilligten 33 % begehrt. Das Landgericht ist mit Recht von einer überwiegenden Verursachung der Kollision durch eine Vorfahrtsverletzung des Klägers ausgegangen.

Das vom Senat eingeholte unfallanalytische Gutachten des Sachverständigen ... hat die in der Berufungsinstanz wiederholte Behauptung des Klägers, er habe bereits einige Sekunden gestanden, als es zur Kollision gekommen sei, widerlegt. Der Sachverständige ... hat aus der höhenmäßigen Zuordnung der Schäden an den beteiligten Fahrzeugen überzeugend hergeleitet, dass der Audi des Klägers im Kollisionszeitpunkt im Zustand einer Vollbremsung gewesen ist. Danach muss das Fahrzeug des Klägers zumindest unmittelbar vor der Kollision noch in Fahrt gewesen sein. Dann aber ist der Zusammenprall in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahrmanöver des Klägers in den Kreisverkehr zu sehen.

Der Sachverständige ... hat zwar die genaue Kollisionsstelle im Straßenverlauf nicht feststellen könne, weil es an fahrbahnbezogenen Spuren fehlt. Ebensowenig hat er die konkrete Geschwindigkeit beider Fahrzeuge ermitteln können. Er hat lediglich das Geschwindigkeitsverhältnis festlegen können, nämlich dass der Mazda des Beklagten zu 1) mindestens 2,6 mal, maximal 7,6 mal so schnell wie der Audi des Klägers gefahren sein muss. Auszugehen ist aber von der üblichen Fahrlinie eines Fahrzeugs, das aus der inneren Fahrspur des Kreisverkehrs nach Ende des Fahrbahnteilers an der C...-Straße die in 15 bis 20 m Entfernung beginnende Ausfahr X-Straße erreichen will. Eine andere Fahrlinie des Mazda kommt unter der Prämisse, dass der Audi des Klägers eben nicht schon einige Sekunden gestanden hat, nicht ernsthaft in Betracht. Dann aber wird die Kollision etwa in der Mitte des Bereichs zwischen Ende des Fahrbahnteilers und Beginn der Einmündung X-Straße stattgefunden haben.

Der Sachverständige ... hat zwei denkbare Varianten des Unfallablaufs ermittelt, niedergelegt in den Anlagen C 1 und C 2 zum Gutachten. Die Version C 1 geht von Werten zugunsten des Klägers aus, die Version C 2 von Daten zugunsten des Beklagten zu 1). Welche dieser Varianten zutrifft, kann nicht festgestellt werden. Das ist jedoch unschädlich, weil in beiden Fällen eine Vorfahrtsverletzung seitens des Klägers anzunehmen ist. Auch in der für den Kläger günstigeren Variante C 1 befand sich das - schnellere - Fahrzeug des Beklagten zu 1) bei Einfahrt des Klägers in den Kreisverkehr schon in einer solchen Nähe, nämlich bereits nahezu in der Mitte des Fahrbahnteilers, als der Kläger seinerseits etwa das Ende des Fahrbahnteilers erreicht hatte, dass der Kläger Vorrang gewähren musste.

Das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 1) folgt aus der Beschilderung, die für den einbiegenden Verkehr "Vorfahrt gewähren" anordnet. Grundsätzlich bezieht sich ein Vorfahrtsrecht auf die gesamte Straßenbreite, also auch auf sämtliche Fahrspuren. Die teilweise zu findende Rechtsprechung, die einen Vorfahrtsverstoß verneint, wenn der Fahrstreifen der wartepflichtigen Straße sich als zusätzliche Spur in der Vorfahrtstraße fortsetzt (vgl. etwa Bayerisches ObLG VRS 56, 114; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 8 StVO Rdnr. 27, 64), ist hier nicht einschlägig. Der angesprochene Grundsatz mag Geltung haben bei einer gerade weiterführenden zweispurigen Richtungsfahrbahn, bei der der in der dann linken Fahrspur befindliche Verkehr durch die Einbieger regelmäßig nicht gestört wird. Das aber ist bei einem Kreisverkehr wie hier gerade anders, denn dort folgen in kurzen Abständen Ausfahrten. Es muss deshalb dabei bleiben, dass der einbiegende Verkehr dem schon im Kreisverkehr befindlichen Verkehr Vorrang einräumen muss. Auszugehen ist von der Bestimmung des § 8 Abs. 2 StVO, wonach ein Wartepflichtiger nur weiterfahren darf, wenn er übersehen kann, dass er den Vorfahrtsberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert. Die Beschilderung kann hier nur den Sinn haben, dem im Kreisverkehr fahrenden Fahrzeug generell Vorrang gegenüber dem einbiegenden Verkehr einzuräumen, gerade auch wenn der im Kreisverkehr fahrende Verkehr schon an der ersten nachfolgenden Ausfahrt den Kreisverkehr verlassen will. Da der Beklagte zu 1) hier wegen des Fahrbahnteilers nicht eher nach rechts wechseln konnte, musste der Kläger mit einem solchen Fahrmanöver rechnen und es ermöglichen. Das Vorbringen in der Klageerwiderung, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) bereits in Höhe der C...-Straße durch Blinkzeichen angekündigt hatte, dass es den Kreisverkehr verlassen, zumindest auf die rechte Spur wechseln wollte, ist unbestritten geblieben. Danach war für den Kläger erkennbar, dass der Beklagte zu 1) nicht auf der linken Fahrspur bleiben wollte. Die Strecke bis zur Ausfahrt X-Straße ist nach den vorgelegten Fotos und den maßstabgerechten Zeichnungen des Sachverständigen ... C 1 und C 2 sehr kurz. Wenn jeder aus der zunächst notwendig einzuhaltenden linken Spur, der hier abbiegen will, den rechts aus der C...-Straße einbiegenden Verkehr vorbeilassen müsste, wäre die ersichtlich gewollte Vorfahrtsregelung in ihr Gegenteil verkehrt. Der Fahrbahnteiler sollte zwar sicherlich dem Verkehr aus der C...-Straße das Einfahren in den Kreisverkehr erleichtern. An der ausgeschilderten Vorfahrtsregelung sollte er aber nichts ändern. Sonst hätte man hier auf eine Beschilderung ganz verzichten können. Nur dann hätte eine Situation vorgelegen, wie sie etwa in Autobahnkreuzen häufig anzutreffen ist, wo der innere Abbiegeverkehr aus der querenden Bundesautobahn auf die sog. Parallelfahrbahn trifft und dort zunächst eine zusätzliche Spur erhält, die aber auch von den auf der Parallelfahrbahn herannahenden Fahrzeugen, die anschließend ihrerseits auf die andere Autobahn abbiegen wollen, benutzt werden muss. Dort finden sich regelmäßig keine vorfahrtsregelnden Zeichen, so dass die allgemeinen Regeln über den Fahrstreifenwechsel gelten. Im vorliegenden Fall ist aber gerade eine Beschilderung vorgenommen worden, die dem im Kreisverkehr befindlichen Verkehr Vorfahrt einräumt.

dass der Kläger als Wartepflichtiger sich im Zeitpunkt der Kollision bereits vollständig in die rechte Spur des Kreisverkehrs eingeordnet hatte, schließt einen Vorfahrtsfall nicht aus. Der erforderliche Zusammenhang mit dem Einbiegevorgang ist zu bejahen, da die Kollision maximal 15 m hinter der Einmündung C...-Straße stattgefunden hat. dass der Kläger schon längere Zeit im Kreisverkehr gewesen wäre und dort gestanden hätte, ist gerade nicht festzustellen. Die entsprechende erstinstanzliche Aussage der Ehefrau des Klägers ist nicht überzeugend, denn sie hat eine längere Standzeit bekundet, was von den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... zur Vollbremsstellung des Audi des Klägers widerlegt wird. Nach beiden vom Sachverständigen erarbeiteten Varianten ist der Kläger in den Kreisverkehr eingefahren, als der Beklagte zu 1) bereits so nah herangekommen war, dass seine freie Durchfahrt durch das Fahrzeug des Klägers beeinträchtigt wurde.

Da nach alledem ein Vorfahrtsverstoß des Klägers vorliegt, ist die Quote des Landgerichts nicht zu beanstanden.

2. Begründet ist die Berufung teilweise, soweit der Kläger einige vom Landgericht nicht zugebilligte Schadenspositionen weiterverfolgt.

a) Beim Nutzungsausfall stehen dem Kläger die begehrten 32 Tage zu. Für die vom Landgericht vorgenommene Begrenzung auf 14 Tage besteht keine Berechtigung, denn unstreitig liegen die Voraussetzungen einer Neuwertabrechnung vor. Bei berechtigter Bestellung eines Neufahrzeugs liegt es in der Natur der Sache, dass eine längere Wiederbeschaffungsdauer anfällt. Auch insoweit ist der Nutzungsausfall grundsätzlich zu ersetzen (vgl. OLG Karlsruhe DAR 1994, 26, 27). Der Kläger hat hier bereits am 01.06.2001 ein Neufahrzeug bestellt. Die Lieferung am 02.07.2001 ist nicht konkret bestritten. Damit sind die begehrten 32 Tage nach Gruppe E = 84,00 DM grundsätzlich zu entschädigen. Dieser Zeitraum ist nicht unzumutbar lang.

b) Erstattungsfähig sind auch die Kosten des Privatgutachtens V. Kosten für Sachverständige sind zu ersetzen, wenn die Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war (vgl. BGH NJW-RR 1989, 956). Das gilt nicht nur für die Schadenshöhe sondern auch für die Feststellung des Schadenshergangs. Hier hat der Kläger das Gutachten ersichtlich erst in Auftrag gegeben, nachdem die Beklagte zu 2) eine Regulierung nicht vornehmen wollte. Es betraf die für die Regulierung wesentliche Frage, ob das Fahrzeug des Klägers bei der Kollision schon stand. Auch die Beklagte zu 2) hat dieses Gutachten ausgewertet. Danach ist eine Erstattungsfähigkeit dem Grunde nach anzunehmen.

c) Mit Recht macht der Kläger weiterhin die Vermessungskosten gemäß Rechnung der Firma I vom 18.06.2001 geltend. Diese Rechnung weist den Vermerk "zwecks Schadensfeststellung" aus und nennt unter "Annahme-Datum" den 30.05.2001. Damit lagen diese Arbeiten ersichtlich vor der Bestellung des Neufahrzeugs am 01.06.2001. Damit ist eine Erstattungsfähigkeit unter dem Gesichtspunkt Schadensermittlungskosten gegeben.

d) Die geltend gemachte Besprechungsgebühr kann der Kläger dagegen aus prozessualen Gründen nicht mehr verlangen. Diese bereits erstinstanzlich verfolgte Schadensposition hat das Landgericht ausdrücklich aberkannt. Mit der Berufungsbegründung hat der Kläger diesen Teil des Urteils nicht konkret angegriffen. Es wurde nur ein eingeschränkter Antrag entsprechend der vom Landgericht ermittelten Schadenssumme gestellt. In der Berufungsbegründung findet sich zur Frage der Besprechungsgebühr kein Wort. Erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist der Antrag auf diese Position erweitert worden. Eine derartige Erweiterung ist jedoch nur im Rahmen der fristgerecht vorgebrachten Anfechtungsgründe möglich (vgl. BGH FamRZ 1988, 603, 604; BGHZ 88, 360, 364; BGH NJW 1957, 424).

e) Insgesamt ergibt sich danach folgende weitere Schadensabrechnung:
1.512,00 DM zusätzlicher Nutzungsausfall (18 Tage x 84,00 DM)
676,28 DM Kosten des Sachverständigen U...
192,27 DM Vermessungskosten
= 2.380,55 DM.
Da dem Kläger vom Gesamtschaden nur eine Quote von 33 % zusteht, ergibt sich eine berechtigte weitere Forderung von 785,58 DM. Das entspricht 401,66 Euro.

3. Zinsen stehen dem Kläger nur in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, dem 11.10.2001 zu, § 291 BGB. Ein frühzeitigerer Verzug ist für die jetzt noch in Streit stehenden Positionen nicht dargelegt. § 849 BGB ist nicht einschlägig, da Nutzungsausfall begehrt wird (vgl. BGHZ 87, 38). Ein höherer Zinssatz als der gesetzliche kommt nicht in Betracht, weil nicht dargetan ist, wann genau, in welcher Höhe und wie lange der vorgetragene Bankkredit tatsächlich in Anspruch genommen worden ist.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 708 Ziffer 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht gegeben.