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Amtsgericht Kiel Urteil vom 03.07.2014 - 115 C 83/14 - Gerichtliche Schätzung des merkantilen Minderwerts
AG Kiel v. 03.07.2014: Gerichtliche Schätzung des merkantilen Minderwerts ohne Sachverständigen
Das Amtsgericht Kiel (Urteil vom 03.07.2014 - 115 C 83/14) hat entschieden:
Die Berechnung des merkantilen Minderwerts eines Unfallfahrzeugs kann unter Berücksichtigung des Fahrzeugalters, der Laufleistung, des Allgemeinzustands des Pkws sowie des Schadensumfangs unter Berücksichtigung der Bruttoreparaturkosten erfolgen. Eines Einzelfallnachweises durch Sachverständigengutachen bedarf es nicht.
Siehe auch Wertminderung / merkantiler Minderwert und Einzelne Schadenspositionen in der Unfallregulierung
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz anlässlich eines Verkehrsunfalls.
Unter dem 19.11.2012 verursachte der Fahrer eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... in Kiel-Ellerbek einen Verkehrsunfall, indem er unter Missachtung der Vorfahrt in den Kreuzungsbereich hineinfuhr und alsdann mit dem klägerischen Pkw Mercedes-Benz E 350 CDI 4-Matic mit dem amtlichen Kennzeichen ... kollidierte und hierdurch einen Sachschaden verursachte. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.
Nach dem Verkehrsunfall gab der Kläger bei dem Ingenieurbüro H & M ein Sachverständigengutachten in Auftrag. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigenbüros H und M vom 22.11.2012, auf dessen Inhalt verwiesen wird (Anlage K 1, Blatt 5 – Blatt 31 der Akten), gab das Ingenieurbüro die Wertminderung mit 3.000,00 Euro, die Reparaturkosten mit 13.521,39 Euro brutto und den Wiederbeschaffungswert mit 61.000,00 Euro an. Alsdann ließ der Kläger das Fahrzeug durch die Fa. S Automobile reparieren. Die Reparaturkosten beliefen sich danach endgültig auf 15.121,63 Euro brutto. Die Beklagte zahlte auf die klägerseits geltend gemachte Wertminderung in Höhe von 3.000,00 Euro lediglich einen Betrag in Höhe von 2.000,00 Euro. Zur Erläuterung der Wertminderung ließ der Kläger sodann ein Nachtragsgutachten erstellen. Auf den Inhalt der gutachterlichen Stellungnahme vom 14.05.2013 wird verwiesen (Anlage K 2, Blatt 32 – Blatt 34 der Akten). Für die gutachterliche Stellungnahme entstanden ausweislich der Rechnung vom 14.05.2013, auf dessen Inhalt verwiesen wird (Anlage K 3, Blatt 35 der Akten), Kosten in Höhe von 287,39 Euro. Die Beklagte lehnte eine weitere Erstattung ab.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.287,39 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie
dem Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten die Geschäftsgebühr von 201,71 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klage ist der Beklagten am 21.03.2014 zugestellt worden.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Klagschrift vom 21.02.2014, den Inhalt der Klagerwiderung vom 16.04.2014, den Inhalt der Replik vom 30.04.2014 sowie den Inhalt der Duplik vom 23.05.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des merkantilen Minderwerts in Höhe von weiteren 1.000,00 Euro sowie einen Anspruch auf Zahlung der Kosten für die eingeholte gutachterliche Stellungnahme vom 14.05.2013 in Höhe von 287,39 Euro als adäquate Schadensposition gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 251 Abs. 1 BGB.
Zur Überzeugung des Gerichts ist mit dem Kläger davon auszugehen, dass durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall an dem klägerischen Fahrzeug eine Wertminderung in Höhe von 3.000,00 Euro entstanden ist. Der merkantile Minderwert ist ein Vermögensschaden, der bei beschädigten oder mangelhaften Sachen trotz technisch einwandfreier Reparatur eintritt. Insbesondere bei Kraftfahrzeugen, die dann als "Unfallwagen" gelten, werden verborgene Spätfolgen des Unfalls befürchtet, so dass das Unfallfahrzeug trotz ordnungsgemäßer Reparatur auf dem Markt geringer bewertet wird, als ein unfallfreies.
Bei Kraftfahrzeugen entfällt die Wertminderung in der Regel bei älteren Fahrzeugen. Bei PKW wird die Grenze mit einem Alter von 5 Jahren oder 100.000 Kilometern Laufleistung gesehen. Unstreitig war der klägerische PKW zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls unter dem 19.11.2012 gerade 14 Monate alt und wies eine Laufleistung von lediglich 22.011 Kilometern auf, so dass dem Grunde nach ein Anspruch auf Erstattung des merkantilen Minderwerts zu bejahen ist. Das klägerische Fahrzeug ist insoweit als Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls als nahezu neuwertig anzusehen.
Ausweislich des Kfz-Sachverständigengutachtens des Ingenieurbüros H & M vom 22.11.2012 ist die Wertminderung dort mit 3.000,00 € angegeben worden. Dieser von dem Sachverständigen angesetzte und seitens der Klägerin geltend gemachte Wert begegnet keinen Bedenken. Auch das Gericht schätzt den trotz und fachgerechter Reparatur verbleibenden und nach § 251 Abs. 1 BGB zu entschädigenden merkantilen Minderwert gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 3.000,00 Euro.
Für die Ermittlung des merkantilen Minderwerts gibt es keine allgemein anerkannte Schätzungsmethode. Bei der seitens des Gerichts vorgenommenen Schätzung haben zunächst das sehr geringe Fahrzeugalter von 14 Monaten und die Laufleistung von 22.011 Kilometern, welche deutlich unter der von der Rechtsprechung gesetzten Grenze von 100.000 Kilometern liegen, Berücksichtigung zu finden.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass am klägerischen PKW kein bloßer Bagatellschaden, sondern mittelschwere bis starke Beschädigungen an der Frontpartie entstanden sind, was sich bereits aus den im Gutachten angegebenen Gesamtreparaturkosten in Höhe von 13.521,39 Euro brutto ergibt. Der Umstand, dass nach dem Vorbringen des Beklagten im Wesentlichen kostenintensive Bauteile zur Erneuerung verwendet worden sind und diese Bauteile bei der Ermittlung des merkantilen Minderwerts eine untergeordnete Rolle spielen, führt insoweit zur Überzeugung des Gerichts zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn jedenfalls sind nach dem Gutachten des Ingenieurbüros H & M Reparaturkosten in Höhe von 13.521,39 Euro brutto zur technischen Instandsetzung des klägerischen Fahrzeugs erforderlich, welche sich im Rahmen der alsdann durchgeführten Reparatur sogar auf 15.121,63 Euro belaufen haben. Insoweit ist in Ansatz zu bringen, dass auch vor dem Hintergrund der Erneuerung kostenintensiver Bauteile jedenfalls von einer nicht lediglich unwesentlichen Beschädigung ausgegangen werden kann, zumal ein voll aufgeklärter Käufer bei einem Verkauf eines solchen Fahrzeugs auf Grund der Art und des Umfangs der Vorschädigung wohl mit hinreichender Sicherheit mit einem Preisabschlag reagieren würde. Überdies ist eine erhebliche Beschädigung auch deshalb anzunehmen, da wegen Art und Umfang der Beschädigung die Gefahr einer erhöhten Schadensanfälligkeit und verborgener Schäden oder Mängel der Reparatur nicht mehr so ausgeschlossen werden kann wie bei einem Fahrzeug ohne einen derartigen Unfallschaden.
Berücksichtigt man des Weiteren, dass der Wiederbeschaffungswert am Markt mit 61.000,00 Euro angegeben worden ist, so betragen die Reparaturkosten ca. 22 % des Wiederbeschaffungswertes. Unter Berücksichtigung der vorbezeichneten Gesichtspunkte ist der im Gutachten des Ingenieurbüros H & M vom 22.11.2012 angesetzte und klägerseits geltend gemachte merkantile Minderwert mit 3.000,00 Euro nicht zu beanstanden.
Vor dem Hintergrund der Möglichkeit der gerichtlichen Schätzung zur Ermittlung des merkantilen Minderwerts gemäß § 287 ZPO bedurfte es auch keiner Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Denn insoweit ist in Ansatz zu bringen, dass die merkantile Wertminderung unter Berücksichtigung des Fahrzeugalters, der Laufleistung, des Allgemeinzustands des PKW sowie des Schadensumfangs angesichts der unstreitigen Bruttoreparaturkosten generell berechnet und pauschaliert werden kann, so dass es eines Einzelfallnachweises durch Gutachten nicht bedarf. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Markt bei Unfallfahrzeugen wegen des hohen technischen Reparaturstandards, abgesehen von Großschäden, kaum noch Preisabschläge macht und dass die gelegentlich doch vorgenommenen Abschläge nicht einmal von den Beteiligten und noch viel weniger von technischen Sachverständigen zuverlässig quantifiziert werden können. Auch dieser Umstand spricht gegen die Hinzuziehung eines gerichtlich zu bestellenden Sachverständigen zur Ermittlung des merkantilen Minderwerts.
Würde man schließlich als Schätzungsgrundlage die Methode von Ruhkopf und Sahm, welche seitens des Bundesgerichtshofs als Schätzmethode anerkannt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.09.1979 – VI ZR 16/79, NJW 1980, 281 [282]) zugrunde legen, so würde der merkantile Minderwert ebenfalls im Bereich der klägerseits geltend gemachten 3.000,00 Euro liegen. Nach dieser Methode beträgt der Minderwert x% der Summe von Wiederbeschaffungswert und Reparaturkosten. Die Summe von Wiederbeschaffungswert und Reparaturkosten beträgt vorliegend 74.521,39 Euro (61.000,00 Euro + 13.521,39 Euro). Das Verhältnis der Reparaturkosten zum Wiederbeschaffungswert beträgt etwa 22 %. Im zweiten Zulassungsjahr entspricht in dem Bereich zwischen 10 % und 30 % bei dem Verhältnis zwischen Reparaturkosten zum Wiederbeschaffungswert x = 4, so dass sich nach dieser Berechnungsmethode ein Betrag in Höhe von 2.980,86 Euro (4 % von 74.521,39 Euro) errechnen würde.
Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 201,71 Euro nach einem Streitwert in Höhe von 1.287,39 Euro ist unter Schadensersatzgesichtspunkten zu erstatten.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 1 i. V. m. Satz 2 ZPO.