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OLG Stuttgart Urteil vom 19.11.1981 - 10 U 119/81 - Berechnung des merkantilen Minderwerts
OLG Stuttgart v. 19.11.1981: Berechnung des merkantilen Minderwerts nach der Methode Halbgewachs
Das OLG Stuttgart (Urteil vom 19.11.1981 - 10 U 119/81) hat entschieden:
Für die Berechnung des merkantilen Minderwerts von reparierten Unfallfahrzeugen bietet sich vor allem die Methode Halbgewachs an.
Siehe auch Wertminderung / merkantiler Minderwert und Einzelne Schadenspositionen in der Unfallregulierung
Tatbestand:
Ohne Tatbestand gemäß § 543 Abs. 1 ZPO.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten und die unselbständige Anschlussberufung des Klägers sind zulässig. Die Berufung des Beklagten ist teilweise begründet; die Anschlussberufung hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Zu Berufung des Beklagten
1. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung, der sich der Senat uneingeschränkt anschließt, dargelegt, dass der Kläger nicht verpflichtet war, sich bei mehreren Kreditinstituten um die Finanzierung der Reparaturkosten zu bemühen, nachdem die Landesgirokasse es abgelehnt hatte, ihm ein Darlehen zu gewähren. Das gilt umso mehr, als der Kläger den Beklagten wiederholt, zuletzt mit Schreiben vom ... ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass er zur Auslösung des Fahrzeuges nicht in der Lage sei. Das OLG Köln hat in der vom Landgericht zitierten Entscheidung (Betrieb 73, 177 = VersR 73, 323) mit Recht hervorgehoben, dass es grundsätzlich Sache des Schädigers ist, den von ihm verursachten Schaden zu beheben. Gegen das Gebot der Schadensminderungspflicht verstößt ein Geschädigter nur, wenn er vorhandene eigene Mittel nicht einsetzt oder auch nicht einen leicht zu erlangenden Kredit in Anspruch nimmt. Durch Vorlage des Schreibens der Zweigstelle ... des ... ist indessen bereits nachgewiesen, dass der Kläger dort einen Kredit nicht zu erlangen vermochte. Zu weiteren Bemühungen war der Kläger unter den obwaltenden Umständen (dem Grunde nach unstreitige Schadensersatzpflicht des Beklagten, mäßige Höhe des Schadens) nicht verpflichtet.
Dass der Kläger möglicherweise sein Gehaltskonto überziehen konnte – wie der Beklagte das unter Beweisantritt behauptet – führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn der Kläger war zum Zwecke der Schadensminderung nicht verpflichtet, seinen finanziellen Spielraum derart einzuengen, dass ihm für den damals noch ins Auge gefassten Erwerb eines neuen Jahreswagens die Mittel fehlen würden. Auch dass der Kläger den Auftrag zur Reparatur seines Fahrzeuges nicht unverzüglich, sondern erst nach einigen Tagen erteilte, rechtfertigt es nicht, ihm die vom Landgericht zugebilligte Nutzungsentschädigung für acht weitere Tag – d.s. richtig errechnet 352,00 DM (8x44,00 DM) – vorzuenthalten. Denn es gibt keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte den mehrfach geforderten Schadensersatz zu einem früheren Zeitpunkt gezahlt hätte, wenn die Reparatur einige Tage vor dem ... beendet gewesen wäre.
2. Zu Unrecht hat das Landgericht jedoch dem Kläger, der sein Fahrzeug nicht verkauft, sondern behalten hat, einen Betrag von DM 750,00 für einen "saisonalen Wertverlust" zugebilligt.
Der saisonbedingte Rückgang der Preise für gebrauchte Kraftfahrzeuge im Hinblick auf die winterliche Jahreszeit ist kein Verlust, der dem Fahrzeug auf Dauer als ein Minderwert anhaftet, der sich bei einem späteren Verkauf realisiert.
Hätte der Kläger sich entschlossen, sein Fahrzeug zu verkaufen und hätte er hierbei wegen eines allgemeinen oder saisonalen Preisrückganges einen geringeren Erlös erzielt, als dies bei einer Veräußerung zum ursprünglich beabsichtigten Zeitpunkt möglich gewesen wäre, dann hätte der Beklagte u.U. auch die erlittene Einbuße am Erlös ersetzen müssen. Denn wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat nach § 252 BGB auch den entgangenen Gewinn zu ersetzen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erzielt worden wäre. Allerdings erscheint im vorliegenden Fall fraglich, ob der Kläger seinen Jahreswagen noch deutlich vor ... hätte verkaufen können, zumal er offenbar Preisvorstellungen hatte, die sich nicht ohne weiteres realisieren ließen. Am Unfalltag war der Jahrestag der Erstzulassung (...) schon um drei Wochen überschritten, ohne dass der Kläger seinen Jahreswagen hätte verkaufen können. Wer bestrebt ist, die besseren Sommerpreise für Jahreswagen auszunützen, bemüht sich im allgemeinen vor Ablauf der Jahresfrist um einen Käufer, dem er den Wagen alsbald nach Ablauf der Jahresfrist überlässt.
Indessen bedarf es hierzu keiner weiteren Erörterung, da der Kläger sich entschlossen hat, seinen Wagen zu behalten und ihn weiter selbst zu benutzen.
II.
Zur Anschlussberufung des Klägers
1. Dem Kläger steht entgegen seiner Auffassung über den von der Beklagten bereits bezahlten Betrag von DM 1.000,00 hinaus kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des auch nach fachgerechter Beseitigung des Unfallschadens verbleibenden merkantilen Minderwertes seines Pkw ... zu.
Unter merkantilem Minderwert ist diejenige Minderung des Verkehrswertes zu verstehen, die ein erheblich unfallbeschädigter Kraftwagen trotz fachgerechter Reparatur mit Rücksicht darauf erleidet, dass ein potentieller Käufer vernünftigerweise wegen der Gefahr des Vorhandenseins verborgen gebliebener Unfallschäden nicht bereit ist, denjenigen Preis zu zahlen, der für das Fahrzeug ohne den Unfall gerechtfertigt gewesen wäre. Hieraus folgt, dass die Frage, ob und inwieweit ein Kraftfahrzeug wegen eines Unfallschadens eine Minderung seines Verkehrs- oder Marktwertes erleidet, nicht generell, sondern aufgrund der Umstände des einzelnen Falles zu beurteilen ist, wobei neben Art und Erheblichkeit der Beschädigungen das Alter und die Laufleistung eines Fahrzeuges, die Zahl seiner Vorbesitzer, etwaige Vorschäden u.ä. eine Rolle spielen. Die Höhe der merkantilen Wertminderung eines unfallbeschädigten Kraftwagens ist in freier Beweiswürdigung zu bestimmen (Sanden, Sachschadensrecht des Kraftverkehrs, 2. Aufl., Rdnr. 193; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht, 12. Aufl., Rdnr. 1229; Palandt-Heinrichs Anm. 4 b aa zu § 251 BGB; Köln DAR 73, 71; KG VersR 75, 664).
2. Der vom Landgericht hinzugezogene Sachverständige – der zwar als Angestellter beim ... nicht öffentlich bestellt ist, an dessen Sachkunde aber keine Zweifel bestehen – hat den merkantilen Minderwert des reparierten Fahrzeuges auf DM 1.000,00 geschätzt. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Klägers bleiben ohne Erfolg.
a) Der Sachverständige ist bei der Ermittlung des merkantilen Minderwertes von einem Zeitwert des Fahrzeuges von ca. DM 20.000,00 ausgegangen. Das ist nicht zu beanstanden. In der Schwacke-Liste für September 1980 ist der DB 230 – allerdings ohne Sonderzubehör und bei einer angenommenen Laufleistung von 28.900 km – mit einem Händlerverkaufspreis von DM 15.000,00 angegeben. Berücksichtigt man, dass das Fahrzeug des Klägers nicht nur einen erheblich geringeren km-Stand aufwies, sondern darüberhinaus auch über Sonderzubehör verfügte, das sich in den Angaben der Schwacke-Liste nicht niederschlägt, so erscheint auch dem Senat ein Zeitwert in Höhe von DM 20.000,00 als zutreffend. Mit dieser Schätzung stimmt überein, was der Sachverständige durch Rückfrage bei der Firma ... ermittelt hat, nämlich, dass vom Spätsommer bis Jahresende 1980 vergleichbare Jahreswagen mit einem Abschlag von rd. 25 % vom Neupreis gehandelt wurden. Dass die Firma ... nicht selbst mit Jahreswagen handelt, steht der Zuverlässigkeit dieser Auskunft nicht entgegen; denn es ist gerichtsbekannt, dass sie bei der Veräußerung von Jahreswagen "Verkaufshilfe" leistet und infolgedessen einen Überblick über die jeweilige Preissituation für Jahreswagen hat.
Dass das Unfallfahrzeug einen höheren Zeitwert als DM 20.000,00 hatte, nämlich einen solchen von DM 20.700,00, ist nicht bewiesen. Bei diesem Betrag handelte es sich ersichtlich um die Preisvorstellung des Klägers, von der nicht feststeht, dass sie sich hätte verwirklichen lassen. Jedenfalls hatte er für sein Fahrzeug noch keinen Interessenten gefunden, der bereit gewesen wäre, es zu diesem Preis abzunehmen.
b) Überprüft man die von dem Sachverständigen auf DM 1.000,00 geschätzte merkantile Wertminderung des Unfallwagens anhand der zahlreichen Methoden, die zur Berechnung des merkantilen Minderwertes ermittelt worden sind, so ergibt sich, dass seine Schadensermittlung überzeugt.
aa) Nach der von Ruhkopf und Sahm aufgestellten Tabelle (VersR 72, 593) würde sich ein merkantiler Minderwert von DM 1.594,77 ergeben
(Reparaturkosten von DM 6.579,53 betragen im Verhältnis zum Zeitwert von DM 20.000,00: 32,9 %; der Minderwert beträgt somit für das Fahrzeug im ersten Zulassungsjahr 6 % aus der Summe von Zeitwert und Reparaturkosten = DM 26.579,53 = DM 1.594,77).
Die Methode nach Ruhkopf-Sahm ist jedoch durch die Entwicklung auf dem Reparaturkostensektor, vor allem aber durch das Fehlen einer Beurteilung der Verhältnisse der Arbeitskosten zu den Materialkosten überholt. Sie ergibt durchweg zu hohe, nicht den tatsächlichen Marktverhältnissen entsprechende Wertminderungsbeträge (vgl. Berger, Vergleichende Erkenntnisse bei der Berechnung des merkantilen Minderwertes von Kraftfahrzeugen, Versicherungswirtschaft 1979, Heft 24). Zudem kann diese Methode in Fällen besonders gründlicher Untersuchung und aufwendiger Reparatur zu unangemessenen Ergebnissen führen, weil sie allein auf das Verhältnis von Reparaturkosten zu Zeitwert abstellt.
bb) Bei Anwendung der Methode, die Halbgewachs (Der merkantile Minderwert) entwickelt hat und der der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart in seiner Entscheidung vom 27.10.1972 (VersR 73, 165) gefolgt ist, ergibt sich ein merkantiler Minderwert von DM 839,23, der nach folgender Formel ermittelt wird:
WM = (x / 100) (Zeitwert + Reparaturkosten)
Der Faktor X ist dabei einer Tabelle zu entnehmen, die abstellt auf das Alter des Fahrzeuges, das Kostenverhältnis A = (Reparaturkosten / Zeitwert) x 100 und das Aufwandverhältnis B = (Lohnkosten / Materialkosten) x 100
Im vorliegenden Fall beträgt das Kostenverhältnis 32,29 % und das Aufwandverhältnis 207,38 %. Bei einem Fahrzeugalter von mehr als 12 Monaten ergibt sich aus der Tabelle (9. Aufl.) für den Faktor X der Wert 3,25. Hieraus errechnet sich ein merkantiler Minderwert nach der Formel:
WM = (3,25 / 100) x DM 25.822,59 = DM 839,23
(die Reparaturkosten sind dabei ohne MWSt in Ansatz gebracht, der Zeitwert als MWSt-neutral mit DM 20.000,00).
cc) Eine ähnliche Methode zur Ermittlung des merkantilen Minderwertes schlagen E. und H. Nölke vor (DAR 72, 321). Bei ihnen wird der Bewertungsfaktor X nach folgender Formel bestimmt:
X = 1,5 + 2 k + 3 a (t / 12),
wobei k das Kostenverhältnis, a das Aufwandsverhältnis und t das Alter des Fahrzeuges bezeichnen.
Die Methode unterscheidet sich von derjenigen nach Halbgewachs darin, dass sie alle Beträge einschließlich MWSt in Ansatz bringt und das Aufwandverhältnis nicht bei 100 % begrenzt, so dass sich für die merkantile Wertminderung unrealistische Größen ergeben, sobald das Aufwandverhältnis – wie im vorliegenden Fall – 100 % übersteigt (bei Halbgewachs steigt demgegenüber der Faktor X nicht mehr an, sobald das Aufwandverhältnis 100 % erreicht hat). Nach der Methode Nölke ergäbe sich im vorliegenden Fall ein merkantiler Minderwert von DM 2.227,36.
dd) Der 13. Deutsche Verkehrsgerichtstag hat empfohlen, den merkantilen Minderwert in der Regel nach einem Prozentsatz der für den Minderwert erheblichen Reparaturkosten zu bemessen, der sich je nach Alter und bisheriger Fahrleistung des Wagens auf 10-30 % beläuft. Wollte man diesen Empfehlungen folgen, müssten aus den Reparaturkosten zunächst diejenigen Beträge ausgesondert werden, die ohne Einfluss auf eine merkantile Wertminderung sind. Da eine aufgegliederte Rechnung nicht vorliegt, kann nicht beurteilt werden, welche Beträge auf Reparaturkosten entfallen, die für den Minderwert "erheblich" sind. Geht man davon aus, dass von den Reparaturkosten ca. DM 4.000,00 auf "erhebliche entfallen, dann ergäbe sich bei einer mit Rücksicht auf Alter und Laufleistung des Fahrzeugs anzunehmenden Wertminderung von 30 % ein merkantiler Minderwert von DM 1.200,00.
Behält man jedoch im Auge, dass der merkantile Minderwert letztlich doch nur im Wege der Schätzung ermittelt werden kann, so zeigen die angestellten Erwägungen, dass der vom Sachverständigen ... angenommene Wert realistisch ist. Zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils besteht deshalb keine Veranlassung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.