Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

VGH München Beschluss vom 25.05.2016 - 11 C 16.781 - MPU-Anordnung nach mehrfachem Fahren ohne Fahrerlaubnis

VGH München v. 25.05.2016: MPU-Anordnung nach mehrfachem Fahren ohne Fahrerlaubnis


Der VGH München (Beschluss vom 25.05.2016 - 11 C 16.781) hat entschieden:
Die Verurteilung eines Fahrerlaubnisbewerbers wegen vier Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis begründet Zweifel an seiner Fahreignung und rechtfertigt die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Erteilungsverfahren. - Soweit der Betroffene meint, solche Straftaten seien nicht mehr zu befürchten, sobald ihm eine Fahrerlaubnis erteilt worden sei, verkennt er den Begriff der charakterlichen Eignung.


Siehe auch Fahreignung als Voraussetzung für die Erteilung bzw. Wiedererteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis und MPU-Anordnung wegen vorangegangener Straftaten


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für eine Klage auf Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung.

Am 13. September 2013 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B aufgrund einer ausländischen Fahrerlaubnis. Aus dem am 27. Januar 2015 vom Kraftfahrt-​Bundesamt übersandten Auszug aus dem Fahreignungsregister ergibt sich, dass das Landgericht Ingolstadt den Kläger mit Urteil vom 2. Dezember 2012, rechtskräftig seit 18. April 2013, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen im Zeitraum März/April 2011 verurteilt und eine Fahrerlaubnissperre bis 1. Juli 2013 verhängt hatte.

Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 forderte das Landratsamt Neuburg-​Schrobenhausen (weiterhin Fahrerlaubnisbehörde) den Kläger gestützt auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV auf, bis 30. April 2015 ein medizinisch-​psychologisches Fahreignungsgutachten beizubringen. Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis müsse seine Eignung nachweisen. Angesichts der begangenen Straftaten bestünden weiterhin Zweifel an der charakterlichen Eignung des Klägers. Das Ermessen werde dahingehend ausgeübt, die Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Fahreignungsgutachtens anzuordnen. Es sei zu klären, ob zu erwarten sei, dass der Kläger trotz der aktenkundigen Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr künftig nicht mehr erheblich gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen werde. Er legte kein Gutachten vor.

Daraufhin lehnte die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid vom 10. Juli 2015 den Antrag ab. Dagegen hat der Kläger beim Verwaltungsgericht München Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. März 2016 abgelehnt.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht geltend, das Verwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass er nach Erteilung einer Fahrerlaubnis keine Straftaten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mehr begehen könne. Er habe keinen Anlass dazu gegeben, zu befürchten, dass er Vergehen sonstiger verkehrsrechtlicher Art begehen könne. Die Taten lägen auch schon fünf Jahre zurück.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.


II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Weder aus der Beschwerdebegründung noch aus dem Akteninhalt ergeben sich hinreichende Erfolgsaussichten der Klage (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen, geistigen und charakterlichen Anforderungen erfüllen. Sie dürfen unter anderem nach § 2 Abs. 4 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), und § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 3 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-​Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, sodass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird. Bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-​psychologisches Gutachten) anordnen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV). Der Beklagte und das Verwaltungsgericht sind zutreffend davon ausgegangen, dass die Verurteilung des Klägers wegen vier Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis weiterhin Zweifel an seiner Fahreignung begründet und daher die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens im Erteilungsverfahren rechtfertigt.

Soweit der Kläger meint, solche Straftaten seien nicht mehr zu befürchten, sobald ihm eine Fahrerlaubnis erteilt worden sei, verkennt er den Begriff der charakterlichen Eignung. Nach Nr. 3.16 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Begutachtungsleitlinien – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, gültig ab 1.5.2014) können nach der Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr die Voraussetzungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen nur dann als wiederhergestellt gelten, wenn die Persönlichkeitsbedingungen, Krankheitsbedingungen und sozialen Bedingungen, die für das frühere gesetzwidrige Verhalten verantwortlich waren, sich entscheidend positiv verändert oder ihre Bedeutung so weit verloren haben, dass negative Auswirkungen auf das Verhalten als Kraftfahrer nicht mehr zu erwarten sind. Es ist dabei nicht ausschlaggebend, ob zu befürchten ist, dass der Betreffende die gleichen Tatbestände wieder verwirklichen wird, die zu den Eignungszweifeln geführt haben, sondern ob er sich insgesamt an die Verkehrsvorschriften halten wird. Davon ist grundsätzlich nur auszugehen, wenn die in Nr. 3.16 Buchst. a bis d der Begutachtungsleitlinien genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Voraussetzungen, insbesondere einen stabilen Einstellungswandel, hat der Kläger bisher nicht hinreichend nachgewiesen.

Die Anordnung ist auch nicht wegen des Zeitablaufs seit Begehung der Taten verwirkt oder unverhältnismäßig. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Taten verwertbar sind und dem Betreffenden vorgehalten werden dürfen, solange sie im Fahreignungsregister eingetragen sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 21/04 – NJW 2005, 3440, juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 8.4.2016 – 11 C 16.319/11 C 16.320 – juris; B.v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 – juris; B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris). Dass seit der strafrichterlichen Verurteilung des Klägers vom 2. Dezember 2012 keine weiteren Verstöße bekannt geworden sind, führt zu keiner anderen Einschätzung. Dies kann seine Ursache auch darin haben, dass er über keine Fahrerlaubnis verfügt und daher mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr nicht teilnehmen darf.

Auch fehlende finanzielle Mittel stellen bei berechtigten Fahreignungszweifeln aus Gründen der Verkehrssicherheit keinen ausreichenden Grund für das Absehen von Aufklärungsmaßnahmen oder eine Ausnahme von der Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.11.1997 – 3 C 1/97 – BayVBl 1998, 634) mutet das Gesetz einem Kraftfahrer die Kosten für die Begutachtung ebenso zu wie es ihm die Kosten zumutet, die zum verkehrssicheren Führen des Fahrzeugs notwendig sind. Sollte der Kläger zwingend auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sein und die Kosten für das Fahreignungsgutachten nicht aufbringen können, so kann er ggf. unter strengen Voraussetzungen eine darlehensweise Vorfinanzierung durch das Landratsamt beantragen, ohne allerdings darauf einen Anspruch zu haben (vgl. zum Angebot der Vorfinanzierung durch eine Behörde BayVGH, B.v. 8.4.2016 – 11 C 16.319/11 C 16.320 – juris Rn. 14).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für die Zurückweisung der Beschwerden nach dem hierfür maßgeblichen Kostenverzeichnis jeweils eine Festgebühr anfällt (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Anlage 1 Nr. 5502).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).