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Sozialgericht Chemnitz Beschluss vom 15.12.2015 - S 16 SB 613/15 - Zuständigkeit für Streitigkeiten auf Ausstellung einer Sonderparkerlaubnis "aG Light"

SG Chemnitz v. 15.12.2015: Zuständigkeit für Streitigkeiten auf Ausstellung einer Sonderparkerlaubnis "aG Light"


Das Sozialgericht Chemnitz (Beschluss vom 15.12.2015 - S 16 SB 613/15) hat entschieden:
Für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Sonderparkerlaubnis für Behinderte nach sächsischem Landesrecht ("aG Light") besteht keine sozialgerichtliche Zuständigkeit. Zuständig sind vielmehr die allgemeinen Verwaltungsgerichte.


Siehe auch Behindertenparkausweis - Gehbehinderung und Behinderte Verkehrsteilnehmer


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt unter anderem die Erteilung einer Sonderparkerleichterung im Sinne der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr über die Bewilligung von Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen (VwV Parkerleichterungen) vom 31.12.2011.

Auf Antrag vom 11.10.2014, eingegangen am 15.10.2014, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2014 fest, dass bei dem Kläger, bei dem vorher bereits ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" für erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr festgestellt wurde, nunmehr ein GdB von 70 festzustellen sei. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, "B" für Berechtigung für eine ständige Begleitung und "H" für Hilflosigkeit lägen vor. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" für außergewöhnliche Gehbehinderung und für die Inanspruchnahme der Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen lägen allerdings nicht vor.

Auf den Widerspruch des Klägers, gerichtet auf Feststellung der Voraussetzungen für die streitige Sonderparkerlaubnis, erging am 25.08.2015 ein abweisender Widerspruchsbescheid.

Am 07.09.2015, Darum des Eingangs der Klageschrift bei Gericht, reichte der Kläger Klage ein, die unter dem Aktenzeichen S 16 SB 470/15 geführt wird.

Bei Klageeinreichung stellte der Kläger unter Ziffer 3. den Antrag:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Parkerleichterung im Straßenverkehr zu erteilen.
Mit Schriftsatz vom 15.09.2015 beantragte der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.10.2015 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass für den vorgenannten Antrag der Sozialrechtsweg nicht eröffnet sei und dass der Rechtsstreit insoweit abgetrennt und an das zuständige Verwaltungsgericht verwiesen werden müsse. Das Schreiben wurde an die Beklagte zur Kenntnis und evtl. Stellungnahme gesandt.

Mit Schriftsatz vom 19.11.2015 bekundete der Kläger sein Einverständnis mit der Abtrennung und Verweisung.

Mit Beschluss vom 24.11.2015 hat das Gericht das Verfahren, soweit der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Sonderparkerlaubnis nach der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr über die Bewilligung von Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen (VwV Parkerleichterungen) geltend macht, abgetrennt und unter diesem Aktenzeichen fortgeführt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

Das Begehren des Klägers ergibt sich aus den Schriftsätzen, insbesondere aus dem Klageantrag. Der Kläger hat ausdrücklich die Ausstellung einer Sonderparkerlaubnis beantragt, die nach der VwV Parkerleichterungen auszustellen ist (sogenanntes: "aG -Light").

Eine sozialgerichtliche Zuständigkeit für diese Streitigkeit besteht nicht, so dass sich das angerufene Gericht gemäß § 17a Abs. 2 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für unzuständig erklären und an das zuständige Verwaltungsgericht Chemnitz verweisen muss.

Die Sozialgerichte entscheiden nach § 51 Abs. 1 SGG nämlich ausschließlich in folgenden Sachgebieten:

1. in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte,
2. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) gelten,
3. in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der Überwachung der Maßnahmen zur Prävention durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,
4. in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit,
4 a. in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
5. in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung,
6. in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (Kriegsopferfürsorge), auch soweit andere Gesetze die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorsehen,
6 a. in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes,
7. bei der Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 69 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch,
8. die aufgrund des Aufwendungsausgleichsgesetzes entstehen,
9. (weggefallen)
10. für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird.


Eine Zuständigkeit aufgrund der Ziffern 1. bis 6a., 8. und 9. besteht offenkundig nicht. Es besteht auch keine Zuständigkeit nach Ziff. 7.

Gegenstand des Begehrens des Klägers ist, soweit der Anspruch abgetrennt ist, nicht der von dem Beklagten festgestellte GdB oder das weiteren in dem Antrag zu 2) genannten Merkzeichen. Es handelt sich bei der streitigen Feststellung insbesondere auch nicht um ein Merkzeichen im Sinne der Ziffer 7. des SGG, auch wenn es dabei durchaus um einen Nachteilsausgleich geht, worauf Dau in seiner Anmerkung zum Verweisungsbeschluss der Kammer vom 15.04.2015 (S 16 SB 161/15) in juris Praxisreport Sozialrecht 17/2015, Anm. 5 zutreffend hinweist.

Merkzeichen oder Nachteilsausgleiche im Sinne des § 51 Abs. 1 Ziffer 7 SGG können nämlich nur solche sein, die durch formelles Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch einen anderen formellen Rechtsakt, also durch Rechtsverordnung festgelegt werden.

Das Erfordernis einer förmlichen Regelung auch für Nachteilsausgleiche ergibt sich unzweifelhaft aus dem Grundgesetz und zwar aus der Garantie des gesetzlichen Richters des Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG.

Die Garantie des gesetzlichen Richters, die sich auch auf den zulässigen Rechtsweg erstreckt, erfordert nämlich, dass alle Regelungen welche die Zuständigkeit eines Gerichtes einschließlich des Rechtsweges beeinflussen können, also auch die Einführung von Merkzeichen oder Nachteilsausgleiche im Sinne des § 51 Abs. 1 Ziffer 7 SGG, ausschließlich durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlassener Rechtsverordnung als untergesetzliche förmliche Rechtsquelle erfolgen müssen.

Der Gesetzgeber hat diesen Grundsatz auch im § 69 Abs. 4 SGB-​IX in Verbindung mit § 126 Abs. 2 SGB-​IX beachtet und für das gesamte SGB-​IX festgeschrieben. Die letztgenannte Vorschrift nennt ausdrücklich "Rechtsvorschriften", also Gesetze oder zumindest aufgrund von Gesetzen erlassenen Rechtsverordnungen, die in der Vergangenheit gewährten Nachteilsausgleichen Bestandsschutz gewähren.

Der Gesetzgeber hat mit dieser Wortwahl zunächst zwar nur deutlich gemacht, dass nur durch formellen Akt und nicht aufgrund anderer Vorschriften, wie die hier vorliegende Verwaltungsvorschrift, eingeführte Vergünstigungen Bestandsschutz haben sollten. Aus dem Sinngehalt der Regelung wird aber, bei Berücksichtigung der genannten grundgesetzlichen Garantie des gesetzlichen Richters, auch der Wille des Gesetzgebers deutlich, dass nur durch Gesetze oder aufgrund von Gesetzen erlassener Rechtsverordnungen Merkzeichen oder Nachteilsausgleiche im Sinne des SGB-​IX neu eingeführt werden können, da sie, wie dargelegt, Auswirkungen auf die gerichtliche Zuständigkeit haben (können).

Auf die Schwerbehindertenausweisverordnung oder die Verordnung vom 31.07.2001 des Bundeslandes Berlin, erlassen durch Ermächtigung des Landesgleichberechtigungsgesetzes vom 17.05.1999, durch die im Lande Berlin das nur in dem genannten Land gültige Merkzeichen „T“ eingeführt wurde und die diesen Vorgaben entsprechen, wird beispielhaft verwiesen.

Nicht ausreichend ist jedenfalls, wie bei der hier streitigen Verwaltungsvorschrift, eine interne Handlungsanweisung der Verwaltung.

Damit sind auch die Argumente von Dau, der auf die Frage des gesetzlichen Richters überhaupt nicht eingeht, widerlegt. Entsprechendes gilt für den Aufsatz von Löbner in Behindertenrecht 2013, S. 13 ff.

Daus weiteres Argument, dass es der Straßenverkehrsbehörden an der nötigen Sachkunde mangelt, verwundert doch sehr. Abgesehen davon, dass dieses Argument keine behördliche Zuständigkeit begründen kann, sind Behörden, wenn es ihnen tatsächlich an Sachkunde mangeln sollte, immer gehalten, sich diese Sachkunde zu verschaffen oder das entsprechende Fachamt intern zu beteiligen, wie dies beispielsweise im Bauordnungsrecht bei der Genehmigung eines Bauantrages seit Jahrzehnten problemlos praktiziert wird.

Auch das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr hat diese Problematik im Übrigen gesehen, so dass es in Ziffer I. 1. der Verwaltungsvorschrift den Nachweis der Voraussetzungen von der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung abhängig gemacht hat.

Diese Verfahrensvorschrift, die auf die Tätigkeit einer normalerweise nicht mit gesundheitlichen Fragen befassten Behörde zugeschnitten ist, zeigt, ebenso wie die Bezugnahme auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-​StVO) vom 4. Juni 2009 zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 deutlich, dass auch der Vorschriftengeber, eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift erlassen und eine Tätigkeit der Straßenverkehrsbehörden regeln wollte.

Eine gesetzliche Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs. 1 Ziff. 10. SGG ist ebenfalls nicht erkennbar, so dass für die hier streitige straßenverkehrsrechtliche Frage der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben ist.

Zuständig sind daher, da auch keine anderweitige Regelung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO erkennbar ist, nach wohl herrschender Ansicht, auch in der Sozialgerichtsbarkeit, die allgemeinen Verwaltungsgerichte, (vergl. zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte u. a.: LSG München L 3 SB 61/13 - ausdrücklich im Hinblick auf die der sächsischen VwV entsprechende Zuständigkeitsregelung der Landesbehörden nach bayerischem Landesrecht -; VG Regensburg RO 4 K 10.00614; OVG Münster 8 E 959/07, 8 E 1159/09, 8 E 23/11; VG Aachen 2 K 2170/02, 2 K 266/07, 2 K 315/07, 2 K 891/07, 2 K 2191/08, 2 K 2270/10; VG Düsseldorf 6 K 5292/03, 14 K 1539/09, 14 K 4766/09; VG Gelsenkirchen 14 K 4497/03, 14 K 3637/07, 14 K 2291/09; VG Braunschweig 6 A 122711; VG Osnabrück 6 A 215/08; VG Freiburg/Breisgau 4 K 2673/13; VG Saarlouis 10 K 764/09; VG Sigmaringen 8 K 2267/07; sowie unveröffentlicht: SG Chemnitz S 32 SB 422/14; S 33 SB 435/10).

Auch das OVG Bautzen geht davon aus, dass für die Frage der Erteilung von straßenverkehrsrechtlichen Sonderparkerlaubnissen der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (vergl. z. B.: 3 A 431/11, 3 E 11/14).

Aus der zustimmenden Literatur seien genannt Keller (Meyer-​Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflg., § 51 Anm. 34), sowie aktuell Dahm, "Zur gerichtlichen Zuständigkeit bei Streitsachen aus Anlass von Sonderparkerleichterungen" (NZV 2015, S. 482), der sogar eine Zuständigkeit der Versorgungsbehörden für die Feststellungen verneint, was zumindest in Sachsen zutreffend sein dürfte, denn die VwV wurde vom Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr erlassen und nicht vom Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, das für die Fachaufsicht über die Versorgungsbehörden zuständig ist (vergl.: Geschäftsverteilung, Referat 43).


III.

Da die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten (§ 17b Abs. 2 S. 1 GVG).