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OLG Hamm Urteil vom 17.01.2017 - I-9 U 22/16 - Bestimmung des Vorfahrtsbereichs im nicht beschilderten Rondell

OLG Hamm v. 17.01.2017: Zur Bestimmung des Vorfahrtsbereichs im nicht beschilderten Rondell


Das OLG Hamm (Urteil vom 17.01.2017 - I-9 U 22/16) hat entschieden:
  1. Bestimmung des Vorfahrtsbereichs im nicht beschilderten Rondell.

  2. Schutzzweck des Rechtsfahrgebotes nach § 2 Abs. 2 StVO.

  3. Haftungsabwägung zwischen Vorfahrtsverstoß des Radfahrers und Unaufmerksamkeit des bevorrechtigen Kraftfahrers (hier 60 % zu Lasten des Radfahrers).

Siehe auch Kreisverkehr und Radfahrer-Unfälle - Verkehrsunfall mit Fahrradbeteiligung


Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 22. August 2014 um 18.55 Uhr auf der Kreuzung der X-​Straße/L-​Straße in N ereignete. Hierbei handelt es sich nicht um eine rechtwinklige Kreuzung, sondern um ein Rondell, in dem die Vorfahrtsregelung "rechts vor links" gilt. Die 1937 geborene Klägerin fuhr mit ihrem Fahrrad von der X-​Straße aus in das Rondell ein mit dem Ziel, an der gegenüberliegenden Einmündung, somit quasi geradeaus, weiterzufahren. Aus der aus ihrer Sicht rechts gelegenen L-​Straße näherte sich die Beklagte zu 1) mit ihrem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW. Zwischen den Einmündungen der L-​Straße und der T-​Straße, in welche die Klägerin einfahren wollte, kam es zur Kollision dergestalt, dass die Klägerin an die vordere linke Ecke des Beklagtenfahrzeuges prallte.

Die Klägerin zog sich eine bikondyläre Tibiakopffraktur mit zweitgradigem Weichteilschaden zu. Es fand zunächst eine operative Fixierung des Bruchs statt, sodann wurde in einer weiteren dreistündigen Operation der Bruch mit einer Metallplatte und 20 Schrauben versorgt. Die Klägerin befand sich vom 22. August bis zum 11. September 2014 in stationärer Behandlung. Sodann konnte am 11. November 2014 erstmalig eine Teilbelastung des Knies mit einem Gewicht von 20 kg erfolgen. Die erste Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 11. September bis zum 2. Oktober 2014 erbrachte keine volle Belastbarkeit des Knies, so dass eine weitere stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 13. November bis zum 16. Dezember 2014 in C stattfand. Ab dem 3. Januar 2015 wurde die ambulante Rehabilitation zur Erlernung eines freien Gangbildes ohne Zuhilfenahme von Unterarm-​Gehstützen eingeleitet. In dieser Zeit zerbrach die eingesetzte Metallplatte und musste in einer weiteren Operation mit stationärer Behandlung vom 12. bis zum 24. März 2015 ersetzt werden. Es schloss sich eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 7. April bis zum 20. Juli 2015 an.

Die Klägerin macht mit ihrer Klage ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,- Euro, Schadensersatz u.a. für beschädigte Kleidung, Zuzahlungen, Kosten für die Anmietung und den späteren Erwerb eines Seniorenbettes und eines Ergometers sowie einen - teilweise unstreitigen - Haushaltsführungsschaden, als auch die Feststellung der Haftung der Beklagten dem Grunde nach und ihre außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.

Die Beklagte zu 2) hat einen Vorschuss in Höhe von 4.000,- Euro geleistet, wovon 971,70 EUR auf den materiellen Schaden, 400,- EUR auf den Haushaltsführungsschaden, soweit dieser berechtigt sei, und der verbleibende Betrag auf die Schmerzensgeldforderung verrechnet werden sollten.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe beim Einfahren in das Rondell das Fahrzeug der Beklagten zu 1) von rechts nahen sehen, jedoch angenommen, sie könne den Kreuzungsbereich noch vor diesem Fahrzeug verlassen, weil die Beklagte zu 1) sehr langsam gefahren sei. Vor dem beabsichtigten Abbiegen in die T-​Straße habe sie ihren rechten Arm ausgestreckt, um ihre Fahrtrichtung anzuzeigen. Erst als sie sich bereits auf Höhe der T-​Straße befunden habe, sei das Fahrzeug der Beklagten ungebremst in den Kreisverkehr eingefahren und es sei zum Zusammenstoß gekommen.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte zu 1) habe den Unfall schuldhaft allein verursacht, weil sie sie, die Klägerin, übersehen habe, wie sie dies auch bei der Polizei geäußert habe.

Die Klägerin hat in erster Instanz einen Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum 3. Oktober 2014 bis 12. November 2015 in Höhe von 3.012,00 Euro geltend gemacht und hierzu ausgeführt, dass sie mit ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und ihrer Enkelin zusammen in einem Zweifamilienhaus wohne. Sie bewohne die untere Etage und pflege den Garten. Neben der eigenen Versorgung koche sie viermal in der Woche für Schwiegersohn und Enkelin mittags. Sie wende pro Tag 5,08 Stunden und somit 35,58 Stunden in der Woche für Hausarbeit auf. Bei einem Stundenlohn von 8,- Euro ergäbe sich im Hinblick auf ihre abgestufte Haushaltsführungsunfähigkeit ein Schaden von 3.012,- Euro.

Durch den Unfall seien ihre Selbstständigkeit und Lebensfreude in erheblichem Umfang eingeschränkt. Sie habe vor dem Unfall regelmäßig dreimal in der Woche Sport getrieben und sei jeden Tag Fahrrad gefahren, habe auch längere Radtouren absolvieren können. Vor dem Unfall habe sie keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen gehabt. Nunmehr könne sie nicht mehr Fahrradfahren und habe auch die zuvor noch durchgeführten Reisen aufgegeben. Sie leide heute noch unter Schmerzen und müsse sich mit Unterarmgehstützen fortbewegen. Im Hinblick auf die drei Operationen, die diversen Rehabilitationsmaßnahmen, den Verlust der Lebensfreude und die erlittenen Schmerzen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von nicht unter 10.000,- Euro angemessen.

Die Klägerin hat beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 8.033,46 Euro abzüglich bereits gezahlter 4.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 10.000,00 Euro,

  3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro freizustellen,

  4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche, sowohl materielle als auch immaterielle zukünftig noch entstehende Schäden, resultierend aus dem Verkehrsunfall vom 22. August 2014, vollständig auszugleichen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, die Beklagte zu 1) habe sich bei Annäherung an das Rondell zunächst durch einen Blick vergewissert, dass sich von links kein untergeordneter Verkehr annähere. Sie habe keinerlei Fahrzeuge gesehen und sei sodann abgebogen. Währenddessen habe sie nach rechts geschaut, um sich zu vergewissern, dass von dort kein vorfahrtsberechtigter Verkehr komme. Als sie sich bereits voll auf der Fahrbahn zwischen den Einmündungen L-​Straße und T-​Straße befunden habe, sei die Klägerin mit ihrem Fahrrad aufgetaucht. Sie müsse demnach nach ihr in das Rondell eingefahren sein und dieses dann in gerade Linie durchfahren und sodann versucht haben, nach rechts in die T-​Straße abzubiegen, ohne auf das Kraftfahrzeug zu achten. Ein Handzeichen werde bestritten.

Von den materiellen Schadensersatzansprüchen hat sie die Erforderlichkeit und Ersatzfähigkeit der Anschaffung eines Pflegebettes und eines Ergometers bestritten.

Das Landgericht Münster hat mit Teil-​Grund- und Teil-​Schlussurteil eine Haftungsverteilung von 80% zu 20% zu Gunsten der Klägerin vorgenommen und in diesem Umfang dem begehrten materiellen und immateriellen Vorbehalt entsprochen. In Bezug auf den bezifferten Haushaltsführungsschaden hat es die Klage dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 20 % für gerechtfertigt erklärt, und zwar klarstellend bis zu einem Betrag von 3.012,00 Euro. Ferner hat es die Beklagten unter Berücksichtigung des Eigenverschuldens der Klägerin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000,00 Euro sowie der Rechtsanwaltskosten verurteilt. Den der Klägerin entstandenen materiellen Schaden, soweit von dieser vorliegend beziffert, hat es - unter Aberkennung diverser Positionen - mit insgesamt 3.753,85 EUR ermittelt. Den nach Abzug des Mitverschuldens iHv 20% verbleibenden Betrag iHv 3.003,08 EUR hat es mit den von der Beklagten zu 2) vorprozessual geleisteten 4.000,- EUR entgegen der von den Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 2015 erklärten Verrechnungsreihenfolge zunächst auf den materiellen Schadensersatz verrechnet. Der Überschussbetrag iHv 996,92 EUR stehe vorrangig zur Verrechnung mit dem Haushaltsführungsschaden und nachrangig mit dem Schmerzensgeld weiterhin zur Verfügung.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die insgesamt zulässige Klage sei bis auf die Frage des Haushaltsführungsschadens zur Endentscheidung reif und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aus den §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Auf der Grundlage des feststehenden Sachverhaltes ergebe sich lediglich ein Mitverschulden der Klägerin in einer Größenordnung von 20 %. Die Klägerin sei nicht gehindert, den in der Klageschrift vorgetragenen Unfallhergang zu behaupten, obgleich sie unfallbedingt an Teile des Geschehens keine Erinnerung mehr habe, weil greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen des vorgetragenen Sachverhalts bestünden.

Ein Vorfahrtsverstoß sei der Klägerin nicht nachzuweisen. Die Regeln über den Anscheinsbeweis für einen Vorfahrtsverstoß des Wartepflichtigen seien nicht anwendbar, weil sich die Kollision nicht im Einmündungsbereich der L-​Straße, sondern im Bereich der nachfolgenden Einmündung der T-​Straße ereignet habe, wobei der Anstoß am Beklagtenfahrzeug vorne links erfolgt sei. Ein Vorfahrtsverstoß setzte voraus, dass die Beklagte zu 1) noch vor der Klägerin langsam in das Rondell eingefahren und die Klägerin erst danach unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gleichsam geradeaus zügig das Rondell gequert und den beabsichtigten Fahrweg der Beklagten zu 1) gekreuzt habe. Es sei aber auch möglich, dass die Klägerin vor der Beklagten zu 1) in das Rondell eingefahren sei und den Einmündungsbereich der L-​Straße noch vor der Einfahrt der Beklagten zu 1) in das Rondell bereits wieder verlassen habe. Bei diesem Geschehensverlauf weise der Unfall nicht die Züge eines Unfalls im kreuzenden Verkehr sondern eines Unfalls im gleichgerichteten Verkehr auf. Objektive Anhaltspunkte für die eine oder andere Version gebe es nicht. Es stehe nicht fest, welche der Unfallparteien zuerst und mit welcher Geschwindigkeit in das Rondell eingefahren sei. Die insoweit beweisbelasteten Beklagten hätten für solche Anknüpfungstatsachen auch keinen Beweis angeboten. Das Gericht habe sich auch nicht von der Richtigkeit des Beklagtenvortrages auf der Grundlage der Parteianhörung überzeugen können. Es bestünden bereits Zweifel an der inneren Plausibilität der Unfallschilderung, denn danach müsste die Klägerin mit hoher Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren sein, um die Beklagte zu 1) nach ihrem Einfahren in das Rondell noch gleichsam einholen zu können. Dafür bestehe auch angesichts des fortgeschrittenen Lebensalters der Klägerin keine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Die Angaben der Beklagten zu 1) zugrundegelegt, wonach diese sofort ihr Fahrzeug zum Stehen gebracht habe, müsse die Klägerin in das stehende Fahrzeug hineingefahren sein, was ebenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich sei.

Somit sei nur feststellbar, dass die Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO verstoßen habe. Angesichts des Anstoßpunktes am Beklagtenfahrzeug vorne links sowie der unstreitigen Endstellung des Beklagtenfahrzeuges stehe fest, dass die Klägerin im Kollisionszeitpunkt und damit nach Einleitung des Abbiegevorgangs näher an der Verkehrsinsel als am rechten Fahrbahnrand gefahren sei. Sie hätte sich jedenfalls rechts einordnen müssen, bevor sie dazu angesetzt habe, in die T-​Straße einzubiegen. Der eingeleitete Abbiegevorgang habe damit nicht in einem Zug die Kreisbahn über einen wesentlich Teil ihrer Breite in Anspruch nehmen dürfen. Es sei auch davon auszugehen, dass dieser Verstoß unfallursächlich geworden sei. Denn wäre die Klägerin auf der rechten Straßenseite gefahren, so sei davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) sie entweder links hätte passieren oder aber jedenfalls weniger leicht hätte übersehen können. Die Behauptung der Klägerin, vor dem Abbiegen ein Handzeichen gegeben zu haben, sei jedenfalls nicht widerlegt.

Der bezifferte materielle Schadenersatzanspruch sei infolge Verrechnung erloschen.

Hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens liege noch keine Entscheidungsreife vor. Insoweit müsse erst zu den bestrittenen Anknüpfungstatsachen Zeugenbeweis erhoben und sodann ggf. ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Der Haushaltsführungsschaden sei jedoch auf 3.012,00 Euro "gedeckelt".

Im Hinblick auf die überdurchschnittlich schwere Knieverletzung, die dreimonatige stationäre Behandlung, die Schmerzmedikation, die dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 %, den komplikationsreichen Heilungsverlauf und einen weiteren Bruch der Platte und nachfolgender Operation sowie einer dauerhaften Einschränkung der Mobilität der Klägerin sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,- Euro angemessen. Die Klägerin habe auch im Rahmen ihrer Anhörung glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass sie aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität (Zuhilfenahme eines Rollators) auch die Teilnahme an Studienreisen und das Fahrradfahren aufgegeben habe und somit eine Einbuße an Lebensqualität und Lebensfreude erlitten habe.

Der Feststellungsantrag sei begründet, weil insoweit die Möglichkeit einer künftigen Schadensfolge ausreiche und dies bei einer schweren Knieverletzung mit nicht komplikationsfreiem Heilungsverlauf jedenfalls der Fall sei.

Die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien der Höhe nach berechtigt, da der Klägerin mit Blick auf die vorgerichtlich angemeldeten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche jedenfalls Ansprüche iHv mindestens 13.000,- EUR zugestanden haben.

Gegen dieses Urteil, auf das gem. § 540 ZPO verwiesen wird, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt, richten sich die wechselseitigen Berufungen der Parteien.

Die Klägerin erstrebt die volle Haftung der Beklagten. Hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens hat die Klägerin klageerweiternd Mehrforderungen für weitere Zeiträume angekündigt, diese Mehrforderungen letztlich aber mit Blick auf den Feststellungsantrag nicht in das Verfahren eingeführt.

Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 21.12.2015 verkündeten Teil-​Grund- und Teil-​Schlussurteil des Landgerichts Münster
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 7.413,85 EUR - abzüglich bereits gezahlter 4.000,- EUR - nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 10.000,00 EUR,

  3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 EUR freizustellen,

  4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, sämtliche sowohl materielle als auch immaterielle der Klägerin zukünftig noch entstehende Schäden resultierend aus dem Verkehrsunfall vom 22.08.2014 vollständig auszugleichen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind,
Die Beklagten beantragen,
  1. das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

  2. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagten meinen, entgegen der von ihnen vorprozessual anerkannten Haftungsquote von 1/3, dass angesichts der Vorfahrtsverletzung der Klägerin eine Haftung der Beklagten gar nicht in Betracht komme. Die Notwendigkeit der Anschaffung eines Ergometers und der Anmietung eines Pflegebettes bleibe weiterhin bestritten.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den damit überreichten Anlagen verwiesen. Der Senat hat die Parteien gem. § 141 ZPO persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen I. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den hierüber aufgenommenen Berichterstattervermerk verwiesen.

Die Akten 62 Js 9558/14 StA Münster lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.


II.

Die Berufung der Beklagten hat einen Teilerfolg, weil der Senat die maßgebliche Frage der Haftung der unfallbeteiligten Parteien anders beurteilt als das Landgericht.

1. Die Haftung der Beklagten für das Unfallereignis ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, während sich die Mithaftung der Klägerin nach § 9 StVG i. V. m. § 254 BGB richtet.

Dass sich die vom Beklagtenfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr bei der Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, ist unzweifelhaft. Ferner hat zur Entstehung des Unfalls ein Mitverschulden der Klägerin beigetragen, die einen Vorfahrtsverstoß im Sinne des § 8 Abs. 1 StVO begangen hat. Sie hatte nämlich an der fraglichen Kreuzung die Vorfahrtsregel "rechts vor links" zu beachten. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, sie habe das von der Beklagten zu 1) gesteuerte Fahrzeug beim Einfahren in die als Rondell ausgestaltete Kreuzung gesehen, jedoch angenommen, den Kreuzungsbereich noch vor diesem Fahrzeug verlassen zu können, weil das Beklagtenfahrzeug sehr langsam gefahren sei. Mithin ist unstreitig, dass das Beklagtenfahrzeug als bevorrechtigtes Fahrzeug zu erkennen war, als die Klägerin in die Kreuzung einfuhr. Ihre Einschätzung, den Kreuzungsbereich noch vor dem Beklagtenfahrzeug räumen zu können, hat sich leider nicht bewahrheitet. Die Klägerin hätte in der konkreten Situation den Vorrang des Beklagtenfahrzeuges beachten und das Überqueren der Kreuzung zurückstellen müssen.

Der Unfall ereignete sich noch in dem Bereich, in welchem das Fahrzeug der Beklagten zu 1) gegenüber der Klägerin bevorrechtigt war.

Den Vorfahrtsbereich bilden das Einmündungsviereck und die linke Hälfte der untergeordneten Straße, d.h. die gesamte Kreuzungsfläche in ganzer Fahrbahnbreite, bei rechtwinkeligen Kreuzungen begrenzt durch die Fluchtlinien beider Fahrbahnen. Bei trichterförmiger Einmündung der bevorrechtigten Straße ist dies der Bereich einschließlich der Fläche bis zu den Endpunkten des Trichters (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 8 StVO Rn. 28 m.w.N.). Hiervon ausgehend ereignete sich der Zusammenstoß, wie auch die Lichtbilder vom Unfallort belegen, in dem der Beklagten zu 1) die Vorfahrt einräumenden Bereich.

Selbst wenn man den Vorfahrtsbereich ohne Berücksichtigung des Einmündungstrichters bestimmen wollte, ereignete sich die Kollision möglicherweise ganz knapp außerhalb des durch die seitlich gezogenen Fluchtlinien definierten Bereichs. Das änderte nichts an der Feststellung eines Vorfahrtsverstoßes seitens der Klägerin. Denn der Wartepflichtige muss gegenüber sichtbaren Berechtigten im Kreuzungsbereich bis zur vollständigen Einordnung das Vorfahrtsrecht beachten, auch wenn sich die Fahrbahnen erst jenseits der Kreuzung berühren. Die Wartepflicht entfällt erst dann, wenn der Wartepflichtige schon auf der Kreuzung ist und ausreichend Vorsprung gewonnen hat. Daraus folgt, dass der Wartepflichtige sicherstellen muss, dass er die Kreuzung vor dem Vorfahrtsberechtigten räumen kann. Dass es zum Zusammenstoß gekommen ist belegt, dass dies seitens der Klägerin nicht sichergestellt werden konnte. Dabei entlastet die Klägerin nicht, dass sich die Beklagte zu 1), wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergeben wird, selbst vorschriftswidrig verhalten hat, als sie in das Rondell eingefahren ist. Denn das eigene vorschriftswidrige Verhalten des Vorfahrtsberechtigten lässt dessen Vorfahrtsrecht nicht entfallen (König, a.a.O. Rn. 30).

Des Rückgriffs auf die Anscheinsbeweisgrundsätze bedarf es, nachdem ein Vorfahrtsverstoß der Klägerin positiv festgestellt werden kann, entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht.

Der Senat vermag - anders als das Landgericht - einen Verstoß der Klägerin gegen das sich aus § 2 Abs. 2 StVO ergebende Rechtsfahrgebot nicht festzustellen. Es ist schon vom Schutzzweck her fraglich, ob die einbiegende und nicht im Längsverkehr mit der Klägerin befindliche Beklagte zu 1) - und damit auch die Beklagte zu 2) - sich überhaupt auf einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot berufen könnte (vgl. dazu allgemein nur König, a.a.O., § 2 StVO, Rn. 33). Die Klägerin ist im Übrigen mit ihrem Fahrrad geradeaus gefahren. Dass sich zu ihrer rechten Hand der Einmündungstrichter der L-​Straße öffnete und sie nicht in diesen hineingefahren ist, sondern sie in Beibehaltung der vorher eingenommenen Fahrlinie das Rondell durchquert hat, begründet bereits erhebliche Zweifel in Bezug auf die Annahme eines Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot. Jedenfalls lässt sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass dieser Verstoß sich ursächlich auf den Unfall ausgewirkt hat. Eine entsprechende Überzeugung hat sich auch das Landgericht nicht verschaffen können, das sich insoweit lediglich auf eine nicht durch Tatsachen belegte Vermutung stützt.

Nach der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass auch die Beklagte zu 1) ein gravierendes Verschulden an der Entstehung des Unfalls trifft. Denn diese hat das in das Rondell einfahrende Fahrrad der Klägerin offensichtlich übersehen, als sie den Entschluss fasste, in das Rondell einzufahren, oder aber versäumt, vor der Einfahrt nach links zu schauen. Damit hat sie gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Der Zeuge I hat ausgesagt, dass er die Klägerin mit ihrem Fahrrad bereits auf der Fahrbahn des Rondells erkannt habe, als er sich hinter dem vor der Einfahrt in das Rondell befindlichen Fahrzeug der Beklagten zu 1) dem Rondell genähert habe. Daraus folgt zwingend, dass die Beklagte zu 1), wenn sie sich vor Einfahrt in das Rondell nach links vergewissert hätte, wozu sie verpflichtet war, die Klägerin auf ihrem Fahrrad hätte sehen müssen. Dann jedoch hätte sie den Unfall dadurch vermeiden können, dass sie ihre Einfahrt in das Rondell zurückgestellt hätte. Sie war zwar bevorrechtigt, jedoch nicht berechtigt, ihr Vorfahrtsrecht, das für sie erkennbar verletzt wurde, ohne Rücksicht auf die Klägerin durchzusetzen. Ihr Vertrauen darauf, dass ihr Vorfahrtsrecht von der Klägerin beachtet werde, wäre durch einen ausreichenden Blick nach links zerstört worden.

Demgegenüber ist es der Beklagten zu 1) nicht gesondert vorzuwerfen, dass sie es im Rondell versäumt hat, erneut nach links zu schauen, nachdem sie die Klägerin bereits übersehen hatte. Denn im Rondell hatte sie ihrerseits das Vorfahrtsrecht der aus der T-​Straße in die Kreuzung einfahrenden Fahrzeuge zu beachten und musste sich zu diesem Zweck nach rechts orientieren.

Der Senat bewertet die beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge an der Entstehung des Unfalls mit einer Haftungsquote von 60 % zu 40 % zu Lasten der Klägerin. Der Klägerin ist hier mit dem Vorfahrtsverstoß der gravierendere Vorwurf zu machen, denn während die Beklagte zu 1) die allgemeinen Sorgfaltspflichten aus § 1 Abs. 2 StVO zu beobachten hatte, trafen die Klägerin die besonderen Pflichten aus § 8 StVO, die sie sehenden Auges verletzt hat, weil sie in der Annahme, die Kreuzung noch rechtzeitig räumen zu können, trotz des für sie deutlich sichtbaren Fahrzeugs der Beklagten zu 1) in die Kreuzung eingefahren ist. Grundsätzlich trifft den Wartepflichtigen gegenüber dem bevorrechtigten Verkehr ein überwiegendes Verschulden, wobei ein Verschätzen zu Lasten des Wartepflichtigen geht (König a.a.O., Rdn. 68).

2. Über den Haushaltsführungsschaden ist nur dem Grunde nach zu entscheiden. Dass ein solcher entstanden ist, ergibt sich in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung ohne weiteres aus den von der Klägerin erlittenen Verletzungen. Eine betragsmäßige Begrenzung des Haushaltsführungsschadens ist weder erforderlich noch sinnvoll, da die Klägerin trotz des Feststellungsantrages weiteren bezifferbaren Haushaltsführungsschaden infolge Zeitablaufs geltend machen kann und auch geltend macht.

3. Der Senat hat auch hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruches aus § 253 Abs. 2 BGB nur ein Grundurteil gefällt und das Urteil des Landgerichts insoweit aufgehoben, weil zum derzeitigen Zeitpunkt eine endgültige Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes nicht möglich erscheint. Dies ergibt sich bereits aus den eigenen Ausführungen des Landgerichts, wonach noch Erhebungen Haushaltsführungsschaden erforderlich sind. Denn auch die Einschränkungen, denen die Klägerin bei der Führung ihres Haushaltes unfallbedingt ausgesetzt ist, stellen einen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Faktor dar, der gegenwärtig noch nicht berücksichtigt werden kann, weil es insoweit an sachverständigen Feststellungen fehlt.

4. Unter Berücksichtigung der vom Senat ausgeurteilten Haftungsquote kann die Klägerin Ersatz ihres sich auf insgesamt 3.753,85 EUR belaufenden materiellen Schadens iHv 1.501,54 EUR verlangen. Die Klägerin hat die Streichung der vom Landgericht nicht anerkannten Positionen, bzw. deren Kürzung hingenommen und sich mit der Berufung nur gegen die Haftungsquote gewandt. Die Beklagten ihrerseits haben den Ausführungen des Landgerichts zur Erstattungsfähigkeit der Kosten für das Ergometer und der Anmietung und den Erwerb eines Pflegebettes in der Berufungsbegründung nichts Substantielles entgegengesetzt.

Infolge der von beiden Parteien akzeptierten Verrechnung dieses Betrages mit der von der Beklagten zu 2) erbrachten Zahlung von 4.000,- EUR verbleibt ein noch offener Betrag von 2.498,46 EUR, der mit den weiteren Forderungen der Klägerin, soweit diese berechtigt sind, zur Verrechnung verbleibt.

5. Der Feststellungsantrag ist angesichts der vom Landgericht fehlerfrei getroffenen Feststellungen, an die der Senat gem. § 529 Abs. 1 ZPO gebunden ist, gerechtfertigt, jedoch nur nach Maßgabe der vom Senat für zutreffend erachteten Haftungsquote.

6. Eine abschließende Entscheidung über die der Klägerin außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten kann im Hinblick auf die neu zu bestimmende Höhe des Schmerzensgeldes unter Berücksichtigung des Haushaltsführungsschadens und der Mithaftungsquote der Klägerin nicht erfolgen, da sich die Höhe der Gebühren nach dem RVG nach der berechtigten Hauptforderung richtet.

7. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, § 543 ZPO.