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Landgericht Bochum Urteil vom 07.11.2016 - I-5 O 291/15 - Nachweis der Unfallmanipulation durch Auslesen von Fahrzeugdaten

LG Bochum v. 07.11.2016: Nachweis der Unfallmanipulation durch Auslesen von Fahrzeugdaten


Das Landgericht Bochum (Urteil vom 07.11.2016 - I-5 O 291/15) hat entschieden:
  1. Ergibt die Auswertung des elektronischen Datenschreibers des Fahrzeugs des Unfallverursachers, dass das Fahrzeug fünf Sekunden vor der Kollision mit dem Fahrzeug des Geschädigten stand und dann relativ stark (hier: auf eine Geschwindigkeit von 34 km/h) beschleunigt wurde, wobei das Lenkrad zunächst nach links gedreht war und anschließend eine leichte Lenkbewegung nach rechts sowie ein leichtes Abbremsen folgte, bevor es zur Kollision kam, spricht dies – neben einer Vielzahl weiterer Indizien – für einen gestellten Verkehrsunfall, da dies kein plausibles und nachvollziehbares Fahrmanöver darstellt.

  2. Im Hinblick auf die Auswertung von aufgezeichneten Daten eines elektronischen Unfall-Datenschreibers (UDS) bestehen keine datenschutzrechtlichen Bedenken. Die Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten ist nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zulässig, da sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich ist und keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen ersichtlich sind. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung überwiegt das Interesse an der Aufklärung des Geschehensablaufs das Interesse des Betroffenen am Schutz der personenbezogenen Daten.

Siehe auch UDS - Unfalldatenschreiber und Datenschutz und Verkehrsrecht


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 24.2.2015. Der Beklagte zu 1) befuhr an diesem Tag gegen 23 Uhr die G straße in H. Das von ihm gesteuerte Fahrzeug hatte er bei dem Beklagten zu 2) gemietet. Es ist bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert.

Der Beklagte zu 1) stieß mit dem am Straßenrand abgestellten Fahrzeug der Klägerin - einem Audi A 7 Sportback - zusammen. Gegenüber den den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten gab der Beklagte zu 1) an, die Elektronik des Fahrzeugs sei ausgefallen, deshalb habe unter anderem der Bremskraftverstärker nicht mehr funktioniert.

Am Fahrzeug der Klägerin entstand ein Sachschaden in Höhe von 12.834,05 Euro. Weiterhin entstanden der Klägerin Kosten durch die Einholung eines Sachverständigengutachten in Höhe von 1.303,35 Euro.

Die Klägerin veräußerte das Fahrzeug zeitnah nach dem Unfall und nutze den erhaltenen Kaufpreis in Höhe von 14.200,00 Euro zur Finanzierung eines anderen Fahrzeugs und zur Tilgung eines Darlehens, das sie bei ihrem Großvater aufgenommen hatte.

Die Beklagte zu 3) ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten zu 1) und 2) im Wege der Nebenintervention beigetreten.

Die Klägerin beantragt,
  1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 12.854,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06. März 2015 zu zahlen und die Klägerin hinsichtlich der nicht anrechenbaren Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit des Klägervertreters in Höhe von 1.029,35 Euro freizustellen;

  2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, den Kläger hinsichtlich der Kosten für das erstellte Gutachten der Firma K G S in Höhe von 1.303,35 Euro freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte zu 1) behauptet, während des Fahrens sei plötzlich die Elektrik ausgefallen. Die Scheibenwischer und das Licht seien ausgegangen. Er sei dann nach rechts gefahren und so mit dem parkenden Fahrzeug zusammengestoßen.

Die Beklagte zu 3) behauptet, dass ein manipuliertes Unfallgeschehen vorliege. Hierfür sprächen hinreichende Indizien, unter anderem die beteiligten Fahrzeuge - Mietfahrzeug auf Schädigerseite und hochwertiges Fahrzeug auf Geschädigtenseite - sowie die näheren Umstände des Unfalls - nachts in einer breiten Straße mit guten Sichtverhältnissen - seien zu berücksichtigen. Weiterhin sei das Unfallgeschehen nicht plausibel. Eine Untersuchung des Wagens im Nachhinein hätte keinen Hinweis auf einen Ausfall der Elektrik gegeben.

Zudem habe eine gutachterliche Auswertung des "Electronic Data Recorder"ergeben, dass das Schädigerfahrzeug noch 5 Sekunden vor der Kollision gestanden habe, dann kurz beschleunigt wurde und ohne starke Bremsung mit dem abgestellten Fahrzeug zusammengestoßen sei.

Im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und die beiden Parteigutachten der Beklagten zu 3) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den §§ 7, 18 StVG, 115 VVG, 823 BGB.

Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es sich beim dem streitgegenständlichen Geschehen um einen "manipulierten" Verkehrsunfall handelt, dem eine Absprache der Beteiligten zugrundeliegt. Damit besteht ein Rechtfertigungsgrund, der eine Haftung der Beklagten ausschließt.

Auf das Vorliegen eines manipulierten Unfallereignisses kann bereits dann geschlossen werden, wenn ein solches nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, jedoch hinreichend starke Indizien dafür sprechen, dass eine Absprache der Beteiligten vorliegt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.6.2014 -Az. 20 U 66/14). Entscheidend ist dabei eine Gesamtschau aller Umstände, nicht die isolierte Würdigung einzelner Aspekte des Sachverhalts (KG, Urt. v. 6.2.2006 - 12 U 4/04).

In der Rechtsprechung sind zahlreiche Kriterien entwickelt worden, die für ein derartiges Geschehen sprechen. Es handelt sich hierbei regelmäßig um Umstände, die zwar für sich genommen unverdächtig sind, in ihrer Häufig jedoch als ungewöhnlich anzusehen sind.

Im vorliegenden Fall ist zunächst auffällig, dass ein hochwertiges Fahrzeug durch ein gemietetes Fahrzeug beschädigt wurde, wodurch sich das wirtschaftliche Risiko des vermeintlichen Schädigers erheblich reduziert. Der entstandene Schaden wurde zudem - ebenfalls ein typisches Anzeichen - auf Grundlage fiktiver Reparaturkosten abgerechnet. Hierdurch ist es möglich, durch die Vornahme oberflächlicher und damit kostengünstiger Reparaturen am geschädigten Fahrzeug einen Gewinn zu erwirtschaften (vgl. KG, a. a. O zu diesen Indizien). Auch der zeitnahe Verkauf des geschädigten Fahrzeugs ist typisch (OLG Hamm, Urt. v. 30.11.1998 - Az. 6 U 148/97).

Ein weiteres Indiz kann in der vermeintlich klaren Haftungslage gesehen werden: Die Kollision mit einem parkenden Fahrzeug bietet keinen Grund zur Annahme eines Mitverschuldens des Geschädigten und führt damit regelmäßig zu einer unkomplizierten Abrechnung des Schadensfalls durch die Haftpflichtversicherung des Schädigers. Ein Ergebnis, dass im Falle abgesprochener Unfälle aus Sicht der Beteiligten äußerst wünschenswert ist.

Die Kollision mit einem stehenden Fahrzeug ist zudem eine relativ gefahrlos zu inszenierende Unfallsituation, da hier nicht die Koordination zweier Fahrzeuge erforderlich ist. Sie ist daher ebenfalls ein Zeichen einer abgesprochenen Unfallsituation.

Schließlich ist der Unfallhergang selbst wenig plausibel. Der Beklagte zu 1) hat ausgeführt, die Elektronik des Fahrzeugs sei plötzlich ausgefallen, insbesondere hätten das Licht und die Scheibenwischer nicht mehr funktioniert. Gegenüber der Polizei gab er zudem an, der Bremskraftverstärker habe versagt. In der mündlichen Verhandlung hat er diese Aussage widerrufen und erklärt, er wissen nicht warum er sie gegenüber der Polizei getätigt habe.

Er habe den Wagen nach dem Ausfall der Elektronik leicht nach rechts gelenkt. Dieses Verhalten ist kaum nachvollziehbar. Wenn bei einer nächtlichen Fahrt das Abblendlicht und mutmaßlich auch die Instrumentenbeleuchtung im Innern des Fahrzeugs ausfallen, stellt dies ein überraschendes Ereignis dar, das eher zu einer Vollbremsung Anlass gegeben hätte.

Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel an der Plausibilität eines vollständigen Ausfalls der Elektronik. Nach Auskunft des Vermieters ist ein solcher Defekt an dem Wagen nicht bekannt gewesen. Auch in dem Parteigutachten der D, dem die Klägerin nicht entgegengetreten ist, wird detailliert ausgeführt, dass der geschilderte Unfallhergang aus technischer Sicht nicht nachvollziehbar ist.

Das Verhalten des Beklagten zu 1) nach dem Unfall, der den Beklagten zu 2) als Vermieter der Fahrzeugs nicht über den Unfall informiert hat, erscheint zudem als ungewöhnlich.

Neben der Vielzahl der dargestellten Indizien spricht jedoch insbesondere das auf der Auswertung des "Electronic Data Recorder" basierende Gutachten für einen gestellten Verkehrsunfall. Aus den insgesamt gut nachvollziehbaren Ausführungen - denen die Klägerin ebenfalls nicht entgegengetreten ist - ergibt sich ein Unfallhergang, der vollständig von den Schilderungen des Beklagten zu 1) abweicht. Hiernach stand das Fahrzeug fünf Sekunden vor der Kollision und wurde dann relativ stark auf eine Geschwindigkeit von 34 km/h beschleunigt. Das Lenkrad war dabei nach links gedreht. Anschließend folgte eine leichte Lenkbewegung nach rechts sowie ein leichtes Abbremsen. Sodann kam es zu der Kollision. Dies weicht erheblich von den Schilderungen des Beklagten zu 1) ab und stellt kein plausibles und nachvollziehbares Fahrmanöver dar.

Es besteht zudem kein Grund an dem Parteigutachten, das durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstattet wurde, zu zweifeln. Insbesondere besteht kein Grund zu der Vermutung, dass die vom "Electronic Data Recorder" zur Verfügung gestellten Daten durch einen etwaigen Ausfall der Elektronik beeinflusst worden sind. Dies ergibt sich ebenfalls aus dem Gutachten. Wäre es zu einem solchen Ausfall gekommen, hätte der "Electronic Data Recorder" andere oder ggf. gar keine Daten aufgezeichnet.

Es bestehen im Hinblick auf die Auswertung dieser Daten auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken. Bei den Aufzeichnungen des Electronic Data Recorder dürfte es sich um personenbezogene Daten im Sinne des BDSG handeln, da dieser Begriff weit auszulegen ist und keine gesteigerte Persönlichkeitsrelevanz oder Eingriffsintensität voraussetzt (Tager/Gabel-​Buchner, BDSG, § 3 Rn. 11). Die Datenverarbeitung ist jedoch nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zulässig, da sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich ist und keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen ersichtlich sind. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung überwiegt das Interesse an der Aufklärung des Geschehensablaufs das Interesse des Betroffenen am Schutz der personenbezogenen Daten, zumal diese hier nahezu keine Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale erlauben (vgl. Pötters/Wybitul, NJW 2014, 2074, 2076 ff.).

Dieses Geschehen wird durch die Aussage des Zeugen ... bestätigt. Dieser hat die Angaben des Herrn ... wiedergegeben, der ihm mitgeteilt habe, dass er den Fahrer des Unfallfahrzeugs kurze Zeit vor der Kollision in seinem am Straßenrand abgestellten Auto hatte sitzen sehen. Das Gericht verkennt nicht, dass es sich hierbei nur um die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen handelt. In Anbetracht der Deutlichkeit der oben dargestellten Indizien und Beweise war eine erneute Ladung des unentschuldigt nicht erschienenen Zeugen jedoch nicht erforderlich, da diese Aussage lediglich einen weiteres Teil der ausgeführten langen Indizienkette darstellt, auf die es im Einzelnen in Anbetracht der übrigen Indizien nicht angekommen wäre.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 14.162,40 EUR festgesetzt.