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OLG Dresden Beschluss vom 06.12.2016 - OLG 21 Ss 739/16 (Z) - Verletzung rechtlichen Gehörs bei Nichtberücksichtigung des Vorbringens des Verteidigers

OLG Dresden v. 06.12.2016: Verletzung rechtlichen Gehörs bei unterlassener Berücksichtigung des schriftsätzlichen Vorbringens des Verteidigers in den Urteilsgründen


Das OLG Dresden (Beschluss vom 06.12.2016 - OLG 21 Ss 739/16 (Z)) hat entschieden:
  1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt in Betracht, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.

  2. War der Betroffene in einem Bußgeldverfahren vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und hat auch sein Verteidiger nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen, jedoch vor der Hauptverhandlung einen Schriftsatz mit Erklärungen für den Betroffenen bezüglich der Bemessung der Geldbuße abgegeben, und wurde dieser Schriftsatz nicht in die Hauptverhandlung eingeführt und fehlen im Urteil jegliche Auseinandersetzungen mit dem Verteidigungsvorbringen, so wird dadurch der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt (Festhaltung OLG Dresden, 5. August 2014, OLG 21 Ss 511/14 (Z), DAR 2014, 708).

Siehe auch Rechtliches Gehör im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren und Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Leipzig hat den Betroffenen mit Urteil vom 13. Juni 2016 wegen fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 160,00 € verurteilt. Das Urteil wurde dem Betroffenen am 09. Juli 2016 zugestellt.

Mit Schreiben des Betroffenen vom 15. Juli 2016, beim Amtsgericht Leipzig eingegangen am 17. Juli 2016, beantragte der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde, die er durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. August 2016 begründete.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 29. Juli 2016, dem Betroffenen zugestellt am 08. September 2016, wurde der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 09. September 2016, beim Amtsgericht Leipzig am selben Tag eingegangen, beantragte der Betroffene die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 29. Juli 2016 aufzuheben und den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 13. Juni 2016 als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zulässig und begründet. Zudem war die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zuzulassen und sie hat in der Sache - zumindest vorläufig -  Erfolg.

1. Der nach §§ 346 Abs. 2 Satz 1 StPO, 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG zulässige Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist begründet.

Denn das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 29. Juli 2016 zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde begann vorliegend mit der Zustellung des Urteils an den Betroffenen (§§ 79 Abs. 4, 80 Abs. 3 OWiG), mithin am 09. Juli 2016 - einem Samstag -, und endete daher am 18. Juli 2016 - einem Montag -, so dass der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde am 17. Juli 2016 fristgerecht eingegangen ist.

2. Die Rechtsbeschwerde, die der Senat wegen der Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör zugelassen hat, hat - zumindest vorläufig - Erfolg.

Die vom Betroffenen erhobene und gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

a) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen; die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. nur BVerfGE 60, 250; BVerfG, NJW 1992, 2811). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt in Betracht, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrages einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrages schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133; OLG Köln, Beschluss vom 15. April 2014, Az.: 1 RBs 89/14, zitiert nach juris).

b) Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze liegt somit ein Verstoß gegen den Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor. Denn das Amtsgericht hat die schriftlichen Erklärungen des Betroffenen nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei der Entscheidung nicht berücksichtigt.

Der Betroffene war vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden. Ebenso hat der Verteidiger des Betroffenen an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen. Jedoch hatte der Verteidiger vor der Hauptverhandlung mit Schriftsatz vom 07. Juni 2016 Erklärungen für den Betroffenen bezüglich der Bemessung der Geldbuße abgegeben. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde dieser Schriftsatz seitens des Tatrichters jedoch nicht gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG durch Mitteilung seines wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt. Zudem fehlt im Urteil, welches darüberhinaus keine hinreichenden Feststellungen zu den Voreintragungen enthält (vgl. nur Thüringer OLG, VRS 111, 152), jegliche Auseinandersetzung mit den schriftlichen Ausführungen des Verteidigers. Ferner lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, dass das Amtsgericht den Schriftsatz des Verteidigers überhaupt zur Kenntnis genommen hätte. Diese Umstände drängen in ihrer Gesamtheit damit die Annahme auf, dass das Amtsgericht wesentliches Verteidigungsvorbringen außer Acht gelassen und dadurch den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. nur Senat, Beschluss vom 05. August 2014, Az.: OLG 21 Ss 511/14 [Z], zitiert nach juris).

Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.