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OLG Düsseldorf Urteil vom 27.09.2005 - I-24 U 9/05 - Zur groben Fahrlässigkeit durch Bedienung des Autoradios bei 100 km/h

OLG Düsseldorf v. 27.09.2005: Zur groben Fahrlässigkeit durch Bedienung des Autoradios bei 100 km/h


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 27.09.2005 - I-24 U 9/05) hat entschieden:
Der Mieter eines Kraftfahrzeugs verursacht grob fahrlässig einen Unfall, wenn er bei Tempo 100 auf einer Landstraße mit Straßenbäumen durch die Bedienung seines Autoradios so lange abgelenkt ist, dass er in einer folgenden Straßenkurve die Kontrolle über das Fahrzeug verliert.


Siehe auch Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Voll- oder Teilkaskoversicherung und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und das unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zum Vorwurf gewöhnlicher Fahrlässigkeit fällt dem grob fahrlässig Handelnden auch in subjektiver Hinsicht ein gesteigertes Fehlverhalten zur Last, das das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt (BGH EBE 2005, 243; VersR 2003, 364 = NJW 2003, 1118; VersR 1997, 351; Senat, OLGR Düsseldorf 2001, 94). Der Versicherer ist zwar darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die den Schluss auf grobe Fahrlässigkeit in objektiver und subjektiver Hinsicht rechtfertigen können (BGH NJW 2003, 1118). Der fahrlässig Handelnde muss aber entsprechend einer ihn treffenden sekundären Darlegungslast die Umstände vortragen, die ihn vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit wiederum entlasten sollen (BGH aaO).

2. Unter Anlegung dieses Maßstabes hat der Beklagte den Verkehrsunfall grob fahrlässig verursacht.

a) In objektiver Hinsicht verstieß das Verhalten des Beklagten in grober Weise gegen das Verhaltensgebot des § 1 Abs. 2 StVO.

aa) Der Beklagte hat (insoweit nach eigenem Vortrag) bei der Bedienung des Autoradios während der Nachtfahrt auf einer beiderseits baumbestandenen Landstraße bei einer Geschwindigkeit von rund 100 km/h nicht nur, wie er meint, "einen kurzen Moment", sondern viel zu lange seine Aufmerksamkeit von der Fahrbahn vollständig abgewendet. Die Unaufmerksamkeit dauerte nämlich so lange, dass er die veränderte Straßenführung (Übergang von gerader Strecke in eine "kurze und relativ enge Kurve" erst so spät bemerkte, dass eine der Straßenführung und der eingehaltenen Geschwindigkeit angemessene Lenkbewegung nicht mehr möglich war, er deshalb die Kontrolle über das Kraftfahrzeug verlor und mit ihm schwer verunglückte. Ein Kraftfahrer, der unter den hier obwaltenden schwierigen Fahrbedingungen bei unverändert hoher (wenn auch unter Einhaltung der höchstzulässigen) Geschwindigkeit seine Aufmerksamkeit vollständig von der Fahrbahn ablenkt und dadurch einen Unfall verursacht, handelt regelmäßig grob fahrlässig (vgl. OLG Frankfurt OLGR Frankfurt 2001, 157 und 1993, 221; OLG Köln NJW-RR 2001, 22; OLG Hamm ZfSch 2000, 347; NJW-RR 1990, 929 und VersR 1987, 353 = ZfSch 1987, 20;OLG Stuttgart VersR 1999, 1359; OLG Zweibrücken RuS 1999, 406; OLG Düsseldorf (4. ZS) Schaden-Praxis 1998, 121; OLG Nürnberg NJW-RR 1992, 360; LG Coburg Schaden-Praxis 2004, 241; LG Ansbach ZfSch 1990, 422; in diesem Sinne auch OGH Wien, ZfSch 1994, 92 und 295 sowie VersR 1996, 87). Die außergewöhnlich hohe Gefährlichkeit des Handelns liegt gleichsam auf der Hand und wird indiziert durch die vorgetragenen Umstände, die zum Unfall geführt haben.

bb) Soweit das Bedienen von Musikgeräten durch den Kraftfahrzeugführer während der Fahrt in der obergerichtlichen Rechtsprechung in Einzelfällen als objektiv nicht grob fahrlässig qualifiziert worden ist, galt das nur deshalb, weil der Kraftfahrzeugführer seine Aufmerksamkeit bei funktionsgerechter Bedienung des Geräts in feststellbarer Weise gerade nicht von der Straße abgewendet hatte (vgl. OLG München NJW-RR 1992, 538; OLG Hamm NZV 1991, 234 = ZfSch 1991, 277; OLG Bamberg, Urt. v. 30. September 1983, Az: 6 U 31/83 zit. nach juris [LS]; vgl. auch OLG Hamm NJW-RR 1990, 929).

Entgegen der Meinung des Beklagten weicht die von ihm zitierte Entscheidung des OLG Hamm (VersR 2001, 893 = OLGR Hamm 2002, 41) von den hier dargelegten Grundsätzen nicht ab. Auch diese Entscheidung steht unter der Prämisse, dass der Kraftfahrzeugführer das "Gerät in der beschriebenen Weise", nämlich in der zuvor dargestellten funktionsgerechten Weise bedient hat. Der dort mitgeteilte Sachverhalt enthält gerade nicht die Feststellung, dass die Kraftfahrzeugführerin bei der funktionsgerechten Bedienung des CD-Wechslers ihre Aufmerksamkeit von der Fahrbahn vollständig abgewendet hatte in einer Weise, wie es der Beklagte hier getan hat.

b) Das Verhalten des Beklagten ist auch in subjektiver Hinsicht in erhöhtem Maße vorwerfbar.

aa) Liegen die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit vor, kann regelmäßig subjektiv auf den erhöhten Schuldvorwurf geschlossen werden, es sei denn, es kommen in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzu, die den Grund eines momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (vgl. BGH NJW 1992, 2418). Welche hinzutretenden Gründe geeignet sein können, den Schuldvorwurf zu mindern, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei spielt auch die Gefährlichkeit der Handlung eine Rolle, denn mit der Größe der möglichen Gefahr wächst auch das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (vgl. BGH aaO und NJW 2003, 1118; 1989, 1354).

bb) Im Streitfall liegen solche besonderen Entschuldigungsgründe, für die der Beklagte darlegungspflichtig ist (BGH NJW 2003, 1118), nicht vor. Im Gegenteil, das Hantieren am Autoradio während schneller Fahrt ist auch in subjektiver Hinsicht nur vertretbar, wenn der Kraftfahrzeugführer dabei nicht den Blick von der Fahrbahn abwendet. Auf die oben (sub Nr. I. 2 lit. b, aa ) zitierte Rechtsprechung wird Bezug genommen. ..."