Das Verkehrslexikon

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OLG Brandenburg Urteil vom 23.07.2009 - 12 U 263/08 - Zur Beweislast des Motorradfahrers für die Ursächlichkeit bei einem Ausweichunfall

OLG Brandenburg v. 23.07.2009: Zur Haftung aus der Betriebsgefahr bei der Verursachung eines Kradfahrersturzes ohne direkte Fahrzeugberührung




Das OLG Brandenburg (Urteil vom 23.07.2009 - 12 U 263/08) hat entschieden:

   Ein Schaden ist bereits dann „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Es kommt darauf an, ob in einer konkreten Situation die Gegenwart des Fahrzeuges vom Motorradfahrer als gefährlich empfunden werden konnte und dessen Reaktion subjektiv vertretbar erscheint. In den Fällen, in denen es nicht zu einer Berührung zwischen dem Fahrzeug des Geschädigten und demjenigen des in Anspruch genommenen Kraftfahrers gekommen ist, hat der Geschädigte den erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeuges und seinem Schaden darzutun und zu beweisen; etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit des Betriebsvorganges für den Unfall gehen zu Lasten des Geschädigten.

Siehe auch
Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung
und
Unfälle mit Kradbeteiligung - Motorradunfälle

Anmerkung: In gleichem Sinn hat das Gericht auch über die Regressansprüche des Landes aus übergangenem Recht entschieden OLG Brandenburg (Urteil vom 23.07.2009 - 12 U 270/08).

Gründe:


I.

Der Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 13.09.2004 gegen 11:00 Uhr auf der B 1… zwischen K.… und H.… ereignet hat. Der Kläger befuhr dabei mit seinem Motorrad die Bundesstraße 1… aus K.… kommend in Richtung H.… und beabsichtigte, das vor ihm fahrende, von dem Beklagten zu 2. gesteuerte Fahrzeug VW Passat, das bei der Beklagten zu 1. haftpflichtversichert ist, sowie das vor diesem fahrende Fahrzeug des Zeugen S.… zu überholen. Der Beklagte zu 2. setzte ebenfalls zum Überholen des vor ihm fahrenden Fahrzeugs des Zeugen S.… an. Aus zwischen den Parteien streitigen Gründen kam der Kläger von der Fahrbahn ab und kollidierte mit einem Straßenbaum, wobei er erhebliche Verletzungen erlitt. Zu einer Berührung zwischen dem Motorrad des Klägers und dem Fahrzeug des Beklagten zu 2. kam es nicht. Die Parteien streiten über den Unfallhergang, wobei sie sich gegenseitig jeweils eine alleinige Verursachung des Unfalls vorwerfen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Das Landgericht hat mit der als „Teilurteil“ bezeichneten Entscheidung die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 75 000,00 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt und die Feststellung ausgesprochen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, dem Kläger die künftigen materiellen und immateriellen Schäden unter Berücksichtung eines Mithaftungsanteils von 50 % zu ersetzen, und dass die Klage hinsichtlich der bereits bezifferten materiellen Schadensansprüche dem Grunde nach gerechtfertigt sei mit der Maßgabe, dass den Kläger ein Mithaftungsanteil von 50 % treffe. Soweit der Kläger beantragt hat, die Beklagten zur Zahlung einer monatlich im Voraus zu zahlenden Schmerzensgeldrente zu verurteilen, hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Unfallhergang bleibe zur entscheidenden Frage der gefahrenen Geschwindigkeit ungeklärt, sodass keine Seite der anderen ein Verschulden nachweisen könne und die verbleibende Haftung aus der jeweiligen Betriebsgefahr nach den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG zu einer hälftigen Schadensteilung führe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte zu 2. den Verkehrsunfall schuldhaft verursacht habe. Der von der Kammer beauftragte Sachverständige sei nachvollziehbar und mit überzeugenden Begründungen zu dem Ergebnis gekommen, dass sich aus der Kombination der Bewegungsvarianten der Fahrzeuge eine Vielzahl von Konstellationen ergeben könne. Zwar habe der Sachverständige festgestellt, dass der Beklagte zu 2. den Kläger durch eine weitere Rückschau zu jeder Zeit hätte erkennen können; auf die von dem Sachverständigen berechnete Bandbreite der Ausgangsgeschwindigkeit des Motorrades zwischen 86 km/h und 124 km/h lasse sich jedoch weder ein überwiegendes Verschulden des Klägers noch des Beklagten zu 2. stützen. Das dem Kläger zugesprochene Schmerzensgeld sei angemessen, während ein Schmerzensgeld in der vom Kläger geltend gemachten Höhe nur bei Gesundheitsschäden mit schwerwiegenden Folgen, wie Lähmungen, Verlusten von Sinnesorganen oder Gliedmaßen zugesprochen werde. Eine Schmerzensgeldrente sei nicht zuzusprechen, da der Kläger Umstände, nach denen eine Schmerzensgeldrente neben einem Kapitalbetrag in Betracht komme, nicht substantiiert dargelegt habe. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.




Mit Beschluss vom 20.01.2009 hat das Landgericht das Urteil dahingehend berichtigt, dass der von dem Beklagten zu ersetzende Gesamtschaden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall auf 600 000,00 € begrenzt ist (Blatt 247 ff GA).

Beide Parteien haben das Urteil angefochten. Der Kläger hat gegen das ihm zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 02.12.2008 zugestellte Urteil (Blatt 232 GA) mit einem per Telefax beim Brandenburgischen Oberlandesgericht am 02.01.2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Blatt 264 GA) und sein Rechtsmittel - nach antragsgemäßer Fristverlängerung bis dahin (Blatt 278 GA) - mit einem per Telefax am 24.02.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet (Blatt 279 ff GA). Die Beklagten haben gegen das ihnen zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 24.11.2008 zugestellte Urteil (Blatt 231 GA) mit einem per Telefax am 23.12.2008 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Blatt 260 GA), die sie - ebenfalls nach antragsgemäßer Fristverlängerung bis dahin (Blatt 274 GA) - mit einem per Telefax am 24.02.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet haben (Blatt 299 ff GA).

Der Kläger verfolgt mit der Berufung sein erstinstanzliches Klagebegehren unter Aufrechterhaltung und Vertiefung seiner Auffassung, wonach eine alleinige Haftung der Beklagten für das Unfallgeschehen gegeben sei, weiter und wendet sich gegen die Annahme einer Mithaftung durch das Landgericht. Er rügt, das Landgericht habe unzutreffend ein Verschulden des Beklagten zu 2. am Unfallereignis verneint. Es sei von einem groben schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2. gegen die §§ 7, 5 StVO auszugehen. Nach dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. R.… stehe fest, dass der Unfall nicht verursacht worden wäre, wenn der Beklagte zu 2. seiner doppelten Rückschaupflicht nachgekommen wäre. Auf Grund dieses groben Verkehrsverstoßes habe der Beklagte zu 2. schuldhaft im Sinne der §§ 823 ff BGB gegen seine verkehrsrechtlichen Pflichten gemäß § 5 StVO verstoßen, indem er ausgeschert sei, ohne sich zuvor zu vergewissern, dass er dies ohne Behinderung oder Gefährdung des Hintermannes tun könne. Nach der zusammenfassenden Analyse des Sachverständigen sei auszuschließen, dass er sich als Motorradfahrer im Zeitpunkt des Unfallereignisses außerhalb des Sichtfeldes des Beklagten zu 2. befunden habe. In Anbetracht dessen könne die rechtliche Würdigung des Landgerichts, dass der Beklagte zu 2. nicht gegen die §§ 7 Abs. 5, 5 Abs. 4 StVO verstoßen habe, nicht nachvollzogen werden. Hingegen könne ihm - dem Kläger - ein Mitverschulden dahingehend, dass er an der Unfallverursachung durch eine überhöhte Geschwindigkeit beteiligt gewesen sei, nicht nachgewiesen werden. Abweichend von der Einschätzung des Landgerichts sei bei der Bewertung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ein wesentliches überwiegendes Fehlverhalten des Beklagten zu 2. festzustellen, hinter dem die Betriebsgefahr des von ihm gesteuerten Motorrades insgesamt zurücktrete.

Darüber hinaus wendet sich der Kläger mit der Berufung gegen die Ausführungen des Landgerichts zur Schmerzensgeldbemessung. Das Landgericht habe bei seiner Bewertung außer Acht gelassen, dass die erlittenen physischen und psychischen Störungen weiter andauerten und er sich fortlaufend in psychischer Behandlung befinde. Darüber hinaus habe das Landgericht die vollständige Erfüllungsverweigerung sowie das verzögerte Regulierungsverhalten der Beklagtenseite nicht berücksichtigt. Seine postoperativen Beeinträchtigungen sowie die insgesamt eingetretene Behinderung zu 9/10 sei nicht ansatzweise berücksichtigt worden. Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Schmerzensgeldrente verkennten, dass in seiner Person ein von der Regel abweichender Schadensfall zu verzeichnen sei. Er sei in der Gesamtschau als Schwerstschadensfall einzuschätzen. In diesem Zusammenhang verweist der Kläger auf einschlägige Rechtsprechung, wonach bei einem schwerwiegenden Dauerschaden mit ständigen Schmerzen und erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität eine Schmerzensgeldrente zu gewähren sei.




Der Kläger beantragt,

   unter teilweiser Abänderung des am 19.11.2008 verkündeten Urteils der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Neuruppin, Az.: 2 O 248/07,

  1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, über den erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 75 000,00 € hinaus weitere 175 000,00 € Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.08.2006 an ihn zu zahlen;

  2.  festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm den künftigen materiellen und immateriellen Schaden, der ihm aus dem Verkehrsunfall vom 13.09.2004 gegen 11:00 Uhr auf der B 1… noch entsteht, in Höhe von 100 % ohne jeden Mithaftungsanteil zu ersetzen, soweit der Anspruch auf Träger der Sozialversicherung übergegangen ist;

  3.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ohne jeden Mithaftungsanteil monatlich im Voraus beginnend mit 01.03.2007 eine monatliche Schmerzensgeldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die einen Betrag unter 500,00 € jedoch nicht unterschreiten sollte, zu zahlen;

  4.  festzustellen, dass die Klage hinsichtlich der von ihm geltend gemachten bereits bezifferten Zahlungsansprüche, mit denen er den Ersatz seiner materiellen Schäden sowie seiner außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldner geltend macht, dem Grunde nach zu 100 % ohne jeden Mithaftungsanteil gerechtfertigt ist, soweit diese Ansprüche nicht auf Träger der Sozialversicherung übergegangen sind;

  5.  festzustellen, dass der von den Beklagten als Gesamtschuldner zu ersetzende Gesamtschaden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall nicht auf eine Höchstsumme in Höhe von 600 000,00€ gemäß § 12 StVG begrenzt ist;

  6.  den Rechtsstreit zur Durchführung des Betragsverfahrens an das Landgericht zurückzuverweisen.

Ferner beantragt der Kläger,

   die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen,

   das angefochtene Teilurteil des Landgerichts Neuruppin - Az.: 2 O 248/07 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen; sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen die vom Landgericht bejahte Haftung aus der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges. Sie machen geltend, das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass nach dem Sachverständigengutachten der Kläger den Verkehrsunfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte vermeiden können. Nach den Feststellungen des Sachverständigen lasse sich der Unfall widerspruchsfrei nur bei einer höheren Annäherungsgeschwindigkeit des Krades erklären. Aufgrund der festgestellten Bremsspuren, des Aufpralls des Klägers gegen den Baum und des Vorbeischleuderns an den fahrenden Fahrzeugen sowie der Aussagen der beteiligten Zeugen sei auszuschließen, dass der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten habe. Das Landgericht habe daher den Unfall nicht als ungeklärt ansehen dürfen, sondern alleine die von dem Sachverständigen als völlig widerspruchsfrei und nachvollziehbar bezeichnete Variante der Kombination einer geringen Geschwindigkeit der Pkw´s und einer hohen Geschwindigkeit des Krades zugrunde legen müssen. Darüber hinaus habe der Sachverständige M.… keine Anzeichen dafür feststellen können, dass die Fahrzeugbeleuchtung am Motorrad eingeschaltet gewesen sei, was einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2a StVO darstelle. Angesichts des auf der Hand liegenden groben Verschuldens des Klägers müsse eine Haftung der Beklagten aus der Betriebsgefahr vollständig zurücktreten.

Die Akten 2 O 301/07 Landgericht Neuruppin (12 U 270/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht), sowie 346 Js 35736/04 Staatsanwaltschaft Neuruppin lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.





II.

Beide Berufungen sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 517 ff ZPO eingelegt und begründet worden. Beide Parteien machen geltend, das Landgericht habe bei der Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge einen der anderen Partei vorzuwerfenden schuldhaften Verkehrsverstoß unberücksichtigt gelassen. Der Kläger rügt darüber hinaus, das Landgericht habe bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wesentliche von ihm vorgetragene Gesichtspunkte außer Acht gelassen und zu Unrecht eine Verpflichtung zur Rentenzahlung verneint. Beide Parteien machen damit Umstände geltend, nach denen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen eine andere rechtliche Beurteilung gebieten (§§ 513, 546 ZPO).

In der Sache bleibt das Rechtsmittel des Klägers ohne Erfolg, während die Berufung der Beklagten begründet ist und zur Abweisung der Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils führt. Dem Kläger stehen gegenüber den Beklagten keine Ansprüche aus den §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, 253 Abs. 2 BGB, 3 Nr. 1 PflVG zu.

1. Der Kläger hat nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme letztlich nicht zur Überzeugung des Senats den ihm obliegenden Beweis erbracht, dass der Unfall und die von ihm dabei erlittenen Verletzungen sowie materielle Schäden bei dem Betrieb des von dem Beklagten zu 2. geführten Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG verursacht worden sind.

a) Zwar steht einer Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG nicht schon entgegen, dass es zu keiner Berührung zwischen dem von dem Kläger geführten Motorrad und dem Fahrzeug des Beklagten zu 2. gekommen ist. Denn das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ ist nach dem Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Fahrzeug mitgeprägt worden ist. An dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will. Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es daher maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen, örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht. Hiernach rechtfertigt die Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle allein noch nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeuges entstanden. Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Fahrzeuges zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat; nicht erforderlich ist hingegen, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (vgl. BGH NJW 2005, 2081 ff; BGH NJW 1988, 2802 j.m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 7 StVG Rn. 11). Es kommt darauf an, ob in einer konkreten Situation die Gegenwart des Fahrzeuges vom Lenker des unfallgeschädigten Fahrzeuges als gefährlich empfunden werden konnte und dessen Reaktion subjektiv vertretbar erscheint. Es müssen hinreichende Anhaltspunkte feststehen, dass der Fahrer des Unfallwagens sich in Folge der Fahrweise des anderen Fahrzeuges zu der von ihm durchgeführten Fahrweise veranlasst sehen durfte, etwa weil er hätte befürchten müssen, anderenfalls mit dem anderen Fahrzeug zu kollidieren (vgl. KG NZV 2002, 229). In den Fällen, in denen es nicht zu einer Berührung zwischen dem Fahrzeug des Geschädigten und demjenigen des in Anspruch genommenen Kraftfahrers gekommen ist, hat der Geschädigte den erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeuges und seinem Schaden darzutun und zu beweisen; etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit des Betriebsvorganges für den Unfall gehen zu Lasten des Geschädigten (vgl. BGH NJW 1998, 2802; KG a.a.O.).


b) Ausgehend von diesen Grundsätzen steht im Streitfall jedoch gerade nicht fest, dass der Kläger sich durch die Fahrweise des Beklagten zu 2. in jedem Fall zu einem Ausweichmanöver veranlasst sehen musste, um anderenfalls eine Kollision mit dem seinerseits zum Überholen ansetzenden Fahrzeug des Beklagten zu 2. zu vermeiden, in Folge dessen der Kläger mit seinem Motorrad von der Fahrbahn abgekommen ist und gegen einen Straßenbaum geprallt ist. Zwar ist nach dem von dem Kläger geschilderten Unfallhergang, wonach er bereits zum Überholen der beiden vor ihm auf der rechten Fahrspur fahrenden Fahrzeuge angesetzt habe, als der Beklagte zu 2. seinerseits nach links auf die Gegenfahrbahn gezogen sei, der erforderliche Zurechnungszusammenhang ohne Weiteres zu bejahen. Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien jedoch streitig. Die Beklagten zu 2. haben bestritten, dass in dem Zeitpunkt, als sich der Beklagte zu 2. seinerseits entschloss, das vor ihm fahrende Fahrzeug des Zeugen S.… zu überholen, der Kläger bereits für den Beklagten zu 2. im Rückspiegel sichtbar war. Nach den äußerst umfangreichen, sorgfältigen und detaillierten Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. R…, die von keiner der Parteien in Frage gestellt werden, ist eine exakte Rekonstruktion des tatsächlichen Unfallherganges nach dem Akteninhalt und den zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen nicht mehr möglich. Der Sachverständige vermochte weder die konkrete Kollisionsgeschwindigkeit des Motorrades beim Anprall gegen den Baum zuverlässig zu ermitteln, noch lassen sich nach den zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen Rückschlüsse auf die Ausgangsgeschwindigkeit des Motorrades ziehen. Der Sachverständige hat hinsichtlich der Ausgangsgeschwindigkeit zwar eine Bandbreite zwischen 86,4 km/h und 123,5 km/h als möglich ermittelt, jedoch gleichzeitig klargestellt, dass es sich bei diesen Werten nicht um absolute Grenzwerte handelt und sich zudem nicht einmal mehr zweifelsfrei feststellen lässt, dass die Geschwindigkeit des Motorrades in jedem Fall über 80 km/h gelegen haben muss.

Entgegen der Auffassung der Beklagten lassen sich auch die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge des Zeugen S.… und des Beklagten zu 2. nicht mehr zuverlässig rekonstruieren, da die entsprechenden Angaben der Zeugen bzw. des Beklagten zu 2. dem gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nur auf ungefähren Schätzungen der beteiligten Personen beruhen, ohne dass diese Geschwindigkeitsangaben bei einer Rekonstruktion des Unfallgeschehens als feststehend zugrunde gelegt werden können. Im Hinblick darauf hat der Sachverständige wahlweise verschiedene Alternativvarianten des Unfallherganges als möglich dargestellt, die von ihrem Hergang selbst nicht ausgeschlossen werden können. U. a. ist der Sachverständige dabei zu der Feststellung gelangt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Kläger zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte zu 2. den Entschluss fasste, das vor ihm fahrende Fahrzeug des Zeugen S.… zu überholen, noch vollständig auf der rechten Fahrspur befand. Dies gelte sowohl hinsichtlich der Variante, dass sich die Fahrzeuge nur mit geringer Ausgangsgeschwindigkeit fortbewegt haben (Anlage 11 und Anlage 12 des Sachverständigengutachtens), als auch bei der Annahme einer hohen Ausgangsgeschwindigkeit des Motorrades. Soweit der Sachverständige auf Seite 75 des Gutachtens ausgeführt hat, der Beklagte zu 2. sei auch bei kurzer Blickzuwendung besonders gut zu erkennen gewesen mit der daraus resultierenden Schlussfolgerung, dass er - unabhängig davon, in welcher Fahrspur er sich zu diesem Zeitpunkt befunden habe - überholen werde, steht diese Schlussfolgerung unter der Prämisse einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit des Klägers, die jedoch gerade nicht feststeht und vom Kläger auch in Abrede gestellt wird.

Besteht jedoch die Möglichkeit, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt der Einleitung des Überholvorganges durch den Beklagten zu 2. noch in der rechten Fahrspur befand, ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände er sich durch die Einleitung des Überholmanövers durch den Beklagten zu 2. zu der von ihm vorgenommenen Reaktion herausgefordert sehen durfte, so dass der Unfall noch dem Betrieb des beklagten Fahrzeuges zurechenbar ist. Erforderlich ist, dass das Verhalten des Beklagten zu 2. für den Kläger zu der Befürchtung hätte Anlass geben müssen, es werde ohne eine Reaktion zu einer Kollision kommen (vgl. KG NZV 2000, 43; Burmann in Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 7 StVG, Rn. 14). Legt man diese vom Sachverständigen ausdrücklich als möglich bezeichnete Unfallvariante zu Grunde, steht gerade nicht fest, dass die von dem Kläger vorgenommene Ausweichreaktion subjektiv vertretbar war und insbesondere die einzige Möglichkeit für den Kläger darstellte, einen Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 2. zu vermeiden, etwa weil eine rechtzeitige Abbremsung nicht mehr möglich war. In diesem Fall fehlt es an einem hinreichenden Nachweis des erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Betrieb des Beklagtenfahrzeuges und dem Unfall des Klägers.

Allein die Tatsache, dass aufgrund des Zusammenpralls des Motorrades mit dem Straßenbaum offenbar Bremsflüssigkeit oder Öl ausgetreten ist und sich auf der Windschutzscheibe des Pkw´s des Beklagten zu 2. niedergeschlagen hat, reicht zur Begründung eines örtlichen und zeitlichen Zurechnungszusammenhangs mit dem Unfall des Klägers nicht aus, da allein die bloße Anwesenheit der Fahrzeuge in der Nähe der Unfallstelle zur Begründung eines Ursachenzusammenhanges gerade nicht genügt.




Entgegen der Auffassung des Klägers vermag auch der Umstand, dass nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen der Kläger mit Ausnahme eines kurzen Zeitraumes, in dem er sich im toten Winkel befunden haben kann, für den Beklagten zu 2. bei einer Rückschau erkennbar war, den Ursachenzusammenhang nicht zu begründen, da allein daraus noch nicht für den Beklagten zu 2. zweifelsfrei der Schluss zu ziehen war, dass der Kläger bereits seinerseits zum Überholen angesetzt hatte und der Beklagte zu 2. ihm aus diesem Grunde den Vortritt zu gewähren hatte.

Ein Anscheinsbeweis kommt dem Kläger ebenfalls nicht zu Gute. Soweit ein Anscheinsbeweis angenommen wird, wenn es im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO zu einer Kollision des Fahrstreifenwechslers mit dem nachfolgenden Fahrzeug kommt, liegt im Streitfall eine solche Situation nicht vor, da § 7 StVO das Vorhandensein mehrerer Fahrstreifen für eine Richtung voraussetzt, während bei einem Fahrstreifenwechsel im Zusammenhang mit einem Überholvorgang § 5 StVO als Sonderbestimmung vorgeht (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 7 StVO Rn. 17). Darüber hinaus fehlt es an einem typischen Geschehensablauf, der nach allgemeiner Lebenserfahrung zu dem Schluss einer Sorgfaltspflichtverletzung drängt, weil er für die schuldhafte Verursachung typisch ist (vgl. König, a.a.O., Einleitung, Rn. 157a m.w.N.). Hier lassen jedoch die unstreitigen Tatsachen, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 2. das vorausfahrende Fahrzeug des Zeugen S.… überholen wollten und es in diesem Zusammenhang zu einem Unfall ohne Berührung der Fahrzeuge gekommen ist, gerade nicht den Schluss zu, dass in einem solchen Fall nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise ein Verstoß des als erstes überholenden Fahrzeuges gegen § 5 Abs. 4 StVO vorliegt. Vielmehr sind mehrere nach der Lebenserfahrung nicht auszuschließende Schadensursachen möglich, wie etwa eine überhöhte Geschwindigkeit oder ein unzureichender Sicherheitsabstand des nachfolgenden Fahrzeuges.

Da der Kläger für das Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG die Darlegungs- und Beweislast trägt, und aufgrund des letztlich ungeklärten Unfallherganges Zweifel verbleiben, inwieweit die Reaktion des Klägers durch das Verhalten des Beklagten zu 2. herausgefordert worden ist, ist der Kläger für den erforderlichen Ursachenzusammenhang beweisfällig geblieben mit der Folge, dass ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG bereits dem Grunde nach nicht besteht. Hierauf und auf die damit verbundenen Konsequenzen hat der Senat im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin zur mündlichen Verhandlung hingewiesen.

2. Aus den vorstehenden Gründen scheitert auch eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB, 253 Abs. 2 BGB, 3 Nr. 1 PflVersG, da es insoweit an einem Nachweis der objektiven Zurechnung der Fahrweise des Beklagten zu 2. für die bei dem Kläger eingetretene Gesundheitsbeschädigung fehlt, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Kläger zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte zu 2. den Entschluss fasste, seinerseits das vorausfahrende Fahrzeug des Zeugen S.… zu überholen, noch auf der rechten Fahrspur befand und für den Beklagten zu 2. eine eigene Überholabsicht des Klägers nicht erkennbar war.




III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Im Hinblick darauf, dass die Entscheidung des Senats einen Einzelfall betrifft und der Senat dabei nicht von bestehender höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung abweicht, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Revisionsgericht (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

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