Das Verkehrslexikon

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OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 15.11.2017 - OVG 1 S 51.17 - Fahrtenbuchauflage nach Unternehmungskauf

OVG Berlin-Brandenburg v. 15.11.2017: Fahrtenbuchauflage an Gesellschafter und Geschäftsführer nach Unternehmungskauf




Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 15.11.2017 - OVG 1 S 51.17) hat entschieden:
Der Fahrtenbuchauflage kommt keine strafende, sondern eine rein präventive Funktion zu. Sie stellt ausschließlich eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar. Angesichts des präventiven Charakters kommt es daher nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu vertreten hat.

Siehe auch
Fahrtenbuchauflage und Fahrzeughalter-Eigenschaft
und
Fahrtenbuch-Auflage

Gründe:


Die Antragstellerin, der eine seit dem 10. Januar 2017 bestandskräftige Fahrtenbuchauflage (im Weiteren: Anordnungsbescheid) für das Fahrzeug Typ Mercedes SL 500 mit dem amtlichen Kennzeichen B...auferlegt worden ist, wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Bestimmung eines Ersatzfahrzeugs (im Weiteren: Erstreckungsbescheid). Den nach erfolglosem Widerspruchsverfahren von der Antragstellerin gestellten Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hat das Verwaltungsgericht Berlin mit dem angegriffenen Beschluss vom 20. Juli 2017 abgelehnt. Das Vollzugsinteresse überwiege das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, denn nach summarischer Prüfung bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ersatzfahrzeugbestimmung. Die Verpflichtung, ein Fahrtenbuch auch für ein behördlich zu bestimmendes Ersatzfahrzeug zu führen, sei bereits Gegenstand der bestandskräftigen Fahrtenbuchauflage gewesen. Der Erstreckungsbescheid vom 31. Januar 2017 konkretisiere die ursprüngliche Anordnung nur, indem er das Ersatzfahrzeug Typ Mercedes S 350 mit dem amtlichen Kennzeichen B... benenne. Der weit auszulegende Begriff des Ersatzfahrzeugs erfasse auch Fahrzeuge, die der Halter - wie hier - zum Zeitpunkt der Aufgabe des ursprünglichen Tatfahrzeugs bereits in Betrieb gehabt habe, die derselben Klasse angehörten und deshalb regelmäßig demselben Nutzungszweck wie das Tatfahrzeug dienten. Dass bei der Antragstellerin zwischenzeitlich alle Gesellschafter und die Geschäftsführung im Wege eines „share-deal“ ausgetauscht worden seien, stehe dem nicht entgegen, zumal der Unternehmensgegenstand derselbe geblieben sei. Die Antragstellerin könne sich der Fahrtenbuchauflage nicht durch die erst nach dem Unternehmensverkauf und nach Eintritt der Bestandskraft der Fahrtenbuchauflage erfolgte Entfernung des Tatfahrzeugs aus ihrem Fuhrpark entziehen.




Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das für die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Änderung des angegriffenen Beschlusses, denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht ein überwiegendes Vollzugsinteresse angenommen.

Die Antragstellerin meint, der Antragsgegner überdehne den Halterbegriff. Die durch den Erstreckungsbescheid „beauflagte“ juristische Person habe mit der juristischen Person, der die Führung des Fahrtenbuchs auferlegt worden sei, „nichts zutun“. Der Adressat des Erstreckungsbescheides sei nämlich ein vollkommen anderer Halter als der Halter zum Zeitpunkt der bestandskräftigen Anordnung des Fahrtenbuchs. Ein Fahrtenbuch werde demjenigen auferlegt, der im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes die Haltereigenschaft innehabe, weil er die Verfügungsbefugnis und Kontrollmöglichkeit über das Fahrzeug besitze. Der Halterbegriff sei dabei an die Verfügungsgewalt von „Naturpersonen“ geknüpft. Hier seien aber alle zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes handelnden Personen nicht mehr verfügungsbefugt und könnten das Fahrzeug nicht mehr kontrollieren. Der mit der Fahrtenbuchauflage verbundene Vorwurf an die ursprüngliche Geschäftsleitung, nicht gewährleistet zu haben, dass der Fahrer jederzeit feststellbar sei, und der Sanktionszweck, diese Feststellbarkeit zukünftig zu sichern, gehe ins Leere, weil die ursprüngliche Geschäftsleitung nicht mehr existiere. Dass der Unternehmensverkauf hier im Wege des „share-deal“ durchgeführt worden sei, anstatt durch klassische schuldrechtliche Veräußerung des Fahrzeugs mit der Folge eines realen Halterwechsels, benachteilige die Antragstellerin unangemessen.

Diese Argumentation greift nicht durch, denn sie geht von der unzutreffenden Grundannahme aus, dass der Halterbegriff an „Naturpersonen geknüpft“ sei.




In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Halter eines Kraftfahrzeugs im Sinne des im gesamten Straßenverkehrsrecht einheitlichen Halterbegriffs (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. Januar 2014 - 12 ME 243/13 - juris 1. Leitsatz, Rn. 7) grundsätzlich unabhängig von der Eigentümerstellung derjenige ist, der ein Kraftfahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat, d. h. die Nutzungen aus der Verwendung zieht und die Kosten für Unterhaltung und laufenden Betrieb trägt, und die tatsächliche Verfügungsgewalt innehat, die ein solcher Gebrauch voraussetzt, d. h. Anlass, Zeit, Dauer und Ziel der Fahrten selbst bestimmen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1987 - 7 C 14.84 - juris Rn. 9; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. Januar 2014 - 12 ME 243/13 - juris Rn. 7; VGH Mannheim, Urteil vom 4. Juli 2017 - 10 S 745/17 - juris Rn. 18). Zwar können - etwa im Fall einer nicht rechtsfähigen Personenmehrheit wie einer Erbengemeinschaft oder einer Miteigentümergemeinschaft zweier Ehegatten - auch mehrere Personen gleichzeitig Halter desselben Fahrzeugs sein. Halter eines Dienst- bzw. Firmenfahrzeugs von juristischen Personen oder (Handels-) Gesellschaften ist jedoch regelmäßig nur die juristische Person oder die (Handels-) Gesellschaft selbst und nicht deren gesetzliche Vertreter bzw. Gesellschafter persönlich (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 18. April 2012 - 7 A 10058/12 - juris Leitsatz; VGH Mannheim, Urteil vom 4. Juli 2017 - 10 S 745/17 - juris Rn. 18 m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 7 StVG Rn. 22, § 31a StVZO Rn. 45).

Zwar ist der Antragstellerin zuzugeben, dass in der Zwischenzeit von Anordnungs- und Erstreckungsverfügung sowohl ihre Gesellschafter als auch ihre Organwalter ausgetauscht worden sind. Gleichwohl handelt es sich nach den oben dargelegten Maßstäben aber um dieselbe Halterin; auf etwaige Besonderheiten des Unternehmensverkaufs im Wege des „share-deal“ kommt es nicht an.

Nicht zutreffend ist demzufolge die Annahme der Antragstellerin, Anordnungs- und Erstreckungsbescheid seien an unterschiedliche Adressaten ergangen und der Halterbegriff insofern vom Verwaltungsgericht „überdehnt“ worden. Die Antragstellerin erstrebt im Kern vielmehr eine teleologische Reduktion des Halterbegriffs des § 31a Abs. 1 StVZO, die jedoch nicht gerechtfertigt ist. Zwar ist ihr Hinweis, den jetzigen Gesellschaftern und/oder Geschäftsführern könne der „Vorwurf“ der mangelhaften Dokumentation der jeweiligen Fahrzeugführer nicht gemacht werden, zutreffend. Der Fahrtenbuchauflage kommt aber keine strafende, sondern eine rein präventive Funktion zu. Sie stellt ausschließlich eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar. Angesichts des präventiven Charakters kommt es daher nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu vertreten hat (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2016 - 1 B 26.12 - Seite 13; Beschluss vom 25. November 2016 - 1 N 31.15 - juris Rn. 8; OVG Bautzen, Beschluss vom 31. August 2017 - 3 A 445/16 - juris Rn. 10).

Die Fahrtenbuchauflage für das Ersatzfahrzeug geht auch nicht ins Leere, wie die Antragstellerin meint, sondern kann die ihr zugedachte Funktion trotz des Gesellschafter- bzw. Organwalterwechsels erfüllen. Sie soll nämlich einerseits sicherstellen, dass es bei künftigen Verkehrsverstößen mit dem (Ersatz-) Fahrzeug möglich ist, durch hinreichende Überwachung und Mitwirkung des Halters unschwer festzustellen, wer das Fahrzeug geführt hat. Zum anderen soll künftigen (Firmen-) Fahrern - von denen hier unbekannt ist, ob ggf. auch sie komplett neu besetzt wurden - zum Bewusstsein gebracht werden, dass sie als Täter ermittelt und mit Sanktionen belegt werden können, wenn sie sich als Fahrzeugführer verkehrswidrig verhalten (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 - 7 C 3.80 - juris Rn. 9; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 7 StVG Rn 22, § 31a StVZO Rn.11 m.w.N.)




Im Übrigen wird die Antragstellerin durch dieses Ergebnis nicht „unangemessen benachteiligt“; die von ihr vergleichsweise herangezogene „klassische schuldrechtliche Veräußerung“ des Fahrzeugs bzw. Ersatzfahrzeugs hätte nämlich zu einem insoweit gerade nicht vergleichbaren tatsächlichen Halterwechsel geführt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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