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Oberverwaltungsgericht Saarlouis Beschluss vom 29.06.2021 - 1 B 135/21 - Zu den Anforderungen an die Begründung des Sofortvollzugs bei Konsum von Amphetamin

OVG Saarlouis v. 29.06.2021: Zu den Anforderungen an die Begründung des Sofortvollzugs bei Konsum von Amphetamin




Das Oberverwaltungsgericht Saarlouis (Beschluss vom 29.06.2021 - 1 B 135/21) hat entschieden:

   Einzelfall der Behauptung, ein im Blut festgestellter Amphetaminwert gehe nicht auf einen wissentlichen Konsum zurück

Siehe auch
Amphetamine - Speed - Crystal - Meth - im Fahrerlaubnisrecht
und
Beweiswürdigung im Verwaltungsstreitverfahren


Gründe:


I.

Der Antragsteller ist am 7.10.2020 in der Ortschaft bei nasser Fahrbahn mit seinem Pkw auf ein vor ihm fahrendes Fahrzeug, das abbremste, um in eine Grundstückseinfahrt einzubiegen, aufgefahren. Verletzt wurde niemand. Die Polizei nahm den Unfall auf und stellte beim Antragsteller Lidflattern, wässrig-glänzende Augen, Zittern der Finger und lichtträge Pupillen fest. Dieser verneinte die Frage nach einer Drogeneinnahme. Er habe letztmalig vor drei Jahren Amphetamin konsumiert. Die vorbezeichneten Auffälligkeiten könne er sich nur damit erklären, dass er infolge der Trennung von seiner Ehefrau an Schlafstörungen und psychischer Belastung leide; er sei deshalb seit Mai arbeitsunfähig. Ein mit Einverständnis des Antragstellers durchgeführter Drogenvortest wies ein positives Ergebnis für Amphetamin aus. Der Antragsteller äußerte, sich dies nicht erklären zu können, und war mit einer Blutuntersuchung und mit einer polizeilichen Durchsuchung seines Fahrzeugs nach Betäubungsmitteln einverstanden. Drogen wurden nicht aufgefunden. Ausweislich des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes vom 15.12.2020 wurde Amphetamin in einer Konzentration von 0,037 mg/l festgestellt. Das Ermittlungsverfahren wegen Straßenverkehrsgefährdung wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und ein sodann erlassener Bußgeldbescheid (500 €, ein Monat Fahrverbot) seitens des Antragstellers akzeptiert.

Mit Schreiben vom 29.1.2021 teilte der Antragsgegner mit, wegen des Konsums einer "harten Droge" den Entzug der Fahrerlaubnis zu beabsichtigen, und gab dem Antragsteller Gelegenheit, sich hierzu bis zum 5.2.2021 zu äußern. Die telefonische Bitte des Antragstellers und seines Rechtsanwalts vom 3.2.2021, die Frist um zwei Wochen zu verlängern, da ein Besprechungstermin erst am 11.2.2021 möglich sei, lehnte der Antragsgegner ab.

Unter dem 15.2.2021 trug der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers vor, dieser sei reinen Gewissens mit dem Drogentest und der Blutentnahme einverstanden gewesen. Er könne sich das positive Ergebnis nur damit erklären, dass er in der Nacht zum 5. oder 6.10.2020 eine gelbe Tablette eingenommen habe, die ihm am Abend des 3.10. in der Ortschaft A. in Tschechien anlässlich eines Junggesellenabschieds ausgehändigt worden sei. Er, sein Bruder und zwölf weitere Männer seien auf der Feier gewesen. Es sei richtig gefeiert worden und im Laufe des Abends hätten sechs Prostituierte diese Tabletten mit dem Bemerken, es handele sich um ein potenzförderndes Mittel, an jeden ausgeteilt. Er glaube, die Tabletten hätten Pinagra oder Penegra gehießen. Da er nicht vorgehabt habe, sich mit einer der Prostituierten einzulassen, habe er die Tablette nicht geschluckt, zumal er derzeit erhebliche gesundheitliche Probleme aufgrund seiner laufenden Scheidung habe; er leide an Depressionen und müsse derzeit Beta-Blocker, andere blutdrucksenkende Mittel sowie Diozepan1 zur Beruhigung nehmen. Im Verlauf des Abends habe er eine Frau namens K. aus Kaiserslautern kennengelernt, mit der er sich gut unterhalten habe. Diese habe er am nächsten Tag in seinem Pkw nach Deutschland mitgenommen. Auf seine Einladung hin sei sie mit in seine Wohnung gekommen und bis zum 6.10. bei ihm geblieben. In dieser Zeit habe er die gelbe Tablette geschluckt, woraufhin ihm unwohl geworden sei und er Schweißausbrüche gehabt habe. Er vermute im Nachhinein, dass Amphetamin in der Tablette gewesen sei. Eine andere Erklärung habe er nicht, da er keine Drogen nehme und auch sehr wenig Alkohol trinke. Er sei auf seine Gesundheit bedacht und wolle nicht für einen längeren Zeitraum Medikamente einnehmen müssen. Sein Bruder könne den geschilderten Sachverhalt bestätigen.

Mit Verfügung vom 17.2.2021 hat der Antragsgegner die Fahrerlaubnis des Antragstellers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entzogen und den Antragsteller aufgefordert, seinen Führerschein sofort nach Zustellung der Verfügung abzuliefern. Eine weitere Teilnahme am Straßenverkehr bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung sei mit dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht vereinbar, nachdem feststehe, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Die im Rahmen seiner Stellungnahme vorgetragenen Ausführungen rechtfertigten keine andere Sichtweise bzw. Entscheidung.

Der Antragsteller hat hiergegen Widerspruch eingelegt und bei dem Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt.




Mit Beschluss vom 6.5.2021 hat das Verwaltungsgericht den Antrag zurückgewiesen. Die Begründung zur Anordnung der sofortigen Vollziehung des Entzugs der Fahrerlaubnis genüge den formalen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. In der Sache sei der Entzug der Fahrerlaubnis offensichtlich rechtmäßig, wobei derzeit offen bleiben könne, ob die Einnahme des Amphetamins - wie vom Antragsteller vorgetragen - unwillentlich erfolgt oder ob seine Einlassung als Schutzbehauptung zu werten sei. Bei Konsum von Amphetamin gelte die Regelvermutung, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr bestehe. Für ein Abweichen von der Regelvermutung bestehe derzeit kein Anlass. Zwar sei in der Rechtsprechung weitgehend geklärt, dass eine eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln nur bei einem willentlichen Konsum angenommen werden könne, allerdings ginge einem positiven Drogennachweis typischerweise ein entsprechender Willensakt voraus. Eine unwillentliche Einnahme müsse glaubhaft und widerspruchsfrei dargetan werden. Hieran fehle es. Der in Krefeld lebende Bruder könne allenfalls bestätigen, dass in Tschechien gelbe Tabletten verteilt worden seien. Eine entsprechende eidesstattliche Versicherung des Bruders habe der Antragsteller nicht vorgelegt. Für die Wertung des Vorbringens als Schutzbehauptung spreche, dass der Antragsteller trotz Arbeitsunfähigkeit und Einnahme von Beta-Blockern und anderer Medikamente die weite Strecke bis Tschechien und zurück ins Saarland gefahren sein wolle, um dort einen Junggesellenabschied zu feiern. Am Abend seiner Rückkehr oder am nächsten Abend solle eine ominöse K., die er in Tschechien kennengelernt haben wolle, von Kaiserslautern zu ihm gekommen sein. Und dann wolle er, der sehr erfahren im Umgang mit einer Vielzahl von Medikamenten sei, die ihm in Tschechien als angeblich potenzsteigernd ausgehändigte Tablette eingenommen haben, von der ihm schlecht geworden sei. Erstaunlich sei, dass er kein Wort darüber verliere, welche Wirkung die Tablette bei den anderen männlichen Partygästen gehabt habe. Ebenso, dass er seinen Bruder, nicht aber die besagte K., als Zeugen benenne. Nach der fast 2.000 km langen Odyssee nach Tschechien und zurück innerhalb von drei Tagen wäre zudem bei einer Person, die wie der Antragsteller Beta-Blocker, andere blutdrucksenkende Mittel und Beruhigungsmittel nimmt, auch für den geltend gemachten Zweck eher an die Einnahme eines Aufputschmittels wie Amphetamin als an ein fragwürdiges Potenzmittel unbekannter Herkunft zu denken gewesen. Ca. 90 % der aufgenommenen Droge würden innerhalb von drei bis vier Tagen ausgeschieden, was auf eine deutlich höhere Konzentration von Amphetamin zum Zeitpunkt des Konsums der "Pille" schließen lasse. Dies spreche objektiv dafür, dass er eine Droge und nicht eine Kombination aus "Potenzmittel mit Amphetaminzusatz" konsumiert habe. Eine solche Kombination sei der Führerscheinstelle ohnehin unbekannt und die parallele Einnahme dieser Substanzen werde in den einschlägigen Internetforen - was seitens des Verwaltungsgerichts nicht näher erläutert wird - als abwegig bewertet. Selbst wenn der Antragsteller die Tablette im Bewusstsein, ein reines Potenzmittel zu konsumieren, eingenommen habe, sei dies ein Beleg für die in Anbetracht einer zeitnah beabsichtigten Führung eines Kraftfahrzeugs grob fahrlässige Haltung. Die Einnahme einer unbekannten chemisch-pharmazeutischen Substanz stelle sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, gerade in Frage, zumal Tschechien, wie eine google-Recherche belege, seit vielen Jahren als Hochburg für die Produktion synthetischer Drogen gelte. Der Vortrag liege im Bereich einer Räuberpistole und sei sehr fernliegend, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen, weshalb die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs derzeit nur mit viel Wohlwollen noch als offen anzusehen seien. Die materielle Beweislast für die Behauptung, das Amphetamin nicht willentlich eingenommen zu haben, liege beim Antragsteller. Die gesetzlichen Regelungen sähen die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend vor. Schließlich sei auch die Anordnung der Ablieferung des Führerscheins rechtmäßig.





II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und begründet.

Der Antragsteller rügt in seiner den Umfang der seitens des Senats vorzunehmenden Prüfung bestimmenden Beschwerdebegründung vom 21.5.2021 die Zugrundelegung falscher Tatsachen und bemängelt in Bezug auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung das Fehlen einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung. Die Entscheidungsgründe seien, wozu näher vorgetragen wird, entweder irrelevant, unterstellend oder unhaltbar. Sie böten dem Rückschluss auf den willentlichen Konsum harter Drogen bzw. die Unfähigkeit zur Trennung zwischen deren Aufnahme und der Teilnahme am Straßenverkehr keine Grundlage. Fest stehe allein, dass es zu einem Verkehrsunfall gekommen sei und die nachfolgende Blutuntersuchung einen Amphetaminwert von 0,037 mg/l ergeben habe. Dieser Wert liege nur geringfügig über der Grenze von 0,025 mg/l, ab der eine Ahndung erfolge. Inzwischen habe er eine Haaranalyse durchführen lassen, die - wie der beigefügte ärztliche Befundbericht vom 27.4.2021/3.5.2021 belege - bei einer Haarlänge von 7 cm keinerlei Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum ergeben habe. Es heißt dort, die Untersuchungsergebnisse der Haaranalytik zeigten keinen Anhaltspunkt für eine gewohnheitsmäßige Aufnahme der oben genannten Drogen, unter anderem Amphetamin, in dem Zeitraum, welcher der untersuchten Haarlänge (7 cm) entspricht. Ein gelegentlicher Konsum lasse sich jedoch nicht grundsätzlich ausschließen.

Dieser Beschwerdevortrag gibt Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzuändern.

Dass das Verwaltungsgericht die Begründung des Antragsgegners zur Anordnung der sofortigen Vollziehung des Entzugs der Fahrerlaubnis als den formalen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend erachtet, obwohl ihr jeglicher Bezug zu dem Sachvortrag des Antragstellers fehlt, und dies allein darauf stützt, dass es um die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des öffentlichen Straßenverkehrs gehe, wobei sich in Fällen der vorliegenden Art das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gerade aus den Gesichtspunkten ergebe, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend sind, geht unter den konkreten Umständen fehl. Denn die nachfolgenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Sache sind nicht zur Darlegung geeignet, dass sich die Entziehung der Fahrerlaubnis aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird. Die Begründung des Sofortvollzugs darf nicht in einer Weise formelhaft sein, dass sie auf jeden Fall anwendbar wäre. Auch wenn in typischen Interessenlagen typisierende Argumentationsmuster verwendet werden können, muss die Begründung einzelfallbezogen sein. Eine Bezugnahme auf die Erwägungen für den Erlass des Verwaltungsakts ist zulässig, sofern nachvollziehbar dargelegt wird, dass hieraus auch das besondere Vollzugsinteresse folgt.2 Insoweit ist zu sehen, dass der Gesetzgeber ausweislich § 80 Abs. 2 VwGO die Grundsatzentscheidung getroffen hat, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit trotz regelmäßig naheliegender Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht kraft Gesetzes, sondern nur bei besonderer Anordnung sofort vollziehbar ist. Hieran haben sowohl die Fahrerlaubnisbehörden als auch die Gerichte ihre Entscheidungen auszurichten.

Die Argumentation des Verwaltungsgerichts zur Sache ist nicht frei von Widersprüchen. So ist es widersprüchlich, den Entzug der Fahrerlaubnis zu Beginn der Sachprüfung als offensichtlich rechtmäßig zu bezeichnen, wobei derzeit offen bleiben könne, ob die Einnahme des Amphetamins - wie vom Antragsteller vorgetragen - unwillentlich erfolgt sei, dann an späterer Stelle festzustellen, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs derzeit nur mit viel Wohlwollen noch als offen anzusehen seien, wobei in diesem Zusammenhang die unter der Prämisse einer offenen Sach- und Rechtslage vorzunehmende Interessenabwägung gänzlich fehlt, und abschließend auszuführen, die gesetzlichen Regelungen sähen die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend vor, was ebenso wie die folgende Bemerkung, auch die Anordnung der Ablieferung des Führerscheins sei rechtmäßig, impliziert, dass die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit als gegeben erachtet werden. Damit ist der Entscheidung nicht einmal zu entnehmen, ob das Verwaltungsgericht die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig ansieht oder ob es von einer offenen Sach- und Rechtslage ausgeht.


Zudem gibt das Verwaltungsgericht den Sachvortrag des Antragstellers verschiedentlich, etwa im Zusammenhang mit der Mitnahme der Frau namens K. von Tschechien ins Saarland oder der Mutmaßung, der Antragsteller sei sehr erfahren im Umgang mit einer Vielzahl von Medikamenten, falsch bzw. mit einer nicht nachvollziehbaren Bewertung wieder. Spekulativ erscheint der Vorhalt, der Antragsteller hätte in der seinerseits geschilderten Situation zu dem erstrebten Zweck besser ein Aufputschmittel wie Amphetamin konsumiert als ein Potenzmittel unbekannter Herkunft, zumal dies unterstellt, dass der Antragsteller Amphetamin in Griffnähe gehabt hätte. Nicht minder spekulativ ist es, aus der Behauptung, die Tablette (in der Nacht zum 5. oder 6.10.) im Bewusstsein, ein reines Potenzmittel einzunehmen, geschluckt zu haben, zu schlussfolgern, dies sei angesichts einer zeitnah beabsichtigten Führung eines Kraftfahrzeugs3 ein Beleg für eine grob fahrlässige Haltung und stelle sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen, in Frage. Sein Vorbringen wird auch nicht dadurch unschlüssig, dass Tschechien laut einer google-Recherche als Hochburg für die Produktion synthetischer Drogen gelten mag.

Dass das Verwaltungsgericht Zweifel an der Schlüssigkeit des Vorbringens daraus herleitet, dass der Antragsteller, obwohl er arbeitsunfähig erkrankt war - er behauptet insbesondere psychische Probleme und Bluthochdruck - und Beta-Blocker einnahm, die weite Strecke nach Tschechien gefahren sein wolle, um dort einen Junggesellenabschied zu feiern, überzeugt ebenso wenig wie der Vorhalt, er verliere kein Wort darüber, wie die Tabletten bei den anderen Gästen gewirkt hätten.

Schließlich erlauben die Ausführungen dazu, dass innerhalb der ersten drei bis vier Tage ca. 90 % einer Droge ausgeschieden würden, was auf eine deutlich höhere Konzentration von Amphetamin zum Zeitpunkt des Konsums der "Pille" schließen lasse, schwerlich den offenbar als zwingend erachteten Rückschluss, der Antragsteller müsse eine "echte" Amphetamintablette geschluckt haben.

Wenngleich der seitens des Antragstellers geschilderte Geschehensablauf sicherlich nicht als alltäglich bezeichnet werden kann, ist - wie das Verwaltungsgericht selbst einräumt - nicht von vornherein auszuschließen, dass es sich so zugetragen haben könnte. Die Polizisten haben den Antragsteller als kooperativ beschrieben, die Durchsuchung seines Fahrzeugs hat keine Hinweise auf den Besitz von Drogen erbracht. Entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts vermag der Senat nicht zu erkennen, dass gerade die Frau namens K. entscheidend zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen könnte. Es liegt weder besonders nahe, dass sie, nur weil sie sich am fraglichen Abend ebenfalls in der Pension in Tschechien aufgehalten hat und mit dem Antragsteller ins Gespräch gekommen ist, mitbekommen haben müsste, dass Prostituierte Potenzmittel an die Gäste des Junggesellenabschieds verteilt haben, noch dass der Antragsteller das Potenzmittel vor ihren Augen geschluckt haben könnte.



Da ein die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigender Amphetaminkonsum - wie das Verwaltungsgericht unter Zitierung verschiedener Rechtsprechungsnachweise anerkennt - voraussetzt, dass diese Droge willentlich eingenommen wird, ist entscheidungserheblich, ob der Sachvortrag des Antragstellers zutrifft oder nicht. Der Antragsgegner durfte dessen Vorbringen nicht, ohne sich mit ihm auseinanderzusetzen, mit der Floskel abtun, es führe zu keiner anderen Sichtweise bzw. Entscheidung. Vielmehr wäre er vor einer Entziehungsverfügung gehalten gewesen, die Relevanz des Vorbringens abzuklären, etwa durch Anordnung eines ärztlichen Gutachtens, und/oder durch Aufforderung, den Sachvortrag glaubhaft zu machen. Die Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV gibt vor, dass die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Entziehung einer Fahrerlaubnis die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnet, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Dies war hier angesichts des Ergebnisses der Blutuntersuchung der Fall und ein Arzt hätte fachkundig bewerten können, ob es denkbar ist, dass das Testergebnis auf den behaupteten Konsum einer als Potenzmittel bezeichneten Tablette zurückzuführen sein kann. Im Rahmen der demnach notwendigen Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts wird auch darauf einzugehen sein, ob und gegebenenfalls inwieweit die zwischenzeitlich durchgeführte Haaranalyse von Relevanz ist.

Dass der Antragsgegner das durchaus detaillierte Vorbringen des Antragstellers nicht ansatzweise zum Anlass einer kritischen Hinterfragung bzw. Sachaufklärung genommen hat, gibt aus Sicht des Senats Veranlassung zu dem Hinweis, dass die im Vorfeld der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis gebotene Anhörung des Betroffenen keine bloße Formalie ist, sondern sich als wichtiges Verfahrensrecht und als notwendige Folge des Rechtsstaatsprinzips darstellt. Sie dient dem Schutz der materiellen Grundrechte.4 Dabei ist die Setzung einer Frist zur Äußerung zwar zulässig, diese muss aber angemessen sein. Welche Zeit angemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, zu denen unterem die Möglichkeit, Beratung zu erlangen, zu zählen ist.5 Vorliegend begegnet eine Frist von nur einer Woche, bis zum 5.2., Bedenken, zumal das Anhörungsschreiben an einem Freitag verfasst wurde, dem Antragsteller also nicht vor Samstags zugegangen sein kann, er also frühestens Montags einen Anwalt konsultieren konnte. Zumindest hätte es unter diesen Gegebenheiten mehr als nahe gelegen, auf den mittwochs mit dem Hinweis, ein Beratungstermin habe erst für den 11.2. vereinbart werden können, fernmündlich geäußerten Verlängerungswunsch einzugehen. Dass eine Fristverlängerung abgelehnt wird, die Behörde aber doch zuwartet, macht schließlich eine zu kurz bemessene Frist nicht zu einer angemessenen.6

Nach alldem war dem Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Dabei hat der Senat die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Nr. 2 der Verfügung dahin ausgelegt, dass sie auch die unter Nr. 3 der Verfügung getroffene Anordnung erfassen soll.7

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG, 6 Abs. 3 FeV i.V.m. den Nrn. 1.5, 46.1 und 46.6 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

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Fußnoten:

1) gemeint ist wohl Diazepam.

2) Bader/ Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, Kommentar, 7. Aufl. 2018, § 80 Rdnr. 54 m.w.N..

3) Insoweit erschließt sich nicht einmal, woher das Verwaltungsgericht wissen will, dass der Antragsteller zur Zeit der Einnahme der Tablette beabsichtigt haben sollte, zeitnah Auto zu fahren..

4) Kopp/ Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 12. Aufl. 2011, § 28 Rdnrn. 1 ff..

5 Kopp/ Ramsauer, a.a.O., § 28 Rdnr. 37.

6 Kopp/ Ramsauer, a.a.O., § 28 Rdnr. 37.

7 vgl. zur Problematik: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 47 FeV Rdnr. 19.
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