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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil vom 9.07.2021 - 8 U 59/20 - Zur Berechnung des Wertausgleichs für gezogene Gebrauchsvorteile bei Leasingverträgen

OLG Karlsruhe v. 9.07.2021: Zur Berechnung des Wertausgleichs für gezogene Gebrauchsvorteile bei Leasingverträgen




Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 9.07.2021 - 8 U 59/20) hat entschieden:

  1.  Zur Annahme der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB bei einem EU 6 3.0l Motor in einem Audi A 6 wegen der verwendeten Aufheizstrategie („Strategie A“)

  2.  Bei einem Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung handelt es sich um ein mietähnliches Dauerschuldverhältnis, weshalb die Höhe des Wertersatzes für anzurechnende Gebrauchsvorteile dem objektiven Leasingwert entspricht. Dieser bemisst sich grundsätzlich nach den vereinbarten Leasinggebühren.

Siehe auch
Leasingfahrzeug - Leasingvertrag in der Unfallschadenregulierung
und
Stichwörter zum Thema Leasingfahrzeug und Leasingvertrag

Gründe:


I.

Der Kläger beansprucht von der Beklagten aus abgetretenem Recht der G. Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit einem geleasten Fahrzeug Audi A6 Avant 3.0 TDI (Emissionsklasse Euro 6 plus).

Die Zedentin schloss am 21.04.2015 mit der Audi Leasing einen Leasingvertrag ohne Gebrauchtwagenabrechnung über einen Neuwagen Audi A6 Avant 3.0 TDI competition quattro mit 240 kW zur gewerblichen Nutzung (Anlage K1). Die monatliche Leasingrate betrug 549,00 € netto (653,31 € brutto) bei einer jährlichen Fahrleistung von 17.500 km und einer Vertragsdauer von 36 Monaten. Das Fahrzeug wurde am 30.11.2015 ausgeliefert und von der Zedentin im September 2018 bei einem Kilometerstand von 53.585 km vorzeitig zurückgegeben. Insgesamt leistete die Zedentin 35 Leasingraten i.H.v. 653,31 € sowie eine Abstandszahlung wegen der vorzeitigen Beendigung des Leasingvertrages i.H.v. 590,00 €, somit einen Gesamtbetrag i.H.v. 23.455,85 €.

Das Fahrzeug war von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt (nachfolgend: KBA) angeordneten Rückruf betroffen, nachdem das KBA Unregelmäßigkeiten in der Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs im Hinblick auf die Funktionsweise der Emissionsminderung festgestellt hatte. Das KB A hatte daraufhin die Entfernung dieser Unregelmäßigkeiten angeordnet (Rückrufschreiben der Beklagten vom Januar 2019, Anlage K3).




Der Kläger hat vorgetragen, in dem Fahrzeug sei ein Motor EA 897 evo verbaut. In der Motorsteuerung des Fahrzeugs sei ein Thermofenster integriert, das jedenfalls bei Temperaturen von weniger als 5 °C und mehr als 30 °C eine signifikante Reduktion der Abgasreinigung bewirke. Des Weiteren sei eine Strategie eingesetzt, die die Nutzung von AdBlue unter bestimmten Bedingungen unzulässig einschränke. Die Beklagte habe das Fahrzeug mit einem Motor in den Verkehr gebracht, der gleich über vier verschiedene unzulässige Abschalteinrichtungen verfüge und von denen das KBA die sogenannte Aufheizstrategie (Strategie A) ganz offiziell als unzulässig eingestuft habe (Anlage K7). Zahlreiche Techniker und Ingenieure der Beklagten bis hin zum Vorstandschef seien frühzeitig in die Verwendung der Motorsteuerungssoftware involviert gewesen. Der von dem Kläger geschuldete Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer belaufe sich auf 5.014,00 €. Hierbei sei von der vertraglich vereinbarten Vergütung für jeden die jährliche Gesamtfahrleistung von 17.500 km übersteigenden Mehrkilometer von 9,2 Cent netto auszugehen.

Die Beklagte hat vorgetragen, in dem Fahrzeug sei ein Motor EA 896 Gen2 verbaut. Die Beklagte habe auf Anordnung des KBA eine Aktualisierung der Software vorgenommen. Bei einigen Fahrzeugen komme es nach dem Update zu einem höheren AdBlue-Verbrauch. Neben dem Software-Update sei auch der NOx-Sensor verbessert worden, dadurch sei die NOx-Reduktion im Straßenverkehr nochmals verbessert worden. Unzutreffend sei die Behauptung, bei dem Fahrzeug komme es während des Durchfahrens des NEFZ zu einer Erhöhung der AdBlue-Einspritzung gegenüber den Fahrsituationen außerhalb des Zeit-Strecke-Korridors des NEFZ. Ebenfalls unzutreffend sei die Behauptung, die AdBlue-Einspritzung werde unter bestimmten Bedingungen unzulässig eingeschränkt. Des Weiteren sei die Behauptung unzutreffend, die Stickoxidwerte würden „nur“ für den Rollenprüfstand über eine höhere Abgasrückführungsquote gemindert. Schließlich sei dem Kläger kein Schaden entstanden, da er die Nutzungsrechte aus dem Leasingvertrag bis zur Vertragsbeendigung voll habe ausüben können.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 6.308,65 € verurteilt und die auf Zahlung von 17.788,54 € gerichtete Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen, soweit diese mit den hier getroffenen nicht in Widerspruch stehen, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das von der Beklagten mit der Berufung und von dem Kläger mit der Anschlussberufung angefochtene Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Die Beklagte bringt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor:

Das Landgericht gehe fehlerhaft davon aus, dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zustehe. Das Landgericht gehe ohne Feststellung des genauen Motortyps davon aus, dass der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer Software ausgestattet sei, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Zulassungsvorschriften zu qualifizieren sei. Soweit die Funktionsweise des konkret streitgegenständlichen Motors sowie der konkret beanstandeten Software nicht weiter aufgeklärt sei, stütze das Erstgericht seine Entscheidung damit auf unvollständige Tatsachenfeststellungen.

Eine sittenwidrige Schädigung liege nicht vor. Zu keinem Zeitpunkt habe eine Stilllegung des Fahrzeugs gedroht. Der Kläger habe auch einen Schädigungsvorsatz der Beklagten nicht dargelegt. Nicht zutreffend sei die Annahme des Landgerichts, dass ein Schädigungsvorsatz von der Beklagten im Rahmen einer sekundären Darlegungslast hätte entkräftet werden müssen.

Jedenfalls sei dem Kläger durch den Abschluss des Leasingvertrages kein Schaden entstanden. Die Annahme, dass die Leistung für die Zwecke der Leasingnehmerin nicht voll brauchbar gewesen sei, sei nicht richtig. Der Kläger habe durch den abgeschlossenen Leasingvertrag ein Nutzungsrecht an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erhalten, das den gezahlten Leasingraten wertmäßig entsprochen habe. Etwaige Folges chäden könnten dem Kläger nicht zur Last fallen, da der Leasingvertrag bereits vor Klageerhebung beendet worden sei und der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug an die Leasinggeberin zurückgegeben habe.

Die Beklagte beantragt:

  1.  In Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Karlsruhe vom 19.03.2019 – 2 O 102/19 – wird die Klage insgesamt abgewiesen.

  2.  Hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag nach Ziffer 1 nicht stattgegeben werden sollte: Der Rechtsstreit wird, soweit zu Lasten der Beklagten und Berufungsklägerin entschieden wurde, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Karlsruhe zurückverwiesen.

Der Kläger beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Mit der Anschlussberufung beantragt der Kläger:

   Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.03.2020 – 2 O 102/19 – wird wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.788,54 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil gegen die Berufungsangriffe der Beklagten und bringt zur Begründung seiner Anschlussberufung vor:

Bei der Berechnung der auf den Anspruch anzurechnenden Nutzungen sei das Landgericht von falschen Berechnungsgrundlagen ausgegangen. Vorliegend habe die Beklagte in ihrem eigenen mit der Zedentin geschlossenen Vertrag einen „Mehrkilometer“ mit 9,2 Cent und einen „Minderkilometer“ sogar mit 5,5 Cent eingewertet. Es sei nicht einzusehen, weshalb die Beklagte an ihren eigenen Kalkulationen nicht festgehalten werden soll.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.




II.

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die zulässige Anschlussberufung ist unbegründet.

1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet.

a. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht der G. (nachfolgend: Die Zedentin) gemäß §§ 826, 31, 249 Abs. 1 BGB Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 590,00 €. Ein weitergehender Schadensersatzanspruch steht dem Kläger nicht zu.

aa. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Zedentin ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zusteht. Das von der Beklagten hergestellte Leasingfahrzeug Audi A6 Avant 3.0 TDI verfügte im Zeitpunkt des Inverkehrbringens und des Erwerbs durch die Zedentin über eine Motorsteuerungssoftware, die zwecks Täuschung des KBA im Typgenehmigungsverfahren bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG nur auf dem Prüfstand sicher eingehalten wurden. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs durch den Hersteller unter bewusster und gewollter Täuschung des KBA mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung ist objektiv sittenwidrig (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 16 ff.).

(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, juris Rn. 14).

(2) Nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ist das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zur Zedentin als objektiv sittenwidrig zu qualifizieren.Das Landgericht hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Aufheizstrategie („Strategie A“) zum Einsatz kam. Die Aufheizstrategie ist eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG, die unter keinen der Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG fällt und die nach der Überzeugung des Senats aufgrund einer strategischen unternehmerischen Entscheidung eingesetzt wurde, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und die Typgenehmigung unter bewusster Täuschung des KBA zu erhalten.

(a) Das Landgericht hat zwar offengelassen, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Motor EA 897 Evo oder ein Motor EA 896 Gen2 verbaut ist. Es ist aber auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens davon ausgegangen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Motorsteuerungssoftware zum Einsatz kam, die wie die Motorsteuerungssoftware des Motors EA 189 eine Umschaltlogik enthielt. Das Landgericht hat insoweit angenommen, dass in dem Fahrzeug die von dem KBA als „Strategie A“ bezeichnete Aufheizstrategie zum Einsatz kam.

Dass das Landgericht insoweit von falschen Tatsachen ausgegangen ist, zeigt die Berufung nicht auf. Die Berufung rügt zwar, dass das Landgericht keine Feststellungen zu dem in dem Fahrzeug verbauten Motortyp sowie zur Funktionsweise des Motors und der zum Einsatz gekommenen Software getroffen habe. Die Berufung führt aber nicht aus, welche Unterschiede zwischen dem Motor EA 897 Evo und dem Motor EA 896 Gen2 und der jeweiligen Motorsteuerungssoftware bestehen. Sie führt ebenfalls nicht aus, ob die von dem KBA beanstandeten „Unregelmäßigkeiten“ in der Motorsteuerungssoftware bezüglich des „Emissionsminderungssystems“, die zu dem von dem KBA angeordneten Rückruf führten, bei beiden Motoren vorlagen oder nur bei dem nach Darstellung des Klägers in dem Fahrzeug verbauten Motor EA 897 Evo. Insbesondere setzt sich die Berufung nicht mit der von dem Landgericht getroffenen Feststellung auseinander, dass in dem Fahrzeug die „Strategie A“ zum Einsatz gekommen sei. Die Beklagte hat die von dem Kläger in dem Schriftsatz vom 18.11.2019 (dort Seite 6; I 76) unter Bezugnahme auf den als Anlage K7 vorgelegten Bescheid des KBA aufgestellte Behauptung, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug die in dem Bescheid genannten Abschalteinrichtungen, unter anderem die „Strategie A“, zum Einsatz gekommen seien, auch nicht bestritten. Vor diesem Hintergrund ist eine fehlerhafte Tatsachenerfassung durch das Landgericht nicht ersichtlich.




(b) Ausweislich des von der Klägerin als Anlage K7 vorgelegten Bescheids des KBA wird bei der „Strategie A“ – wie dem Senat bereits aus anderen Verfahren bekannt ist – zum Starten der Aufheizstrategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verbunden sind. Das bedeutet, dass alle Bedingungen



gleichzeitig vorliegen müssen, damit die Aufheizstrategie zum Einsatz kommt. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Wird die Aufheizstrategie abgeschaltet, verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten und wird der NOx-Grenzwert von 80 mg/km bei der Prüfung nicht sicher eingehalten.

Dass es sich bei einer solchen Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, unterliegt keinem Zweifel. Denn die Aufheizstrategie zielt nach den Ausführungen des KBA darauf ab, ähnlich wie die bei Motoren der Baureihe EA 189 zum Einsatz gekommene „Schummelsoftware“ das Emissionsverhalten der Fahrzeuge ausschließlich im Prüfstandbetrieb zu verbessern, um die ohne die Abschalteinrichtung zu erwartende oder von der Beklagten zumindest befürchtete Überschreitung des NOx-Grenzwertes von 80 mg/km bei der Abgasprüfung sicher zu vermeiden. Der Einbau einer solchen Abschalteinrichtung ist von keinem der in Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG aufgeführten Ausnahmetatbestände gedeckt und insbesondere nicht notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

Der Einbau einer solchen Motorsteuerungssoftware ist objektiv sittenwidrig, weil er nur zu dem Zweck erfolgte, das KBA über die ohne die Software nicht gewährleistete Einhaltung der Emissionsgrenzwerte in den Fahrzyklen des NEFZ zu täuschen, um die Typgenehmigung für das Fahrzeug zu erlangen. Die bewusste Täuschung des KBA rechtfertigt das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit.


(c) Die subjektiven Voraussetzungen für den Anspruch aus § 826 BGB liegen ebenfalls vor.

(aa) Der Einbau der unerlaubten Abschalteinrichtung und der dazu verwendeten Software erfolgte vorsätzlich. Insoweit genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei dieser nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss (BGH, Urteil vom 13. September 2004 – II ZR 276/02 –, juris Rn. 38 m.w.N.). Die mit der Abschalteinrichtung eingesetzte Software wurde bewusst benutzt, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typgenehmigung zu erhalten. Einen anderen Zweck hatte ihre Verwendung nach Überzeugung des Senats nicht. Dabei nahm die Beklagte bewusst in Kauf, dass eine Entdeckung der Abschalteinrichtung dazu führen würde, dass das KBA entweder die Typgenehmigung widerruft oder andere Maßnahmen anordnet, um einen gesetzmäßigen Zustand der Fahrzeuge zu erreichen. Damit musste sie zwangsläufig davon ausgehen, dass dem Fahrzeug eine Betriebsuntersagung drohte. Die Beklagte hat dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Endkunden als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen.

(bb) Die Beklagte muss sich dabei das Handeln und die Kenntnis ihrer Organe analog § 31 BGB zurechnen lassen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Organe der Beklagten an der zumindest konkludenten Täuschung des KBA - die einer Täuschung des Klägers gleichsteht - verantwortlich beteiligt waren. Dass die Organe der Beklagten um die unzulässige Abschalteinrichtung wussten und diese billigten, gilt im Streitfall gemäß § 138 Abs. 3 ZPO bereits als zugestanden.

Zwar trägt nach allgemeinen Grundsätzen derjenige die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen und damit auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2019 - V ZR 244/17 -, juris Rn. 37; Urteil vom 18.01.2018 – I ZR 150/15 –, juris Rn. 26). Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft aber eine sekundäre Darlegungslast, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 37). Im Streitfall ist die Beklagte aus vergleichbaren Gründen wie in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs dargelegt ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Die dortigen Grundsätze sind auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar. Der Kläger hat zu den in der Sphäre der Beklagten liegenden Umständen hinreichend konkret vorgetragen. Er hat bereits in der Klageschrift (dort Seite 4 f.; I 4 f.) behauptet, dass viele Techniker und Ingenieure der Beklagten, aber auch Manager bis hin zu dem damaligen Vorstandschef Rupert Stadler, bereits frühzeitig in die Vorgänge involviert gewesen seien, die zur Entwicklung und dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtungen geführt hätten. Zu Recht hat das Landgericht insoweit auch auf die Tragweite einer solchen Entscheidung hingewiesen (S. 15 LGU).

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen trifft die Beklagte ebenso wie die Volkswagen AG im Falle der Entscheidung des Bundesgerichtshofs betreffend den Motor EA 189 eine sekundäre Darlegungslast, dass und warum der Vorstand in die Entwicklung nicht involviert gewesen sei und von der unzulässigen Abschalteinrichtung nichts gewusst habe. Dieser ist die Beklagte mit ihrem Vortrag nicht hinreichend nachgekommen. Sie legt nicht plausibel dar, wie eine derartige Software ohne Wissen des Vorstands entwickelt und verbaut worden sein soll, sondern beschränkt sich auf die Aussage, dass der Kläger zu den subjektiven Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche keinen hinreichend konkreten und einlassungsfähigen Sachvortrag geliefert habe.

Der Senat ist zudem in freier Beweiswürdigung davon überzeugt, dass den Organen der Beklagten der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und der dazu implementierten Software nicht verborgen geblieben ist. Immerhin handelt es bei diesem Vorgang um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen arbeits- und strafrechtlichen Risiken für die entscheidenden Personen, denen bei den untergeordneten Konstrukteuren kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenüberstand. Angesichts dessen ist es nach der Überzeugung des Senats ausgeschlossen, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt sein soll und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte.

bb. Durch das vorsätzlich sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist der Zedentin ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss des Leasingvertrages über das bemakelte Fahrzeug liegt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 43 ff.). Der auf Ersatz des negativen Interesses gerichtete Schadensersatzanspruch umfasst daher sämtliche Leasingraten und sonstigen Zahlungen, die die Zedentin an die Leasinggeberin leistete. Hiervon sind im Wege der Vorteilsausgleichung die von der Zedentin gezogenen Gebrauchsvorteile in Abzug zu bringen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts entspricht der Wert der von dem Leasingnehmer gezogenen Gebrauchsvorteile der Höhe der Leasingraten.

(1) Die Zahlungen der Zedentin an die Leasinggeberin beliefen sich auf insgesamt 23.455,85 €. Nach den von den Parteien mit ihren Rechtsmitteln nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts leistete die Zedentin insgesamt 35 Leasingraten in Höhe von jeweils 653,31 € sowie eine Abstandszahlung i.H.v. 590,00 € an die Leasinggeberin.

(2) Die Zedentin muss sich auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, a.a.O., juris Rn. 64 ff.). Diese sind mit 22.865,85 € (= 653,31 € × 35) zu veranschlagen.

(a) Die Höhe des Wertersatzes für Gebrauchsvorteile einer gemieteten Sache bemisst sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem objektiven Mietwert, also dem für das genutzte oder für ein vergleichbares Objekt üblichen Mietzins (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1997 - XII ZR 142/95 -, juris Rn. 19 m.w.N.; Urteil vom 31. März 2006 – V ZR 51/05 –, juris Rn. 13).

(b) Bei dem hier vorliegenden Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung handelt es sich um ein mietähnliches Dauerschuldverhältnis, weshalb es gerechtfertigt ist, die wegen der Nutzung des Fahrzeugs anzurechnenden Gebrauchsvorteile wie im Falle einer gemieteten Sache zu errechnen. Hierfür spricht auch, dass sich die von einem Leasingnehmer im Fall der Vorenthaltung der Leasingsache nach Vertragsbeendigung zu erbringende Nutzungsentschädigung gemäß § 546a BGB der Höhe nach (ebenfalls) nach den vereinbarten Leasingraten richtet (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 1989 - VIII ZR 155/88 –, juris Rn. 20 m.w.N. zu der Vorgängervorschrift des § 557 BGB). Damit bemisst sich die Höhe des anzurechnenden (zu saldierenden) Wertersatzes für die gezogenen Nutzungsvorteile nach dem objektiven Leasingwert (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 21. Januar 2020 – 17 U 2/19 –, juris Rn. 118 ff.; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 22. Juli 2020 - 3 U 321/19 -, BeckRS 2020, 32652 Rn. 22; a. A. OLG Hamm, Urteil vom 10. Dezember 2019 - 13 U 86/18 -, juris Rn. 137-139; OLG Koblenz, Urteil vom 02. November 2020 – 12 U 174/20 –, BeckRS 2020, 34715 Rn. 21 ohne nähere Begründung).

Dem steht die Auffassung des OLG Hamm (a.a.O. Rn. 137) schon deshalb nicht entgegen, weil es im Streitfall um einen Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung geht und daher lediglich ein Entgelt für die Gebrauchsüberlassung einschließlich Gewinn geschuldet ist. Dem dortigen Fall lag ein Finanzierungsleasingvertrag zugrunde, bei dem sich die Leasingrate daran orientiert, dass der Teilamortisationsvertrag zusammen mit der Schlusszahlung auf eine Vollamortisation gerichtet ist. Im Übrigen geht im Streitfall der Kläger nicht aus abgetretenem Kaufrecht vor, sondern macht einen (abgetretenen) Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung geltend. Er ist daher im Schuldverhältnis zur Beklagten nicht wie ein Käufer zu stellen. Deshalb ist nicht - wie bei einem rückabzuwickelnden Kaufvertrag - auf die ersparte Abnutzung abzustellen. Vielmehr bestehen die erlangten Gebrauchsvorteile bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise in dem objektiven Mietwert, also dem für das genutzte oder für ein vergleichbares Objekt üblichen Mietzins.

(c) Mangels anderer Anhaltspunkte ist von der Marktüblichkeit der von der Klägerin und der Leasinggeberin vereinbarten Leasinggebühren in Höhe von insgesamt 22.865,85 € brutto auszugehen. Der Abzug eines mangelbedingten Minderwertes wäre nicht gerechtfertigt. Die unerlaubte Abschalteinrichtung führte im Streitfall zu keinem Zeitpunkt während der Gebrauchsdauer zu einer erheblichen Minderung der Gebrauchstauglichkeit (vgl. § 536 Abs. 1 BGB; OLG Karlsruhe a.a.O. Rn. 122).

cc. Im Ergebnis steht dem Kläger daher nur ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 590,00 € wegen der im Rahmen der vorzeitigen Beendigung des Leasingvertrages geleisteten Abstandszahlung zu. Die Abstandszahlung stellt einen ersatzfähigen Schaden dar, weil sie ohne den Abschluss des Leasingvertrages nicht angefallen wäre. Da die Zedentin das Fahrzeug nach der vorzeitigen Vertragsbeendigung nicht mehr nutzen konnte, ist im Wege des Vorteilsausgleichs kein Wertersatz für Gebrauchsvorteile in Abzug zu bringen. Die sittenwidrig geschädigte Zedentin war auch nicht aufgrund der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB gehalten, das Fahrzeug bis zum vereinbarten Ablaufdatum weiterzunutzen, nur um die Schadensersatzforderung gegen die Beklagte möglichst gering zu halten.

Die Ausführungen der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 27.07.2021 rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die vertragsbezogene Schadensberechnung der Beklagten verkennt, dass sich der deliktische Schadensersatzanspruch nach dem negativen Interesse bemisst. Danach kann der Geschädigte sämtliche Zahlungen, die er aufgrund des Leasingvertrages leistete, ersetzt verlangen. Dazu gehören auch vertraglich geschuldete Zahlungen an den Leasinggeber wegen eines verschleißbedingten Minderwerts des Fahrzeugs. Hiervon sind im Wege des Vorteilsausgleichs nur die tatsächlich erlangten Gebrauchsvorteile in Abzug zu bringen.

b. Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

c. Der Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat aber nur Anspruch auf Erstattung einer 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 1.306,62 € (653,31 € × 2) zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer. Da die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Verfahren im Abgasskandal als Massengeschäft mit weitgehend identischen, überwiegend aus Textbausteinen zusammengestellten Schriftsätzen betreiben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihre Tätigkeit im konkreten Einzelfall umfangreich oder schwierig war. Nach Nr. 2300 VV RVG können sie für ihre Tätigkeit daher eine Gebühr von mehr als 1,3 nicht beanspruchen. Bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten im September 2018 nutzte die Zedentin das Fahrzeug zudem bereits 34 Monate. Wie oben ausgeführt, ist ihr für den Zeitraum der Nutzung kein ersatzfähiger Schaden entstanden. Der Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beläuft sich damit nur auf 201,71 €.



2. Die (unselbständige) Anschlussberufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Wie unter 1. a. bb. (2) dargelegt, bemisst sich die Höhe des anzurechnenden Wertersatzes für die gezogenen Nutzungsvorteile nach dem objektiven Leasingwert und nicht wie bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrages nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung der genutzten Sache.

Entgegen der Auffassung der Anschlussberufung kann sich die Höhe des Wertersatzes nicht nach den im Leasingvertrag getroffenen Vereinbarungen zur Abrechnung von „Mehrkilometern“ und „Minderkilometern“ bemessen. Auf die Vereinbarungen im Leasingvertrag kann schon deshalb nicht abgestellt werden, weil für die Berechnung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs nur der objektive Wert der gezogenen Nutzungen maßgeblich sein kann. Die Anschlussberufung verkennt zudem, dass der Leasingvertrag nicht zwischen den Parteien des Rechtsstreits, sondern zwischen der Zedentin und der mit der Beklagten nicht identischen Leasinggeberin abgeschlossen wurde. Der Gebrauchsvorteil des Leasingnehmers erschöpft sich zudem nicht in den mit dem Leasingfahrzeug gefahrenen Kilometern. Der Gebrauchsvorteil liegt vielmehr in der Überlassung des Fahrzeugs zur Nutzung und zur ständigen Verfügbarkeit des Leasingnehmers.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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