Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin (Beschluss vom 09.07.2018 - 25 U 159/17 - Anwendung der Vorfahrtregel des § 8 I StVO auf einem Parkplatz

KG Berlin v. 09.07.2018: Anwendung der Vorfahrtregel des § 8 I StVO auf einem Parkplatz




Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 09.07.2018 - 25 U 159/17) hat entschieden:

   Auf allein dem Ausfahren aus einem Parkhaus dienenden, äußerlich vergleichbaren Fahrbahnen gilt grundsätzlich entsprechend § 8 Abs. 1 StVO „rechts vor links“. - Beim Verlassen des durch eine Schranke begrenzten Parkbereichs kommt eine Anwendung der besonderen Sorgfaltspflichten nach § 10 StVO in Betracht.

Siehe auch
Zur Geltung der Vorfahrtregel "rechts vor links" auf Parkgelände und zur Haftungsabwägung
und
Stichwörter zum Thema Halten und Parken

Gründe:


Der Senat ist einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nach mündlicher Verhandlung nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung auch nicht aus sonstigen Gründen geboten ist.

Das Landgericht hat der Klage mit zutreffenden Erwägungen teilweise stattgegeben. Die von den Beklagten mit der Berufungsbegründung geltend gemachten Gesichtspunkte rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Mit der Berufung machen die Beklagten geltend, dass zu ihren Lasten allenfalls eine hälftige Haftung anzunehmen sei, da die Fahrbahn in dem Parkhaus, die der Kläger genutzt habe, nicht mit der von dem Beklagten zu 1. benutzten gleichrangig gewesen sei. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Mit Recht hat das Landgericht seiner Entscheidung eine überwiegende Haftung des Beklagten zu 1. wegen eines Verstoßes gegen § 8 Abs. 1 StVO zugrunde gelegt. Die Regeln der Straßenverkehrsordnung sind auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen grundsätzlich zumindest entsprechend anwendbar (vgl. z.B. OLG Frankfurt ZfSch 2010, 19; OLG Düsseldorf NZV 2000, 263). Inwieweit die Vorfahrtregel des § 8 Abs. 1 StVO auf einem Parkplatz Anwendung findet, hängt davon ab, ob die Fahrspuren lediglich dem ruhenden Verkehr, d. h. dem Suchverkehr dienen, oder ob sie darüber hinaus Straßencharakter besitzen (vgl. z.B. KG - 12. ZS - NZV 2010, 461; 2003, 381; OLG Frankfurt ZfSch 2010, 19; OLG Düsseldorf NZV 2000, 263; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. § 8 StVO Rz. 31a m.w.N.). Für ein öffentlich zugängliches, wenn auch gebührenpflichtiges Parkhaus, in dem sich hier der Unfall ereignet hat, ist eine abweichende Beurteilung nicht gerechtfertigt.


Hier ist mit dem Landgericht von einem Straßencharakter der von den beiden am Unfall beteiligten Fahrzeugen benutzten Fahrspuren auszugehen. An ihnen war ein Parken nicht möglich, sie erschlossen auch keinen Bereich zum Parken, sondern führten unmittelbar zur Ausfahrt aus dem Parkhaus.

Der Senat teilt die vom Landgericht getroffene Bewertung, dass beide Fahrwege gleichrangig und daher der Kläger entsprechend § 8 Abs. 1 StVO vorfahrberechtigt war. Mit zutreffender - und mit der Berufung auch nicht angegriffener - Begründung hat es die an der Einmündung angebrachten Bodenmarkierungen nicht als Haltelinie angesehen, sondern entsprechend dem Zeichen 296 der Anlage 2 zu § 41 StVO als Verbot gegenüber demjenigen, der die geradeausführende Fahrbahn benutzt, in die einmündende Fahrbahn einzufahren, während das Einfahren von der seitens des Klägers genutzten Fahrbahn zulässig war.

Entgegen der von den Beklagten vertretenen Auffassung ist dem Kläger ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten des § 10 StVO nicht vorzuhalten. Bei der von ihm befahrenen Fahrspur handelt es sich nicht um einen "anderen Straßenteil" im Sinne von § 10 StVO. Die Abgrenzung einer im Sinne dieser Vorschrift untergeordneten Verkehrsfläche zu einer Straße im Sinne von § 8 StVO ist nach dem objektiven Erscheinungsbild vorzunehmen (vgl. BGH VersR 1977, 58; OLG Hamm RuS 1994, 52). Mit Recht hat das Landgericht in der äußeren Gestaltung der Fahrbahnen - Breite, Fahrbahnbelag, usw. - keinen Anhaltspunkt dafür gesehen, dass es sich bei der vom Kläger benutzten Fahrbahn um einen im Sinne von § 10 StVO untergeordneten Straßenteil handelt. Wenn beide Fahrbahnen vergleichbar gestaltet sind und es auch keine anderen für die Fahrzeugführer erkennbaren Anzeichen für die Unterordnung einer von ihnen gibt, kann nicht von einer untergeordneten Verkehrsfläche ausgegangen werden. Denn der Verkehrsteilnehmer ist auf klare einfache Anhaltspunkte angewiesen und muss in erster Linie auf sichtbare Merkmale zurückgreifen, um aus dem an Ort und Stelle erkennbaren Gesamtbild Schlüsse darauf ziehen zu können, welche Verkehrsregelung eingreift (BGH a.a.O.).



Eine Prägung der vom Kläger genutzten Fahrspur als untergeordnet ergibt sich auch nicht aus der auf ihr angebrachten Schranke, die sich erst nach Einführen eines Parktickets öffnet. Diese mag geeignet sein, den noch vornehmlich dem Parken bestimmten Bereich von dem zum (Aus-)Fahren bestimmten abzugrenzen. Beim Passieren einer solchen Schranke könnten demnach die besonderen Sorgfaltspflichten von § 10 StVO Anwendung finden, da der Parkbereich als entsprechend untergeordnet anzusehen ist (vgl. KG NZV 2010, 461; OLG Celle DAR 2000, 216; OLG Naumburg OLGR 2007, 394; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. § 10 StVO Rz. 6). Dies trifft aber auf den hier zu beurteilenden Einmündungsbereich nicht mehr zu. Wie sich aus den eingereichten Fotos ergibt, liegen zwischen der Schranke und der Einmündung mehrere Meter. Der Einmündungsbereich, in dem der Unfall sich ereignet hat, ist daher nicht mehr dem Verlassen des zum Parken bestimmten Bereichs zuzurechnen. Vielmehr fuhr der Kläger bereits vor der Einmündung auf einer Fahrbahn, die allein der Ausfahrt aus dem Parkhaus diente, und somit der von dem Beklagten zu 1 benutzten gleichrangig war.

Mit Recht hat das Landgericht den wegen des Verstoßes gegen § 8 Abs. 1 StVO gegen den Beklagten zu 1 sprechenden Anscheinsbeweis nicht entkräftet gesehen und ist unter Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu einer Haftungsquote der Beklagten von 80 % gelangt. Da dies mit der Berufung nicht angegriffen wird, sieht der Senat von einer näheren Begründung ab.

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