Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 12.02.2021 - (3) 121 Ss 1/21 (5/21), 3 Ss 5/21 - Tatmehrheit ber Fahrtunterbrechung nach „Nicht-Unfall“

KG Berlin v. 12.02.2021: Tatmehrheit ber Fahrtunterbrechung nach „Nicht-Unfall“




Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 12.02.2021 - (3) 121 Ss 1/21 (5/21), 3 Ss 5/21 hat entschieden:

  1.  Zu den Anforderungen an die Feststellung relativer Fahrunsicherheit.

  2.  Zu einer Zäsur der Dauerstraftat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr wird es regelmäßig auch dann kommen, wenn ein alkoholbedingtes Unfallereignis nur deshalb keinen Unfall im Rechtssinne (§ 142 Abs. 1 StGB) darstellt, weil an dem gegnerischen Fahrzeug wegen Vorschäden keine zusätzliche Werteinbuße eingetreten ist. Fährt der Täter nach einem jedenfalls derart alkoholbedingten Zusammenstoß weiter, so wird dies regelmäßig aufgrund eines neuen Tatentschlusses des sich seiner Fahrunsicherheit nun bewusst gewordenen Fahrers geschehen.


Siehe auch
Tateinheit - Tatmehrheit - mehrere Verstöße auf einer Fahrt
und Stichwörter zum Thema Alkohol

Gründe:


Der Schriftsatz des Verteidigers vom 9. Februar 2021 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung wegen zunächst fahrlässig und hiernach vorsätzlich begangener Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB). Sie weisen aus, dass der Angeklagte nach einem Tag mit Alkoholkonsum („drei Flaschen Bier zu je 0,5 l und 100 ml Apfellikör zu 18 Vol%“) in einem PKW zwei weitere Flaschen Bier zu je 0,5 l trank und sich dann vom Fahrersitz aus quer über den Beifahrersitz legte. Eine offenbar besorgte Passantin fragte ihn, ob er Hilfe brauche, was dieser mit „Alkoholgeruch, glasigen Augen und lallender Aussprache“ (UA S. 3) verneinte, um – nach einem kurzen Gespräch über den Zündschlüssel – mit einer „Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,77 Promille“ sowie „mit für die geringe Breite der Straße unangemessener Geschwindigkeit“ davonzufahren (UA S. 4). Nach kurzer Fahrstrecke kam er in einer Kurve von der Spur ab und streifte einen im Gegenverkehr ordnungsgemäß abgeparkten Anhänger, an dem nur wegen mannigfacher Vorschäden kein wirtschaftlich messbarer Schaden entstand. Der Angeklagte, so die Feststellungen weiter, bemerkte den Anstoß, fuhr aber weiter, obwohl er „seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nunmehr erkannt hatte“ (UA S. 4). Eine wenig später entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,9 Promille, die der Angeklagte mit – nicht widerlegtem – Nachtrunk erklärte.




1. Die Feststellungen rechtfertigen zwanglos den durch die Strafkammer gezogenen Schluss, der Angeklagte sei mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,77 Promille alkoholbedingt fahrunsicher gewesen. Dafür streitet neben der signifikanten Blutalkoholkonzentration und dem Vortatverhalten (Alkoholkonsum im Auto, Schlafen im Auto, glasige Augen, lallende Aussprache) auch die hiernach begangenen Fahrfehler (unangepasst-überhöhte Geschwindigkeit in enger Straße, Nichtbeherrschung einer Kurvenfahrt mit Anstoß an ein im Gegenverkehr (!) abgeparktes Fahrzeug). Der durch das Landgericht gezogene Schluss wäre einer revisionsrechtlichen Überprüfung schon entzogen, wenn er nur vertretbar wäre, tatsächlich erscheint er dem Senat fast zwingend.

2. Die Feststellungen rechtfertigen auch die Verurteilung wegen zunächst fahrlässig und hiernach tatmehrheitlich (§ 53 StGB) verwirklichter vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr. Die durch BGHSt 21, 203 entwickelte und seither gefestigte Rechtsprechung ist auch hier anwendbar. Danach endet die Dauerstraftat der Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) regelmäßig, wenn sich der Täter nach einem von ihm verursachten Unfall zur Flucht entschließt, so dass die im Zustand der Fahrunsicherheit erfolgende Weiterfahrt eine rechtlich selbstständige Handlung darstellt.



Zwar bildete das vom Angeklagten alkoholbedingt herbeigeführte Unfallgeschehen hier keinen Unfall im Rechtssinne; hierzu fehlte es am wirtschaftlichen Schaden. Der tiefere Grund der gefestigten Rechtsprechung liegt aber nicht im wirtschaftlichen, sondern im kognitiven und im normativen Bereich: Die Erkenntnis, einen relevanten Fahrfehler begangen zu haben, lässt den Normappell neu wirken und begründet einen neuen Tatentschluss. Dass sich der Täter „nunmehr sowohl im äußeren Geschehen wie in seiner geistig-seelischen Verfassung vor eine neue Lage gestellt" sieht (vgl. BGHSt 21, 203), gilt sowohl für den Unfall im Rechtssinne (mit nicht nur völlig belanglosem Schaden) als auch für jeden Fahrfehler, der dem zunächst fahrlässig Fahrunsicheren nunmehr die Erkenntnis verleiht, infolge des Alkoholkonsums nicht mehr fahren zu können und zu dürfen. So lag der Fall hier, als der angetrunkene Angeklagte einer Kurve nicht folgen konnte und gegen einen auf der Gegenfahrbahn abgeparkten Anhänger stieß. Die Verurteilung wegen zweier tatmehrheitlicher Vergehen nach § 316 Abs. 1 und § 316 Abs. 2 StGB ist daher frei von Rechtsfehlern.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 StPO).

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