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Kammergericht Berlin Beschluss vom 12.03.2020 - 3 Ws (B) 55-56/20, 122 Ss 11/20 - Dauer-OWi und Zäsurwirkung durch Urteil bzw. Rechtskraft des BG-Bescheides

KG Berlin v. 12.03.2020: Dauer-OWi und Zäsurwirkung durch Urteil bzw. Rechtskraft des BG-Bescheides




Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 12.03.2020 - 3 Ws (B) 55-56/20, 122 Ss 11/20) hat entschieden:

  1.  Unterschreibt und begründet ein Betroffener, der zugelassener Rechtsanwalt ist, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, so erfüllt er die Formerfordernisse nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO.

  2.  Die vorschriftwidrige Nichtanmeldung eines Fahrzeuges zur Hauptuntersuchung nach § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO i.V.m. Nr. 2.1 der Anlage VIII ist eine Dauerordnungswidrigkeit.

  3.  Diese Dauerordnungswidrigkeit ist jedenfalls mit der Ahndung der Tat durch ein tatrichterliches Urteil oder durch einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid beendet.

  4.  Die Zäsurwirkung tritt durch die Entscheidung ein, die letztmalig die Schuldfeststellung getroffen hat.

  5.  Unterlässt der Betroffene auch nach einer solchen Entscheidung die vorgeschriebene Handlung, so beginnt eine neue Tat, die wiederum – selbstständig – geahndet werden kann.


Siehe auch
Tateinheit - Tatmehrheit - mehrere Verstöße auf einer Fahrt
und
Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren

Gründe:


Die Bußgeldbehörde der Stadt D. hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 19. März 2019 wegen unterlassener Vorführung seines Kraftfahrzeuges zur fälligen Hauptuntersuchung wobei der Termin um mehr als acht Monate überschritten war (Feststellungsdatum: 13. November 2018), ein Bußgeld von 60 Euro festgesetzt. Dieser Bußgeldbescheid ist nach Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig geworden.

Der Polizeipräsident von B. hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 3. April 2019 wegen desselben Vorwurfes (Feststellungsdatum: 16. Januar 2019) eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt. Zu dem auf den Einspruch festgelegten Hauptverhandlungstermin am 6. November 2019 ist der Betroffene, der zugelassener Rechtsanwalt ist und nicht von seiner Präsenzpflicht entbunden war, trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienen.

Gegen das dem Betroffenen am 14. November 2019 zugestellte Urteil, mit dem das Gericht seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hatte, hat er einen von ihm selbst unterzeichneten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, diesen mit Hinweis auf eine unzulässige Doppelahndung begründet, weil derselbe Vorwurf Gegenstand des der Antragsschrift beigefügten Bußgeldbescheides der Stadt D. vom 18. Januar 2019 gewesen sei.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 27. Dezember 2019 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, weil die Beschwerdeanträge nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet worden seien. Diese Entscheidung wurde dem Betroffenen am 9. Januar 2020 zugestellt. Er hat mit bei Gericht am 16. Januar 2020 eingegangem Schriftsatz einen Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gestellt.

Zur Begründung trägt er vor, dass er als zugelassener Rechtsanwalt die Beschwerdeanträge unterschrieben und damit dem Formerfordernis nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO entsprochen habe.





II.

1. Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zulässig, insbesondere rechtzeitig und begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Dezember 2019 war aufzuheben.

Der Betroffene hat – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – rechtzeitig den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und begründet. Denn das in Abwesenheit des Betroffenen ergangene Urteil vom 6. November 2019 ist ihm ausweislich der Zustellungsurkunde am 14. November 2019 zugestellt worden. Der Betroffene hat mit bei Gericht am 20. November 2019 eingegangenem Schreiben die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Der Umstand, dass er den Antrag selbst begründet und unterschrieben hat, steht den Formerfordernissen nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO nicht entgegen, weil es sich bei dem Betroffenen um einen zugelassenen Rechtsanwalt handelt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 345 Rn. 13).

2. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war zu verwerfen. Die Prüfung deckt keinen die Zulassung der Rechtsbeschwerde gebietenden Rechtsfehler auf.

Die vom Betroffenen allgemein erhobene Sachrüge, mit der er sich gegen das Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, also ein Prozessurteil, wendet, führt lediglich zur Prüfung des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen und des Vorliegens von Verfahrenshindernissen (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rn. 48b m.w.N.) von Amts wegen.


Das vom Betroffenen behauptete Verfahrenshindernis der Doppelahndung nach § 84 Abs. 1 OWiG besteht nicht. Selbst wenn es bestanden hätte, wäre es auch nach § 80 Abs. 5 OWiG für das Rechtsbeschwerdegericht unbeachtlich gewesen. Denn nach § 80 Abs. 5 OWiG findet ein Verfahrenshindernis nur dann Berücksichtigung, wenn es nach Erlass des Urteils eingetreten ist. Dies wäre vorliegend, wie der Verteidiger selbst ausführt, nicht der Fall. Auch besteht im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Verfahrenshindernis keine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die es gebietet, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Dem Betroffenen ist zwar zuzugeben, dass beide Bußgeldbescheide denselben Vorwurf der vorschriftswidrigen Nichtanmeldung seines Fahrzeuges zur Hauptuntersuchung nach § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO i.V.m. Nr. 2.1 der Anlage VIII, § 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO betrafen, dies jedoch nur solange die Verfahren der Bußgeldbehörden in D. und B. gleichzeitig anhängig waren. Dieses Unterlassen der Vorführung seit mehr als acht Monaten stellt eine Dauerordnungswidrigkeit dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Oktober 2012 – 3 SsRs 518/12 –, juris), die jedenfalls mit der Ahndung der Tat durch ein tatrichterliches Urteil oder durch einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid endet. Die Zäsurwirkung tritt durch diejenige Entscheidung ein, die letztmalig die Schuldfeststellung getroffen hat (OLG Dresden, Beschluss vom 4. Juni 1997 – 2 Ss (OWi) 131/97 -, juris). Unterlässt der Betroffene auch danach die vorgeschriebene Handlung, so beginnt eine neue Tat, die wiederum - selbständig - geahndet werden kann (OLG Dresden, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. Januar 1981 – 5 Ss (OWi) 699/80 I –, juris; BayObLG VRS 63, 221; OLG Hamm, 1973-04-27, 5 Ss OWi 19/73, NJW 1973, 1851; OLG Saarbrücken, 1973-04-12, Ss (B) 12/73, VRS 45, 453 (1973); Seitz/Bauer a.a.O., § 84 Rn. 8a).



Nach diesem Maßstab war die erste Tat des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO i.V.m. Nr. 2.1 der Anlage VIII, § 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO - durch Erlass des Bußgeldbescheides der Stadt D. am 19. März 2019 - so die Daten aus der bei den Akten befindlichen Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 7. Februar 2020 - beendet gewesen. Denn die Prüfung des bußgeldbewehrten Tatbestandes wird bei einem Verfahrensabschluss durch einen rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid - wie vorliegend durch den Bußgeldbescheid der Stadt D. vom 19. März 2019 - letztmalig bei dessen Erlass geprüft. Dieser Auffassung steht der vom Betroffenen zu den Akten gereichte Bußgeldbescheid der Stadt D. mit Datum 18. Januar 2019 nicht entgegen, weil dieser Bescheid unter der dort angegebenen Adresse H.-S.-Straße, P. dem Betroffenen laut Auskunft der Stadt D. nicht ordnungsgemäß zugestellt werden konnte. Die Bußgeldbehörde D. hat dem Betroffenen daraufhin einen Bußgeldbescheid mit Datum 19. März 2019 unter seiner aktuellen Anschrift in W. zugestellt, der nach Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig geworden ist. Diese Angaben werden auch durch die bei den Akten befindliche Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 7. Februar 2020 bestätigt.

Da wesentliches Merkmal einer Dauerordnungswidrigkeit die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands ist (OLG Hamm NJW 1973, 1851, 1852), beging der Betroffene seit dem 20. März 2019 eine neue Tat nach § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO i.V.m. Nr. 2.1 der Anlage VIII, § 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO, die Gegenstand des Bußgeldbescheides vom 3. April 2019 geworden ist. Ein für das Amtsgericht zu beachtendes Verfahrenshindernis der Doppelahndung bestand demnach nicht.

Einer weiteren Begründung bedarf der Beschluss nicht (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG).

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