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OLG Hamm Beschluss vom 19.12.2005 - 2 Ws 300/05 - Ein Anspruch auf unfreie Rücksendung der Akten bzw. auf Ersatz seiner Portoauslagen für die Rücksendung besteht nicht

OLG Hamm v. 19.12.2005: Ein Anspruch auf unfreie Rücksendung der Akten bzw. auf Ersatz seiner Portoauslagen für die Rücksendung besteht nicht




Das OLG Hamm (Beschluss vom 19.12.2005 - 2 Ws 300/05) hat entschieden:

   Ein Anspruch auf unfreie Rücksendung der Akten bzw. auf Ersatz seiner Portoauslagen für die Rücksendung sollte dem Kostenschuldner durch die mit dem Kostenänderungsgesetz eingeführte Kostenpauschale nicht zugebilligt werden. Dies wäre auch mit der Gesetzessystematik nicht vereinbar. Das Gerichtskostengesetz regelt, welche Ansprüche der Staat gegenüber dem Rechtssuchenden hat. Jedoch gibt es dem Kostenschuldner keinen Anspruch gegen den Staat.

Siehe auch
Akteneinsicht
und
Verteidigung in Straf- und OWi-Sachen


Aus den Entscheidungsgründen:


"... I. Gegen den Beschuldigten ist das vorliegende Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung anhängig. In diesem wird er von den Beschwerdeführern verteidigt. Diese haben mit Schriftsatz vom 30. März 2005 die Übersendung der Akten zum Zweck der Einsichtnahme in ihre Kanzlei beantragt. Die Akten sind den Beschwerdeführern mit Verfügung vom 20. Mai 2005 übersandt worden. Sie haben sie mit Schriftsatz vom 3. Juni 2005 an die Staatsanwaltschaft Hagen zurückgesandt. Gemäß Zahlungsanzeige der Gerichtskasse I vom 14. Juni 2005 haben die Beschwerdeführer einen Betrag von 10,56 € bei der Gerichtskasse eingezahlt. Dabei handelt es sich um den Betrag der Aktenversendungspauschale der Nr. 9003 KV GKG, den sie um ihnen für die Rücksendung entstandene Portokosten reduziert haben. Nach Anforderung der vollen Pauschale durch die Staatsanwaltschaft teilten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Juni 2005 mit, dass die Staatsanwaltschaft als übersendende Behörde verpflichtet sei, eine Möglichkeit zur für den Rechtsanwalt kostenlosen Rücksendung der Akten zu schaffen. Da dies nicht geschehen sei, habe man die durch die Rücksendung der Akten entstandenen Portokosten von der Aktenversendungspauschale in Abzug gebracht.

Das AG Schwelm hat in seinem Beschluss vom 16. September 2005 der Erinnerung der Beschwerdeführer "nicht abgeholfen" und die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 GKG zugelassen. Nach Einlegung der Beschwerde hat es die Sache an die Beschwerdekammer abgegeben, die im angefochtenen Beschluss die Beschwerde verworfen und die weitere Beschwerde zugelassen hat. Mit der weiteren Beschwerde machen die Beschwerdeführer weiter ihre Rechtsansicht geltend, dass die für die nach Akteneinsicht entstehenden Kosten der Rücksendung einer Akte nicht vom Rechtsanwalt zu tragen, sondern mit der so genannten Aktenversendungspauschale abgegolten ist. Die Staatskasse habe daher für portofreie Rücksendung zu sorgen. Der Vertreter der Staatskasse hat beantragt, die weitere Beschwerde zurückzuweisen.




II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der Vertreter der Staatskasse hat seinen Zurückweisungsantrag wie folgt begründet:

   "In der Begründung der weiteren Beschwerde vom 25.10.2005 (BI. 97 ff. d. A.), in der sie auf ihren Schriftsatz vom 21.06.2005 (BI. 65 d. A.) und auf ihre Beschwerdebegründung vom 05.10.2005 (BI. 79 ff. d. A.) sowie auf die Entscheidung des AG C vom ... Bezug nehmen, tragen die Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass die Entscheidung des Landgerichts Hagen vom 12.10.2005 auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe, nämlich der unrichtigen Anwendung bzw. Interpretation von Nr. 9003 KV zum GKG durch Verkennung der gesetzlichen Merkmale dieser Vorschrift. Die Beschwerdeführer vertreten die Auffassung, dass der Gesetzgeber durch diese Vorschrift zum Ausdruck bringen wollte, dass mit der Pauschale alle Kosten abgedeckt sein sollen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aktenversendung entstehen, egal wo sie entstehen. Gestützt werde diese Interpretation dadurch, dass in der alten Formulierung/Fassung der Nr. 9003 KV GKG genau der Satz "Die Hin- und Rücksendung der Akten gelten zusammen als eine Sendung" fehle. Jetzt sei dort geregelt, dass die Hin- und Rücksendung als eine Sendung gelte. Daraus ergebe sich, dass mit der Pauschale nunmehr auch die Kosten der Rücksendung der Akten abgedeckt sein sollen. Ansonsten wäre auch eine Anhebung der Gebühr von 8,00 auf 12,00 € nicht zu rechtfertigen.


In der neuen Formulierung der Nr. 9003 KV zum GKG werde auf die beantragte Akteneinsicht Bezug genommen. Nur darauf beziehe sich die Wendung, dass Hin- und Rücksendung als eine Sendung zu betrachten seien. Gerade bei beantragter Akteneinsicht sollen dem Antragsteller keine zusätzlichen Kosten entstehen. Hiermit sollte eine Gleichstellung bewirkt werden mit den Fällen, in denen die Akten vor Ort eingesehen oder vor Ort oder über das Gerichtsfach abgeholt werden.

Da für eine kostenfreie Rücksendung seitens der Behörde keine Vorsorge getroffen worden sei, müsste dem Kostenschuldner ein Erstattungsanspruch zugebilligt werden.

Die Argumente überzeugen m. E. nicht.

Der mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 eingeführte und im Zuge der Einführung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes erweiterte Auslagentatbestand der Nr. 9003 KV GKG ermöglicht die pauschale Abgeltung von Aufwendungen, die entstehen, weil Akteneinsicht an einem anderen Ort als der aktenführenden Stelle gewünscht und deshalb eine Aktenversendung notwendig wird.

Die Pauschale ist zunächst nur dann zu erheben, wenn die Aktenversendung auf Antrag erfolgt. Nicht anzusetzen ist die Pauschale dagegen, wenn die Aktenversendung im Wege der Amtshilfe erfolgt, weil dann der Gebührentatbestand "auf Antrag" nicht erfüllt ist, sondern ein Ersuchen vorliegt. Den Schluss, aus dem Antragserfordernis ergebe sich eine Gleichstellung mit den Fällen, in denen die Akteneinsicht bei Gericht erfolgt, kann ich nicht nachvollziehen.

Aus der im Zuge der Einführung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes beigefügten Anmerkung I zu Nr. 9003 KV GKG "Die Hin- und Rücksendung der Akten gelten als eine Sendung" lässt sich meines Erachtens nicht herleiten, dass mit der Versendungspauschale auch die Portokosten des Kostenschuldners, die er für die Rücksendung der Akten aufwenden muss, abgedeckt sein sollen. Mit dieser Anmerkung sollte lediglich klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen die Akten einem auswärtigen Anwalt über sein Gerichtsfach zugeleitet werden. Hin- und Rücksendung der Akten zwischen den beteiligten Gerichten als eine Sendung zu werten sind, so dass die Pauschale pro Versendungsvorgang nur einmal anfällt. Aus der amtlichen Begründung des Gesetzgebers zu Nr. 9003 KV GKG (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 177) ergibt sich meines Erachtens nichts anderes.

Einen Anspruch auf unfreie Rücksendung der Akten bzw. auf Ersatz seiner Portoauslagen für die Rücksendung sollte dem Kostenschuldner in keinem Fall zugebilligt werden. Dies wäre auch mit der Gesetzessystematik nicht vereinbar. Das Gerichtskostengesetz regelt, welche Ansprüche der Staat gegenüber dem Rechtssuchenden hat. Jedoch gibt es dem Kostenschuldner keinen Anspruch gegen den Staat (vgl. AG Leipzig, Beschluss vom 18.05.2005 - 200 Gs Js 172/05, JurBüro 2005, 547; Meyer, GKG, 7. Auflage, Nr. 9003 KV GKG RdNr. 43; LG Bonn, Beschluss vom 15.09.2005 - 22 AR 42/05).

Die Aktenversendungspauschale deckt die mit der Aktenversendung verbundenen Aufwendungen einer besonderen Serviceleistung der Justiz (BT-Drucksache 12/6962 S. 87 zu Nummer 9003) und gerade nicht etwaige zusätzliche Kosten auf Seiten von Prozessbevollmächtigten ab. Wegen der pauschalierten Betrachungsweise kommt es nicht darauf an, in welcher Höhe tatsächlich Kosten durch die Aktenversendung entstehen. Im Einzelfall lässt sich der konkrete Aufwand nur schwer feststellen. Der besondere Aufwand (der Justiz) ist nicht auf Portokosten beschränkt, sondern besteht darin, dass zur Erledigung eines Aktenversendungsgesuchs u. a. die Akte mit einem Übersendungsschreiben zu versehen, eine Retentakte anzulegen und die Aktenrücksendung zu überwachen ist. Demzufolge sollte mit der Erhöhung der Pauschale von 8,00 auf 12,00 € dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die tatsächlich - und zwar im Bereich der Justiz - im Zusammenhang mit der Aktenversendung entstehenden Kosten erheblich gestiegen sind (vgl. amtliche Begründung BT-Drucksache 15/1971, S. 177; AG Leipzig, Beschluss vom 18.05.2005 - 200 Gs Js 172/05. JurBüro 2005, 547; Meyer, GKG, a. a. O., RdNr. 42 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 30.09.2005 - 22 U 185/05).

In diesem Sinne hat sich auch das am Gesetzgebungsverfahren beteiligte Bundesministerium der Justiz im Schreiben vom 21.11.2005 (R B 6 - 5605 - R 3 636/2005) geäußert. Danach ist nunmehr beabsichtigt, eine entsprechende Klarstellung in Nummer 9003 KV GKG, § 137 Abs. 1 Nr. 4 KostO sowie in § 107 Abs. 5 OwiG herbeizuführen. In Absatz 1 der Anmerkung zu Nummer 9003 KV GKG sollen nach dem Wort "Akten" die Wörter "durch Gerichte oder Staatsanwaltschaften" eingefügt werden. In § 137 Abs. 1 Nr. 4 KostO und § 107 Abs. 5 OwiG soll jeweils das Wort "Rücksendung" durch die Wörter "der Rücksendung durch Gerichte" (KostO) bzw. "der Rücksendung durch Behörden" (OWiG) ersetzt werden.

Aus den vorstehenden Erwägungen kann meines Erachtens dem Vorbringen der Beschwerdeführer und der Entscheidung des Amtsgerichts C vom ... (...) nicht gefolgt werden."

Diesen in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an. Die abweichende Auffassung des AG Brandenburg (JurBüro 2005, 316 = AGS 2005, 298 = DAR 2005, 658 mit Anmerkung Henke AnwBl. 2005, 494 und Mock RVG-Berater 2005, 85; ebenso auch AG W, Beschluss vom ...; Onderka RVGprofessionell 2006, 5), auf die sich die Beschwerdeführer stützen, überzeugt aus den vom Vertreter der Staatskasse dargelegten Gründen, die der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung und Literatur entspricht (vgl. die o.a. Zitate; kritisch bzw. ablehnend zudem auch noch Büttner NJW 2005, 3108 mit noch weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung und Volpert VRR 2005, 296; Burhoff in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 185) nicht. Es wird nämlich übersehen, dass die Regelung der Aktenversendungspauschale der Nr. 9300 KV GKG als pauschaler Auslagentatbestand den Aufwand und die Kosten, der bei Gericht durch die Übersendung der Akten entsteht, in pauschalierter Form abdecken soll. Die Auffassung des AG Brandenburg ist, worauf auch schon die Kammer im angefochtenen Beschluss hingewiesen hat, systemwidrig (a.A. Onderka RVGprofessionell 2006, 5, 7). Kosten, die im Zusammenhang mit der Akteneinsicht bei einem Rechtsanwalt entstehen, können nicht durch eine im Gerichtskostengesetz geregelte Aktenversendungspauschale abgedeckt werden (ähnlich AG Leipzig JurBüro 2005, 547). Das Gerichtskostengesetz regelt nur die bei Gericht, nicht aber die bei Rechtsanwälten entstehenden Kosten. Insoweit ist das RVG einschlägig. Die Beschwerdeführer haben auch ohne weiteres die Möglichkeit, die für die Rücksendung entstehenden Kosten geltend zu machen. Insoweit handelt es sich um Auslagen, die nach Nr. 7001 bzw. Nr. 7002 VV RVG vom Auftraggeber zu erstatten sind (so auch AG Leipzig, a.a.O.; Volpert, a.a.O.). Im Fall des Freispruchs haftet die Staatskasse.

Auch der Wortlaut der Nr. 9003 KV GKG zwingt nicht zu einer anderen Auslegung. Aus der Formulierung "Die Hin- und Rücksendung der Akten gelten als eine Sendung" lässt sich - auch bei großzügiger Auslegung - nicht entnehmen, dass mit dieser Regelung die kostenfrei Rücksendung der Akten für den Rechtsanwalt festgeschrieben werden und der Rechtsanwalt berechtigt sein sollte, die ihm ggf. entstehenden Kosten von der gerichtlichen Aktenversendungspauschale abzusetzen.

Die Richtigkeit der überwiegenden - nunmehr auch vom Senat vertretenen - Auffassung beweist zudem folgende Überlegung: Wäre die von den Beschwerdeführern vertretene Auffassung zutreffend, dann hätte die Landeskasse ggf. nicht nur die Portokosten, sondern sämtliche - auch andere Kosten - , die für die Rücksendung der Akten nach Akteneinsicht anfallen, zu übernehmen. Da dem Rechtsanwalt/Verteidiger die Art der Rücksendung der Akten nach erfolgter Akteneinsicht nicht vorgeschrieben werden kann, müsste die Landeskasse ggf. also auch die (höheren) Kosten übernehmen, die z.B. durch die Beförderung durch einen Kurier oder durch den Rechtsanwalt oder einen seiner Mitarbeiter entstehen. Diese wären aber möglicherweise bei weitem nicht mehr durch die gesetzliche Aktenversendungspauschale von 12 € gedeckt.

III. ..."

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