Das Verkehrslexikon

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Der sog. Lückenunfall und die Haftungsverteilung

Der sog. Lückenunfall und die Haftungsverteilung


Siehe auch Lückenunfälle - Überholen einer haltenden Kolonne




Hin und wieder lassen zuvorkommende Kraftfahrer, die Vorfahrt haben, besonders im Kolonnenverkehr, eine Lücke, um einem Wartepflichtigen das Einbiegen bzw. das Überqueren der Vorfahrtstraße zu ermöglichen. Kommt es dann, nachdem der Wartepflichige die ihm gelassene Lücke passiert hat, zu einer Kollision mit einem (z. b. gerade überholenden) anderen Vorfahrtberechtigten, spricht man von einem Lückenunfall.


Zum Verhalten des Vorfahrtberechtigten in einem solchen Fall entsprechend den Anforderungen der Gerichte hat das Kammergericht Berlin (Urteil vom 22.10.2001 - 12 U 2346/00) erläutert:
"Nach dieser Rechtsprechung muss ein Kraftfahrer, der bei dichtem Verkehr eine Kolonne stehender oder langsam fahrender Fahrzeuge links oder rechts überholt, sich unter Umständen auf Querverkehr aus freigelassenen und für ihn erkennbaren größeren Lücken einrichten. Er muss es insbesondere Verkehrsteilnehmern im Querverkehr ermöglichen, aus der freigehaltenen Lücke heraus bis zur Erlangung freier Sicht auf den vor der haltenden Kolonne nicht besetzten Straßenraum herauszufahren, indem er entweder mit ausreichendem Sicherheitsabstand an der Kolonne vorbeifährt oder aber eine so geringe Geschwindigkeit einhält, dass er notfalls vor einem aus der Lücke herausragenden Verkehrsteilnehmer anhalten kann (KG DAR 1976, 296 f.; Senat, Urteil vom 8. Juni 1998 -- 12 U 1878/97; Urteil vom 22. März 2001 -- 12 U 8148/99; Hentschel a. a. O. § 5 StVO Rdnr. 41; § 8 StVO Rdnr. 47 jeweils m. w. N.; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 6. Aufl., Rdnrn. 58 bis 61)."
Die Rechtsprechung geht dabei in der Regel von einer Mithaftung beider Unfallbeteiligter aus (der Vorfahrtberechtigte kann danach - das schwankt je nach Gericht und Richter - etwa 2/3 bis (meistens) 4/5 seines Schadens ersetzt verlangen, der Wartepflichtige kann eine Quote von etwa 1/5 (meistens) bis 1/3 beanspruchen).

Grund für diese Rechtsprechung ist die Überlegung, daß der Vorfahrtberechtigte von vornherein, wenn sich eine Staubildung auch nur in einer von mehreren Fahrspuren abzeichnet, nicht mehr mit "normaler" Geschwindigkeit an etwaige sich bildende Lücken zwischen Fahrzeugen einer sich stauenden Kolonne heranfahren darf, auch wenn seine Fahrspur nach vorn vollkommen frei ist, weil er mit Fahrzeugen des Querverkehrs rechnen muß, die eventuell aus solchen Lücken auftauchen könnten. Daß der Wartepflichtige sich seinerseits durch eine solche Lücke hindurch"tasten" muß und dies im konkreten Fall möglicherweise nicht getan hat, ändert an dieser Haftungsverteilung grundsätzlich nichts. Der Vertrauensgrundsatz wird also in solchen Situationen erheblich eingeschränkt.

Allerdings finden die Grundsätze für eine Mithaftung des Bevorrechtigten nicht ausnahmslos Anwendung. So ist dann regelmäßig keine Quote zu bilden, wenn der Wartepflichtige beim Wenden auf einer durch Mittelstreifen getrennten Straße eine Lücke des Gegenverkehrs ausnutzt, siehe Kammergericht Berlin (Urteil vom 02.07.1981 - 12 U 492/81:
"Der in der Rechtsprechung zu sogenannten Lückenfällen entwickelte Grundsatz, daß sich ein an zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonnen vorbeifahrender Kraftfahrer im Bereich von Straßenkreuzungen oder -einmündungen auf Querverkehr einrichten muß, ist grundsätzlich nicht auf Fälle anzuwenden, in denen ein Kraftfahrer an einem Mittelstreifendurchbruch unter Benutzung einer Lücke auf der entgegengesetzten Richtungsfahrbahn zu wenden versucht."
Auch auf Grundstücksausfahrten findet die Rechtsprechung keine Anwendung, hier trifft den aus der Ausfahrt kommenden Kfz-Führer die volle Haftung auch dann, wenn der Bevorrechtigte trotz Überholverbot eine wartende Kolonne überholt oder dabei sogar eine durchgezogene Mittellinie überfährt, vgl. Kammergericht Berlin (Urteil vom 12.02.1998 - 12 U 5603/96):
  1. Überholverbote bezwecken nicht den Schutz des aus einem Grundstück in die Fahrbahn einfahrenden Verkehrsteilnehmers. Dies gilt auch für die durchgezogene Mittellinie (StVO § 41 Abs 3 Nr 3 Buchst a), die allein dem Schutz des Gegenverkehrs und des Mitverkehrs dient.

  2. Die sogenannte Lückenfall-Rechtsprechung gilt nicht für Grundstücksausfahrten. Der im Geradeausverkehr befindliche, links überholende Verkehrsteilnehmer muss nicht mit Querverkehr aus einer Grundstücksausfahrt rechnen, wenn er an einer wartenden Fahrzeugschlange vorbeifährt, die vor der Grundstücksausfahrt eine Lücke für den Ausfahrenden freigelassen hat. Daran ändert sich auch nichts, wenn es sich um eine Tankstellenausfahrt handelt.



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