Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 26.05.2008 - 2 Ss 114/08 - Beim Police-Pilot-Systems „MAN“ ist bei Geschwindigkeitswerten über 100 km/h ein Toleranzabzug von 5 % erforderlich und ausreichend

KG Berlin v 26.05.2008:zum Toleranzabzug beim Police-Pilot-System MAN


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 26.05.2008 - 2 Ss 114/08) hat entschieden:
Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Hilfe des Police-Pilot-Systems in der Betriebsart „MAN“ ist bei Geschwindigkeitswerten über 100 km/h ein Toleranzabzug von 5 % im Regelfall erforderlich und ausreichend. Das Abweichen von dieser Höhe des Toleranzabzugs zugunsten des Betroffenen ist ausreichend zu begründen.


Siehe auch Das Video-Messsystem ProViDa - Police-Pilot - Modular und Toleranzabzüge bei standardisierten Messverfahren zur Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen


Aus den Entscheidungsgründen:

"Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 2 (zu ergänzen: Nr. 7 - Zeichen 274), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 100,- Euro verurteilt. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG im Hinblick auf das durch das Urteil erfolgte Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots, das wegen der Tat im Bußgeldbescheid verhängt worden war, zulässige Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.

Der Schuldspruch wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung hält rechtlicher Prüfung nicht stand, da dem Urteil nicht ausreichend zu entnehmen ist, dass das Amtsgericht die gefahrene Geschwindigkeit rechtsfehlerfrei ermittelt hat. Zwar handelt es sich bei der vorliegend angewandten Geschwindigkeitsermittlung mittels der Video-Verkehrs-Überwachungsanlage ProVida (auch Police-Pilot-System genannt) um ein allgemein anerkanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHSt 39, 291), bei dem es in der Regel genügt, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit stützt, wobei allerdings diese Angaben als Grundlage einer ausreichenden und nachvollziehbaren Beweiswürdigung erforderlich sind (Senat, Beschlüsse vom 11. Mai 1998 - 3 Ws (B) 209/98 - und 9. November 1998 - 3 Ws (B) 543/98 -; beide bei juris; Thüringer OLG VRS 111, 211 (212)). Wird die Höhe des Toleranzabzuges nicht angegeben, so kann das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen, ob rechtsfehlerhaft zugunsten des Betroffenen ein zu hoher Toleranzabzug berücksichtigt worden ist (vgl. Senat VRS 101, 60). Dementsprechend ist es jedoch auch rechtsfehlerhaft, wenn das Abweichen von der Höhe des regelmäßig vorzunehmenden Toleranzabzugs zugunsten des Betroffenen nicht oder nicht ausreichend begründet wird. So ist es hier.

Bei der Anwendung des Police-Pilot-Systems in der - wie die äußerst knappen Urteilsfeststellungen noch ausreichend erkennen lassen - hier vorliegenden Betriebsart „MAN“ (Messung durch Nachfahren bei variabler Wegstrecke durch eine getrennte Messung von Zeit und Wegstrecke; vgl. dazu Böttger in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rdn. 1143) ist bei Geschwindigkeitsmesswerten oberhalb 100 km/h ein Toleranzabzug von 5 % im Regelfall erforderlich und ausreichend (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Mai 1998 - 3 Ws (B) 209/98 - (juris), 9. November 1998 - 3 Ws (B) 543/98 - (juris), 1. September 1999 - 3 Ws (B) 412/99 - und 17. Mai 2000 - 3 Ws (B) 189/00 - (juris); OLG Celle VRS 92, 435 (436); OLG Köln VRS 97, 442 (444 ff); OLG Düsseldorf VRS 99, 297; OLG Naumburg VRS 100, 201 (202); OLG Thüringen VRS 111, 211 (212f); OLG Braunschweig DAR 1995, 371 (372); Böttger aaO). Das Amtsgericht ist dagegen von einem „üblichen“ zehnprozentigen Sicherheitsabschlag ausgegangen. Weshalb eine Messstrecke von 613 Metern und der Umstand, dass der Beginn der Zeitmessung mit dem Beginn der Wegstreckenmessung zusammenfiel, weil die Messungen unmittelbar nach dem Überholen des Polizeifahrzeugs durch den Wagen des Betroffenen begonnen wurden, einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor darstellen soll, der einen Toleranzabzug von 15 % rechtfertigen könnte, wird im angefochtenen Urteil nicht ausgeführt und ist auch keineswegs ersichtlich, da die Umstände des Messbeginns und das Zusammenfallen des Beginns beider Messungen den Unsicherheitsfaktor sogar herabsetzen und nicht erhöhen können.

Ausgehend von den vom Amtsgericht angenommenen Berechnungsgrundlagen ist außerdem die vom Betroffenen gefahrene Höchstgeschwindigkeit rechnerisch falsch ermittelt, da sich bei einer gemessenen Geschwindigkeit von 123 km/h und einem Toleranzabzug von 15 % ein abzuziehender Wert von 18,45 km/h und somit ein Endwert für die vorgeworfene Geschwindigkeit von 104 und nicht 106 km/h ergibt. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass für die vom Amtsgericht angenommene Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h die Regelbuße gemäß der Tabelle 1 Buchst. c lfd.Nr. 11.3.5 nicht wie vom Amtsgericht angenommen 100,- Euro, sondern 60,- Euro beträgt.

Nach alledem war daher das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. ..."



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