Die Frage, ob jemand sich bei einem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat, betrifft die haftungsbegründende Kausalität, wonach der Nachweis des Haftungsgrundes den strengen Anforderungen des Vollbeweises gemäß § 286 ZPO unterliegt. Danach hat das Gericht nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob dies der Fall war. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ oder eine hohe Wahrscheinlichkeit, die an Gewissheit grenzt, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet.
Ob der Unfall über die Primärverletzung hinaus auch für bestimmte Beschwerden des Verletzten ursächlich ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die sich gemäß § 287 ZPO beurteilt. Bei der Ermittlung dieses Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden unterliegt der Tatrichter nicht den strengen Anforderungen des § 286 ZPO. Vielmehr ist er nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt. Zwar kann der Tatrichter auch eine haftungsausfüllende Kausalität nur feststellen, wenn er von diesem Ursachenzusammenhang überzeugt ist. Im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 287 ZPO werden aber geringere Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt. Hier genügt, je nach Lage des Einzelfalles, eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung.
Gründe:
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Berufung ist zu einem erheblichen Teil begründet. Das Amtsgericht hat die Beweisanforderungen überspannt und gemeint, sich auf der Grundlage der – unter anderem – eingeholten orthopädischen Gerichtsgutachter des Prof. Dr R. und der zahnmedizinischen Gerichtsgutachter des Prof. Dr. S. die erforderliche Überzeugung davon, dass die von der Klägerin behaupteten Verletzungen und Beschwerden Folge des unstreitig durch Alleinverschulden der Beklagten zu 1 verschuldeten Auffahrunfalls am 16.10.2003 in Heidelberg gewesen sind, nicht bilden zu können. Dem vermag die Kammer, nach ergänzender Vernehmung des Ehemannes der Klägerin als Zeugen sowie der Anhörung der Klägerin selbst, nicht zu folgen.
1. Das Amtsgericht hat seiner Entscheidung offensichtlich das Beweismaß des § 286 ZPO zugrunde gelegt.
Die Frage, ob die Klägerin sich bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat, betrifft in der Tat die haftungsbegründende Kausalität, wonach der Nachweis des Haftungsgrundes den strengen Anforderungen des Vollbeweises gemäß § 286 ZPO unterliegt (st. Rspr., vgl. nur BGH VersR 2008, 1126 Tz. 7 m.w.N.). Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert allerdings keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ oder eine – wie das Amtsgericht meint – hohe Wahrscheinlichkeit, die an Gewissheit grenzt, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (st. Rspr., vgl. BGH aaO m.w.N.).
Ob der Unfall über die Primärverletzung hinaus auch für bestimmte Beschwerden der Klägerin ursächlich ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die sich gemäß § 287 ZPO beurteilt. Bei der Ermittlung dieses Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden unterliegt der Tatrichter also nicht den strengen Anforderungen des § 286 ZPO. Vielmehr ist er nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt. Zwar kann der Tatrichter auch eine haftungsausfüllende Kausalität nur feststellen, wenn er von diesem Ursachenzusammenhang überzeugt ist. Im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 287 ZPO werden aber geringere Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt. Hier genügt, je nach Lage des Einzelfalles, eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung (vgl. BGH VersR 2003, 474 Tz. 7 m.w.N.).
2. Dies zugrunde gelegt hält die Kammer den geltend gemachten Anspruch auf ein (weiteres) Schmerzensgeld in Höhe von 3.000.00 Euro für begründet.
a) Dass die Klägerin unfallbedingt eine Halswirbelsäulen-(HWS-)Distorsion und damit eine im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität festzustellende Primärverletzung erlitten hat, hat die Beklagte bereits in der Klagerwiderung eingeräumt. Dementsprechend wurde an die Klägerin vorprozessual auch – für die Zeit ihrer Krankschreibung wegen Arbeitsunfähigkeit bis 10.11.2003 – ein Schmerzensgeld von 1.000.00 Euro bezahlt. Soweit bestritten ist, dass nach dem 10.11.2003 weitere hierauf beruhende Beschwerden bestanden, betrifft dies die haftungsausfüllende Kausalität, deren Feststellung dem erleichterten Beweismaß des § 287 ZPO unterliegt.
Insofern ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Zeugnissen insbesondere des Universitätsklinikums H. (Chirurgie und Neurologie), dass die Klägerin auch noch längere Zeit nach ihrer am 10.11.2003 endenden Arbeitsunfähigkeit hinaus über erhebliche Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule sowie über Kopfschmerzen frontal und im Nacken geklagt hat und deshalb auch mehrmals eine manuelle Therapie erhalten hat. Der vor der Kammer vernommene Zeuge K.H. hat als Ehemann der Klägerin bestätigt, dass nach seiner Erinnerung die Schmerzen über den Krankschreibungszeitraum hinaus andauerten, auch wenn er dies zeitlich nicht mehr genau eingrenzen konnte. Die Klägerin selbst hat die Schmerzen glaubhaft und nachvollziehbar geschildert und aus ihrer Erinnerung angegeben, deswegen bis Sommer 2004 in manueller Therapie gewesen zu sein. Für die Kammer maßgeblich ist insoweit der Bericht der chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums (Prof. Dr. B.) an den Hausarzt D. vom 11.05.2004 (As. I 65). Danach waren im Zeitpunkt der dortigen „Abschlussuntersuchung“ (abgesehen von der eingeschränkten Kieferbeweglichkeit) keine wesentlichen pathologischen Befunde mehr festgestellt worden. Demnach ist anzunehmen und der Entscheidung zugrunde zu legen, dass die Schmerzen der Klägerin im Bereich der Halswirbelsäule und des Kopfes Anfang Mai 2004 abgeklungen waren.
b) Soweit die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld wegen Beschwerden im Bereich des rechten Kiefergelenks beansprucht, die nicht auf der HWS-Distorsion beruhen, betrifft dies zwar zunächst den nach § 286 ZPO zu beurteilenden Haftungsgrund. Die Kammer ist jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt, dass die Klägerin durch den Unfall auch insoweit eine Verletzung erlitten und dadurch erhebliche, bis heute andauernde Beschwerden hat.
Anders als das Amtsgericht sieht sich die Kammer durch die Ergebnisse der eingeholten Gutachten an dieser Überzeugungsbildung nicht gehindert. Zunächst ist festzustellen, dass entgegen dem Vorbringen der Beklagten die Klägerin ausweislich der Berichte der Chirurgie vom 02.02.2004 und vom 16.06.2004 bereits am 20.10.2003 (und nicht, wie zunächst indem früheren Bericht vom 07.01.2004 geschrieben: am 10.11.2003) erstmals „zusätzlich über Schmerzen im rechten Kiefergelenk, insbesondere beim Öffnen des Kiefers, die seit dem Unfalltag neu aufgetreten seien“, geklagt hatte.
Die Veränderungen und Beschwerden sind auch als solche nachvollziehbar und glaubhaft. Am 07.01.2004 wurde in der Klinik für Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten der Universitätsklinik H. die Diagnose „anteriore Diskusverlagerung ohne Reposition mit eingeschränkter Mundöffnung“ gestellt und eine Schienentherapie verordnet (vgl. Klinikbericht Zahnarzt R. an die Beklagte vom 08.02.2004). Im Bericht der Poliklinik für zahnärztliche Prothetik vom 12.01.2005 (As. I 69 ff) wird die anteriore Diskusverlagerung sogar als dauernd verbleibende Schädigung beschrieben, wenn auch die „Adaption des umgebenden Gewebes“ die „Wiederherstellung der Funktion“ ermögliche. Der Bericht führt in der Anamnese auch auf, dass die Klägerin seit dem Unfall in der rechten Gesichtshälfte, insbesondere im Kiefergelenksbereich, Schmerzen habe und das rechte Gelenk zusätzlich bei Bewegung Knackgeräusche verursache. Bei der Untersuchung wird zudem beschrieben, dass die aktive, maximale Mundöffnung lediglich 30 mm betrage, die maximale Öffnung 39 mm. Die unzureichende Mundöffnung haben sowohl die Klägerin bei ihrer informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung als auch ihr Ehemann als noch heute verbliebene Problematik eindrücklich und glaubhaft beschrieben. Sie könne deshalb beispielsweise ein belegtes Brötchen nicht unzerkleinert essen oder einen Apfel oder ein vergleichbares Stück Obst nicht abbeißen.
Die Kammer bezweifelt auch nicht, dass die Beschwerden durch den Unfall am 16.10.2003 verursacht worden sind. Nach sämtlichen – insbesondere den zahnmedizinischen – Berichten und Gutachten sind die Veränderungen und Beschwerden als Unfallfolgen nachvollziehbar und glaubhaft. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Gerichtsgutachter Prof. Dr. S.. Im Gutachten vom 12.09.2007 wird auf Seite 2 (As. I 373) mit Recht darauf verwiesen, dass frühere Verletzungen am rechten Kiefergelenk oder sonstige Vorschäden in diesem Bereich nicht bekannt bzw. nicht dokumentiert sind. Der Hauszahnarzt Dr. H. bestätigt im Attest vom 14.02.2005 (As. I 387) ausdrücklich, dass „Kiefergelenksbeschwerden und Myoarthropathien vor der Zeit des Unfalls“ nicht diagnostiziert worden seien. Bei dieser Sachlage liegt der Unfallzusammenhang auf der Hand. Des in dem Gerichtsgutachten des Prof. Dr. S. auf Seite 4 (As. 377) angesprochenen „definitiven objektiven Beweis(es)“ im Sinne eines medizinisch-naturwissenschaftlichen Veränderungsnachweises gegenüber der Situation vor dem Unfall bedarf es, wie oben dargelegt, für die richterliche Gewissheit nicht. Andernfalls wäre für eine unfallgeschädigte Person in vielen Fällen der erforderliche Nachweis des Unfallzusammenhanges praktisch nicht führbar. Als durchaus kennzeichnend für die sonst drohende „Überspannung“ der Beweisanforderungen darf insoweit die Aussage auf der letzten Seite im Bericht der Poliklinik vom 12.01.2005 (77) angesehen werden, wo es heißt: „Ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Unfall kann, ohne dass vor dem Unfall eine Untersuchung durchgeführt wurde, nicht zweifelsfrei angenommen werden“.
c) Insgesamt hält die Kammer angesichts der Verletzungsfolgen und Beschwerden im Bereich des rechten Kiefergelenks, insbesondere der anterioren Diskusverlagerung ohne Reposition mit der nach wie vor bestehenden Folge einer eingeschränkten Mundöffnung, sowie wegen der noch nach dem 10.11.2003 bis Anfang Mai 2004 fortbestehenden Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und des Kopfes, ein weiteres Schmerzensgeld von 3.000.- Euro für angemessen.
3. Die von der Klägerin begehrte Feststellung, ihr sämtlichen weitergehenden künftigen auf das Unfallereignis am 16.10.2003 zurückgehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, ist ebenfalls zu treffen. Nach den ärztlichen Stellungnahmen, etwa im Bericht der Poliklinik vom 12.01.2005 (77), kann das Risiko einer arthrotischen Veränderung als Folge der anterioren Diskusverlagerung nicht ausgeschlossen werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.