Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 13.10.2009 - VI ZR 318/08 - Zur Maßgeblichkeit des SV-Gutachtens für die Restwerthöhe und zur Schadensminderungspflicht

BGH v. 13.10.2009: Zur Maßgeblichkeit des SV-Gutachtens für die Restwerthöhe und zur Schadensminderungspflicht


Der BGH (Urteil vom 13.10.2009 - VI ZR 318/08) hat entschieden:
  1. Im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens kann der Geschädigte, der ein Sachverständigengutachten einholt, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, und im Vertrauen auf den darin genannten Restwert und die sich daraus ergebende Schadensersatzleistung des Unfallgegners sein Fahrzeug reparieren lässt und weiternutzt, seiner Schadensabrechnung grundsätzlich diesen Restwertbetrag zugrunde legen.

  2. Der vom Geschädigten mit der Schadensschätzung zum Zwecke der Schadensregulierung beauftragte Sachverständige hat als geeignete Schätzgrundlage für den Restwert im Regelfall drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt zu ermitteln und diese in seinem Gutachten konkret zu benennen.


Siehe auch Der Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs bei Totalschaden und Totalschaden


Tatbestand:

Der Kläger macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 11. Juli 2007 geltend, für dessen Folgen die Beklagte als Haftpflichtversicherer dem Grunde nach unstreitig in vollem Umfang einzustehen hat. Der vom Kläger mit der Begutachtung des Schadens beauftragte Sachverständige ermittelte für dessen Fahrzeug, einen Mercedes Benz A 170, einen Brutto-Wiederbeschaffungswert von 5.000 €, Brutto-Reparaturkosten in Höhe von 7.912,87 € sowie einen Restwert von 1.000 €, zu dem es im Gutachten vom 17. Juli 2007 heißt: „Restwert: Angebot liegt vor Euro 1.000,00“ und „Der ausgewiesene Restwert basiert auf Angeboten von Interessenten“. Der Kläger hat sein Fahrzeug reparieren lassen und nutzt es weiter. Die Beklagte verwies den Kläger mit Schreiben vom 2. August 2007 auf ein Restwertangebot eines spezialisierten Restwertaufkäufers in Frankfurt in Höhe von 4.210 € und zahlte dem Kläger lediglich einen Betrag von insgesamt 790 €.

2 Der Kläger hat einen Schaden in Höhe von 4.026 € (5.000 € Wiederbeschaffungswert abzüglich 1.000 € Restwert zuzüglich 26 € Auslagenpauschale) abzüglich gezahlter 790 € eingeklagt sowie Nutzungsausfall in Höhe von 686 € (14 Tage á 49 €) und vorprozessuale Anwaltskosten auf der Basis einer 1,8 Gebühr in Höhe von 747,80 €.

Das Amtsgericht hat die Beklagte – unter Klageabweisung im Übrigen -zur Zahlung von (4.026 € abzüglich 790 € =) 3,236 € als Schadensersatz wegen des Fahrzeugschadens (einschließlich Auslagenpauschale) sowie von 546,68 € vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Gegen das erstinstanzliche Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, und zwar die Beklagte, soweit sie zur Zahlung eines über 1.736 € Schadensersatz (unter Zugrundelegung eines Restwerts von 2.500 €) und 116,18 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hinausgehenden Betrages verurteilt worden ist und der Kläger, soweit das Amtsgericht seine Klage auf Nutzungsausfall in Höhe von 686 € nebst Zinsen abgewiesen hat.

Das Landgericht hat den Restwert auf 2.000 € geschätzt und das erstinstanzliche Urteil unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und dahingehend neu gefasst, dass die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt wird, an den Kläger 2.757 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 116,18 € zu zahlen. Es hat die Revision zugelassen, da höchstrichterlich noch nicht entschieden sei, ob sich der Restwert im Totalschadensfall bei einer Weiternutzung des Fahrzeuges ausnahmslos auf der Grundlage eines vom Geschädigten eingeholten Sachverständigengutachtens bestimme, oder ob er jedenfalls dann, wenn seine Höhe vom Schädiger angezweifelt und nachvollziehbar dargelegt werde, im Wege richterlicher Schätzung, ggf. nach sachverständiger Beratung bestimmt werden könne. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, soweit das Berufungsgericht hinsichtlich des Restwerts das erstinstanzliche Urteil zu seinem Nachteil abgeändert hat.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht meint, jedenfalls dann, wenn von Seiten des Gerichts nicht beurteilt werden könne, auf welcher Grundlage der vom Kläger beauftragte Sachverständige den Restwert bestimmt habe, könne dieser nicht allein maßgeblich für die Schadensberechnung sein. In diesem Fall könne und müsse das Gericht ggf. unter sachverständiger Beratung nach § 287 ZPO die Höhe des Restwertes schätzen. Bei der Bestimmung des Restwertes müsse sich der Kläger zwar nicht auf das Angebot des in Frankfurt ansässigen spezialisierten Restwertaufkäufers in Höhe von 4.210 € verweisen lassen, weil dieses außerhalb des dem Kläger zugänglichen allgemeinen regionalen Marktes abgegeben worden sei und die Beklagte den Kläger, der Herr des Restitutionsverfahrens sei, durch die Unterbreitung eines solchen Angebotes nicht zum Verkauf des Fahrzeugs zwingen könne. Die Beklagte habe jedoch den Nachweis erbracht, dass auf dem relevanten regionalen Markt ein höherer Restwert als der vom Kläger veranschlagte Betrag von 1.000 € zu realisieren gewesen sei. Der vom Amtsgericht beauftragte gerichtliche Sachverständige habe Angebote von Autohäusern im regionalen Bereich eingeholt, die sich im Bereich zwischen 1.000 €, 2.500 € und 2.560 € bewegt hätten. Dabei sei dem Kläger jedenfalls eine nahe liegende telefonische Anfrage bei der Mercedes-Benz Niederlassung in der Stadt S. zumutbar gewesen, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu einem Angebot von 2.500 € geführt hätte. Mit Blick auf die deutlichen Preisunterschiede bei örtlichen Markenfachhändlern sei der Restwert deshalb auf 2.000 € zu schätzen.


II.

6 Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BGHZ 171, 287, 290 f. und Senatsurteil vom 10. Juli 2007 – VI ZR 217/06 – VersR 2007, 1243, 1244) ausgegangen, wonach sich der Geschädigte, der im Totalschadensfall sein unfallbeschädigtes Fahrzeug – ggf. nach einer (Teil-)Reparatur – weiter nutzt, bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel den in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelten Restwert in Abzug bringen lassen muss. Diesen Wert hat es im Rahmen der vom Gerichtssachverständigen ermittelten drei Angebote auf einen Zwischenwert von 2.000 € geschätzt. 2. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 92, 84, 86 f.; 102, 322, 330; 161, 151, 154; Urteil vom 9. Dezember 2008 – VI ZR 173/07 – VersR 2009, 408, 409 und vom 9. Juni 2009 – VI ZR 110/08 – VersR 2009, 1092, 1093). Dies ist hier – entgegen der Auffassung der Revision – nicht der Fall.

a) Im Veräußerungsfall genügt der Geschädigte im Allgemeinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und seiner Darlegungs- und Beweislast und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, 189, 193; 163, 362, 366; 171, 287, 290 f.; vom 21. Januar 1992 – VI ZR 142/91 – VersR 1992, 457; vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92 – VersR 1993, 769; vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – VersR 2005, 381; vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/04 – VersR 2005, 1448 und vom 10. Juli 2007 – VI ZR 217/06 – aaO). Dem Geschädigten verbleibt im Rahmen der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB regelmäßig nur dann ein Risiko, wenn er den Restwert ohne hinreichende Absicherung durch ein eigenes Gutachten realisiert und der Erlös sich später im Prozess als zu niedrig erweist. Will er dieses Risiko vermeiden, muss er sich vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs mit dem Haftpflichtversicherer abstimmen oder aber ein eigenes Gutachten mit einer korrekten Wertermittlung einholen, auf dessen Grundlage er die Schadensberechnung vornehmen kann (vgl. Senatsurteile vom 21. Januar 1992 – VI ZR 142/91 – VersR 1992, 457; vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92 – aaO und vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/04 – aaO).

b) Entsprechendes hat zwar zu gelten, wenn der Geschädigte nach der Einholung eines Sachverständigengutachtens, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, im Vertrauen auf den darin genannten Restwert und die sich daraus ergebende Schadensersatzleistung des Unfallgegners sein unfallbeschädigtes Fahrzeug repariert hat und weiternutzt. Im Streitfall hat das Berufungsgericht jedoch ohne Rechtsfehler das vom Kläger vorgelegte Sachverständigengutachten nicht als geeignete Schätzungsgrundlage angesehen, weil eine korrekte Wertermittlung darin nicht hinreichend zum Ausdruck kommt.

Beauftragt der Geschädigte – wie im Streitfall – einen Gutachter mit der Schadensschätzung zum Zwecke der Schadensregulierung, hat der Sachverständige das Gutachten unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung zum Schadensersatz bei Kfz-Unfällen zu erstellen (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08 – VersR 2009, 413, 414). Die Bemerkungen „Restwert: Angebot liegt vor Euro 1 000,00“ und „Der ausgewiesene Restwert basiert auf Angeboten von Interessenten“ lassen weder erkennen, wie viele Angebote der Sachverständige eingeholt hat, noch von wem diese stammen. Letzteres ist auch für den Geschädigten von Bedeutung, weil nur dann ersichtlich ist, ob der Sachverständige die Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt ermittelt hat. Dabei hat der Sachverständige als ausreichende Schätzgrundlage entsprechend der Empfehlung des 40. Deutschen Verkehrsgerichtstags im Regelfall drei Angebote einzuholen (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08 – VersR 2009, 413, 415).

3. Da das vom Kläger eingeholte Sachverständigengutachten diesen Anforderungen nicht genügt, war das Berufungsgericht von Rechts wegen nicht gehindert, auf der Grundlage des gerichtlichen Sachverständigengutachtens, den auf dem regionalen Markt erzielbaren Restwert nach § 287 ZPO auf 2 000 € zu schätzen.