Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 14.12.1979 - I ZR 29/78 - Wettbewerbsverstoß durch Ansprechen am Unfallort (Werbung am Unfallort III)

BGH v. 14.12.1979: Wettbewerbsverstoß durch Ansprechen am Unfallort (Werbung am Unfallort III)


Der BGH (Urteil vom 14.12.1979 - I ZR 29/78) hat entschieden:
Es verstößt gegen gute Wettbewerbssitten, wenn ein Abschleppunternehmer am Unfallort Unfallbeteiligte von sich aus mit dem Ziel anspricht, sie zum Abschluss eines Abschleppvertrages zu bewegen (Werbung am Unfallort III).


Siehe auch Unfallhelfer und Abschleppkosten


Tatbestand:

Beide Parteien stehen als Abschleppunternehmen miteinander im Wettbewerb. Der Beklagte vermietet darüber hinaus in beschränktem Umfange Kraftfahrzeuge. Mit ihrer in erster Linie auf § 1 UWG gestützten Unterlassungsklage will die Klägerin dem Beklagten das Ansprechen von Unfallbeteiligten an der Unfallstelle zum Zwecke des Abschlusses eines Abschleppvertrages verbieten lassen.

Ausgangspunkt des Streites der Parteien ist ein Verkehrsunfall, den die Zeugin K. am 22. November 1976 an einer Straßenkreuzung in H. erlitten hatte. Nachdem der Unfall polizeilich aufgenommen worden war, rief die Zeugin von einer in der Nähe der Unfallstelle gelegenen Telefonzelle die Klägerin an, um ihr einen Abschleppauftrag zu erteilen. Dies war ihr von ihrer Vertragswerkstätte geraten worden, zu der der Wagen abgeschleppt werden sollte. Als die Zeugin am Telefon dabei war, dem Angestellten S. der Klägerin zu schildern, wo sich der Unfall zugetragen hatte, wurde sie durch den Zeugen St., den Sohn des Beklagten, unterbrochen. Der Zeuge bot ihr seinerseits an, ihren Wagen abzuschleppen. In welcher Weise dieses Angebot erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig. Das Ergebnis war jedoch, dass der Wagen der Zeugin K. von dem des Beklagten abgeschleppt worden ist. Ein dahingehender Abschleppauftrag wurde von der Zeugin im Abschleppwagen unterzeichnet.

Die Klägerin hat vorgetragen, der Zeuge St. habe sich in das Telefongespräch der Zeugin K. mit dem Zeugen S. eingemischt und erklärt, dass er "schon da" sei. Daraufhin habe die Zeugin K. in der Meinung, dieser junge Mann komme von dem Unternehmen der Klägerin, ihm den Telefonhörer gegeben und ihn gebeten, mit dem Zeugen S. selbst zu sprechen. Er habe daraufhin den Telefonhörer genommen und gesagt: "Das geht in Ordnung, das machen wir". Einer Beantwortung der Fragen des Zeugen S., wie er dazu komme, sich in die Verhandlungen einzumischen und wie er heiße, habe er sich mit der Bemerkung entzogen, dass das den Zeugen nichts angehe und habe den Telefonhörer aufgelegt. Bis zum Schluss sei die Zeugin K. unter dem Eindruck verblieben, dass ihr Fahrzeug von dem Unternehmen der Klägerin abgeschleppt werde. Ein solches Verhalten, so hat die Klägerin vorgetragen, sei wettbewerbswidrig.

Die Klägerin hat zuletzt, soweit für das Revisionsverfahren noch erheblich, beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,

  1. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen,

    1. an Unfallstellen Unfallgeschädigte anzusprechen oder ansprechen zu lassen, um sie zum Abschluss eines Abschleppvertrages zu veranlassen,

      hilfsweise,

      dem Beklagten zu verbieten, an Unfallstellen Unfallgeschädigte unaufgefordert anzusprechen oder ansprechen zu lassen, um sie zum Anschluss eines Abschleppvertrages zu veranlassen,

    2. ...

    3. ...


  2. der Klägerin Auskunft zu erteilen, seit wann und in welchem Umfang der Beklagte - wie in dem Antrag zu Ziff 1 beschrieben - gehandelt hat,

  3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus der unter Ziff 1 beschriebenen Handlungsweise durch den Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten:

Der Unterlassungsantrag sei schon aus Rechtsgründen nicht gerechtfertigt, weil es einem Abschleppunternehmen nicht untersagt werden könne, an einer Unfallstelle einen Unfallgeschädigten anzusprechen. Ein großer Teil von Abschleppaufträgen komme gerade dadurch zustande, dass die Abschleppunternehmen am Unfallort ihre Hilfe anböten. Kein Abschleppunternehmen könne auf ein solches geschäftliches Vorgehen verzichten. Damit werde zugleich den Interessen der Unfallgeschädigten gedient. Im vorliegenden Falle hätten die Zeugen B. und U. St., die Angestellten des Beklagten, den Vorgang am Unfallort gesehen, als sie dort zufällig vorbeigekommen seien. Sie hätten geglaubt, der Unfallgeschädigten helfen zu können. Damit hätten sie im mutmaßlichen Interesse der Geschädigten, aber auch im allgemeinen Verkehrsinteresse gehandelt.

Die Kontaktaufnahme zwischen der Zeugin K. und dem Zeugen St. habe sich wesentlich anders abgespielt, als die Klägerin dies darstelle. Der Zeuge habe nicht gewusst, als er die Zeugin angesprochen habe, und auch nicht wissen können, dass diese gerade mit einem anderen Abschleppunternehmer telefonierte. Er habe lediglich gefragt, ob die Zeugin mit ihrem Fahrzeug abgeschleppt werden wolle. Keineswegs habe er gesagt, dass er schon da sei oder auf eine andere Weise den Eindruck erweckt, er komme von dem Unternehmen der Klägerin. Der Zeuge habe auch auf Bitten der Zeugin den Telefonhörer genommen und dem ihm unbekannten Gesprächspartner gesagt, dass diese Sache in Ordnung sei. Zu einem weiteren Wortwechsel sei es nicht gekommen. Die Zeugin habe deshalb vernünftigerweise nicht der Auffassung sein können, dass die Zeugen St. Angestellte der Klägerin seien.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß (auch bezüglich der nicht mehr streitigen Anträge zu 1b und c) verurteilt. Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht der Klage nur zu Ziff 1a, und zwar in der Fassung des Hilfsantrages sowie insoweit auch zu Ziffer 2 und 3 des Klageantrages stattgegeben. Im übrigen hat es das Landgerichtsurteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Beklagten, mit der dieser seinen Antrag auf völlige Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.


Entscheidungsgründe:

I.

Gegenstand des Unterlassungsantrages, so führt das Berufungsgericht aus, sei nur das "Ansprechen" und das "Ansprechenlassen" von Unfallgeschädigten an Unfallstellen. Der Antrag beziehe sich also ausschließlich auf die verbale Einflussnahme auf die Entscheidung des Unfallopfers. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits sei damit ein Anbieten der Leistung eines Abschleppunternehmers in der Weise, dass diese sich bereitstelle für den Fall, dass ein Unfallbeteiligter aus eigenem Entschluss seine Dienste wünschen sollte. Insoweit sei ein Verbot allerdings nicht zu rechtfertigen, da bei einer solchen Fallgestaltung der Gesichtspunkt der Belästigung und der Überrumpelung nicht durchdringe. Damit scheide die von der Berufung besonders hervorgehobene Möglichkeit, dass ein in hilfloser Lage befindlicher Verkehrsteilnehmer ohne Hilfe bleiben könnte, von vornherein aus dem Kreis der Betrachtung aus. Es genüge, wenn der Abschleppunternehmer sich - etwa durch das Vorfahren seines Abschleppwagens - an der Unfallstelle bemerkbar mache und dann abwarte, ob das Unfallopfer von sich aus in Verhandlungen mit ihm eintrete. Bei dieser Ausgangslage erfordere weder das Interesse des Unfallbeteiligten noch das allgemeine Verkehrsinteresse gerade das Ansprechen eines Unfallbeteiligten und damit die Eröffnung vielfältiger Einwirkungsmöglichkeiten auf seine Entscheidung.


II.

Die dagegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg.

1. Sie hält es zu Unrecht für rechtsfehlerhaft, einem Abschleppunternehmen ganz allgemein das unaufgeforderte Ansprechen von Unfallgeschädigten am Unfallort, um einen Abschleppauftrag zu erlangen, zu verbieten. Ihr Hinweis, eine Vielfalt von Fallgestaltungen, in denen das Ansprechen eines Unfallgeschädigten möglich und zulässig sein müsse, besonders wenn ein in hilfloser Lage befindlicher Verkehrsteilnehmer sonst ohne Hilfe bleiben müsse, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Es ist zwar richtig, dass die Umstände, unter denen bei Unfällen, und nur darauf bezieht sich das hier ausgesprochene Verbot, Abschleppdienste benötigt und angeboten werden, sehr unterschiedlich sein können. Unter dem hier allein maßgeblichen Gesichtspunkt der guten Sitten im Wettbewerb (§ 1 UWG) gilt aber in der Rechtsprechung schon lange der Grundsatz, dass auch sonst, unabhängig von der besonderen Situation eines Unfalls, das Ansprechen von Unbeteiligten auf der Straße zum Zwecke der Werbung mit dem Ziel von Geschäftsabschlüssen generell wettbewerbswidrig ist (vgl zB BGH GRUR 1965, 315, 316 - Werbewagen). Es ist dann nur folgerichtig, dass ein generelles Verbot des Ansprechens eines Unfallbeteiligten zum Zwecke von Geschäftsabschlüssen erst recht erforderlich ist. Denn dieser befindet sich regelmäßig in einer seine Handlungsfähigkeit beeinträchtigenden Verfassung, bedarf also noch eher des Schutzes vor Belästigung und Übervorteilung als ein Straßenpassant.

Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof es in seinen Urteilen vom 22. November 1974 für wettbewerbswidrig befunden, Verkehrsunfallbeteiligte am Unfallort mit dem Ziel anzusprechen, sie zum Abschluss eines Reparaturauftrages bzw eines Auto-Mietvertrages zu veranlassen (GRUR 1975, 264, 266 - Werbung am Unfallort I und II). Die Frage, ob auch das unaufgeforderte Anbieten von Abschleppdiensten an der Unfallstelle als unlauter zu verbieten sei, ist in diesen Entscheidungen ausdrücklich offen gelassen worden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht jedoch insoweit keine entscheidend andere Lage. Zwar kann hinsichtlich des Abschleppens, anders als in den Fällen, die Gegenstand der erwähnten Urteile waren, bereits am Unfallort ein aktuelles Bedürfnis zum Vertragsschluss entstehen. Andererseits erwächst aber auch in diesen Fällen die Gefahr, dass die Unfallbeteiligten bereits kurze Zeit nach dem Unfall und noch unter dem Unfallschock stehend einer belästigenden massierten Werbung von Abschleppunternehmen oder deren "Schleppern" gegenüberstehen, die sie bei der Frage, ob sie ihr Fahrzeug überhaupt abschleppen sollen, ob dies durch ein gewerbliches Unternehmen erfolgen solle und gegebenenfalls welches Unternehmen die günstigsten Bedingungen biete, der Gefahr der Überrumpelung aussetzt. Dass dieser Gefahr, wie das Berufungsgericht ausführt, nur mit einem generellen Verbot des unaufgeforderten Ansprechens von Unfallbeteiligten zum Zwecke der Erlangung von Abschleppaufträgen zu begegnen sei, kann aus Rechtsgründen nicht in Abrede gestellt werden. Auch wenn berücksichtigt wird, dass in einer Anzahl von Fällen ein solches Ansprechen nicht als Belästigung empfunden werden wird, so ist doch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit lästigen und wettbewerbswidrigen Vorgehens in solchen Fällen so überwiegend, der Missbrauch und die Umgehungsmöglichkeiten so naheliegend, dass zum Schutze der Allgemeinheit und der beteiligten Mitbewerber eine auf den Einzelfall abstellende Beurteilung nicht ausreichen würde, Wettbewerbsauswüchsen wirksam entgegenzutreten. Insoweit ist auch erheblich, dass sich angesichts der Vielfalt denkbarer Situationen klar abgrenzbare, dem Gebot der Rechtssicherheit entsprechende Fallgruppen nicht bilden lassen, auch nicht von einer längeren lediglich fallbezogenen Rechtsprechung erwartet werden könnten. Danach aber bleibt angesichts der offen zutage legenden Missbrauchsmöglichkeiten keine andere Entscheidung, als die für ein generelles Verbot, um den Zwecken des § 1 UWG gerecht zu werden.

Der Auffassung der Revision, bei einem generellen Verbot des Ansprechens werde die Gefahr begründet, dass hilflosen Unfallopfern nicht beigestanden werden könne, kann demgegenüber nicht beigetreten werden. Das Verbot erfasst nicht den Fall, dass ein Unfallbeteiligter hilflos in dem Sinne ist, dass er überhaupt keine eigene rechtsgeschäftliche Entscheidung mehr treffen kann, wie etwa regelmäßig ein Schwerverletzter. In einem solchen Falle gelten vielmehr die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Dass für die vom Tenor dieses Urteils erfassten Fälle, wie das Berufungsgericht ausführt, andere Formen des Angebots von Abschleppdiensten als die des unaufgeforderten mündlichen Ansprechens ausreichen, um den Bedürfnissen des Unfallbeteiligten zu genügen, kann nicht als rechtsfehlerhaft angesehen werden. Unter wettbewerblichen Gesichtspunkten der Abschleppunternehmer untereinander mag allerdings fraglich sein, ob solche Angebotsformen stets ausreichen können, um dem Gesichtspunkt gleicher Chancen im Wettbewerb zu entsprechen. Die Lösung dieser wettbewerblichen Fragen kann aber entgegen der Ansicht der Revision nicht dadurch erfolgen, dass jedem Abschleppunternehmer erlaubt wird, von sich aus die Beteiligten anzusprechen. Vielmehr muss unter dem Gesichtspunkt der guten Sitten im Wettbewerb dem Schutzbedürfnis der Unfallopfer der Vorrang vor den wettbewerblichen Bedürfnissen der Abschleppunternehmen eingeräumt werden.

Unbegründet ist schließlich die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe außer acht gelassen, dass es Reisegewerbekarten gebe, die den Inhaber im Geltungsbereich der Gewerbeordnung befugen, "das Anbieten der gewerblichen Leistungen, Abschleppdienst und Pannenhilfe" auszuüben. Diese Erlaubnis, von der im übrigen nicht festgestellt ist, dass der Beklagte sie besitzt, befreit ihren Inhaber nicht von der Beachtung des hier zugrunde gelegten § 1 UWG.

Auch die übrigen von der Revision geltend gemachten Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, jedoch nicht für durchgreifend befunden. Von einer Begründung wird insoweit gemäß § 565a ZPO abgesehen.

Die Revision war danach mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.



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