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BGH Urteil vom 29.04.2010 - 3 StR 63/10 - Zu den Anforderungen an die Belehrung über die Aussagefreiheit bei polizeilichen Vernehmungen eines Beschuldigten

BGH v. 29.04.2010: Zu den Anforderungen an die Belehrung über die Aussagefreiheit bei polizeilichen Vernehmungen eines Beschuldigten


Der BGH (Urteil vom 29.04.2010 - 3 StR 63/10) hat entschieden:
Durch die Belehrung über seine Aussagefreiheit soll gegenüber dem Beschuldigten eindeutig klargestellt werden, dass es ihm freisteht, nicht auszusagen, obwohl ihn ein Richter, Staatsanwalt oder Polizeibeamter in amtlicher Eigenschaft befragt. Das Belehrungsgebot will sicherstellen, dass der Beschuldigte vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht bewahrt wird, zu der er möglicherweise gerade durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden könnte. Für den Regelfall empfiehlt es sich zwar, die Belehrung in den Worten des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu erteilen. Zwingend ist dies indes nicht. Es stellt vielmehr nicht ohne Weiteres einen Verfahrensfehler dar, wenn die Worte des Gesetzes nicht benutzt werden. Maßgebend ist, dass die Belehrung dem Beschuldigten Klarheit über seine Aussagefreiheit verschafft und eine diesbezügliche etwaige Fehlvorstellung ausschließt.


Siehe auch Zeugen und Zeugnisverweigerung


Aus den Entscheidungsgründen:

I.

Die Revision dringt mit der - entgegen der Auffassung der Verteidigung unter Wahrung der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen in zulässiger Weise erhobenen - Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO durch; denn das Landgericht hat einen Beweisantrag der Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft zurückgewiesen.

1. Der Beanstandung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft hat die Vernehmung mehrerer Polizeibeamten zum Beweis für den Inhalt der Einlassung des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung am 6. Juli 2008 beantragt. Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Beweiserhebung sei "aus rechtlichen Gründen ohne Bedeutung". Es bestehe ein Beweisverwertungsverbot, weil der Angeklagte über seine Aussagefreiheit fehlerhaft belehrt worden sei. Der als Zeuge gehörte Vernehmungsbeamte S. habe bestätigt, den Angeklagten den Angaben in dem Vernehmungsprotokoll entsprechend wie folgt belehrt zu haben: "Wie auch schon vor dem Vorgespräch, belehre ich dich hier noch einmal formell. Ich teile dir mit, dass du hier des Mordes an der A. , begangen am 23.08.1987, beschuldigt wirst. Ich weise dich darauf hin, dass du hier als Beschuldigter vor der Polizei keine Angaben machen brauchst und jederzeit einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung deiner Interessen beauftragen kannst." Diese Belehrung lege den Schluss nahe, dass der Beschuldigte zwar vor der Polizei keine Angaben machen müsse, vor einer anderen Stelle, wie der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht aber doch. Die Strafkammer vermöge nicht auszuschließen, dass der Entschluss des Beschuldigten, bei der Polizei Angaben zu machen, von der Erwägung beeinflusst gewesen sei, dass er letztlich eben doch Angaben machen müsse.

2. Rechtsfehlerhaft ist bereits die Annahme des Landgerichts, ein Beweisverwertungsverbot führe dazu, dass die begehrte Beweiserhebung aus rechtlichen Gründen ohne Bedeutung und deshalb der Ablehnungsgrund nach § 244 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. StPO gegeben sei. Eine Tatsache ist aus Rechtsgründen zunächst dann ohne Bedeutung, wenn sie weder allein noch in Verbindung mit weiteren Tatsachen geeignet ist, unmittelbar ein Tatbestandsmerkmal des dem Angeklagten vorgeworfenen Delikts auszufüllen oder für den Rechtsfolgenausspruch direkt Relevanz zu gewinnen (Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 142), oder darüber hinaus eine Verurteilung schon aus anderen - bereits erwiesenen - Gründen nicht möglich ist, etwa wegen Vorliegens von Prozesshindernissen, Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründen (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 244 Rdn. 55). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Ein Beweisverwertungsverbot führt vielmehr zur Unzulässigkeit der beantragten Beweiserhebung und damit zu dem zwingenden Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO.

3. Die von der Staatsanwaltschaft begehrte Beweiserhebung war hier nicht unzulässig; denn ein Beweisverwertungsverbot bestand nicht. Zwar begründet eine unterbliebene Beschuldigtenbelehrung grundsätzlich ein Verwertungsverbot für Äußerungen, die der Beschuldigte in der ohne Belehrung durchgeführten Vernehmung gemacht hat (BGHSt 38, 214, 218 ff.); auch fehlerhafte Belehrungen können je nach Gestaltung des Einzelfalls dazu führen, dass die Einlassung unverwertbar ist. Jedoch wurde der Angeklagte hier vor seiner polizeilichen Aussage ordnungsgemäß über seine Aussagefreiheit belehrt.

a) Die Anforderungen an die der Polizei bei der Vernehmung des Beschuldigten nach § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO obliegende Belehrung über seine Aussagefreiheit entsprechen denjenigen an eine richterlichen Vernehmung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Deshalb gilt:

Durch die Belehrung über seine Aussagefreiheit soll gegenüber dem Beschuldigten eindeutig klargestellt werden, dass es ihm freisteht, nicht auszusagen, obwohl ihn ein Richter, Staatsanwalt oder Polizeibeamter in amtlicher Eigenschaft befragt. Das Belehrungsgebot will sicherstellen, dass der Beschuldigte vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht bewahrt wird, zu der er möglicherweise gerade durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden könnte (BGHSt 42, 139, 147). Für den Regelfall empfiehlt es sich zwar, die Belehrung in den Worten des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu erteilen. Zwingend ist dies indes nicht. Es stellt vielmehr nicht ohne Weiteres einen Verfahrensfehler dar, wenn die Worte des Gesetzes nicht benutzt werden. Maßgebend ist, dass die Belehrung dem Beschuldigten Klarheit über seine Aussagefreiheit verschafft und eine diesbezügliche etwaige Fehlvorstellung ausschließt (BGH NJW 1966, 1718, 1719 zur Belehrung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO aF; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 136 Rdn. 8; Rogall in SK-StPO § 136 Rdn. 33).

b) Diesen Anforderungen ist hier Genüge getan. Die Auslegung der von dem Polizeibeamten verwendeten Belehrungsformel ergibt, dass Unklarheiten darüber, dass es dem Angeklagten freistand, in der anschließenden polizeilichen Vernehmung Angaben zu machen oder dies zu unterlassen, nicht auftreten konnten. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig; dem entgegen stehende Umstände sind nicht ersichtlich. Für die Annahme des Landgerichts, wegen der - über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden - Wendung "hier als Beschuldigter vor der Polizei" sei die Möglichkeit nicht auszuschließen, der Angeklagte habe dies dahin missverstehen können, in einer späteren Vernehmung durch einen Staatsanwalt oder Richter doch zur Aussage verpflichtet zu sein und aus diesem Grund bereits bei der Polizei Angaben gemacht, bestehen auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Der Wortlaut der Belehrung trägt diese Schlussfolgerung nicht. Weitere tatsächliche Umstände, die auf einen derartigen Gehalt der erteilten Belehrung hindeuten könnten, werden von der Strafkammer nicht aufgezeigt; sie sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen erweist sich die Erwägung der Strafkammer als reine Spekulation. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Angeklagte in einer Art und Weise belehrt worden ist, die bei ihm einen Zweifel oder ein Missverständnis über Bedeutung und Umfang seiner Aussagefreiheit nicht aufkommen ließ.

4. Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler (§ 337 StPO). Ausweislich des in dem Beweisantrag angeführten Protokolls hat der Angeklagte in der Vernehmung vom 6. Juli 2008 unter anderem auf die Fragen, ob er A. getötet habe, geantwortet "Nein. Ich kann es mir nicht vorstellen." und "Ich kann mir das nicht vorstellen und ich glaube es auch nicht." Auf die Frage, ob er sicher sei, nach dem Genuss von Alkohol und LSD noch Herr seiner Sinne gewesen zu sein, hat der Angeklagte angegeben "Keine Ahnung." Die Frage, ob es sein könne, dass er das Opfer ermordet habe und sich wegen des Drogenkonsums jetzt nicht daran erinnere, hat er unter anderem wie folgt beantwortet "Es könnte sein, ich kann es nicht ausschließen, es passt nicht in meine zeitliche Reihenfolge." Danach ist es nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht sich davon überzeugt hätte, der Angeklagte habe das Opfer getötet, wenn sich diese Angaben in der Beweisaufnahme bestätigt hätten und die Strafkammer sie in ihre Beweiswürdigung einbezogen hätte. ...