Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss vom 07.10.2008 - 4 StR 272/08 - Zur Annahme von drogenbedingter Fahruntüchtigkeit nach Drogenkonsum auf Grund eines positiven Wirkstoffspiegels

BGH v. 07.10.2008: Zur Annahme von drogenbedingter Fahruntüchtigkeit nach Drogenkonsum auf Grund eines positiven Wirkstoffspiegels


Der BGH (Beschluss vom 07.10.2008 - 4 StR 272/08) hat entschieden:
Anders als beim Alkoholkonsum eines Kraftfahrers ist eine Fahruntüchtigkeit nach Genuss von Drogen allein auf Grund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft (noch) nicht zu begründen. Das gilt auch dann, wenn zwar ein Fahrfehler festgestellt wird, jedoch offen bleiben muss, ob dieser auf dem Drogenkonsum beruht oder aus anderen Gründen passiert ist (Flucht vor der Polizei).


Siehe auch Rauschfahrt - drogenbedingte Fahruntüchtigkeit und Drogen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht


Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln [Fall II 7 der Urteilsgründe], wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 11 Fällen, wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, davon in einem Fall [Fall II 5 der Urteilsgründe] in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Außerdem hat es Einziehungsanordnungen getroffen, den erweiterten Verfall eines Betrages von 27.406,94 Euro angeordnet, eine Sperrfrist für die Erteilung der Fahrerlaubnis von vier Jahren festgesetzt und zwei Bußgeldbescheide aufgehoben.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und hinsichtlich der Fälle 8-17 der Urteilsgründe das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung beanstandet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Zu der Rüge der Verletzung des § 261 StPO bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift:

Das Landgericht hat die im Urteil verwerteten Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung zum Aufenthalt des Angeklagten am Abend des 20. Oktober 2006 in zulässiger Weise durch Verlesen der von dem Inhalt der Tonträger hergestellten Niederschriften in die Hauptverhandlung eingeführt (vgl. BGHSt 27, 135 f.; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 100a Rdn. 30 m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Revision enthalten diese Niederschriften keine Wahrnehmungen der mit der Auswertung und Fertigung der Niederschriften befassten Kriminalbeamtin. Sie geben vielmehr nur das wieder, was zwischen dem Angeklagten und seinem jeweiligen Gesprächspartner gesagt wurde. Dass in diesen Niederschriften die Gespräche nicht immer in wörtlicher Rede wiedergegeben sind, steht einer Verlesung nicht entgegen (vgl. dazu Nack in KK 6. Aufl. § 100a Rdn. 51 m.w.N.); denn hier kommt es nicht auf den genauen Wortlaut der Gespräche an, sondern auf die Tatsache, dass der Angeklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt von seiner Wohnung aus Telefonate geführt hat.

2. Im Fall II 7 der Urteilsgründe ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts ab, da sich der Angeklagte - wovon das Landgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung im Übrigen auch ausgegangen ist (UA 29) - bezüglich der zum Eigenverbrauch bestimmten Betäubungsmittel des unerlaubten Besitzes und nicht des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig gemacht hat.

3. Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II 5 der Urteilsgründe auch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1 StGB, verurteilt hat, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nach den Feststellungen befuhr der - insoweit geständige - Angeklagte am 14. September 2006 gegen 18.45 Uhr verschiedene Straßen in Neustadt/Orla, ohne im Besitz der dazu erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Bei dem Versuch, sich einer Kontrolle durch Polizeibeamte zu entziehen, verlor er beim Linksabbiegen die Kontrolle über sein Fahrzeug und fuhr geradeaus gegen den Zaun und die Gartenlaube des Geschädigten K. Dadurch wurde ein Sachschaden in Höhe von etwa 4.000 Euro verursacht, außerdem wurde die Beifahrerin des Angeklagten gefährdet. Die Auswertung der dem Angeklagten am Tattag um 20.45 Uhr entnommenen Blutprobe ergab Betäubungsmittelkonzentrationen von 3 ng/ml Tetrahydrocannabinol, 1,5 ng/ml 11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol, 19 ng/ml Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure, weniger als 25 ng/ml Amfetamin sowie 52 ng/ml Metamfetamin.

Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen tateinheitlich mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis begangener vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nicht, denn sie belegen nicht, dass der Angeklagte infolge des Genusses berauschender Mittel nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen. Zwar sind im Blut des Angeklagten verschiedene Drogenwirkstoffe nachgewiesen worden, dies rechtfertigt für sich allein aber noch nicht die Annahme seiner Fahruntüchtigkeit. Anders als beim Alkoholkonsum eines Kraftfahrers ist eine Fahruntüchtigkeit nach Genuss von Drogen allein auf Grund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft (noch) nicht zu begründen (vgl. BGHSt 44, 219, 221; vgl. auch Fischer StGB 56. Aufl. § 315 c Rdn. 4 c, § 316 Rdn. 39 f. m.w.N.). Zudem ergibt das angefochtene Urteil noch nicht einmal, ob die festgestellten Werte im Sinne einer konkreten Dosis-Konzentrations-Wirkungsbeziehung überhaupt als "hoch" anzusehen sind. Dies hätte wegen der erheblichen Wirkungsunterschiede von Drogen jedenfalls näherer Darlegung bedurft, zumal das - insoweit sachverständig beratene - Landgericht von uneingeschränkter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat ausgegangen ist (UA 30).

Schließlich kann auch aus der Tatsache, dass der Angeklagte beim Linksabbiegen einen Unfall verursachte, kein sicherer Schluss auf eine durch Drogenkonsum bedingte Fahruntüchtigkeit gezogen werden. Der Angeklagte befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht vor der Polizei; sein Fahrfehler kann daher ebenso auf unangepasster, überhöhter Geschwindigkeit beruhen (vgl. hierzu BGHR StGB § 315 c Abs. 1 Nr. 1 Ursächlichkeit 1; § 316 Abs. 1 Fahruntüchtigkeit, alkoholbedingte 4).

Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 353 Rdn. 12 m.w.N.).

4. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II 5 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe und der Maßregelanordnung.



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