Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Jena Beschluss vom 22.08.2011 - 1 Ss Rs 68/11 - Zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät ProViDa 2000

OLG Jena v. 22.08.2011: Zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät ProViDa 2000


Das OLG Jena (Beschluss vom 22.08.2011 - 1 Ss Rs 68/11) hat entschieden:
Im Falle einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit Hilfe eines standardisierten Messverfahrens – hier mittels der grundsätzlich verschiedene Einsatzarten zulassenden Videoverkehrsüberwachungsanlage ProViDa 2000 – festgestellt worden ist, muss sich dem Bußgeldurteil vor allem entnehmen lassen, mit welcher Messmethode – z.B. Messung aus stehendem Polizeifahrzeug, Messung aus fahrendem Polizeifahrzeug durch Nachfahren oder Vorwegfahren mit gleichbleibendem Abstand, Weg-Zeit-Messung – die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung ermittelt worden ist, zumal nur diese Angabe die Beurteilung erlaubt, ob der vom Tatrichter vorgenommene und ebenfalls im Urteil mitzuteilende Toleranzabzug angemessen ist


Siehe auch Das Video-Messsystem ProViDa - Police-Pilot - Modular und Toleranzabzüge bei standardisierten Messverfahren zur Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen


Gründe:

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Altenburg vom 14.02.2011 wurde der Betroffene wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 40 km/h zu einer Geldbuße von 120,- € verurteilt. Mit am 21.02.2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers hat der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils am 30.03.2011 hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers die Zulassungsrechtsbeschwerde am 28.04.2011 mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf dem Gebiet des materiellen Rechts zugelassen.


II.

Im Falle einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit Hilfe eines standardisierten Messverfahrens – hier mittels der grundsätzlich verschiedene Einsatzarten zulassenden Videoverkehrsüberwachungsanlage ProViDa 2000 – festgestellt worden ist, muss sich dem Bußgeldurteil vor allem entnehmen lassen, mit welcher Messmethode – z.B. Messung aus stehendem Polizeifahrzeug, Messung aus fahrendem Polizeifahrzeug durch Nachfahren oder Vorwegfahren mit gleichbleibendem Abstand, Weg-Zeit-Messung – die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung ermittelt worden ist, zumal nur diese Angabe die Beurteilung erlaubt, ob der vom Tatrichter vorgenommene und ebenfalls im Urteil mitzuteilende Toleranzabzug angemessen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 08.05.2006, 1 Ss 60/06, bei juris; Göhler-Seitz, OWiG, 15. Aufl., § 71 Rn. 43f m.w.N.). Dieser, nach ständiger Senatsrechtsprechung einzuhaltenden Mindestanforderung wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Urteilsangaben lassen nämlich nicht erkennen, in welcher Weise die Videoüberwachungsanlage ProViDa 2000 im vorliegenden Fall zum Einsatz gekommen ist. Allenfalls kann anhand des im Urteil enthaltenen Hinweises auf die Ausstattung des Messfahrzeugs mit Sommerreifen vermutet werden, dass die vom Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit aus einem fahrenden und nicht aus einem stehenden Polizeifahrzeug gemessen worden ist, wobei jedoch unklar bleibt, ob dies durch Nach- oder Vorwegfahren mit wechselndem oder konstantem Abstand geschehen ist. Entgegen der Auffassung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft wird dieser sachliche Urteilsmangel nicht dadurch behoben, dass das eingeholte Sachverständigengutachten, welches die verwendete Messmethode beschreibt, in den Urteilsgründen in Bezug genommen worden ist. Denn Bezugnahmen sind nur im Rahmen des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Abbildungen zulässig. Pauschale Bezugnahmen auf den im Urteil nicht wiedergegebenen Inhalt in der Akte befindlicher Urkunden können dagegen das Fehlen wesentlicher Urteilsangaben nicht kompensieren (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 71 Rn. 42). Schon dieser Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Altenburg.