Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Karlsruhe Urteil vom 08.03.1994 - 3 U 45/93 - Zum Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten nach Mandatsniederlegung

OLG Karlsruhe v. 08.03.1994: Zum Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten für die Revisionsinstanz nach Mandatsniederlegung wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels


Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 08.03.1994 - 3 U 45/93) hat entschieden:
Der Rechtsanwalt verliert durch die Mandatsniederlegung nicht seinen Anspruch auf Zahlung der bereits angefallenen Gebühren, auch wenn der Mandant einen anderen Anwalt einschaltet, so dass er letztlich die Prozessgebühr zweimal entrichten muss. Denn die von dem zunächst beauftragten Anwalt durchgeführte Tätigkeit ist auch danach für den Mandanten noch von "Interesse" im Sinne des BGB § 628 Abs 1 S 2. Die Prozesshandlung der Revisionseinlegung wirkte nämlich fort und hätte von dem später eingeschalteten Verfahrensbevollmächtigten auch nicht mehr (fristgerecht) nachgeholt werden können.


Siehe auch Ersatz von Anwaltskosten und Anwaltskosten


Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Zwischen den Parteien bestand ein Anwaltsvertrag, der rechtlich einzuordnen ist als entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag, dem ein Dienstvertrag zugrunde liegt (BGH NJW 1965, 106; MünchKomm/Seiler, BGB, 2. Aufl. § 675 Rdnr. 6). Der Anspruch des Beklagten auf eine Prozessgebühr in der geforderten Höhe war nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 11 Abs. 1 Satz 5, 26 BRAGO entstanden. Gebührenrechtlich ist die vorzeitige Beendigung des Auftrags nach § 13 Abs. 4 BRAGO ohne Einfluss auf bereits entstandene Gebühren. Die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung kann allerdings die Vorschriften des BGB über die Rechtsfolgen der Kündigung eines Dienstvertrages nicht ausschließen (BGH NJW 1982, 437; BGH NJW 1985, 41; Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 11. Aufl., § 13 Rdnr. 60). Die von einem Anwalt übernommene Tätigkeit stellt, da sie auf einem besonderen Vertrauensverhältnis beruht, eine Dienstleistung höherer Art i.S. des § 627 Abs. 1 BGB dar (BGH NJW 1985, 41; OLG Düsseldorf BB 1987, 2187; Palandt/Putzo, BGB, 53. Aufl. § 627 Rdnr. 2). Bei einem solchen Vertragsverhältnis ist eine Kündigung für beide Vertragsparteien ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist jederzeit möglich (§ 627 Abs. 1 BGB). Das Recht auf außerordentliche Kündigung ist im vorliegenden Fall nicht vertraglich abbedungen. Auch wenn der vertragliche Ausschluss nicht notwendig ausdrücklich vereinbart werden muss, so muss er sich doch eindeutig aus den getroffenen Abreden ergeben (OLG Düsseldorf BB 1987, 2187). Derartige Abreden wurden hier nicht getroffen. Nach der Kündigung des Beklagten richten sich die Rechtsbeziehungen der Parteien daher nach den §§ 627, 628 BGB.

Ein Schadensersatzanspruch nach diesen Vorschriften steht dem Kläger nicht zu. Zwar musste er zur Durchführung des Revisionsverfahrens einen anderen Anwalt beauftragen, an den er erneut eine Prozessgebühr zu leisten hatte. Für diesen Schaden hat der Beklagte jedoch nicht einzustehen. Die Voraussetzungen für eine Ersatzpflicht nach § 627 Abs. 2 Satz 2 BGB liegen nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Kündigung nicht zur Unzeit ausgesprochen. Der Beklagte hat zwar das Mandat während des Laufs der Revisionsbegründungsfrist niedergelegt, durch die beantragte (und gewährte) Fristverlängerung aber gleichzeitig dafür Sorge getragen, dass der Kläger noch rechtzeitig einen anderen Anwalt beauftragen und dieser die erforderlichen Maßnahmen fristgerecht einleiten konnte. Dass die gutachtliche Prüfung der Erfolgsaussichten durch den Beklagten nicht unmittelbar nach Einlegung des Rechtsmittels erfolgt ist, beruhte nicht auf dessen Verschulden. Anhaltspunkte dafür, dass der Nachfolger des Beklagten als Revisionsanwalt wegen der kurzfristigen Beauftragung nicht vollständig und umfassend informiert werden konnte, oder dass sich der Zeitdruck in anderer Weise auf die Qualität der Revisionsbegründung ausgewirkt hat, sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht vorgetragen.

2. Dem Beklagten fällt auch keine schuldhafte Verletzung vertraglich übernommener Pflichten zur Last, die zu einer Haftung wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages führen könnte. Art und Umfang der einen Rechtsanwalt treffenden Pflichten werden durch den Inhalt des konkreten Auftrags festgelegt.

a) Dabei ist davon auszugehen, dass der Anwalt während eines bestehenden Mandats grundsätzlich an Weisungen des Mandanten gebunden ist (BGH VersR 1961, 467, 468). Dies folgt schon daraus, dass für den Anwaltsvertrag gemäß § 675 BGB die Vorschrift des § 665 BGB Anwendung findet (BGH NJW 1985, 42, 43; OLG Karlsruhe AnwBl 1979, 64; Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht Rdnr. 192). Dem Mandanten, der allein das Erfolgs- und Kostenrisiko trägt, muss die Möglichkeit gegeben sein, den wesentlichen Gang der Mandatserledigung zu steuern. Der Prozessbevollmächtigte hat daher vor Maßnahmen von wesentlicher finanzieller Bedeutung oder mit unwiderruflichem und endgültigem Charakter eine konkrete Anweisung des Mandanten oder zumindest dessen ausdrückliches Einverständnis einzuholen. Zu diesen Maßnahmen zählt auch die Rücknahme von Rechtsmitteln (BGH VersR 1961, 467). Der Beklagte ist insoweit jedoch seiner Verpflichtung nachgekommen. Er hat dem Kläger nicht nur seine Absicht, die Revision zurückzunehmen, rechtzeitig mitgeteilt, sondern auch die Gründe für diesen Schritt in dem Schreiben vom 03.10.1988 ausführlich - und wie der Ausgang des Revisionsverfahrens gezeigt hat - zutreffend erläutert. Der Senat lässt offen, ob der Beklagte der vom Kläger erteilten Weisung, die Revision nicht zurückzunehmen, unbedingt hätte Folge leisten müssen. Zwar ist anerkannt, dass der Rechtsanwalt den Weisungen des Mandanten nicht "blindlings" folgen muss (BGH VersR 1977, 421, 422; BGH NJW 1985, 42, 43; Vollkommer, a.a.O. Rdnr. 194). Dies bedeutet zunächst jedoch nur, dass den Anwalt bei Bedenken gegen die Ausführung einer Weisung gesteigerte Hinweis- und Warnpflichten treffen. Ausnahmen von der Pflicht, Weisungen zu befolgen, werden überwiegend nur dann zugelassen, wenn das angewiesene Tätigwerden rechtswidrig, unlauter, völlig unsinnig oder querulatorisch wäre. Dagegen sollen ungünstige Aussichten der Rechtsverfolgung keinen Grund geben, von Weisungen abzuweichen, die der Mandant nach Belehrung über die Risiken des Prozesses ausdrücklich aufrechterhält (Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 2. Aufl. S. 124). Der Umstand, dass es sich bei dem Beklagten um einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt handelt, begründet für sich genommen hinsichtlich der Weisungsunterworfenheit keine Besonderheit. Eine "zentrale Verpflichtung", den Bundesgerichtshof vor aussichtslosen Rechtsmitteln zu bewahren, ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten aus der hervorgehobenen Stellung dieser Anwälte nicht (vgl. auch BGH VersR 1961, 467, 470).

b) Es kann einem Anwalt indes nicht als Pflichtverletzung angelastet werden, wenn er angesichts einer solchen Weisung das Mandat niederlegt (LG Hamburg AnwBl 1985, 261; Vollkommer, a.a.O. Rdnr. 198). Ist der Prozessbevollmächtigte nach gründlicher Prüfung der Sach- und Rechtslage von der Aussichtslosigkeit eines Rechtsmittels überzeugt, bringt ihn das Beharren des Mandanten auf Durchführung des Verfahrens in einen unauflösbaren Konflikt. Auf der einen Seite steht die vertragliche Verpflichtung, den Anweisungen des Mandanten nachzukommen, auf der anderen Seite muss der Rechtsanwalt sowohl auf seine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege (vgl. §§ 1, 3 Abs. 1 BRAO) als auch auf sein berufliches Ansehen Rücksicht nehmen. Um die Weisung zu erfüllen, hätte der Beklagte im vorliegenden Fall die Revision mit Erwägungen begründen müssen, die verfahrensrechtlich unerheblich waren oder materiell-rechtlich erkennbar nicht durchgegriffen hätten. Dies ist weder mit seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege vereinbar noch im Hinblick auf sein Renommee ihm zumutbar. Schließlich ist das unvernünftige Hinwegsetzen über den fundierten Rat des Anwalts geeignet, die Vertrauensbasis des Mandatsverhältnisses nachhaltig zu erschüttern.

3. Die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs hat allerdings nicht notwendig zur Folge, dass der die Kündigung aussprechende Anwalt seinen Honoraranspruch behält. Das Landgericht ist nicht auf die Vorschrift des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB eingegangen, wonach der Vergütungsanspruch entfällt, wenn der Dienstverpflichtete ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein (1. Alt.), gekündigt hat und seine bisherigen Leistungen für den anderen Teil "kein Interesse" haben. Ein diese Rechtsfolge ausschließendes vertragswidriges Verhalten des Klägers (2. Alt.) liegt nicht vor. Das Beharren auf der Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens, mag es auch wegen der Aussichtslosigkeit unvernünftig gewesen sein, kann nicht als vertragswidrig bezeichnet werden (Pabst MDR 1978, 449, 451). Ein Wegfall des Vergütungsanspruchs tritt jedoch im vorliegenden Fall deshalb nicht ein, weil die bisherigen Leistungen des Beklagten für den Kläger nicht ohne Interesse sind. Fortfall des Interesses wird regelmäßig angenommen, wenn der Dienstberechtigte die empfangene Leistung wirtschaftlich nicht mehr verwerten kann, sie also für ihn nutzlos geworden ist (BGH NJW 1982, 437; BGB-RGRK-Corts, 12. Aufl., § 628 Rdnr. 14). In Rechtsprechung und Literatur wird als Beispiel hierfür gerade der Fall genannt, dass nach Kündigung eines Mandats für den Mandanten bei der Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts dieselben Gebühren noch einmal entstehen (BGH NJW 1982, 437; BGH NJW 1985, 41; HansOLG JurBüro 1981, 1515; BGB-RGRK-Corts, § 628 Rdnr. 14; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 6. Aufl., § 13 Rdnr. 49). Denn dann seien die Aufwendungen für den zuerst bestellten Prozessbevollmächtigten für den Auftraggeber nutzlos geworden. Nach Auffassung des Senats bedarf diese Fallgestaltung jedoch differenzierter Betrachtung. Zunächst ist festzuhalten, dass § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht darauf abstellt, ob die Aufwendungen des Auftraggebers nutzlos sind, entscheidend ist vielmehr ob die erbrachte Leistung des Beauftragten für den anderen Teil "Interesse" hat. Die Frage, ob die bis zur Mandatsniederlegung erbrachte Leistung des Beklagten für den Kläger noch von Interesse ist, kann nicht allein nach wirtschaftlichen Kriterien entschieden werden. Zwar wird bei nutzlosen, weil noch einmal zu erbringenden Aufwendungen häufig auch die Leistung für den Auftraggeber wertlos sein. Zwingend ist dies jedoch nicht. Die Tätigkeit des Beklagten, die den Gebührenanspruch ausgelöst hat, bestand in der Einlegung der Revision. Diese Prozesshandlung wirkte fort und hätte von dem später eingeschalteten Prozessbevollmächtigten wegen Fristablaufs auch nicht nachgeholt werden können. Insoweit behielt die Tätigkeit des Beklagten auch nach der Kündigung ihren "Nutzen". Dass der Kläger die Prozessgebühr gleichwohl noch einmal entrichten musste, hängt mit den Besonderheiten des anwaltlichen Gebührenrechts zusammen, das Gebühren nicht für Einzeltätigkeiten, sondern pauschal für eine Vielzahl möglicher Tätigkeiten, die in einzelnen typisierten Tätigkeitsgruppen zusammengefasst sind, gewährt. So vergütet die hier im Streit stehende Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO die anwaltliche Tätigkeit in dem Zeitraum zwischen Mandatserteilung und Erledigung. Sie fällt somit zwangsläufig bei einem Anwaltswechsel erneut an, ohne dass dadurch jedoch die bisherige Tätigkeit des ausscheidenden Anwalts ihren Wert verliert. Der Beklagte hatte bis zu seiner Mandatsniederlegung das Revisionsverfahren in gewissem Umfang gefördert und diese Leistung verliert nicht dadurch das Interesse für den Kläger, dass er für die weitere Tätigkeit des neuen Anwalts teilweise dieselben Gebühren bezahlen muss (so auch OLG Naumburg JW 1935, 1801). Bei der Prüfung, ob die bis zum Ausscheiden erbrachten Leistungen des Beklagten "nutzlos" geworden sind, ist ferner zu berücksichtigen, dass der Kläger eine begründete gutachtliche Stellungnahme über die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels erhalten hat (Soergel/Kraft, BGB, 11. Aufl., § 628 Rdnr. 4; Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 628 Rdnr. 8). Diese Tätigkeit des Beklagten hat ihren Wert behalten; sie hätte für den Kläger Grundlage für die Prüfung, ob er einen weiteren beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt einschalten soll, sein können. Als Rechtsmittelführer hatte er es in der Hand, das Revisionsverfahren zu beenden oder mit einem neuen Prozessbevollmächtigten fortzusetzen. Wenn er sich gegen den - wie der weitere Verlauf zeigte - fundierten, sinnvollen Rat des Beklagten zur Fortsetzung des Verfahrens entschlossen hat, beruhte dies auf einer neuen eigenständigen Entscheidung. Ein Wegfall des Interesses i.S. des § 627 Abs. 1 Satz 2 BGB tritt dadurch nicht ein.

4. Da der Beklagte auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zur Rückzahlung des Honorars verpflichtet ist, ist die Berufung zurückzuweisen. ..."