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BGH Beschluss vom 29.11.2011 - XI ZB 16/11 - Zur Anrechnung der Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts des Zedenten auf die Verfahrensgebühr des Abtretungsgläubigers

BGH v. 29.11.2011: Zur Anrechnung der Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts des Zedenten auf die Verfahrensgebühr des Abtretungsgläubigers


Der BGH (Beschluss vom 29.11.2011 - XI ZB 16/11) hat entschieden:
Klagt der Zessionar aus abgetretenem Recht einen durch seinen Prozessbevollmächtigten namens des Zedenten vorgerichtlich geltend gemachten Anspruch ein, so ist die außergerichtlich angefallene Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV auf die im Klageverfahren anfallende Verfahrensgebühr anzurechnen.


Siehe auch Geschäftsgebühr und Anwaltskosten


Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Verfahren der Kostenfestsetzung darum, ob bei der Berechnung der von der Beklagten der Klägerin zu erstattenden Kosten die geltend gemachte Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) in voller Höhe anzusetzen ist, oder ob auf diese Gebühr bei der Kostenfestsetzung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG die für die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten angefallene Geschäftsgebühr teilweise anzurechnen ist.

Der instanzgerichtliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin (im Folgenden: Klägervertreter) wandte sich mit Schreiben vom 3. Mai 2007 an die Beklagte und machte im Namen der Zedentin Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung geltend. Hierfür stellte er der Zedentin mit der über 3.085,19 € lautenden Gebührenrechnung vom 10. August 2007 eine 1,9-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG in Rechnung. Nachdem das im Namen der Zedentin an die Beklagte gerichtete Schreiben erfolglos geblieben war, trat die Zedentin ihre Ansprüche an die Klägerin ab, die die Beklagte aus abgetretenem Recht mit der Klage in Anspruch nahm. Gegenstand der Klage waren unter anderem die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten von 3.085,19 €. Mit Urteil des Landgerichts Essen vom 4. März 2009 (Nr. 5 des Urteilstenors) wurde die Beklagte insoweit antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung führte das Landgericht unter Bezugnahme auf die als Anlage K .. zur Akte gereichte Gebührenrechnung des Klägervertreters vom 10. August 2007 aus, die Klägerin habe einen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren, da der Ansatz einer 1,9-fachen Gebühr angesichts der Komplexität der Materie nicht von vornherein unbillig erscheine. Das Oberlandesgericht Hamm hat das landgerichtliche Urteil mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil vom 2. November 2009 (31 U 53/09) in diesem Punkt bestätigt (Nr. 6 des Urteilstenors) und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.085,19 € zu. Die Kosten des Rechtsstreits hat es in vollem Umfang der Beklagten auferlegt.

Das Landgericht hat im Kostenfestsetzungsverfahren die Erstattungsfähigkeit der vom Klägervertreter geltend gemachten vollen Verfahrensgebühr abgelehnt und mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2010 eine Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatz von 0,65 auf die Verfahrensgebühr angerechnet. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Klägervertreter habe unstreitig wegen seiner außergerichtlichen Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG verdient. Diese sei jedenfalls in dem vom Landgericht vorgenommenen Umfang gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV zum RVG auf die vom Klägervertreter zur Erstattung angemeldete Verfahrensgebühr anzurechnen, weil diese wegen desselben Gegenstands entstanden sei. Der Gegenstand werde durch den Auftrag des Auftraggebers bestimmt; dabei sei die Frage, ob ein Gegenstand vorliege oder zwei Gegenstände anzunehmen seien, anhand einer wirtschaftlichen Betrachtung zu beantworten. Dies führe - wenn sich wie im Streitfall ergebe, dass es um denselben Anspruch und dasselbe Recht gehe - bei einem Auftrag der Zedentin zur außergerichtlichen Tätigkeit und einem weiteren Auftrag der Zessionarin zur gerichtlichen Tätigkeit nicht dazu, dass von zwei Gegenständen auszugehen sei; auch in diesem Fall betreffe die Tätigkeit vielmehr denselben Gegenstand. Dies entspreche auch Sinn und Zweck der Anrechnung, mit der der Arbeitsersparnis des Rechtsanwalts Rechnung getragen werden solle. Die Anrechnung sei im Verhältnis zur Beklagten gemäß § 15a Abs. 2 RVG zu berücksichtigen, da die Geschäftsgebühr durch das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. November 2009 tituliert worden sei. Die Verurteilung beziehe sich ausweislich des Berufungsurteils und der Klagebegründung unzweifelhaft auf die infolge der vorgerichtlichen Tätigkeit entstandene Geschäftsgebühr des Klägervertreters. Das Oberlandesgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.


II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im übrigen (§ 575 ZPO) zulässig. Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Beschwerdegericht die außergerichtliche Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG auf die vom Klägervertreter verdiente Verfahrensgebühr angerechnet und dabei angenommen, die Beklagte könne sich nach § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG auf die Anrechnung berufen, weil wegen des Anspruches auf die Geschäftsgebühr bereits ein Vollstreckungstitel vorliege. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es weder an einer ausreichenden Titulierung im Sinne des § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG (dazu unten 1.) noch scheidet eine Anrechnung mangels Gegenstandsidentität im Sinne von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG aus (dazu unten 2.).

1. Dass § 15a RVG auf den Streitfall Anwendung findet, wird von der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht in Frage gestellt. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist mittlerweile geklärt, dass sich die Anrechnungsvorschrift des § 15a RVG auch in Kostenfestsetzungsverfahren, die vor Inkrafttreten des § 15a RVG entstandene Gebühren betreffen, grundsätzlich nicht auswirkt, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vielmehr nur unter den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Voraussetzungen stattfindet (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rn. 8, vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375 Rn. 16 ff., vom 11. März 2010 - IX ZB 82/08, JurBüro 2010, 358 Rn. 6, vom 29. April 2010 - V ZB 38/10, JurBüro 2010, 471 Rn. 8 ff., vom 10. August 2010 - VIII ZB 15/10, JurBüro 2011, 22 Rn. 6 ff., vom 14. September 2010 - VIII ZB 33/10, AGS 2010, 473 Rn. 7 f., vom 28. Oktober 2010 - VII ZB 55/09, RVGreport 2011, 27 Rn. 5 und vom 7. Dezember 2010 - VI ZB 45/10, NJW 2011, 861 Rn. 7 und Senatsbeschluss vom 28. September 2010 - XI ZB 7/10, juris Rn. 8).

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind im Streitfall die Voraussetzungen, unter denen sich der kostenpflichtige Prozessgegner nach § 15a Abs. 2 RVG auf die Anrechnung berufen kann, aber erfüllt. Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. November 2009 stellt einen die Anrechnung gemäß § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG rechtfertigenden Vollstreckungstitel bezüglich der Geschäftsgebühr dar. Die Rechtsbeschwerde kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, der Vollstreckungstitel weise keine exakte Bezifferung des Anspruchs aus. Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn der Begriff "Geschäftsgebühr" weder im landgerichtlichen Urteil noch im Berufungsurteil ausdrücklich genannt wird, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die vom Klägervertreter verdiente vorgerichtliche Geschäftsgebühr dort tituliert worden ist. Anders als in dem von der Rechtsbeschwerde zum Beleg ihrer Auffassung zitierten Beschluss des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 2010 (VI ZB 45/10, NJW 2011, 861 Rn. 8 ff.) fehlt es im Streitfall nicht an einer betragsmäßigen Bezifferung des Anspruchs. Vielmehr sind hier die vorgerichtlichen Anwaltskosten im landgerichtlichen Tenor und bestätigend im oberlandesgerichtlichen Tenor jeweils betragsmäßig in Höhe von 3.085,19 € gesondert tituliert. Im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, auf den das Berufungsgericht Bezug genommen hat, ist hierzu ausgeführt, die Zedentin habe wegen der vergeblichen vorgerichtlichen Inanspruchnahme der Beklagten Rechtsanwaltsgebühren für den klägerischen Prozessbevollmächtigten in der titulierten Höhe aufgewandt. Aus den Urteilsgründen beider Urteile folgt, dass die Klägerin den Betrag als Schadensersatz für die vorprozessual entstandenen Anwaltskosten verlangen könne, wobei ausweislich des landgerichtlichen Urteils unter Bezugnahme auf die die Geschäftsgebühr ausweisende Gebührenrechnung K .. ausdrücklich die der Zedentin in Rechnung gestellte 1,9-fache Gebühr unbeanstandet blieb. Anders als in dem vom VI. Zivilsenat entschiedenen Fall, der einen Prozessvergleich betraf, aus dem sich nicht entnehmen ließ, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr dort mit der Vergleichssumme abgegolten war (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 - VI ZB 45/10, NJW 2011, 861 Rn. 12 f.), lässt sich im Streitfall daher zweifelsfrei feststellen, dass die Geschäftsgebühr tituliert worden ist.

2. Ohne Rechtsfehler ist das Beschwerdegericht auch zu dem Ergebnis gelangt, gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei die titulierte Geschäftsgebühr auf die vom Klägervertreter verdiente Verfahrensgebühr anzurechnen, weil sie wegen desselben Gegenstandes entstanden sei wie die Verfahrensgebühr.

Für die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht darauf an, ob die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr dieselbe Angelegenheit oder unterschiedliche kostenrechtliche Angelegenheiten betreffen; entscheidend ist allein, dass wegen desselben Gegenstands bereits eine Geschäftsgebühr entstanden ist (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2008 - I ZB 30/08, WRP 2009, 75 Rn. 11). Was Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit in diesem Sinn ist, wird durch das Recht oder Rechtsverhältnis bestimmt, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des ihm erteilten Auftrags bezieht. Dabei ist bei der Bestimmung des Gegenstandes keine formale, sondern eine wertende Betrachtungsweise angezeigt (BGH, Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050 Rn. 14 ff.) und auf die wirtschaftliche Identität abzustellen (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Aufl., VV 1008 Rn. 136). Die Frage, ob eine vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit und die anschließende Klage in diesem Sinne denselben Gegenstand gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG betreffen, ist daher anhand einer wirtschaftlichen Betrachtung zu entscheiden (BGH, Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050 Rn. 15). Der hierfür zu fordernde sachliche Zusammenhang ist problemlos gegeben, wenn der vom Rechtsanwalt angemahnte Zahlungsbetrag anschließend eingeklagt wird (Schons in Hartung/Schons/Enders, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Vorbem. 3 VV Rn. 95; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050 Rn. 13, 16). Die Anrechnungsnorm (Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG) findet nämlich ihren Grund in dem geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand, den ein bereits vorgerichtlich mit der Angelegenheit befasster Rechtsanwalt hat (BT-Drucks. 15/1971, S. 209; BGH, Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050 Rn. 15 und BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - IV ZB 24/07, JurBüro 2008, 529 Rn. 8 mwN).

Einen solchen Fall hat das Beschwerdegericht hier zu Recht bejaht. Wie auch die Rechtsbeschwerde nicht in Abrede stellt, handelt es sich bei den außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend gemachten Ansprüchen wegen fehlerhafter Anlageberatung um diejenigen, die später eingeklagt worden sind. Dass sie vorgerichtlich von der Zedentin aus eigenem Recht geltend gemacht wurden und prozessual von der Klägerin aus abgetretenem Recht, ändert - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - nichts an der zur Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG führenden wirtschaftlichen Identität (ebenso u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. April 2011 - I-17 W 14/11, juris Rn. 15 ff. und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Juni 2011 - I-10 W 45/11, BeckRS 2011, 21986; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Mai 2011 - 25 W 95/11, juris Rn. 30 ff. = BeckRS 2011, 19833 mit kritischer Anmerkung Mayer, NJW-Spezial 2011, 668, 669; aA OLG Frankfurt, Urteil vom 3. Januar 2011 - 23 U 259/09). Eine formale, auf die Person des Auftraggebers abstellende Betrachtungsweise wird in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Zessionar die vorgerichtlich bereits vom Zedenten verfolgte Forderung aus abgetretenem Recht einklagt, dem oben dargelegten Sinn der Anrechnungsvorschrift nicht gerecht. Danach soll bei der Höhe der insgesamt vom Rechtsanwalt verdienten Gebühren gerade dem typischerweise geringeren Aufwand nach vorprozessualer Befassung Rechnung getragen werden. Entscheidend ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung danach, dass die vom Anwalt zu entfaltende Tätigkeit in beiden Fällen dieselben rechtlichen und tatsächlichen Punkte betrifft (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050 Rn. 15). Das ist in Fällen der vorliegenden Art ungeachtet der Zession der Fall.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt darin auch keine ungerechtfertigte Begünstigung des Zessionars. Die Anrechnung hat ihren Grund darin, dass dem schon vorprozessual mit der Sache befassten und hierfür vergüteten Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf den erfahrungsgemäß geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand nur eine gekürzte Vergütung zugebilligt werden solle (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - VII ZB 41/09, juris Rn. 6, 9). Genau so liegt der Sachverhalt aber auch in Fällen der vorliegenden Art. Wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Recht geltend macht, würde hier die Nichtanrechnung allein den Anwalt entgegen dem oben näher dargelegten Sinn und Zweck der Anrechnungsnorm privilegieren, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund bestünde.

Die Vorinstanzen haben nach alledem zu Recht die gekürzte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.