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BGH Beschluss vom 27.03.2012 - VI ZB 74/11 - Zur eingeschränkten Möglichkeit der Erhöhung der Berufungssumme über die Beschwergrenze hinweg

BGH v. 27.03.2012: Zur eingeschränkten Möglichkeit der Erhöhung der Berufungssumme über die Beschwergrenze hinweg


Der BGH (Beschluss vom 27.03.2012 - VI ZB 74/11) hat entschieden:
Wird mit der Berufungsbegründung ein Berufungsantrag angekündigt, mit dem die in erster Instanz abgewiesene Klage nur teilweise weiterverfolgt wird, und wird dabei die Berufungssumme unterschritten, kann der Berufungsantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nur erweitert werden, soweit die Erweiterung von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist.


Siehe auch Streitwert und Anwaltskosten


Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Die Beklagte zu 2 regulierte den Schaden am PKW der Klägerin auf der Grundlage einer Haftungsquote von 25 % für die Beklagte zu 1. Die auf eine höhere Erstattung gerichtete Klage hat das Amtsgericht mit Urteil vom 11. Mai 2011 abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18. Mai 2011 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2011, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat die Klägerin dagegen Berufung eingelegt. In der Berufungsbegründungsschrift vom 14. Juli 2011 hat sie folgende Anträge angekündigt:
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner unter Aufhebung des angegriffenen Urteils zu verurteilen, an die Klägerin 378,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner unter Aufhebung des angegriffenen Urteils zu verurteilen, die Klägerin von der Forderung ihrer Prozessbevollmächtigten wegen angefallener vorprozessualer Geschäftsgebühren in Höhe von 120,67 € freizustellen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, eine Haftungsquote von 25 % ergebe sich bereits verschuldensunabhängig aus der vom Fahrzeug der Beklagten zu 1 ausgehenden Betriebsgefahr. Finde darüber hinaus auch ein eigenes Verschulden (namentlich ein Verstoß gegen § 6 StVO) Berücksichtigung, so sei die Haftungsquote deutlich oberhalb eines Betrages von 25 % anzusiedeln. Im Hinblick auf die Feststellungen des Sachverständigen werde die ursprünglich vorgetragene Haftungsquote von 75 % nicht mehr aufrechterhalten. Es werde jedoch davon ausgegangen, dass jedenfalls eine Haftungsquote von 50 % die wechselseitigen Verursachungsbeiträge zutreffend würdige.

Mit Verfügung vom 27. Juli 2011 hat das Berufungsgericht die Klägerin auf die Unzulässigkeit der Berufung mit Blick auf die angekündigten Anträge hingewiesen. Im Schriftsatz vom 2. August 2011 hat die Klägerin für die mündliche Verhandlung als Antrag zu 1 angekündigt, dass die Beklagten unter Aufhebung des angegriffenen Urteils als Gesamtschuldner zur Zahlung von 742,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit verurteilt werden. Am 15. August 2011 hat das Berufungsgericht erneut darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sei.

Es hat mit dem angegriffenen Beschluss die Berufung als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, dass die Berufungssumme nicht erreicht sei. Ein zunächst beschränkter Berufungsantrag, der die Berufungssumme unterschreite, könne in zulässiger Weise bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nur dann erweitert werden, wenn die Erweiterung von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt sei. Stehe nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist fest, dass eine Erweiterung des Berufungsantrages nicht mehr möglich sei, dürfe die Berufung mit dem ursprünglich angekündigten Berufungsantrag als unzulässig verworfen werden. Da die Klägerin bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 18. Juli 2011 nicht begründet habe, warum sie in Abweichung von den Ausführungen in der Berufungsbegründung ihre Anträge aus der Klageschrift wiederhole und die amtsgerichtliche Entscheidung, die eine Haftungsquote der Beklagten von 25 % feststelle, aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Erwägungen unzutreffend sei, seien die erweiterten Berufungsanträge nicht von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt.


II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt werden, aber auch nicht erfüllt sind. Warum der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukäme oder eine Fortbildung des Rechts beziehungsweise die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts notwendig machen könnte, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Die in allgemeiner Form geführten Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Auffassung des Berufungsgerichts sind außerdem unberechtigt.

Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Diese Voraussetzung ist hier, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, erfüllt. Die Berufungsbegründung entspricht zwar den Formanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, soweit sie darlegt, dass jedenfalls eine Haftungsquote von 50 % die wechselseitigen Verursachungsbeiträge zutreffend würdige. Hinsichtlich einer höheren Haftungsquote fehlen jedoch Angriffe gegen das angefochtene Urteil. Soweit die Berufung in der gesetzlichen Form begründet ist, ist sie nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht statthaft, weil insoweit der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteigt.

Zwar kann grundsätzlich erst auf der Grundlage des in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten Antrags entschieden werden, ob der Wert des Beschwerdegegenstands die Berufungssumme erreicht, da ein die Berufungssumme unterschreitender Berufungsantrag noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf einen die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigenden Umfang erweitert werden kann; solange diese Möglichkeit besteht, darf die Berufung deshalb nicht mit der Begründung als unzulässig verworfen werden, die Berufungssumme sei nicht erreicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. November 2004 - VIII ZB 36/04, NJW-RR 2005, 714, 715 und vom 16. Oktober 2007 - VIII ZB 26/07, NJW-RR 2008, 584 Rn. 9). Etwas anderes gilt aber, sobald feststeht, dass eine Erweiterung des die Berufungssumme unterschreitenden Berufungsantrags ausgeschlossen ist.

So verhält es sich hier. Eine Erweiterung des Berufungsantrags kann nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nur auf schon in der Berufungsbegründung angeführte Gründe gestützt werden. Im Streitfall setzt sich die Berufungsbegründung aber nur mit einer Haftung der Beklagten von 50 % auseinander. Die Erweiterung des Berufungsantrags auf eine Haftungsquote von 75 % ist mithin von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung, die sich nur zu einer Haftungsquote von 50 % verhält, nicht gedeckt. Aus diesem Grunde ist, wie das Berufungsgericht unter Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - VIII ZB 26/07, aaO Rn. 11) zutreffend ausgeführt hat, die Berufung schon dann als unzulässig zu verwerfen, wenn der Berufungskläger - wie hier - zwar einen Berufungsantrag angekündigt hat, der die Berufungssumme erreicht, die Berufung aber bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nur hinsichtlich eines Teils der beantragten Abänderung des angefochtenen Urteils, der die Berufungssumme nicht erreicht, in einer den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise begründet hat. Die Erweiterung des Antrags mit Schriftsatz vom 2. August 2011, eingegangen bei Gericht am 3. August 2011, vermochte die Berufung nicht zulässig werden zu lassen, weil der erweiterte Berufungsantrag von der Berufungsbegründung nicht gedeckt ist und die Frist zur Berufungsbegründung am 18. Juli 2011 abgelaufen war. Der Mangel an Begründung kann nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden.


III.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Klägerin aufzuerlegen.