Das Verkehrslexikon

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Amtsgericht Kerpen Urteil vom 03.02.2012 - 101 C 129/11 - Verkehrsunfall beim Rechtseinbiegen in ein Grundstück und einem Rechtsüberholer

AG Kerpen v. 03.02.2012: Verkehrsunfall beim Rechtseinbiegen in ein Grundstück und einem Rechtsüberholer


Das Amtsgericht Kerpen (Urteil vom 03.02.2012 - 101 C 129/11) hat entschieden:
Kommt es zum Unfall eines Kfz, dessen Führer nach rechts in ein Grundstück einbiegen will und dafür erst nach links ausschert und der nicht rechtzeitig seine Absicht durch Blinken nach rechts angezeigt hat, mit einem Kfz-Führer, der das nach links ausschwenkende Fahrzeug rechts überholen will, dann ist eine Mithaftung des Einbiegenden van mindestens 25% angezeigt.


Siehe auch Rechtsüberholen und Unklare Verkehrslage


Tatbestand:

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Verkehrsunfall am 08.10.2010 auf der Straße O in L, an dem die Zeugin H U mit dem PKW ... des Klägers und der Beklagte zu1) mit dem PKW ... der Beklagten zu 2), der bei der Beklagten zu3) haftpflichtversichert ist, beteiligt waren.

Aus Richtung des Gebäudes L kommend, befuhr die Zeugin U den O in Richtung des Hauses Nr. 00. Dort befindet sich eine Grundstückseinfahrt, die zu Parkplätzen führt. Vorher scherte die Zeugin nach links aus, um in die enge Einfahrt nach rechts zu gelangen, nach dem Vorbringen des Klägers ein wenig, nach dem Vorbringen der Beklagten bis auf die Gegenfahrbahn. Der Beklagte zu 1) befuhr den O hinter dem Wagen des Klägers. Beim Einbiegevorgang der Zeugin U kam es zum Zusammenstoß zwischen den beiden Fahrzeugen, die beschädigt wurden. Der Gesamtschaden des Klägers von 3661,19 € wurde von der Beklagten zu 3) in Höhe von 2745,90 € reguliert.

Mit der Klage verlangt der Kläger den Ersatz seines Restschadens von 915,29 €. Der Kläger behauptet, die Zeugin U habe vor dem Abbiegen ihre Geschwindigkeit verringert und den Blinker nach rechts gesetzt. Der Kläger meint, es habe sich um einen Auffahrunfall gehandelt, so dass die Beklagten für dessen Folgen allein einzutreten hätten.

Der Kläger beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 915,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2010 zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag von 86,63 € nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten eine Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers am gegnerischen Fahrzeug und behaupten, wegen des Ausscherens der Zeugin U habe der Beklagte zu 1) davon ausgehen können, dass diese nach links in eine dort befindliche Straße abbiegen würde; deshalb habe der Beklagte begonnen, mit geringer Geschwindigkeit rechts am PKW des Klägers vorbei zu fahren. Als sich der von ihm gesteuerte Wagen in Höhe der hinteren rechten Seite des Fahrzeugs des Klägers befunden habe, sei die Zeugin U plötzlich und unerwartet nach rechts abgebogen.

Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 09.09.2011 Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschriften und den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht jedenfalls über die von der Beklagten zu 3) regulierten 2745,90 € hinaus kein weitergehender Schadenersatzanspruch gegen die Beklagten (§§ 7, 17 StVG, 823 BGB, 115 VVG) aufgrund des Unfallereignisses vom 08.10.2010 zu. Der Schaden des Klägers ist bis auf 25% (3661,19 € abzüglich gezahlter 2745,90 €) ausgeglichen; zumindest eine solche Mithaftungsquote muss sich der Kläger nach dem Vorbringen der Parteien und dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zurechnen lassen. Die Mithaftung des Klägers beruht darauf, dass bei dem Fahrmanöver der Zeugin U, welches der Kläger sich anrechnen lassen muss, höchstmögliche Sorgfalt geboten war und nicht festgestellt werden kann, dass die Zeugin U ihren Sorgfaltsanforderungen in vollem Umfang gerecht geworden ist, im Gegenteil:

Wer - wie die Zeugin U - mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug nach rechts in ein Grundstück abbiegen will, muss dies nicht nur rechtzeitig und deutlich ankündigen, sondern muss sich darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere eine solche des nachfolgenden Beklagten zu 1), ausgeschlossen ist, § 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO. Dies erfordert eine ständige Beobachtung des entgegenkommenden und nachfolgenden Verkehrs und gilt in besonderem Maße dann, wenn der Vorrausfahrende, um richtig in das Grundstück einzufahren, einen Linksschwenker machen muss; für diesen Fall hat das OLG Hamm (Urteil vom 29.11.1990 - 6 U 167/90 -, zitiert nach JURIS) sogar angenommen, dass die Absicht, nach rechts abzubiegen, neben dem Blinken zusätzlich durch mehrmaliges Antippen der Bremse ("Stotterbremse") bereits in ausreichendem Abstand vor der Einfahrt angekündigt werden muss. Jedenfalls hatte die Zeugin U den nachfolgenden Verkehr ständig zu beobachten (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 04.12.2006 - 12 U 84/06 -; OLG Hamm, Urteil vom 26.10.1992 - 13 U 134/92 -; jeweils zitiert nach JURIS). Diesen besonderen Sorgfaltsanforderungen ist die Zeugin U bereits nach eigenem Bekunden nicht vollständig nachgekommen.

Wenn die Zeugin U entsprechend ihrer Aussage den nachfolgenden Beklagten zu 1) im Rückspiegel gesehen und dann (vor dem Ausscheren nach links) "vielleicht 7 oder 8 Meter vor der Einfahrt" -also nicht einmal 2 Wagenlängen davor- den Blinker gesetzt hat, erscheint dies bereits als nicht rechtzeitig. Wenn sie des weiteren (nach dem Ausscheren) "dann gar nicht mehr nach hinten gesehen" und ohne weitere Rückschau mit dem Abbiegevorgang begonnen hat, genügte dies nicht ihrer Verpflichtung zur aufmerksamen Beobachtung des nachfolgenden Verkehrs. Vor diesem Hintergrund spricht bereits der erste Anschein dafür, dass die Zeugin U den Zusammenstoß nicht nur unerheblich mitverursacht und mitverschuldet hat. Dies allein rechtfertigt bei Abwägung mit dem Fehlverhalten des Beklagten zu 1), der mangels Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers am gegnerischen Fahrzeug nicht rechts am PKW des Klägers vorbeifahren durfte (§ 5 Abs. 7 StVO), die Annahme einer Mithaftungsquote der Zeugin U von zumindest 25%. Dabei kann dahinstehen, dass angesichts der widerstreitenden Angaben der Unfallbeteiligten nicht mehr zu verifizieren ist, wie weit die Zeugin U vor dem Abbiegevorgang nach links ausgeschert ist.

Schließlich ist zu Gunsten des Klägers nicht einmal bewiesen, dass die Zeugin U vor dem Abbiegen nach rechts überhaupt den Fahrtrichtungsanzeiger nach rechts betätigt hat. Insoweit widersprechen sich die Angaben der Zeugin U einerseits und die des Beklagten zu1) andererseits; wenn der rechte Blinker entsprechend den Aussagen der Zeugen L1 und H1 D einige Zeit nach dem Unfall betätigt war, läßt dies keinen sicheren Rückschluss auf den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Abbiegen zu. Selbst wenn die Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers nach rechts zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, würde dies den aus der eigenen Aussage folgenden Mitverursachungsbeitrag der Zeugin U und damit die Mithaftung des Klägers nicht beseitigen.

Da hiernach die Hauptforderung nicht besteht, kann der Kläger auch keine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 86,63 € als Nebenforderung verlangen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Streitwert: 915,29 €