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Amtsgericht Essen Urteil vom 13.11.2013 - 29 C 137/13 - Beweislast beim Ersatz von kompatiblen Schäden

AG Essen v. 13.11.2013: Kein Ersatz bei unklarer Entstehung von kompatiblen Fahrzeugschäden


Das Amtsgericht Essen (Urteil vom 13.11.2013 - 29 C 137/13) hat entschieden:
Der Geschädigte kann selbst kompatible Schäden, das heißt solche, die an sich durch die Kollision mit dem Gegner entstanden sein können, nicht ersetzt verlangen, solange es möglich ist, dass sie auch bereits durch einen der Vorschäden verursacht worden sein können (OLG Hamburg v. 28.03.2001 - 14 U 87/00).


Siehe auch Alt- bzw. Vorschäden am Fahrzeug und Inkompatible Schäden am Unfallfahrzeug


Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Folgen eines Verkehrsunfalles, der sich am 20.12.2012 in der Zeit zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr auf dem Parkplatzgelände des Einkaufszentrums „Neue Mitte“ in der G-​Str. in Essen ereignet hat. An dem Unfall waren auf Klägerseite der PKW Mercedes 280 CE mit dem amtlichen Kennzeichen ... und auf Beklagtenseite der PKW Peugeot 308 mit dem amtlichen Kennzeichen ... beteiligt.

Zu dem Unfall kam es wie folgt:

Der Kläger war im Begriff, rückwärts aus einer rechtwinklig zur Fahrstraße des Parkplatzgeländes befindlichen Parkbucht auszuparken. Der Beklagte zu 1 beabsichtigte aus Sicht des Klägers rechts vor diesem mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Peugeot 308 auf der Fahrstraße des Parkplatzes rückwärts zu setzen, um sodann in eine freie Parkbucht einzuparken. Hierbei kam es zur Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen, wobei der Kläger mit seinem Mercedes bereits etwas rückwärts aus der Parkbucht und in die Fahrstraße hineingefahren war. Der PKW Peugeot 308 des Beklagten zu 1 verfügte über eine Anhängerkupplung.

Der Kläger ließ seinen PKW begutachten. Unter dem 19.02.2013 fertigte der Sachverständige I ein Gutachten über die unfallbedingten Schäden am Klägerfahrzeug und wies unfallbedingte Reparaturkosten in Höhe von brutto 1.811,16 € sowie Abzüge für Wertverbesserung hinsichtlich des Lackes in Höhe von 341,12 € brutto aus. Den Schadenbetrag setzte der Sachverständige auf 1.470,04 € (brutto) fest. In dem Gutachten ist hinsichtlich der Vorschäden ausgeführt: „Augenscheinlich äußerlich konkret ohne weitergehende eingehende Überprüfung keine erkennbaren ... . Altschäden: Lokale Schrammenbeschädigungen mit leichter Verformung am Kotflügel hinten rechts, unsachgemäß behobene Beschädigung im Bereich Heckabschlussblech linksseitig.“ Der Sachverständige I stellte dem Kläger 478,38 € brutto für die Erstellung des Gutachtens in Rechnung.

Der Kläger behauptet, während er ausparkte erkannt zu haben, dass der in seiner Fahrtrichtung rechts auf der Parkplatzzufahrt stehende Beklagte zu 1 beabsichtigte, seinerseits in eine in seiner Fahrtrichtung am linken Fahrbahnrand befindliche frei werdende Parklücke einzuparken, wofür dieser sein Fahrzeug zunächst ein Stück weit zurücksetzen musste, um dem ausparkenden Fahrzeugführer genügend Raum zum ausparken zu gewähren. Als er dann erkannt habe, dass der Beklagte zu 1 begann, sein Fahrzeug zurück zu setzen, habe er sein Fahrzeug zur Hälfte auf der Parkplatzzufahrt angehalten und sodann versucht, den Beklagten zu 1 durch lang anhaltendes Hupen auf sich, bzw. auf sein Fahrzeug aufmerksam zu machen. Trotzdem habe der Beklagte zu 1 die Rückwärtsfahrt fortgesetzt und sein stehendes Fahrzeug mit dem Heck, bzw. der daran befindlichen Anhängerkupplung im Bereich des hinteren rechten Seitenteils gerammt. Hierdurch sei am klägerischen Fahrzeug ein Sachschaden im Bereich der hinteren rechten Stoßstangenecke und dem darunter befindlichen Blech des Seitenteiles entstanden. Die Stoßstange sei darüber hinaus in ihrer Verankerung in Fahrtrichtung gesehen nach links verschoben worden. Zum Zeitpunkt der Kollision habe er bereits geraume Zeit auf der Fahrbahn gestanden. Durch das Kollisionsereignis seien die in dem Gutachten des Sachverständigen I aufgeführten Schäden entstanden.

Zuzüglich einer Unfallpauschale in Höhe von 25,00 € begehrt der Kläger den Ersatz der in dem Gutachten I ausgewiesenen Reparaturkosten, sowie der Sachverständigengebühren.

Der Kläger beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die klagende Partei 1.738,71 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Punkten oberhalb des Basiszinssatzes seit dem 15.03.2013 zu zahlen.

  2. Die klagende Partei vor vorprozessualen angefallenen, nicht mit der Verfahrensgebühr zu verrechnenden Gebühren der Rechtsanwälte M in Höhe von 102,88 € freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, der Kläger habe relevante Vorschäden verschwiegen, zumindest treffe den Kläger wegen des örtlichen und zeitlichen Zusammenhanges mit seiner Rückwärtsfahrt zumindest eine Mithaftung von 50 %.

Sie behaupten, der in dem Gutachten I ausgewiesene Schaden beruhe nicht auf der streitgegenständlichen Kollision. Die in dem Gutachten I angegebenen zum Austausch vorgesehenen Fahrzeugteile hätten bereits aufgrund eines Vorschadens ausgetauscht werden und auch lackiert werden müssen. Dementsprechend sei keine wirtschaftliche Schadensvertiefung eingetreten. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt ebenfalls noch rückwärts gefahren.

Das Gericht hat gemäß § 358 a ZPO Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-​Ing. L vom 30.08.2013 (Blatt 109 ff. d. A.) verwiesen.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Halter, Fahrer bzw. Versicherer des auf Beklagtenseite beteiligten Fahrzeuges keinen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 7, 17, 18 StVG, 115 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, Satz 4 VVG. Maßgeblich ist für das Gericht, dass dem Kläger der Nachweis, durch die unstreitige Berührung der beiden Fahrzeuge sei ein ersatzfähiger Schaden eingetreten, nicht gelungen ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nach Maßgabe des § 286 ZPO für das Gericht vielmehr fest, dass der Kläger im unmittelbar angrenzenden Bereich der Kollisionsstelle einen unfallfremden Vorschaden auch gegenüber dem Sachverständigen verschwiegen hat.

1. Der Kläger kann selbst kompatible Schäden, das heißt solche, die an sich durch die Kollision mit dem Gegner entstanden sein können, nicht ersetzt verlangen, solange es möglich ist, dass sie auch bereits durch einen der Vorschäden verursacht worden sein können (OLG Hamburg, MDR 2001, 1111, mit Verweis auf das OLG Köln, Versicherungsrecht 1999, 865).

2. Dies ist vorliegend der Fall, weil auch nicht kompatible Schäden in dem vom Kläger zur Schadensregulierung vorgelegten Gutachten des Sachverständigen I dokumentiert wurden. Es ist deshalb für das Gericht nicht auszuschließen, dass auch die kompatiblen Schäden durch Fremdereignisse und Vorschäden verursacht worden sein können, die die nicht kompatiblen Schäden verursacht haben.

a) Das Gericht stützt sich in diesem Zusammenhang maßgeblich auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-​Ing. L. Die besondere Sach- und Fachkunde des Sachverständigen steht aufgrund seiner langjährigen Gutachtertätigkeit in entsprechenden Gerichtsverfahren außer Zweifel und ist auch dem Gericht aus mehreren Verfahren grundsätzlich bekannt. Der Sachverständige hat das Unfallgeschehen eingehend rekonstruiert, wobei ihm das gesamte Aktenmaterial zur Verfügung stand. Er konnte sich daher aufgrund des unstreitigen, sowie des streitigen Parteivortrags mit dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall auseinandersetzen. Er hat die Beweisfrage aus dem Beschluss vom 03.07.2013 (Bl. 100 d. A.) richtig verstanden und in seinem Gutachten vom 30.08.2013 vollständig beantwortet. Seine Ergebnisse hat er dabei in sich schlüssig, widerspruchsfrei und für das Gericht logisch nachvollziehbar begründet.

b) Im Einzelnen hatte der Sachverständige ausgeführt, dass sich aus den Schadensbildern feststellen lasse, dass der Anprall stumpfwinklig zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als die Fahrzeugslängsachsen einen Winkel von gut 85 Grad gebildet hätten. Es lasse sich eine Anstoßkonstellation nachvollziehen, bei der sich das Beklagtenfahrzeug parallel zur Fahrstraße des Parkplatzgeländes bewege, während das klägerische Fahrzeug, wie dies auch während eines Ausparkvorganges zu erwarten sei, eine etwas im Uhrzeigersinn gewinkelte Anstoßkonstellation einnehme. Wähle der Beklagte zu 1 etwa eine mittige Fahrbahnbelegung, so befinde sich das Heck des klägerischen PKW Mercedes Benz bis zur Hinterachse bereits auf der Fahrstraße. Allerdings könne mangels Anknüpfungstatsachen in technischer Hinsicht noch nicht festgestellt werden, ob das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision gestanden, bzw. eine nicht nachweisbare Geschwindigkeit unterhalb von Schrittgeschwindigkeit eingehalten habe. Allerdings sei eine geringe Geschwindigkeit des Klägerfahrzeuges, unterhalb von Schrittgeschwindigkeit, technisch nicht auszuschließen. Projiziere man die flächigen Anstreifmarkierungen unterhalb der Stoßstange im Bereich der linken Kröpfung des Beklagten-​PKW auf die rechte Flanke, bzw. den rechten umfassenden Teil der Heckstoßstange, tatsächlich eine Berührung im Bereich der integrierten Stoßstangenleiste erfolgen könne. Bedenke man, dass die Heckstoßstange unterhalb der linken Rücklichtkombination so nach vorne verschoben worden sei, dass sich der umfassende Teil leicht wölbte, wäre es aus technischer Sicht ebenfalls vorstellbar, dass sich der umfassende Teil der Heckstoßstange am klägerischen PKW gegen das Seitenteil verschiebe und dort im Bereich der oberen Kante auch angelegt habe. Gleichfalls wäre es so auch technisch möglich, dass der untere Teil des konvex vorgeformten Seitenteiles geringfügig schalenförmig eingeformt werde, wie es dem am klägerischen Fahrzeug festgestellten Schadensbild entspräche.

Allerdings sei die Heckstoßstange des klägerischen Fahrzeugs nunmehr im Bereich der rechten Befestigung, die auf dem Längsträger montiert sei, schalenförmig eingeformt, wobei eindeutig eine Kraft von rückwärts der Heckstoßstange oktroyiert worden sei. Dies lasse sich mit einer seitlich Wiederaufschlagung, die im konkreten Fall wie vorher beschrieben zumindest aufgrund der Unfallschilderungen technisch nicht ausgeschlossen werden könne, sicherlich nicht bewirken. Ebenfalls sei eine Verschiebung der Stoßleiste am linken umfassenden Teil, die festzustellen sei, nicht auf das im Streit stehende Unfallgeschehen zurück zu führen. Auch hier zeige sich wiederum, dass sich gegen Ende die Stoßleiste aus der Führungsschiene löse und von außen eine schalenförmige Einformung aufweise. Bei der Heckstoßstange des klägerischen PKW Mercedes Benz handele es sich um drei Teile - zwei umfassende Teile sowie ein rückwärtiges Teil - die miteinander verbunden seien. Dies würde bedeuten, dass, wenn die Heckstoßstange derart nach links infolge des Anstoßes verschoben worden wäre, sich bereits das Spaltmaß zwischen dem rechten umfassenden Teil und dem rechten Seitenteil bleibend hätte verändern müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall, so dass der festzustellende Schaden am linken umfassenden Teil der Heckstoßstange nicht auf das beschriebene Unfallgeschehen zurückgeführt werden könne.

Betrachte man die in dem vom Kläger eingereichten Gutachten aufgeführten Reparaturschritte, müsse jedoch festgestellt werden, dass die Heckstoßstange des klägerischen Fahrzeuges bereits vor diesem Unfallereignis zum Austausch angestanden habe, so dass die Ersatzteilkosten nicht in die Schadenkalkulation hätten aufgenommen werden dürfen. Die Heckstoßstange des klägerischen Fahrzeuges sei bereits vor dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall so beschädigt gewesen, dass diese ausgetauscht hätte werden müssen, so dass infolge des Anstoßes am rechten umfassenden Teil der Heckstoßstange aus wirtschaftlicher Sicht keine weiteren messbaren Materialschäden entstanden seien. Soweit in diesem Gutachten jedoch vorgesehen sei, das Seitenteil mit einem Zeitaufwand von 1 Stunde handwerklich in Stand zu setzen, sei dies nicht zu beanstanden. Ebenfalls sei nicht zu beanstanden, dass insoweit bei der Lackierung des Seitenteiles ein 50 %-​iger Vorteilsausgleich berücksichtigt werde, insbesondere wenn man bedenke, dass, wie es festzustellen sei, im oberen Teil ein nicht unerheblicher Lackschaden bereits vorhanden gewesen sei. Dies führe zu einem messbaren Reparaturschaden in Höhe von 860,35 € netto, bzw. 1.023,82 € brutto.

Das Gericht legt die Ausführungen des Sachverständigen nach erfolgter eigener Prüfung seinen Feststellungen zugrunde. Soweit der Sachverständige Dipl.-​Ing. L zu der Feststellung kommt, dass eine Beschädigung des Seitenteiles möglich gewesen sei, führt dies nicht zur Feststellung, dass die Beschädigung des Seitenteiles tatsächlich durch das streitgegenständliche Unfallgeschehen erfolgte. Der Sachverständige hat lediglich überprüft, ob eine solche Beschädigung letztlich plausibel ist und überhaupt eintreten kann. Festzustellen ist jedoch, dass der Kläger einen in unmittelbar zu dem Seitenteil angrenzenden Bereich bestehenden nicht unerheblichen Vorschaden verschwiegen hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass auch der Schaden an dem Seitenteil durch eine Vorbeschädigung des Fahrzeuges entstanden ist.

3. Der Kläger kann auch nicht die Erstattung der Auslagen für das vorgerichtliche Sachverständigengutachten ersetzt verlangen. Das von dem Kläger zur Schadensregulierung eingeholte Sachverständigengutachten ist aufgrund eines eigenen Fehlverhaltens des Klägers für die Schadensregulierung unbrauchbar. Der Geschädigte hat den Sachverständigen jedenfalls über Vorschäden zu informieren, insofern diese nicht offensichtlich erkennbar sind, oder im bloßen Bagatellbereich liegen. Verschweigt der Geschädigte einen erheblichen Vorschaden, sind die Gutachterkosten für das deshalb objektiv für die Schadensregulierung unbrauchbare Gutachten nicht zu ersetzen (OLG Köln, Urteil vom 23.02.2012 – 7 U 134/11).


II.

Mangels Anspruch in der Hauptsache kann der Kläger auch nicht die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangen.


III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 ZPO, 708 Nr. 11, 711 S. 1 S. 2, 709 S. 1 S. 2 ZPO.

Streitwert: 1.738,71 €.