Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Hamm Urteil vom 14.03.2014 - 9 U 103/13 - Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch Begehrensneurose

OLG Hamm v. 14.03.2014: Zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch Begehrensneurose


Das OLG Hamm (Urteil vom 14.03.2014 - 9 U 103/13) hat entschieden:
    1. Dass aus orthopädischer/traumatologischer Sicht kein körperlicher Befund für eine anhaltende Beschwerdesymptomatik im gesamten Wirbelsäulenbereich ausgemacht werden konnte, kennzeichnet eine somatische Schmerzstörung. Eine in der Person des Geschädigten vorhandene Prädisposition für die Ausbildung einer somatoformen Schmerzstörung steht der nach § 287 ZPO zu ermittelnden Mitursächlichkeit des Unfalls für die bei dem Kläger eingetretenen Gesundheitsschädigungen aus dem psychiatrischen Formenkreis nicht entgegen. Der haftungsrechtlich für eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung verantwortliche Schädiger hat grundsätzlich auch für Folgewirkungen einzustehen, die auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen; für die Ersatzpflicht als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfallgeschehens genügt die hinreichende Gewissheit, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre.

    2. Folgeschäden, die wesentlich durch eine Begehrenshaltung des Geschädigten geprägt sind, können dem Schädiger nicht zugerechnet werden. Diese Begehrenshaltungen müssen ihre Ursache nicht in einer bestimmten Krankheit haben, sondern können aus unterschiedlichen Umständen entstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof scheidet eine Zurechnung des Folgeschadens für sogenannte Renten- oder Begehrensneurosen aus, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten des Erwerbslebens auszuweichen.

    Siehe auch Fehlverarbeitung von Unfallfolgen und Psychische Unfallfolgen und Fehlverarbeitung traumatischer Erlebnisse - PTBS - posttraumatisches Belastungssyndrom


    Gründe:

    I.

    Gemäß § 540 Abs.1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.

    Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten.

    Sie bestreiten weiterhin, dass der Kläger an den von ihm behaupteten Beschwerden leidet und dass diese auf einer somatoformen Schmerzstörung beruhen, die ihrerseits auf das Unfallgeschehen zurückzuführen ist.

    Sie sind der Ansicht, dass der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen Unfall und somatoformer Schmerzstörung aufgrund einer vorliegenden Begehrensneurose unterbrochen sei, und sie daher für die hier geltend gemachten Schäden nicht hafteten.

    Das zuerkannte Schmerzensgeld sei überhöht.

    Nachdem aus orthopädischer Sicht eine Einschränkung in der Haushaltsführungsfähigkeit nicht vorliege, fehle es an einer differenzierten Betrachtung, inwieweit die psychiatrischen/somatoformen Beschwerden die Haushaltsführungsfähigkeit in dem hier maßgebenden konkreten Zeitraum beeinträchtigt haben.

    Die Beklagten beantragen,
    das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
    Der Kläger beantragt,
    die Berufung zurückzuweisen.
    Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

    Der Senat hat den Kläger gemäß § 141 ZPO persönlich angehört. Der Sachverständige H hat sein schriftliches Gutachten erläutert und ergänzt. Insoweit wird auf den hierüber aufgenommenen Berichterstattervermerk vom 21.02.2014 verwiesen.


    II.

    Die Berufung der Beklagten hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

    Dem Kläger steht aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 11 StVG, 253, 843 BGB, § 823 Abs. 1, 2 BGB, § 229 StGB, 3 Nr. 1 PflVG gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von noch 34.000,- EUR und ein Anspruch auf die allgemeine Unkostenpauschale in Höhe von 25,- EUR zu. Des weiteren sind die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet, dem Kläger allen weiteren materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 16.09.2006 zu erstatten, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind, sowie den Kläger von den diesem entstandenen vorgerichtlichen Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe einer 1,3-​fachen Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von bis zu 45.000,- EUR freizustellen.

    A.

    Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner für die infolge der unfallbedingten Verletzungen erlittenen immateriellen Beeinträchtigungen ein sich aus § 253 Abs. 2 BGB, § 11 StVG ergebender Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 34.000,- EUR zu.

    I.

    1. Die volle Haftung der Beklagten für die dem Kläger durch den Verkehrsunfall vom 16.09.2006 entstandenen Schäden ist zwischen den Parteien außer Streit.

    2. Ebenfalls zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Kläger durch den Unfall diverse Körperverletzungen erlitten hat und dadurch an seiner Gesundheit im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschädigt worden ist.

    3. Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt nach gefestigter Rechtsprechung entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten oder als künftige Folge erkennbar und objektiv vorhersehbar ist (BGH, VersR 1995, 471). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt. Darüber hinaus sind auch die o.a. Verschuldensbeiträge bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Bei der Bezifferung des im Einzelfall jeweils angemessenen Schmerzensgeldes ist zur Wahrung der rechtlichen Gleichbehandlung ferner zu beachten, dass der ausgeurteilte Betrag sich in das Gesamtsystem der von den Gerichten entwickelten Schmerzensgeldjudikatur einfügt. Dies bedeutet, dass seine Größenordnung dem Betragsrahmen entsprechen muss, der in der überwiegenden Spruchpraxis für vergleichbare Verletzungsgrade zuerkannt wird.

    4. Hiervon ausgehend sind zunächst die unmittelbaren Unfallfolgen zu berücksichtigen. Der Kläger hat infolge des Unfalls ein Schädelhirntrauma, ein Hirnödem und eine schwere linksseitige Lungenkontusion erlitten, welche allesamt folgenlos abgeheilt sind. Weiterhin hat der Kläger einen operativ versorgten Berstungsbruch BWK 12 mit Hinterkantenbeteiligung ohne neurologische Defizite, sowie nicht einer operativen Korrektur bedürfende Kompressionsfrakturen der BWK 8, 9 und 10 mit Vorderkantenbeteiligung davongetragen. Eine Kopfplatzwunde und Schnittverletzungen am Unterarm sind komplikationslos verheilt.

    Der Kläger wurde unmittelbar nach dem Unfall über 4 Tage künstlich beatmet. Vom 16.09.2006 bis zum 23.02.2007 befand er sich durchgehend in unterschiedlichen Kliniken zur stationären Behandlung.

    Die vom Kläger beklagten Beschwerden im Bereich der Lendenwirbel-​, Halswirbel- und Brustwirbelsäule sind nach den insoweit gem. § 529 ZPO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts aus orthopädischer Sicht in der beklagten Intensität als Unfallfolge nur für den Zeitraum von maximal 6 Monaten nachvollziehbar. Allenfalls, so der orthopädische Gutachter Prof. Dr. I in seinem am 30.04.2012 vorgelegten schriftlichen Gutachten, ist darüber hinaus eine geringgradige Schmerzsymptomatik infolge der vermehrten Kyphose der BWS erklärbar. Diese ist aber so unbedeutend, dass sie den Kläger nicht spürbar einschränkt.

    Einwände gegenüber diesem Gutachten werden von den Parteien in der Berufung nicht mehr erhoben.

    5. Nach den weiteren gem. § 529 ZPO bindenden tatsächlichen Feststellungen, die das Landgericht auf das Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen H, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, gestützt hat, hat der Kläger mittelbar durch den Unfall eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, und - in dem angefochtenen Urteil nicht gesondert hervorgehoben - eine anhaltende leichtgradige depressive Episode und eine Agoraphobie nach Februar 2007 entwickelt.

    Die Berufungsbegründung zeigt keine konkreten Tatsachen auf, auch ergeben sich solche nicht aus dem Akteninhalt, die Anlass geben, die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in Zweifel zu ziehen.

    5.1 Ohne Erfolg rügen die Beklagten die Beweiswürdigung des Landgerichts, wenn sie monieren, dass das Landgericht es aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen H für erwiesen angesehen hat, dass der Kläger unter den dargestellten Schmerzen leidet.

    Richtig ist, dass aus orthopädischer/traumatologischer Sicht kein körperlicher Befund für die anhaltende Beschwerdesymptomatik im gesamten Wirbelsäulenbereich ausgemacht werden konnte. Das kennzeichnet allerdings die somatische Schmerzstörung.

    Der Sachverständige H hat in seinem schriftlichen Gutachten (Bl. 21, und Anhörung Bl. 218) berücksichtigt, dass in mehreren Stellungnahmen betreffend den Kläger angedeutet worden sei, dass dieser die Schmerzsymptomatik im HWS - BWS - und LWS - Bereich eventuell nur vortäuschen oder aus unbewusster psychischer Motivation darstellen könnte. Dass der Kläger seine körperlichen Schmerzen nur vorgibt, hält der Sachverständige H aber für unwahrscheinlich, sie sind nach seiner Einschätzung tatsächlich vorhanden und behandlungsbedürftig. Neben der forensischen Erfahrung des Sachverständigen als Psychiater und Psychotherapeut, der über die Fachkenntnis und die forensische Erfahrung verfügt, ihm gegenüber geäußerte Beschwerden auf Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen, ist es hier so, dass der Sachverständige in Bezug auf den Kläger eine testpsychologische Untersuchung durchgeführt hat (Bl. 17f SVG). Die Auswertung des Persönlichkeitsfragebogens im Rahmen der FPI (= Freiburger Persönlichkeits-​Inventar) hat im Bereich Offenheit ergeben, dass sich hinsichtlich einer Tendenz zu Aggravation oder sozial erwünschter Antworten kein auffälliger, von der Norm abweichender Wert ergeben hat. Insgesamt seien die Abweichungen in den auffälligen Skalen (Lebenszufriedenheit, soziale Orientierung, Beanspruchung körperliche Beschwerden und im Bereich der Extraversion: Introvertiertheit, Ernst, Zurückhaltung) gegenüber der Normstichprobe, auch im Bereich körperliche Beschwerden, nur gering.

    5.2 Dass die Schmerzen/Beschwerden auf einer somatoformen Schmerzstörung beruhen und diese auf das Unfallgeschehen zurückzuführen ist, hat das Landgericht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen zutreffend festgestellt.

    Nach Beurteilung des Sachverständigen H spricht die beim Kläger zu beobachtende Symptomatik für eine seit 2006 zustande gekommene anhaltende somatoforme Schmerzstörung nach ICD 10 F 45.40, (Bl. 22 SVG). Nach der ICD 10 ist bei dieser Störung ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz vorherrschend, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann. Er tritt in Familien mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auf, die schwerwiegend genug sind, um als entscheidender ursächlicher Faktor gelten zu können. Hiervon seien abzugrenzen Schmerzzustände mit vermutlich psychogenem Hintergrund, z.B. im Verlauf depressiver Störungen.

    Von dieser Definition ausgehend hat der Sachverständige H eine somatoforme Schmerzstörung bejaht. Der glaubhaft geschilderte anhaltende Schmerz lässt sich durch eine organische Ursache nicht begründen. Der Sachverständige hat auf psychosoziale Belastungen im Leben des Klägers vor dem Unfall (bestätigt durch die psychologische Expertise des Dipl.Psych. S (Bl. 6 SVG) im Rahmen des stationären Aufenthalts im Ev. Krankenhaus C v. 05.03. - 21.03.2009) und auch auf die psychosozialen Belastungen im Anschluss an den Unfall verwiesen (Bl. 23 SVG).

    Das Unfallgeschehen war für die Ausbildung der somatoformen Schmerzstörung jedenfalls mitursächlich.

    Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Anhörung (Bl. 218) erläutert, dass sich die Schmerzstörung nicht entwickelt hätte, wenn es nicht zum Unfall gekommen wäre. Hinweise auf einen in der Vergangenheit behandelten oder behandlungsbedürftigen psychischen Vorschaden hat der Sachverständige nicht ermitteln können (Bl. 27 SVG). Begünstigt worden ist die Ausbildung der Schmerzstörung, insbesondere in ihrer Intensität und inzwischen wohl eingetretenen Chronifizierung, allerdings durch psychische Vorbelastungen des Klägers durch Insolvenz, längere Arbeitslosigkeit und Aspekte einer allgemeinen Lebensunzufriedenheit. Nur durch diese vorbestehenden Defizite war es möglich, dass durch den Unfall diese Folgen ausgelöst worden sind (Bl. 218 GA). Die latent vorhandene, schlummernde Disposition des Klägers ist durch den Unfall zum Ausbruch gekommen. Bei gesunder, unbelasteter, auch beruflich gut eingebundener Persönlichkeit hätte der Unfall in psychischer Hinsicht wahrscheinlich besser verarbeitet werden können.

    Die in der Person des Klägers vorhandene Prädisposition für die Ausbildung einer somatoformen Schmerzstörung steht der nach § 287 ZPO zu ermittelnden Mitursächlichkeit des Unfalls für die bei dem Kläger eingetretenen Gesundheitsschädigungen aus dem psychiatrischen Formenkreis nicht entgegen. Der haftungsrechtlich für eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung verantwortliche Schädiger hat grundsätzlich auch für Folgewirkungen einzustehen, die auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen; für die Ersatzpflicht als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfallgeschehens genügt die hinreichende Gewissheit, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre. Die Zurechnung von Folgeschäden scheitert auch nicht daran, dass sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte in Folge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen (BGH, NJW 2012, 2964).

    6. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen Unfall und somatoformer Schmerzstörung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Bestehens einer Begehrensneurose unterbrochen.

    6.1 Folgeschäden, die wesentlich durch eine Begehrenshaltung des Geschädigten geprägt sind, können dem Schädiger nicht zugerechnet werden. Diese Begehrenshaltungen müssen ihre Ursache nicht in einer bestimmten Krankheit haben, sondern können aus unterschiedlichen Umständen entstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof scheidet eine Zurechnung des Folgeschadens für sogenannte Renten- oder Begehrensneurosen aus, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten des Erwerbslebens auszuweichen. Denn es widerspricht dem Sinn des Schadensausgleichs, durch Schadensersatzleistungen eine neurotische Begehrenshaltung, die auf der Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens beruht, zu verfestigen. Ebenso widerspricht es dem Normzweck, wenn der Schädiger für Schadensfolgen aufkommen muss, die zwar äquivalent kausal auf dem Unfallgeschehen beruhen, bei denen aber ein neurotisches Streben nach Versorgung und Sicherheit prägend im Vordergrund steht. In solchen Fällen realisiert sich das allgemeine Lebensrisiko und nicht mehr das vom Schädiger zu tragende Risiko der Folgen einer Körperverletzung.

    Für die Beurteilung, ob eine neurotische Begehrenshaltung prägend im Vordergrund steht, kommt es auf den Schweregrad des objektiven Unfallereignisses und seiner objektiven Folgen, auf das subjektive Erleben des Unfalls und seiner Folgen, auf die Persönlichkeit des Geschädigten und auf eventuell bestehende sekundäre Motive an (BGH a.a.O TZ 14).

    6.2 Die Gesamtumstände des konkreten Einzelfalles rechtfertigen nach Ansicht des durch den Sachverständigen H fachkundig beratenen Senats nicht die Annahme, in der Person des Klägers liege eine den Zurechnungszusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsbeeinträchtigung unterbrechende, von dem Streben nach Sicherheit und Versorgung bestimmte Begehrenshaltung vor.

    Zwar hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten (Bl. 22) ausgeführt, an der Krankheitsentstehung könnten unbewusste Faktoren im Sinne eines sekundären Krankheitsgewinns beteiligt gewesen sein, und der Kläger könnte Wiedergutmachungswünsche unbewusster Art entwickelt haben. Weitere Aspekte eines zu vermutenden sekundären Krankheitsgewinns könnten darin liegen, dass der Kläger von dem Druck, Geld zu verdienen und seine Familie ernähren zu müssen, befreit sei und hierdurch eine Gewissensentlastung erfahren haben könnte. Dies ließe sich mit dem Ergebnis des FPI-​R in Übereinstimmung bringen, bei dem ein erhöhter Skalenwert für soziale Verantwortung und körperliche Beschwerden aufgefallen sei. Eine Gewissensentlastung verschaffe aber nur der Unfall, nicht eine andere psychische Ursache, die ihrerseits negativ besetzt sei.

    Im Rahmen der mündlichen Erläuterung und Ergänzung seines Gutachtens hat der Sachverständige erläutert, dass die vorgenannten Umstände grundsätzlich ein Indiz dafür sein könnten, dass der Kläger sich nunmehr maßgeblich von einem Streben nach Versorgung leiten lasse. Darauf, dass sich der Kläger "eingerichtet habe", könnte gleichfalls hinweisen, dass er die Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung ablehne, und sich stattdessen nur auf die somatischen Folgen hin habe behandeln lassen. Eine solche Einstellung könne durch falsch verstandene Solidarisierung und Mitleid im Kreise der Familie, aber auch durch den Betroffenen behandelnde Ärzte verfestigt werden, so dass der Betroffene subjektiv keine Veranlassung verspüre, an diesem Zustand etwas zu ändern.

    Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang aber auch in andere Richtungen weisende Alternativursachen aufgezeigt, die das Verhaltensmuster nicht im Sinne einer Begehrensneurose erklären. Zum einen sei der Kläger psychotherapeutisch kaum zugänglich, weil er keine Fragen beantworte, die Anteile an seiner Biographie beträfen. Zum anderen könne die Verweigerungshaltung auch durch die Haltung des Kulturkreises mitbestimmt sein, dem der Kläger angehöre. Es sei nicht ungewöhnlich, dass in diesen Kreisen psychische Ursachen nicht oder jedenfalls nicht bei Männern akzeptiert würden, so dass die Betroffenen ein bestehendes seelisches Ungleichgewicht somatisch verarbeiteten. Da die Fähigkeit des Klägers zu einer Innenschau eingeschränkt sei, lasse sich die Frage, ob eine bewusstseinsnahe oder bewusstseinsferne Begehrenshaltung vorliege, nicht sicher beantworten.

    Für die Beurteilung der Frage, ob eine Begehrensneurose anzunehmen sei, komme es, so der Sachverständige H, nicht zuletzt auf die Schwere des auslösenden Ereignisses an. Bei Vorliegen leichterer Verletzungen sei das Vorliegen einer Begehrensneurose eher und sicherer zu beurteilen. Eine solche Fallgestaltung lag auch dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall zugrunde, in dem das Vorliegen einer Begehrensneurose diskutiert worden ist. Dort hatte der Geschädigte durch den Unfall leichte Verletzungen in Form einer Wirbelsäulenprellung mit Distorsion der HWS Grad I, Prellungen des Thorax und des Brustbeins erlitten.

    Die unmittelbaren Unfallfolgen waren vorliegend ungleich schwerwiegender. Zudem, so der Sachverständige, habe das Unfallgeschehen einen schweren Einschnitt in einer entscheidenden Lebensphase des Klägers dargestellt, an das sich eine einjährige somatisch bedingte Unterbrechung angeschlossen habe. Der Kläger sei in dieser Situation mit den an ihn gestellten Anforderungen an einen Neustart überfordert gewesen, so dass er dekompensiert sei.

    Verobjektivierbare Anhaltspunkte im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Begehrensneurose hat der Sachverständige letztlich nicht ausmachen können. Der Sachverständige hat, bestätigt durch die in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse, an seiner aufgrund der Untersuchung des Klägers am 07.11.2012 getroffenen Einschätzung festgehalten, dass das Unfallgeschehen und die gegebenen biographischen und reaktiven Faktoren gleichermaßen für den Gesundheitszustand des Klägers bestimmend sind. Die sich gegenwärtig die Waage haltenden Faktoren sind nicht statisch. Insoweit können sich Verschiebungen ergeben, für die es nach gegenwärtigem Stand nach Beurteilung des Sachverständigen keinen Anhaltspunkt gibt.

    7. Die somit im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigende somatoforme Schmerzstörung hat in der Vergangenheit zwei stationäre Klinkaufenthalte mit dem Ziel einer Schmerztherapie nach sich gezogen, nämlich in den Zeiträumen 05.03. - 21.03.2009 und 29.12.2009 - 26.01.2010. Der Kläger empfindet nach seinen eigenen, vom Sachverständigen als glaubhaft bezeichneten Angaben dauerhaft Schmerzen, die er durch die Einnahme von Schmerzmitteln lindert. Die Ausübung seiner zuvor betriebenen sportlichen Hobbys ist dem Kläger nicht mehr möglich. Die somatoforme Schmerzstörung ist inzwischen in das Stadium der Chronifizierung übergegangen, was es noch schwieriger macht, dass der Kläger diesen Zustand in Zukunft überwinden kann. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Kläger bislang eine psychotherapeutische Behandlung nicht aufgenommen hat, da er nicht anerkennt, dass die Ursache der Schmerzen nicht organisch - insbesondere nicht orthopädisch - bedingt ist, sondern ihre Ursache im psychiatrischen Formenkreis hat. Dass der Kläger dies entgegen besseren Wissens bisher ablehnt, oder ihm überhaupt von den behandelnden Ärzten eine solche psychotherapeutische Behandlung nahegelegt worden ist, hat der Senat nicht festzustellen vermocht. In diesem Zusammenhang ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass eine psychotherapeutische Behandlung des Klägers aus Sicht des Sachverständigen ohnehin nur ungewisse Erfolgsaussichten hat, weil der Kläger psychotherapeutisch nicht gut zugänglich ist. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes war schließlich andererseits zu berücksichtigen, dass der Kläger in erheblichem Umfang für die Entwicklung der somatoformen Schmerzstörung prädisponiert war und inzwischen seit 2010 wieder in der Lage ist, in beschränktem Umfang Arbeitsaufträge zu übernehmen.

    Nach Berücksichtigung aller Umstände hält der Senat mit dem Landgericht insgesamt einen Betrag von 40.000,- EUR für angemessen, aber auch ausreichend. Mithin waren dem Kläger unter Berücksichtigung der bereits von der Beklagten zu 2) vorprozessual erbrachten 6.000,- EUR weitere 34.000,- EUR zuzusprechen, die gem. §§ 286, 288 ZPO ab dem 08.07.2009 in der ausgeurteilten Höhe zu verzinsen waren.

    B.

    Die dem Kläger zustehende allgemeine Unkostenpauschale ist mit 25,- EUR ausreichend bemessen und gem. § 291 BGB ab dem 01.12.2011 mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

    C.

    Ein Haushaltsführungsschaden, der gem. § 843 BGB zu ersetzen wäre, ist dem Kläger hingegen nicht entstanden.

    Der Senat hält mit der ständigen Rechtsprechung des BGH (zuletzt BeckRS 2012, 10436, Rz. II. 3. b) grundsätzlich die Tabelle von Schulz-​Borck/Pardey für eine geeignete Grundlage zur Schätzung des erforderlichen Haushaltsführungsaufwands. Der vorliegend zu entscheidende Fall weist aber Besonderheiten auf, die eine gegenüber dem Zahlenwerk der Tabelle differenzierte Betrachtung gebieten.

    Im Ausgangspunkt ist der Kläger so zu stellen, wie er ohne das Unfallereignis gestanden hätte.

    Da der Kläger die nach seiner Entlassung aus der stationären Behandlung bezogene Wohnung bei ungestörtem Verlauf zunächst nicht bezogen hätte, ist darauf abzustellen, wie seine Wohnsituation und seine Lebenssituation sich ohne den Unfall dargestellt haben. Ausweislich der überreichten Lohnabrechnung der L mbH für September 2006 standen dem Kläger für 16 Tage Spesen in Höhe von jeweils 24,- EUR und für weitere 5 Tage Spesen in Höhe von jeweils 6,- EUR zu. Das legt den Schluss nahe, dass der Kläger überwiegend Montagetätigkeiten ausgeübt hat, was sich mit der Behauptung des Klägers deckt, bei dem Unfall in Süddeutschland habe es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt. Hiervon ausgehend fehlt es an konkretem Vortrag, zu welchen Zeiten der Kläger vor dem Unfall überhaupt an seinem Wohnort anwesend war und welche Haushaltstätigkeiten in welchem Umfang angefallen sind und von ihm erledigt worden sind.

    Im Zeitraum vom 01.10.2007 bis zum 27.12.2007 bewohnte der Kläger die Wohnung zunächst mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau allein, bis dann am 28.12.2007 der Sohn F geboren worden ist. Bei ungestörtem Verlauf wäre der Kläger während des gesamten Zeitraums vom 01.10. bis zum 29.01.2009 seiner Vollzeitbeschäftigung nachgegangen, während die Ehefrau zu Hause geblieben wäre. Angesichts dessen hätte der Kläger unter Berücksichtigung der von ihm überwiegend ausgeübten Montagetätigkeit im Einzelnen darlegen müssen, welche Tätigkeiten er übernommen hätte. Bereits daran fehlt es.

    Ein Haushaltsführungsschaden ist dem Kläger aber auch unabhängig davon deshalb schon nicht entstanden, weil er nach der Entlassung aus der stationären Behandlung am 23.02.2007 nicht mehr berufstätig war und sich den ganzen Tag zuhause aufgehalten hat. Der Kläger konnte daher, sofern er nach der Verteilung der Aufgaben innerhalb der Ehe überhaupt Haushaltstätigkeiten im Umfang von 2 Stunden bzw. 1,5 Stunden täglich übernommen hat, diese in freier Einteilung über den Tag hinweg unter Inanspruchnahme von eventuell notwendigen Erholungsphasen erledigen. Auch wenn der Kläger durch die somatoforme Schmerzstörung in der Haushaltsführungstätigkeit beeinträchtigt gewesen sein mag, so ist jedoch nichts dafür ersichtlich, dass er seinerseits durchweg keinen Beitrag zur Haushaltsführung - auch nicht zu leichten Tätigkeiten - hat leisten können. Dabei muss sich der Kläger darauf verweisen lassen, dass er verpflichtet war, die bisher praktizierte Aufteilung der Haushaltstätigkeiten zu überdenken und unter Berücksichtigung der jeweiligen Möglichkeiten mit dem Ehepartner neu zu organisieren und so bestehende Beeinträchtigungen in der Haushaltsführungsfähigkeit zu kompensieren. Aus Sicht des Senats waren dem Kläger neben der Erledigung von Einkäufen auch die Zubereitung von Mahlzeiten, Handspülarbeiten und Bedienung des Geschirrspülers, Aufräumarbeiten, Müllentsorgung, Staubsaugen, aber auch die Erledigung der Wäsche und Bügelarbeiten jedenfalls im Umfang von 2 bzw. 1,5 Stunden täglich zumutbar. Der Senat sieht sich in dieser Annahme durch den ergotherapeutischen Entlassungsbericht v. 23.02.2007 bestätigt (Bl. 86ff), demzufolge der Kläger einseitig und beidseitig Lasten bis zu 10 kg tragen konnte.

    D.

    Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

    Insbesondere hat der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht i.S.v. § 256 ZPO. Dies besteht im Hinblick auf die drohende Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche bereits dann, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (BGH NJW 2001, 3414; BGH NJW-​RR 1989, 1367; Greger in: Zöller, ZPO, 30. Auflage 2014, § 256 Rdn. 9). Bereits aufgrund der Wirbelkörperfrakturen, aber auch mit Blick auf das somatoforme Schmerzsyndrom sind Dauerschäden zu befürchten. Da die bereits vorhersehbaren Verletzungsfolgen jedoch - wie oben dargelegt - bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt worden sind, ist der Feststellungsantrag diesbezüglich nur im Hinblick auf die nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zulässig und begründet.

    E.

    Der Kläger kann abschließend gem. § 249 BGB von den Beklagten Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3-​fachen Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von bis zu 45.000,- EUR verlangen.

    F.

    Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 92 Abs.1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.