Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Amtsgericht Neuburg Urteil vom 18.12.2013 - 3 C 412/13 - Restwerterlös und eigenes SV-Gutachten

AG Neuburg v. 18.12.2013: Zur Maßgeblichkeit des eigenen SV-Gutachtens für den frühzeitigen Restwerterlös


Das Amtsgericht Neuburg (Urteil vom 18.12.2013 - 3 C 412/13) hat entschieden:
Gem. der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs leistet der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine konkrete Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, NJW 2010, 2722 m. w. N.). Um seiner sich aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen, kann der Geschädigte im Einzelfall jedoch gehalten sein, von einer danach grundsätzlich zulässigen Verwertung des Unfallfahrzeugs Abstand zu nehmen um im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen. Diese Ausnahmen müssen jedoch in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden.


Siehe auch Der Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs bei Totalschaden und Totalschaden - Wiederbeschaffungswert


Tatbestand:

Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 3.6.2013. Die Beklagte haftet der Klägerin für die aufgrund des Verkehrsunfalls entstandenen Schäden zu 100 %.

Die Klägerin hat nach dem Unfall einen Sachverständigen mit der Schadensschätzung beauftragt. Dieser ermittelte gem. Gutachten vom 10.6.2013 (Anlage K 1) einen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 5.900,00 Euro sowie einen Restwert in Höhe von 700,00 Euro. Die Klägerin veräußerte ihren beschädigten Pkw am 13.6.2013 zu einem Preis von 700,00 Euro an die Firma ... in Neuburg. Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.6.2013 (Anlage K 3) forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 5.838,63 Euro bis spätestens 25.6.2013 auf. Hierbei machte die Klägerin einen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 5.200,00 Euro gem. dem Gutachten vom 10.6.2013 geltend. Dieses Gutachten war dem anwaltlichem Schreiben beigefügt. Mit Schreiben vom 13.6.2013 (Anlage K 4) bat die Beklagte u. a. darum, vor dem Verkauf des Fahrzeugs informiert zu werden, da sie möglicherweise in der Lage sei, ein besseres Angebot vorzulegen. Mit Schreiben vom 24.6.2013 (Anlage K 5) unterbreitete die Beklagte der Klägerin ein bis 17.7.2013 verbindliches Restwertangebot in Höhe von 1.600,00 Euro durch die Firma .... Die Beklagte wies darauf hin, dass das Fahrzeug vom Anbieter kostenfrei am Standort abgeholt werden würde. Mit Abrechnungsschreiben vom 25.6.2013 (Anlage K 7) rechnete die Beklagte den Schaden gegenüber der Klägerin ab, wobei sie vom Wiederbeschaffungswert einen Restwert in Höhe von 1.600,00 Euro abzog.

Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 900,00 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.6.2013 zzgl. Nebenkosten in Höhe von 120,67 Euro zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich die Klägerin gem. ihrer Obliegenheit zur Schadensminderung das höhere von der Beklagten unterbreitete Restwertangebot von 1.600,00 Euro entgegenhalten lassen muss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.


Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage ist voll umfänglich begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Höhe von 900,00 Euro gem. §§ 7 I, 17, 18 StVG, §§ 249 ff BGB, § 115 I S. 1 Nr. 1 VVG.

a) Die Klägerin darf ihrer Schadensberechnung den Restwert zugrunde legen, den sie durch den Verkauf ihres Fahrzeugs tatsächlich erzielt hat. Sie muss sich nicht im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht den (höheren) Restwert nach dem Restwertangebot der Beklagten anrechnen lassen. Gem. der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs leistet der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine konkrete Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, NJW 2010, 2722 m. w. N.). Um seiner sich aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen, kann der Geschädigte im Einzelfall jedoch gehalten sein, von einer danach grundsätzlich zulässigen Verwertung des Unfallfahrzeugs Abstand zu nehmen um im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen. Diese Ausnahmen müssen jedoch in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden (BGH, aaO, m. w. N.).

Eine derartige Ausnahme ist vorliegend nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben. Die Beklagte hatte der Klägerin das Restwertangebot in Höhe von 1.600,00 Euro erst unterbreitet, als die Klägerin ihr Fahrzeug bereits veräußert hatte. Die Klägerin war nach Auffassung des Gerichts auch nicht gehalten, nach Erhalt des Schadensgutachtens und Übersendung desselben an die Beklagte eine gewisse Zeit abzuwarten, ob die Beklagte ihr evtl. noch ein anderes Restwertangebot unterbreitet. Soweit die Beklagte diesbzgl. auf die Rechtsprechung des OLG Köln (NJW-​RR 2013, 224; NJW Spezial 2005, 449) verweist, folgt das Gericht der dort vertretenen Auffassung nicht. Denn diese würde im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass dem Geschädigten letztlich doch die von der Haftpflichtversicherung gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden. Im vorliegenden Fall ist ferner zu berücksichtigen, dass – anders als im vom OLG Köln (NJW-​RR 2013, 224) entschiedenen Fall – der von der Klägerin beauftragte Sachverständige den Restwert am allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat, und die Klägerin ihr Fahrzeug auch am regionalen Markt, nämlich in Neuburg, veräußert hat. Das von der Beklagten vorgelegte Restwertangebot betrifft dagegen kein Angebot aus der Region. Insofern war dieses Angebot auch nicht geeignet, den Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Höhe des Restwertes am regionalen Markt zu erschüttern. Ein Sachverständigengutachten war nicht einzuholen.

Der Wiederbeschaffungsaufwand im Unfallzeitpunkt betrug damit 5.200,00 Euro (5.900 € – 700 €). Seitens der Beklagten wurden lediglich 4.300,00 Euro erstattet, so dass die Differenz in Höhe von 900,00 Euro seitens der Beklagten noch zu bezahlen ist.

2. Der Betrag in Höhe von 900,00 Euro ist wie tenoriert zu verzinsen gem. §§ 280, 286 I, 288 BGB. Die Beklagte befand sich aufgrund des anwaltlichen Schreibens vom 12.6.2013 seit dem 26.6.2013 in Verzug.

3. Die Klägerin hat auch Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 120,67 Euro. Vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren gehören zum gem. § 249 ff BGB erstattungsfähigen Schaden. Die tenorierten Rechtsanwaltsgebühren entsprechen einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 900,00 Euro gem. §§ 13, 14 RVG Nr. 2300 VVRVG zzgl. Pauschale für Post- und Telekommunikation gem. Nr. 7002 VVRVG zzgl. 19 % MWSt. gem. Nr. 7008 VVRVG. Soweit die Beklagte geltend macht, vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren seien aus dem Gesamtgegenstandswert zu berücksichtigen, ist das insoweit richtig, als die Klägerin maximal vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren aus dem insgesamt erstattungsfähigen Schaden verlangen kann. Jedenfalls in Höhe des eingeklagten Betrages stehen ihr jedoch vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu. Die Beklagte hat insoweit weder vorgetragen, dass bereits vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren an die Klägerin bezahlt worden seien, noch in welcher Höhe. Derartiges geht auch nicht aus dem vorgelegten Anlagen hervor.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

III.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.