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OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 04.03.2014 - 15 U 144/12 - Anscheinsbeweis bei Begegnungsunfall

OLG Frankfurt am Main v. 04.03.2014: Zum Anscheinsbeweis bei einem Begegnungsunfall


Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 04.03.2014 - 15 U 144/12) hat entschieden:
Bei einem Unfall im Begegnungsverkehr spricht der Anscheinsbeweis gegen den Fahrer, der mit seinem Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn geraten ist und dadurch die entscheidende Ursache für die Kollision gesetzt hat. Ihn trifft daher wegen des daraus folgenden groben Verkehrsverstoßes die alleinige Haftung.


Siehe auch Begegnungsunfall und Anscheinsbeweis - Beweis des ersten Anscheins


Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden nach einem Verkehrsunfall am ... Mai 2010.

An diesem Tag befuhr der Kläger mit einem Leichtkraftrad der Marke A, amtliches Kennzeichen ..., gegen 10:30 Uhr die ... von O1 kommend in Richtung O2. Beim Durchfahren einer aus Fahrtrichtung des Klägers gesehen nach rechts verlaufenden Kurve kam es zum Zusammenstoß zwischen dem klägerischen Kraftrad und dem vom Beklagten zu 1) geführten, bei der Beklagten zu 2)haftpflichtversicherten PKW der Marke B, amtliches Kennzeichen ... Vor dem Zusammenstoß hatte der Kläger mit dem Motorrad seine eigene Fahrspur verlassen und war auf die Gegenfahrbahn geraten. Der Zusammenstoß zwischen den beiden Fahrzeugen erfolgte frontal, wobei die Anstoßstelle am Fahrzeug des Beklagten zu 1) im vorderen rechten Frontbereich lag.

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die tat-sächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil,Blatt 149 bis 156 der Akten.

Das Landgericht hat nach Vernehmung der Ehefrau des Beklagten zu 1) als Zeugin sowie nach Anordnung der Verwertung des in dem gegen den Kläger eingeleiteten staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren (.../10, Staatsanwaltschaft Kassel) eingeholten schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen SV1, C O3, das der Sachverständige unter dem Datum des 13. Februar 2012 im Verfahren vor dem Landgericht schriftlich ergänzt hat, abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des Unfallereignisses gegen die Beklagten zu. Zwar seien dem Grunde nach die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten nach dem Straßenverkehrsgesetz gegeben. Die Ersatzpflicht der Beklagten sei auch nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, weil der Unfall nicht durch höhere Gewalt verursacht sei. Ebenso wenig stelle sich der Unfall als unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG für einen der Unfallbeteiligten dar. Insbesondere habe der Kläger den Nachweis nicht geführt, dass sich das herannahende Fahrzeug des Beklagten zu 1) für den Kläger nicht als subjektiv gefährlich dargestellt habe. Gleichwohl sei im Ergebnis von einer alleinigen Haftung des Klägers für das Unfallereignis auszugehen. Ein vorwerfbares Verhalten des Beklagten zu 1) sei nicht feststellbar. Zu Lasten des Klägers müsse im Wege des Anscheinsbeweises aber davon ausgegangen werden, dass er beim Verlassen der eigenen Fahrspur sich schuldhaft verkehrswidrig verhalten und gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen habe. Zudem sei der Kläger nicht wie von § 2 Abs. 2 StVO vorgeschrieben möglichst weit rechts auf seiner Fahrbahn gefahren. Vielmehr sei er bereits eingangs der aus seiner Sicht rechts verlaufenden Kurve nahe an der Mittellinie gefahren. So habe es der Kläger selbst behauptet und dazu seine eigenhändig angefertigte Unfallskizze zur Akte gereicht (Bl. 25 d. A., Skizze 1). Weiter ergebe sich aus dem Vorbringen des Klägers, dass er sich nach dem Überfahren der Mittellinie weit im Bereich der Gegenfahrspur und sogar im Bereich der rechten Frontseite des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) befunden habe, als es zu dem Zusammenstoß der Fahrzeuge gekommen sei. Damit stehe fest, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug vor dem Zusammenstoß seine eigene Fahrspur deutlich verlassen gehabt habe. Typischerweise gehe einem solchen deutlichen Verlassen der eigenen Fahrspur ein objektiv und subjektiv pflichtwidriger schuldhafter Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO voraus. Dem Kläger sei es nicht gelungen diesen Anscheinsbeweis zu entkräften. Tatsachen, die auf einen atypischen Geschehensablauf hindeuten würden, seien nicht festzustellen. Zwar habe der Sachverständige in seiner ergänzenden schriftlichen Stellungnahme vom 13. Februar 2012ausgeführt, dass die Schilderung des Klägers zum Unfallhergang,wonach der Kläger das entgegenkommende Fahrzeug des Beklagten zu 1)mit einer Breite von mindestens 0,5 m auf seiner Fahrspur fahrend wahrgenommen habe und deshalb zu einem Ausweichmanöver angesetzt habe, auch zutreffen könne. Das reiche aber zum Nachweis des vom Kläger behaupteten Unfallhergangs nicht aus. Denn der Sachverständige habe in seinem Gutachten die Schilderung des Beklagten zu 1) zum Unfallhergang als wahrscheinlicher angesehen. Von einem Überfahren der Mittellinie durch den Beklagten zu 1) habe lediglich der Kläger selbst im Rahmen seiner informatorischen Anhörung im Termin vom 17. November 2011 (Bl. 90 ff. d. A.)berichtet. Wenn dies auch ausführlich und nachvollziehbar geschehen sei, so hätten doch der Beklagte zu 1) in dessen informatorischer Anhörung und auch die Zeugin Z1, die Ehefrau des Beklagten zu 1)und Beifahrerin im Zeitpunkt des Unfalls, den Angaben des Klägers zum Unfallhergang deutlich widersprochen. Vor dem Hintergrund, dass die vom Kläger geschilderte Ausweichreaktion nach alledem zwar möglich, aber ungewöhnlich erscheine, der Kläger für seine Behauptungen keinen Beweis habe erbringen können und auch das eingeholte Sachverständigengutachten keinerlei Anhaltspunkte für eine Überschreitung der Mittellinie durch den Beklagten zu 1)geliefert habe, könne das Vorbringen des Klägers nicht als bewiesen angesehen werden. Soweit der Kläger anführe, der Beklagte zu 1) und die Zeugin Z1 hätten widersprüchliche Angaben im Ermittlungsverfahren und vor Gericht im Zivilverfahren gemacht,könne auch das den Anscheinsbeweis nicht entkräften. Der Beklagte zu 1) und seine Ehefrau als Zeugin hätten bereits unmittelbar nach dem Verkehrsunfall gegenüber dem unfallaufnehmenden Polizeibeamten so ausgesagt, wie im Wesentlichen im hiesigen Verfahren von den Beklagten vorgetragen: Der Kläger habe nach unten geschaut und sei dabei auf die Gegenfahrbahn geraten, auch durch ein sofortiges Abbremsen und ein Fahren an den rechten Fahrbahnrand habe der Unfall nicht vermieden werden können. Die vom Kläger geltend gemachten Abweichungen der Angaben im Ermittlungsverfahren von der Aussage der Zeugen im hiesigen Verfahren seien nicht geeignet, den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussage in Frage zu stellen. Soweit es um Angaben zur zeitlichen Dauer bzw. zu Entfernungen gehe, lägen solche Ungenauigkeiten von ohnehin nur geschätzten Daten in der Natur der Sache. Gleiches gelte für die vom Kläger monierten unterschiedlichen Angaben der Zeugin zu einem Gespräch mit dem Kläger im Anschluss an den Unfall. Demgegenüber stehe nicht fest,dass auch dem Beklagten zu 1) der Vorwurf eines pflichtwidrigen Verhaltens gemacht werden könne. Aus dem Gutachten des Sachverständigen ergäben sich keine Anhaltspunkte hierfür. Dem Beklagten zu 1) könne auch nicht vorgehalten werden, dass er die Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 bis 75 km/h befahren habe. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung habe an der Unfallstelle nicht gegolten. Ausweislich der Lichtbilder in der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte (Bl. 10 ff.) handele es sich bei der Unfallstelle um eine gut ausgebaute und gut markierte Nebenstraße. Nach alledem ergebe die Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG, dass der allein in der Betriebsgefahr seines Pkw bestehende Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) vollständig hinter dem festgestellten Verschulden des Klägers zurücktrete. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Blatt 152 bis 156 der Akten.

Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 19. Juni 2012(Bl. 158 d. A.) in vollständig abgefasster Form zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27. Juni 2012, bei Gericht eingegangen vorab per Fax am 28. Juni 2012 (Bl. 161 f. d. A.),Berufung eingelegt. Diese hat er mit Schriftsatz vom 22. August 2012, bei Gericht eingegangen vorab per Fax am selben Tage (Bl. 175d. A.), innerhalb der mit Verfügung vom 10. August 2012 (Bl. 174 d.A.) bis zum 31. August 2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine bereits erstinstanzlich gestellten Klageanträge in vollem Umfang weiter. Der Kläger rügt im Wesentlichen, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Verwertung des Sachverständigengutachtens aus dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren angeordnet. Das dem Gericht nach § 411 a ZPO zustehende Ermessen bei der Verwertung habe das Landgericht nicht fehlerfrei ausgeübt. Denn der Kläger habe eine neue Begutachtung beantragt, ohne dass sich das Gericht in seiner Entscheidung zur Verwertung mit den vom Kläger dagegen angeführten Gründen auseinandergesetzt habe. Zudem habe das Landgericht vor der Verkündung des Verwertungsbeschlusses die Parteien nicht angehört. Hätte das Landgericht die Parteien angehört, so hätte der Kläger hinreichend Gelegenheit gehabt, sich zu äußern und darauf hinzuwirken, dass die Entscheidung von einem Gutachten getragen wird, dass in sachgerechter Art und Weise gefertigt worden sei und auf ausreichender Tatsachengrundlage beruhe. Darüber hinaus bestünden ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen durch das Landgericht. So habe das Landgericht bei seinen Ausführungen zur möglichen Entkräftung des angenommenen Anscheinsbeweises die von ihm selbst teilweise anerkannten Widersprüche in den Angaben des Beklagten zu 1) und in der Aussage der Zeugin Z1 nicht hinreichend berücksichtigt. Zudem habe das Landgericht fehlerhaft die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis zu Lasten des Klägers bejaht. Ein Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO könne erst dann angenommen werden, wenn das Überqueren der Mitte der Straße durch den Kläger pflichtwidrig erfolgt wäre. Das sei aber dann nicht der Fall, wenn das Überqueren nur die Folge eines notwendigen Ausweichmanövers des Klägers gewesen wäre. Das habe das Landgericht unter Zugrundelegung der Angaben des Beklagten zu 1) fehlerhaft verneint. Selbst wenn man die Angaben des Beklagten zu 1) aber zugrunde lege, erscheine es äußerst fragwürdig, dass der Kläger bei seinem Ausweichmanöver nicht die nach dem Beklagtenvortrag völlig freie eigene Fahrspur gewählt habe. Der konkrete Geschehensablauf spreche demgegenüber dafür,dass der Beklagte zu 1), wie es der Kläger von Anfang an vorgetragen habe, seinerseits die Mittelmarkierung der Fahrbahn pflichtwidrig gekreuzt habe und so die eigentliche Ursache für den Unfall gesetzt habe. Das habe auch der C-Sachverständige in seiner schriftlichen Ergänzung vom 13. Februar 2012 auf Seite 6 unten so festgestellt. Schließlich sei auch die nach § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge durch das Landgericht fehlerhaft. Denn nach dem Vorbringen des Beklagten zu 1), das die Zeugin Z1 in ihrer Vernehmung bestätigt habe, sei der Kläger bereits aus erheblicher Entfernung von den Insassen des Beklagtenfahrzeugs wahrgenommen worden. Der Beklagte zu 1) habe bei seiner informatorischen Anhörung eine Entfernung von ca. 100 bis 150 m genannt. Zwar habe der Beklagte zu 1) nach seinen eigenen Angaben noch Maßnahmen ergriffen, um der erkannten Gefahr eines Zusammenstoßes zu begegnen, indem er die Geschwindigkeit verringert habe und in Richtung des rechten Fahrbahnrandes ausgewichen sei. Pflichtwidrig habe er den Kläger aber nicht gewarnt zu einem Zeitpunkt, zu dem der Unfall noch vermeidbar gewesen wäre. Dazu sei der Beklagte zu 1) nach § 1 StVO verpflichtet gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf den Schriftsatz mit der Berufungsbegründung vom 22.August 2012 (Bl. 181 bis 186 d. A.) sowie auf den weiteren Schriftsatz vom 14. Februar 2013 (Bl. 198 ff. d. A.).

Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 14. Juni 2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Kassel, 5 O 1199/11,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 50.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Juli 2011,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 18.296,57 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juli 2011 zu zahlen,

  3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren zukünftigen materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher diesem aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfallereignis vom … . Mai 2010 entstanden ist und entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Versicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden, sowie

  4. die Beklagten schließlich als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 3.063,06 Euro außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juli 2012 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Wegen ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf den Schriftsatz mit der Berufungserwiderung vom 4. Februar 2013(Bl. 190 bis 195 d. A.).


II.

Die Berufung des Klägers ist an sich statthaft und auch im übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat das Rechtsmittel allerdings keinen Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Soweit der Kläger zunächst rügt, das Landgericht habe fehlerhaft die Verwertung des Gutachtens aus dem Ermittlungsverfahren angeordnet, vermag das seiner Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Es kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen § 411a ZPO im Hinblick auf eine fehlerhafte Gestaltung des Verfahrens zur Anordnung der Verwertung des staatsanwaltlich eingeholten Sachverständigengutachtens überhaupt bejaht werden kann.

Dagegen spricht, dass das Landgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. November 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass das staatsanwaltlich eingeholte Gutachten gemäß § 411a ZPO verwertet werden solle (Prot. S. 10, Bl. 99 d. A.).Einwendungen gegen die Anordnung der Verwertung haben die Parteien darauf hin ausweislich des Protokolls nicht erhoben. Zudem hat der Kläger in der nächsten mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2012 (Bl.145 d. A.) zur Sache verhandelt, ohne den von ihm mit der Berufung geltend gemachten Verstoß gegen § 411a ZPO als Verfahrensmangel zu rügen. Vor diesem Hintergrund wäre zu erwägen, ob der geltend gemachte Verstoß einen Verfahrensmangel im Sinne des § 295 ZPO darstellt und deshalb ohnehin nicht mehr gerügt werden dürfte. Weiter spricht gegen einen Verstoß, dass das Landgericht zwar die ermessensleitenden Umstände für seine Verwertungsentscheidung im Urteil nicht dargelegt hat, wie im Schrifttum zum Teil gefordert (vgl. Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 30. Aufl. 2014, § 411a Rn. 3). Es fehlen aber Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens. Denn es ist nicht ersichtlich und wird von dem Kläger auch nicht vorgebracht, dass das staatsanwaltlich eingeholte Sachverständigengutachten, welches nach dem Wortlaut des § 411a ZPO einem vom Gericht beauftragten Gutachten gleichwertig ist, eine andere Beweisfrage betreffen würde und es damit an der für die Entscheidung über die Verwertung maßgeblichen Identität der Beweisfrage fehlen würde (vgl. Zöller/Greger, § 411a ZPO Rn. 3).Auch im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren diente das Sachverständigengutachten der Rekonstruktion des Unfallhergangs.

Offen bleiben kann die Frage nach einem Verfahrensfehler aber deshalb, weil es an einem Beruhen der Entscheidung auf diesem fehlen würde. Denn das Landgericht hat seine Feststellungen auf die Ausführungen des Sachverständigen in dem im hiesigen Rechtsstreit eingeholten schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 13. Februar 2012(Bl. 120 bis 129 d. A.) gestützt. Dieses setzt sich ausführlich mit den vom Kläger bereits in der Klageschrift gemachten Einwendungen gegen das staatsanwaltlich eingeholte Sachverständigengutachten auseinander und kommt danach unter anderem zu dem (neuen) Ergebnis,dass sich unter Zugrundelegung bestimmter Ausgangsbedingungen ein „schmales Fenster“ ergebe, in dem die Schilderung des Klägers zum Unfallhergang aus technischer Sicht nachvollzogen werden könne. Diesbezüglich ist die Begutachtung nicht (mehr) im Sinne des § 411a ZPO verwertet, sondern eigenständige Begutachtung durch den mit dem Verwertungsbeschluss vom 17. November 2011 vom Gericht ernannten (vgl. dazu Zöller/Greger, § 411a Rn. 1) Sachverständigen.

Darüber hinaus ist das Berufungsgericht an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden, weil mit der Berufungsbegründungsschrift keine konkreten Anhaltspunkte dargetan sind, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Urteilsfeststellungen begründen könnten, weshalb auch eine erneute Feststellung nicht geboten ist (§ 529 Abs. 1 ZPO). Es besteht nämlich keine wenigstens gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Falle einer erneuten Beweiserhebung die insoweit getroffenen erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben, sich also deren Unrichtigkeit herausstellen wird (BGH, Urteil vom 18.10.2005 - VI ZR 270/04, NJW2006, 152 f., juris Rn. 9 m.w.N.). Die Würdigung des Parteivorbringens und des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Landgericht (§ 286 Abs. 1 ZPO) ist nicht zu beanstanden, sondern vielmehr richtig. Das Berufungsgericht schließt sich diesem Ergebnis ausdrücklich an.

Zutreffend hat das Landgericht den Anscheinsbeweis eines schuldhaften Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO durch den Kläger an den unstreitigen Umstand angeknüpft, dass der Kläger von seiner Fahrspur abgekommen und der Zusammenstoß der Fahrzeuge auf seiner Gegenfahrspur erfolgt ist. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, einen solchen Anscheinsbeweis könne es nur geben, wenn nach den unstreitigen oder festgestellten Umständen das Abkommen von der eigenen Fahrspur auch pflichtwidrig sei, kann dem nicht gefolgt werden. Das Ergebnis eines pflichtwidrigen, schuldhaften Verstoßes ist vielmehr gerade der Gegenstand des Anscheinsbeweises. Das Landgericht hat auch nicht fehlerhaft die Voraussetzungen für eine Erschütterung des Anscheinsbeweises verneint. Zutreffend hat es vielmehr angenommen, dass ein atypischer Geschehensablauf von dem Kläger nicht nachgewiesen worden sei. Das ist schon deshalb zutreffend, weil allein aufgrund der Angaben des Klägers in seiner informatorischen Anhörung der Nachweis des von ihm behaupteten Unfallhergangs nicht gelungen ist. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Sachverständige unter gewissen Voraussetzungen die Schilderungen des Klägers als technisch nachvollziehbar bezeichnet hat. Denn der Sachverständige hat zugleich ausgeführt, dass anhand objektiver Anknüpfungspunkte ein Überfahren der Mittellinie durch das Beklagtenfahrzeug nicht nachweisbar sei. Auf die Aussage der Zeugin Z1 kommt es nach all dem nicht mehr an.

Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht auf Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht eine volle Haftung der Beklagten für das Unfallereignis bejaht. Der Verstoß gegen § 2 StVO durch den Kläger ist so erheblich, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs dahinter zurücktritt und bei der nach den §§ 17,18 StVG vorzunehmenden Abwägung nicht ins Gewicht fällt.

Das Landgericht hat zu Recht auch keinen Anlass gesehen, eine Mithaftung der Beklagten wegen eines eigenen Fehlverhaltens des Beklagten zu 1) anzunehmen. Ein solches mag zwar nahe liegen, wenn die Unfallstelle in einer Kurve liegt und die Straße eine geringe Breite aufweist und deshalb regelmäßig von nicht angepasster Geschwindigkeit auch des Entgegenkommenden ausgegangen werden kann (vgl. Heß in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Auflage 2012, §2 StVO Rn. 109). Ausweislich der von der Polizei im Ermittlungsverfahren erstellten Unfallskizze (Bl. 8 der Ermittlungsakte) weist die Straße an der Unfallstelle jedoch eine Breite von mindestens 5,40 Meter auf, was zur Annahme einer geringen Breite nicht ausreicht. Soweit der Kläger schließlich erstmals in der Berufungsinstanz vorträgt, der Beklagte zu 1) habe den Kläger nach der von ihm rechtzeitig erkannten Gefahr warnen müssen, ist dieses Angriffsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren nicht zuzulassen.

Die angefochtene Entscheidung muss nach all dem Bestand haben.


III.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 97 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Denn die Entscheidung des Senats hat keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.