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OLG Rostock Beschluss vom 16.12.2014 - 21 Ss OWI 208/14 (Z) - Unterlassene Vorführung eines zulassungspflichtigen Kfz zur Hauptuntersuchung

OLG Rostock v. 16.12.2014: Unterlassene Vorführung eines zulassungspflichtigen Kfz zur Hauptuntersuchung


Das OLG Rostock (Beschluss vom 16.12.2014 - 21 Ss OWI 208/14 (Z)) hat entschieden:
  1. Die Dauerordnungswidrigkeit der unterlassenen Vorführung eines Kfz zur fälligen Hauptuntersuchung endet mit der verspäteten Vorführung , auch wenn dabei erhebliche Mängel festgestellt werden, die der Erteilung der Prüfplakette entgegenstehen und eine Wiedervorführung erforderlich machen.

  2. Die Dauerordnungswidrigkeit lebt nicht wieder auf, wenn das Kfz nach nicht bestandener Hauptuntersuchung nicht instand gesetzt und weiterhin im Straßenverkehr benutzt wird.

Siehe auch Prüfplakette - Hauptuntersuchung und Kfz-Kennzeichen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Stralsund verurteilte den Betroffenen am 11.09.2014 wegen vorsätzlichen Unterlassens der Vorführung eines Lkw zur Hauptuntersuchung zu einer Geldbuße in Höhe von 60 € (Ordnungswidrigkeit gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1, § 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO, § 24 StVG).

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er macht mit der Sachrüge geltend, seine Verurteilung verstoße gegen das Verbot der Doppelbestrafung, weil der verfahrensgegenständliche Verstoß bereits mit seit dem 19.08.2014 bestandskräftigem Bußgeldbescheid des Landrates des Landkreises Vorpommern-Rügen vom 31.03.2014 geahndet worden sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Zulassungsantrag als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hat hierauf mit Schreiben seines Verteidigers vom 10.12.2014 erwidert.


II.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war als unbegründet zu verwerfen, weil die hier allein in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht gegeben sind.

1. Wenn gegen den Betroffenen - wie hier - eine Geldbuße von nicht mehr als 100 € festgesetzt wurde, kann die Rechtsbeschwerde wegen der angeblich fehlerhaften Anwendung von Normen des sachlichen Rechts, zu denen auch die Vorschriften gehören, aus denen sich Verfahrenshindernisse ergeben, nur zur Fortbildung des Rechts zugelassen werden, wenn dies geboten ist. Eine Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist in derartigen Fällen von Gesetzes wegen ausgeschlossen.

2. Stellt sich vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag heraus, dass ein Verfahrenshindernis besteht, das bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten ist, steht dies einer Zulassung der Rechtsbeschwerde grundsätzlich entgegen, weil das Beschwerdegericht das Verfahren dann nach der Zulassung sofort nach § 80 Abs. 3 Satz 2, § 79 Abs. 3 Satz 1, § 354 Abs. 1 StPO einstellen müsste und deswegen gerade daran gehindert wäre, etwas zur Fortbildung des sachlichen Rechts beizutragen (vgl. § 80 Abs. 5 OWiG). Etwas anderes kann nur in solchen Fällen gelten, in denen es gerade darum geht, nach Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zu diesem Verfahrenshindernisses etwas zu sagen (vgl. Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl. § 80 Rdz. 23 f. m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.

a) Bei dem bußgeldbewehrten Verstoß gegen das Gebot, ein zulassungspflichtiges Kraftfahrzeug in regelmäßigen Zeitabständen untersuchen zu lassen (§ 29 Abs. 1 Satz 1, § 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO, § 24 StVG), handelt es sich um eine Dauerordnungswidrigkeit durch Unterlassen (OLG Frankfurt NStZ 1983, 224), die mit Ablauf der Vorführfrist beginnt und deren Beendigung eintritt, wenn der Handlungspflicht nachgekommen und damit der rechtswidrige Zustand beseitigt wird (KK-Graf, OWiG, 4. Aufl., § 31 Rdz. 25 f. m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 29 StVZO, Rdz. 35 m.w.N.; OLG Hamm, VRS 48, 344 f.: „bis die Anmeldung nachgeholt wird“; OLG Frankfurt a.a.O; OLG Stuttgart, VRS 57, 462: „bis zur gültigen Anmeldung“; BayObLG, VRS 63, 221: „Vornahme der gebotenen Handlung“). Das war nach den getroffenen Urteilsfeststellungen mit der Vorführung des Lkw bei der DEKRA im „Herbst 2013“ der Fall (UA S. 2). Weil § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO i.V.m. Nr. 2.1.4 der Anlage VIII keine Pflicht begründet, das Fahrzeug in mängelfreiem Zustand vorzuführen, ist der Betroffene damit - wenn auch um mehrere Monate verspätet - seiner Pflicht nach dieser Vorschrift nachgekommen, weshalb die Ordnungswidrigkeit damit beendet war. Der nachfolgende Verstoß gegen die Verpflichtung, die bei dieser Hauptuntersuchung festgestellten „schwerwiegenden Mängel“ (UA S. 2) unverzüglich zu beheben und das Fahrzeug spätestens bis zum Ablauf eines Monats nach dem Tag der durchgeführten Hauptuntersuchung wieder vorzuführen (§ 29 Abs. 7 Satz 2 StVZO), stellt eine eigenständige Ordnungswidrigkeit nach § 69a Abs. 2 Nr. 18 StVZO i.V.m. Nr. 3.1.4.3 Satz 2 Halbsatz 2 der Anlage VIII zur StVZO dar und lässt nicht die ursprüngliche Vorführungspflicht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO weiter bestehen (OLG Karlsruhe VRS 125, 320).

b) Mit der Vorführung im „Herbst 2013“ begann hinsichtlich der damit beendeten Dauerordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die Pflicht aus § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO die dreimonatige Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG zu laufen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Bereits dem Erlass des Bußgeldbescheides vom 31.03.2014 könnte damit, sofern keine Unterbrechungstatbestände eingetreten sind (§ 33 OWiG), das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegengestanden haben (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG).

c) Auch wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, ist diese Ordnungswidrigkeit jedenfalls mit der am 19.08.2014 durch Einspruchsrücknahme eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheides vom 31.03.2014 umfassend mit der Folge geahndet worden, dass schon dem Erlass des Bußgeldbescheides vom 23.04.2014, der Grundlage des vorliegenden Verfahrens ist, das Verbot der Doppelbestrafung entgegenstand. Denn Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieses zweiten Bußgeldbescheides und des angefochtenen Urteils erneut der Vorwurf der Nichtvorführung des LKW zu der im März 2013 fälligen Hauptuntersuchung und gerade nicht der nachfolgende - neue - Verstoß, diesmal gegen die Pflicht zur unverzüglichen Mängelbeseitigung und Wiedervorführung nach § 69a Abs. 2 Nr. 18 StVZO i.V.m. Nr. 3.1.4.3 Satz 2 Halbsatz 2 der Anlage VIII zur StVZO.

d) Die Auffassung des Amtsgerichts und wohl auch der Bußgeldbehörde, der Betroffene habe bei Antritt jeder mit dem LKW unternommenen Fahrt erneut den Entschluss gefasst, sein Geschäftsfahrzeug trotz des abgelaufenen Hauptuntersuchungstermins wieder im Straßenverkehr zu benutzen und damit jedes Mal wieder gegen seine Verpflichtung aus § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO verstoßen, kann nach dem Vorgesagten nicht gefolgt werden. Die weitere Teilnahme mit dem LKW am Straßenverkehr nach der im Herbst 2013 durchgeführten und lediglich nicht bestandenen Hauptuntersuchung lässt weder die bereits beendete Dauerordnungswidrigkeit wieder aufleben, noch handelt es sich dabei um eine neue Ordnungswidrigkeit nach dieser Norm. Dies auch dann nicht, wenn zwischenzeitlich ein Wechsel der Schuldform von Fahrlässigkeit auf Vorsatz stattgefunden haben sollte (vgl. für Fälle der unterlassenen Insolvenzanmeldung OLG München, wistra 2013, 75). Zudem ist die Teilnahme mit einem in der Hauptuntersuchung durchgefallenen Kraftfahrzeug am Straßenverkehr kein Tatbestandsmerkmal des § 29 Abs. 1 StVZO. Auch der Umstand, dass die Bußgeldandrohung sich erhöht, je länger die Frist zur Vorführung zur Hauptuntersuchung überschritten wird, führt nicht dazu, dass mit jeder höheren Sanktionsstufe auch eine neue Ordnungswidrigkeit beginnt. Es handelt sich dabei um eine bloße Verschärfung auf der Rechtsfolgenseite, nicht jedoch um ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal, das zu einer geänderten rechtlichen Beurteilung der Tat im prozessualen Sinne (§ 264 StPO) führt.

e) Auf die strittige Frage, ob der Bußgeldbescheid vom 31.03.2014 mit Eintritt seiner Rechtskraft mit der Folge eine rechtliche Zäsurwirkung entfaltet, dass nachfolgend erneut ein Verstoß gegen § 29 Abs. 1 StVZO begangen werden könnte, kommt es vorliegend schon deshalb nicht an, weil die hier verfahrensgegenständliche Fahrt, in der die Bußgeldbehörde und, ihr folgend, das Amtsgericht eine neue Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO erblicken, vom Betroffenen bereits am 20.02.2014 durchgeführt wurde, mithin noch vor der erst am 19.08.2014 eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheides und sogar noch vor dessen Erlass.

f) Soweit das Amtsgericht die Ansicht des Betroffenen, er könne den Bußgeldtatbestand der Unterlassung der Vorführung „für die Dauer von 8 Monaten“ nur einmal begehen, mit der Begründung als „rechtsirrig“ bezeichnet, es könne nicht sein, dass er nach einmaliger Zahlung einer geringen Geldbuße das betreffende Fahrzeug „unendlich lange ohne Hauptuntersuchung im öffentlichen Straßenverkehr führen (könne), ohne dass dies zu weiteren Sanktionen führen würde“, übersieht es, dass die unterlassene Mängelbeseitigung und die unterbliebene Wiedervorführung nach dem oben Gesagten eine neue - eigenständige - Ordnungswidrigkeit darstellen, die hier lediglich nicht verfolgt worden ist, obwohl dies nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises nach § 265 StPO durchaus möglich gewesen wäre (BayObLG VRS 63, 366).

Auch hätte die zuständige Verwaltungsbehörde die Möglichkeit gehabt, dem Betroffenen die weitere Benutzung des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nach § 29 Abs. 7 Satz 4 StVZO bis zur Neuerteilung einer gültigen Prüfplakette (gfls. unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit) zu untersagen oder sie zumindest zu beschränken. Verstöße hiergegen wären nach § 29 Abs. 7 Satz 5, § 69a Abs. 2 Nr. 2 oder 15 StVZO ebenfalls bußgeldbedroht. Schließlich hätte die Verwaltungsbehörde auch die Zulassung für das Fahrzeug widerrufen und dessen Stilllegung anordnen und erforderlichenfalls zwangsweise durchsetzen können.

3. Aus Vorstehendem folgt, dass der Zulassung der Rechtsbeschwerde hier, wenn nicht schon das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung so jedenfalls dasjenige des Verbots der Doppelbestrafung entgegensteht. Beide Verfahrenshindernisse wären schon vor Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten, weswegen sie nach § 80 Abs. 5 OWiG im Verfahren über die Zulassung der Rechtsbeschwerde unbeachtlich sind. Zu beiden Verfahrenshindernissen gibt es gerade auch im Zusammenhang mit der hier interessierenden Verkehrsordnungswidrigkeit umfangreiche obergerichtliche Rechtsprechung, wie zitiert, weshalb es eines klärenden Wortes des Senats zur Fortbildung des Rechts nicht bedarf. Dass das Amtsgericht mit seiner Entscheidung von dieser Rechtsprechung abgewichen ist bzw. diese nicht beachtet hat, stellt einen Fehler im Einzelfall dar, der nach dem eingangs Gesagten nicht zu einer Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung führen kann.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO. Mit der Verwerfung des Zulassungsantrags gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen.