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Amtsgericht Hamburg-Barmbek Urteil vom 11.04.2014 - 815 C 248/12 -

AG Hamburg-Barmbek v. 11.04.2014:


Das Amtsgericht Hamburg-Barmbek (Urteil vom 11.04.2014 - 815 C 248/12) hat entschieden:
Kommt es im Einfahrtsbereich eines Kreisverkehrs zu einem Verkehrsunfall, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Einfahrende die Vorfahrt missachtet hat, jedenfalls wenn sich die Kollision im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich ereignet hat. In dem Fall haftet der Unfallverursacher grundsätzlich zu 100 % für die entstandenen Schäden, es sei denn, er kann Umstände darzulegen und ggf. beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Kausalverlaufs ergibt.


Siehe auch Kreisverkehr und Anscheinsbeweis - Beweis des ersten Anscheins


Tatbestand:

Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.

Die Klägerin und der Beklagte zu 1 gerieten am 12.12.2011 in einen Verkehrsunfall im Kreisverkehr bei M an der B in H. Die Klägerin ist Eigentümerin des von ihr beim Unfall gefahrenen Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... . Der Beklagte fuhr den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... . Das von dem Beklagten zu 1 gefahrene Fahrzeug ist bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert.

Der Unfall ereignete sich in einem Kreisverkehr, an dessen Zufahrten sich das Verkehrszeichen 201 für Kreisverkehr, sowie das Zeichen 205 für "Vorfahrt gewähren" befindet.

Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig. Die an den Unfallort gerufene Polizei stellte keine Beschädigungen der Fahrzeuge fest. Hinsichtlich der Kollisionsstelle innerhalb des Kreisverkehrs wird auf die Unfallskizzen der Parteien Bezug genommen (Anlage 1 und Anlage 2 des Protokolls vom 01.11.2012).

Die Klägerin ließ ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung der Schadenshöhe in Auftrag gegeben (Anlage K 2), das Reparaturkosten in Höhe von 1.480,62 € ohne Mehrwertsteuer ermittelte. Die Rechnung des Sachverständigenbüros belief sich auf 478,92 € (Anlage K 3). Nach dem von der Klägerin eingeholten Gutachten wurde empfohlen, eine Vermessung der Vorderachse vornehmen zu lassen. Die Klägerin ließ daraufhin eine Vermessung für 139,74 € (Anlage K 4) vornehmen.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin forderten die Beklagte zu 2 mit Schreiben vom 14. Dezember 2011, sowie 31. Januar 2012 auf, den Schaden zu regulieren. Die Beklagte zu 2 lehnte unter Verweis darauf, dass nach den polizeilichen Aufnahmen weder frische noch übereinstimmende Beschädigungen vorhanden gewesen seien, die Schadensregulierung ab (Anlagenkonvolut K 6). Die Kaskoversicherung der Klägerin regulierte sodann die Reparaturkosten nach dem von der Klägerin eingeholten Gutachten abzüglich einer vereinbarten Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 €, mithin in Höhe von insgesamt 1.180,62 €.

Die Klägerin behauptet, sie sei beim Unfall schon im Kreisverkehr gewesen und der Beklagte habe nicht gewartet, sondern sei auch in den Kreisverkehr eingefahren und habe versucht, an ihrer rechten Seite an ihr vorbei zu fahren. Dabei sei das von dem Beklagten gefahrene Fahrzeug mit ihrem im vorderen Bereich kollidiert.

Die Klägerin macht mit dem Klagantrag zu 1 ihre Selbstbeteiligung im Rahmen der Kaskoversicherung, die Kosten für die Vermessung ihres Fahrzeugs, sowie die Kosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens geltend.

Die Klägerin beantragt,
  1. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.248,96 € zzgl. Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 10. Februar 2012 zu zahlen;

  2. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 272,87 € durch Zahlung an die O... & C... Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft freizustellen;

  3. Festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden, die ihr aus dem Verkehrsunfall vom 12. Dezember 2011 gegen 13.15 Uhr im Kreisverkehr B bei M in H noch entstehen werden, mit einer Haftungssumme von 100 % zu ersetzen;

  4. Festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den Rabattverlust zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass die Klägerin aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 12. Dezember 2011 gegen 13.15 Uhr im Kreisverkehr B bei M in H ihre Vollkaskoversicherung bei der ..., Schadennummer ..., in Anspruch genommen hat.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, er sei bereits in den Kreisverkehr eingefahren gewesen, als die Klägerin versucht habe, ihn links zu überholen. Die beiden Fahrzeuge hätten sich dabei nur an den Spiegeln berührt. Eventuelle Schäden an der rechten Seite des Klägerfahrzeugs seien Altschäden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen D. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 20.12.2012 verwiesen. Gemäß Beweisbeschluss vom 18.04.2013 hat der Sachverständige Dipl.-​Ing. W am 07.11.2013 ein schriftliches Gutachten erstattet, auf das Bezug genommen wird.

Mit Beschluss vom 14.03.2014 hat das Gericht mit Zustimmung der Parteien eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet und als Zeitpunkt, welcher dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, den 04.04.2014 bestimmt.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere hat die Klägerin auch ein Feststellungsinteresse für den Klagantrag zu 3. Denn die begehrte Feststellung ist vorgreiflich für den Klagantrag zu 1 im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO. Es besteht die Möglichkeit, dass die Feststellung für die Rechtsbeziehungen der Parteien über den Klagantrag zu 1 hinaus Bedeutung hat oder gewinnen kann, zum Beispiel in Bezug auf die Erstattung tatsächlich noch anfallender Reparaturkosten.

Die Klage ist zudem begründet. Die Klägerin kann von den Beklagten Schadensersatz in der zugesprochenen Form gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG verlangen.

Der Unfall ist bei dem Betrieb der beiden beteiligten Fahrzeuge im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG entstanden. Keiner der Beteiligten kann für sich in Anspruch nehmen, dass der Unfall durch höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG verursacht worden ist oder ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG darstellt.

Eine Abwägung der Mitverursachungs- und -verschuldensbeiträge gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG führte im vorliegenden Fall zu einer 100 %-​igen Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner.

Denn dem Unfall liegt ein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten zu 1 zugrunde. Hierfür streitet zugunsten der Klägerin ein Beweis des ersten Anscheins. Nach den Unfallskizzen beider Parteien (Anlage 1 und Anlage 2 zu dem Protokoll vom 01.11.2012) ereignete sich der Unfall noch innerhalb des Einfahrtbereichs des Beklagten zu 1 in den Kreisverkehr. Dieses typische Geschehen rechtfertigt aufgrund der Lebenserfahrung die Annahme, dass der Beklagte zu 1 die Vorfahrt der Klägerin verletzt hat. Kommt es im Bereich einer vorfahrtsgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der Wartepflichtige den Unfall durch eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung verursacht hat, jedenfalls wenn sich die Kollision im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich ereignet hat (BGH, Urteil vom 15. Juni 1982 – VI ZR 119/81). Dies gilt im Grundsatz auch für die Vorfahrtsverletzung im Kreisverkehr (LG Saarbrücken, Urteil vom 28.03.2014 – 13 S 196/13). Die Anordnung der Vorfahrt innerhalb des Kreisverkehrs in § 8 Abs. 1 a StVO führt insoweit gegenüber der Regelung in § 8 Abs. 1 StVO nicht zu einer anderen Bewertung.

Aufgrund des geschilderten Anscheinsbeweis oblag es den Beklagten, Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Kausalverlaufs ergibt. Dies ist nicht gelungen.

Nicht ergiebig war die Aussage des Zeugen D. Der Zeuge wurde auf den Unfall und die Fahrzeuge der Parteien erst durch den Knall aufmerksam. Beobachtungen des Unfallhergangs hat er nicht gemacht.

Der Beklagte zu 1 hat vorgetragen, dass die Klägerin versucht habe, ihn im Kreisverkehr links zu überholen. Diese Behauptung hat das Gutachten des Sachverständigen vom 07.11.2013 jedoch nicht bestätigt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen auf Seite 10 seines Gutachtens streifte das vom Beklagten zu 1 gefahrene Fahrzeug von hinten nach vorne an der Tür und dann am Kotflügel des Fahrzeugs der Klägerin entlang. Dies bestätigt die Angaben der Klägerin zum Unfallhergang, die angegeben hat, dass der Beklagte ihr die Vorfahrt genommen und sie angefahren habe, nicht jedoch die Angabe des Beklagten zu 1, dass die Klägerin versucht habe, ihn zu überholen.

Die Klägerin konnte Schadensersatz auch in der tenorierten Höhe verlangen. Der Sachverständige ist auf Seite 9 f. des Gutachtens vom 07.11.2013 zu dem Ergebnis gekommen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Schäden an ihrem Fahrzeug durch einen Zusammenstoß mit dem von dem Beklagten zu 1 gefahrenen Fahrzeug verursacht wurden. Die Beklagten konnten den Beweis, dass Altschäden an der vorderen rechten Seite des Fahrzeuges der Klägerin vorhanden waren, nicht führen. Dies konnte der Sachverständige nicht feststellen.

Der Zinsanspruch steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 280, 286, 288 BGB zu.

Der Anspruch auf Freihaltung der Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt ebenfalls aus §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG.

Nach dem oben Ausgeführten hatten auch der Feststellungsantrag zu 3 und der Klagantrag zu 4 Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, 2 ZPO.