Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss vom 17.12.2015 - 7 L 2439/15 - Blutentnahme zur Nachtzeit und Beweisverwertungsverbot

VG Gelsenkirchen v. 17.12.2015: Blutentnahme zur Nachtzeit - kein Beweisverwertungsverbot im Fahrerlaubnisverfahren


Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss vom 17.12.2015 - 7 L 2439/15) hat entschieden:
Das Ergebnis der Blutuntersuchung ist verwertbar, wenn ausweislich des Protokolls und Antrags zur Feststellung von Drogen im Blut angesichts des Vorfallszeitpunktes die Blutprobe nach § 81a Abs. 2 StPO zulässig war, weil während der Nachtzeit das Gericht und die Staatsanwaltschaft nicht zu erreichen sind und wegen des Abbaus von Drogen im Blut eine Gefährdung des Untersuchungserfolges zu befürchten war. . Ein eventuelles Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt nach § 81a StPO im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren führt aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen der jeweiligen Verfahrensordnungen nicht zur Unverwertbarkeit im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren.


Siehe auch Blutentnahme / Blutprobe und Blutprobe ohne Richterbeschluss - Blutentnahme ohne richterliche Anordnung - Verwertungsverbot?


Gründe:

Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 5043/15 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2015 wiederherzustellen,
ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Zur Begründung verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung, denen sie im Ergebnis folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Klage- und Antragsvorbringen folgendes auszuführen: Der Amphetamin- und Cannabiskonsum des Antragstellers ist forensisch gesichert. Die Kammer legt das Ergebnis der chemisch-​toxikologischen Untersuchung der am 12. Juni 2015 entnommenen Blutprobe zugrunde, wonach beim Antragsteller 470 µg/l Amphetamin und ein THC-​Wert von 1,5 µg/l festgestellt wurden. Das Labor L. ist für Untersuchungen dieser Art besonders akkreditiert.

Das Ergebnis der Blutuntersuchung ist auch verwertbar. Ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach § 81a Strafprozessordnung liegt nicht vor. Denn ausweislich des Protokolls und Antrags zur Feststellung von Drogen im Blut vom 12. Juni 2015 (Blatt ... BA Heft ... ) wurde die Blutentnahme durch PKin S. angeordnet. Dies war angesichts des Vorfallszeitpunktes - die Blutprobe wurde um 2:59 Uhr angeordnet - nach § 81a Abs. 2 StPO zulässig, da während der Nachtzeit das Gericht und die Staatsanwaltschaft nicht zu erreichen sind und wegen des Abbaus von Drogen im Blut eine Gefährdung des Untersuchungserfolges zu befürchten war.

Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass ein Beweisverwertungsverbot, auf das sich der Antragsteller im Verwaltungs- und Antragsverfahren beruft, selbst dann nicht anzunehmen wäre, wenn die Blutentnahme nicht rechtmäßig angeordnet worden wäre. Ein eventuelles Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt nach § 81a StPO im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren führt aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen der jeweiligen Verfahrensordnungen nicht zur Unverwertbarkeit im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren. An diesen Grundsätzen hält die Kammer in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht NRW - OVG NRW - auch unter Berücksichtigung der Bedenken fest, die das Bundesverfassungsgericht gegen die verwaltungsgerichtliche Praxis geäußert hat, Erkenntnisse, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach § 81a StPO gewonnen wurden, bei der Entziehung der Fahrerlaubnis zu verwerten,
BVerfG Beschluss vom 28. Juni 2014 - 1 BvR 1837/12 - juris.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich auf ein obiter dictum, ohne die Bedenken näher zu begründen und sich mit der seit langem gefestigten Rechtsprechung auseinanderzusetzen, die u.a. von verschiedenen Obergerichten eingehend mit der allgemeinen Bedeutung von Beweisverwertungsgeboten im Gefahrenabwehrrecht begründet wird.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2015 - 16 E 648/15 - und früher: Beschluss 20. März 2014 - 16 B 264/14 -, juris m.w.N.
Die Einnahme von Amphetamin schließt die Kraftfahreignung unabhängig davon aus, ob unter der Wirkung dieser sog. harten Droge ein Kraftfahrzeug geführt worden ist oder nicht (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 der Fahrerlaubnis-​Verordnung (FeV); vgl. auch: Nr. 3.14.1 der Begutachtungs-​Leitlinien zur Kraftfahreignung des gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, C. -H. , Mai 2014). Schon der einmalige Konsum sog. harter Drogen wie Amphetamin ist ausreichend, die Kraftfahreignung zu verneinen,
so auch OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 - 16 B 332/07 -; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 16. Februar 2004 - 12 ME 60/04 - und 16. Juni 2003 - 12 ME 172/03 -, DAR 2003, 432 f.; OVG Brandenburg, Beschluss vom 22. Juli 2004 - 4 B 37/04 -; OVG Saarland, Beschluss vom 30. März 2006 - 1 W 8/06 -; VGH Baden-​Württemberg, Beschluss vom 22. November 2004 - 10 S 2182/04 -, VRS 108 (2005), 123 ff.
Zudem ist der Antragsteller aufgrund des festgestellten Cannabiskonsums nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 kraftfahrungeeignet. Denn zum einen liegt ein Beigebrauch von Amphetamin vor; zum anderen leidet der Antragsteller an einer schizophrenen Psychose und damit an einer Störung der Persönlichkeit.

Die Kammer geht auch von einem bewussten Amphetamin- und Cannabiskonsum des Antragstellers aus. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung geht einem positiven Drogennachweis typischerweise ein entsprechender Willensakt voraus. Der von dem Betroffenen behauptete Fall einer versehentlichen bzw. missbräuchlich durch Dritte herbeigeführten Rauschmittelvergiftung stellt sich dagegen als ein Ausnahmetatbestand dar, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann und der von diesem glaubhaft und widerspruchsfrei dargetan werden muss. Der Betroffene muss nachvollziehbar und plausibel darlegen, wer, aus welchem Grund und auf welche Weise die Drogen verabreicht haben soll. Allein die Vermutung, die Drogen könnten von fremden Dritten unwissentlich verabreicht worden sein, reicht hierfür nicht aus.
OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2012 - 16 B 231/12 -, juris, m. w. N.; Beschluss vom 18. Februar 2008 - 16 B 2113/07 -, juris.
Der Antragsteller hat nach dieser Maßgabe einen unbewussten Konsum nicht ansatzweise dargelegt. Zudem ist der Antragsteller äußerst drogenerfahren. Eine unwillentliche Aufnahme gleich zweier Drogen hätte von ihm bemerkt werden müssen.

Das am 22. Juni 2015 in den LWL-​Kliniken durchgeführte Screening, bei dem keine Drogen im Blut des Antragstellers nachgewiesen wurden, steht dem positiven Befund der am Vorfallstag entnommenen Blutprobe nicht entgegen.

Dafür, dass das von ihm eingenommene Medikament Beperiden Amphetamin enthält, ist seitens des Gerichts nichts erkennbar. Eine entsprechende Erklärung seines behandelnden Arztes hat der Antragsteller nicht vorgelegt. Letztlich kann aber dahinstehen, ob der erhobene Amphetaminwert im Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme steht. Denn die Ungeeignetheit des Antragstellers ergibt sich - wie dargelegt - jedenfalls aus dem nachgewiesenen Cannabiskonsum. Dahinstehen kann daher derzeit auch, ob der Antragsteller bereits aufgrund seiner schizophrenen Psychose und / oder der Medikamenteneinnahme ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.

Bei feststehender Ungeeignetheit steht der Antragsgegnerin kein Ermessen zu. Angesichts dessen bestehen keine Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung.

Zudem ergibt auch eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache losgelöste Interessenabwägung, dass das Interesse des Antragstellers daran, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, hinter dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung zurückstehen muss. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten für den Antragsteller sind vergleichsweise gering. Ihnen steht das öffentliche Interesse am Schutz von Leib, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrern gegenüber, das eindeutig überwiegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der Rechtsprechung des OVG NRW bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren,
vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 -, juris/nrwe.de.