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OLG Hamburg Beschluss vom 24.10.2014 - 1 Ws 110/14 - Versagung der Akteneinsicht gegenüber Nebenklägern

OLG Hamburg v. 24.10.2014: Versagung der Akteneinsicht gegenüber Nebenklägern


Das OLG Hamburg (Beschluss vom 24.10.2014 - 1 Ws 110/14) hat entschieden:

  1.  Nebenklägern steht grundsätzlich nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über ihren Rechtsanwalt auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses Akteneinsicht zu. Dieses Recht is jedoch nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO zu versagen, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint. Der Untersuchungszweck ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung zu besorgen ist.

  2.  Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.


Siehe auch
Verteidigung in Straf- und OWi-Sachen
und
Akteneinsicht

Gründe:

I.

Dem Beschwerdeführer wird durch die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vorgeworfen, in Hamburg in den Jahren 2013 und 2014 drei Frauen vergewaltigt zu haben (§ 177 Abs. 2 StGB). Zwei der mutmaßlichen Tatopfer haben sich dem Verfahren als Nebenklägerinnen angeschlossen und durch die ihnen bestellten anwaltlichen Nebenklagevertreter jeweils Akteneinsicht beantragt. Dem hat der Strafkammervorsitzende mit der in der Beschlussformel benannten Entscheidung in vollem Umfang entsprochen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde und einem hiermit verbundenen Antrag nach § 307 StPO. Er macht den Versagungsgrund nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO geltend. Da er den Geschlechtsverkehr mit diesen beiden Nebenklägerinnen objektiv gestanden und - insoweit abweichend von den Aussagen der Nebenklägerinnen im Ermittlungsverfahren - jeweils einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr angegeben habe, stehe in beiden Fällen Aussage gegen Aussage. Dies rechtfertige eine vollständige Versagung der Akteneinsicht. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem entgegen getreten und hat die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und in der Sache zum überwiegenden Teil begründet.




1. Das Rechtsmittel ist statthaft.

a) Die Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten nach § 406e Abs. 1 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 StPO ist nach Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechend § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO mit der Beschwerde anfechtbar (§ 304 StPO). Dem steht § 305 Satz 1 StPO mangels Verweisung in § 406e Abs. 4 Satz 3 StPO nicht entgegen (vgl. nur Lauterwein, Akteneinsicht und -auskünfte für den Verletzten, Privatpersonen und sonstige Stellen §§ 406e und § 475 StPO [2011], S. 161; Löwe/Rosenberg/Wenske, 26. Aufl., Nachtr. § 406e Rn. 8).

b) Der Angeklagte ist auch beschwerdebefugt.

aa) Zwar folgt das notwendige Rechtsschutzbedürfnis hier nicht aus übergangenen schutzwürdigen Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO. Schutzwürdig im Sinne dieses Versagungstatbestandes sind etwa persönlichkeitsrechtliche Interessen im weitesten Sinne aber auch wirtschaftliche oder vermögensrechtliche Interessen, namentlich zum Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen (vgl. nur Löwe/Rosenberg/Hilger, 26. Aufl., § 406e Rn. 9). Solche Belange sind hier weder ersichtlich noch durch den Beschwerdeführer vorgebracht worden.




bb) Ein Angeklagter kann in seinen Rechten aber durch eine den Untersuchungszweck gefährdende Akteneinsicht eines Nebenklägers betroffen sein und mithin den Versagungsgrund des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO für sich reklamieren. Die unbeschränkte Akteneinsicht eines Nebenklägers kann im Einzelfall nämlich mit den höchstrichterlichen Grundsätzen der Beweiswürdigung, die sich namentlich aus der freiheitssichernden Funktion der Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs.1 GG ergeben, unvereinbar sein und sich insoweit als mögliche Rechtsverletzung für den Angeklagten erweisen (vgl. nachstehend 2.bb).

cc) So liegt es hier. Soweit der Angeklagte eine Einvernehmlichkeit der ihm zur Last gelegten sexuellen Handlungen zum Nachteil der beiden Nebenklägerinnen C und S vorgibt, steht Aussage gegen Aussage. Damit greifen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung und Beweiserhebung, die durch die Akteneinsicht beider Nebenklägerinnen zumindest eine für das Rechtsschutzbedürfnis zureichende Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Angeklagten begründen könnten (vgl. nachstehend 2.bb).

2. Das Rechtsmittel hat in der Sache überwiegend Erfolg.

Zwar steht beiden Nebenklägerinnen grundsätzlich nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über ihren Rechtsanwalt auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses Akteneinsicht zu (vgl. § 406e Abs. 1 Satz 2 StPO). Dieses Recht war hier indes in weiten Teilen nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO zu versagen. Hiernach kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint.

a) Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist (vgl. nur BT- Drucks. 10/5305, S. 18). Zwar steht den mit der Sache befassten Gerichten hierbei ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. nur BGH, vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519, 1520). Die durch das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage (zu hierin liegenden Gefahren etwa Schwenn, StV 2010, 705, 708; BeckOK-StPO/Eschelbach, 18. Ed., § 261 Rn. 55.3), reicht - entgegen anderer Stimmen im Schrifttum (vgl. Schlothauer, StV 1987, 356, 357 m.w.N.; Riedel/Wallau, NStZ 2003, 393, 397) - für sich zur Versagung aber nicht aus (OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 1988 - 2 VAs 3/88, StV 1988, 332, 334; Hilger, a.a.O.; vgl. ferner BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Für die Prüfung der - abstrakten (vgl. nur Hilger, a.a.O., § 406e Rn. 12 f.; SSW-StPO/Schöch, § 406e Rn. 12) - Gefährdung des Untersuchungszwecks ist vielmehr eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall vorzunehmen (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.; Hilger, a.a.O. Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 406e Rn. 6a).

b) Eine diesen Maßgaben verpflichtete Entscheidung führt hier wegen einer Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer weitgehenden Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.

aa) Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann (vgl. nur Sander, StV 2000, 45, 46; ders. in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 261 Rn. 83d m.w.N.; Schmandt, StraFo 2010, 446, 448 m.w.N.). Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - 4 StR 360/12, NStZ, 2013, 180, 181; ferner Sander, a.a.O.; Schmandt, a.a.O., m.w.N.).

So liegt es hier. Beide Nebenklägerinnen haben jeweils gewaltsam, gegen ihren Willen durchgeführte sexuelle Handlungen des Angeklagten beschrieben. Der Angeklagte hingegen hat sich wiederholt dahin eingelassen, dass es zuvor jeweils Flirtkontakte gegeben habe und erst sodann und einverständlich intim verkehrt worden sei. Die Aussageinhalte betreffen erkennbar auch das Kerngeschehen beider angeklagten Taten. Ihr besonderes Gepräge verliert diese Beweiskonstellation auch nicht etwa deshalb, weil die Nebenklägerin C unbekleidet im Lokal „...“ erschienen war und um Verständigung der Polizei gebeten hatte. Dies ist zwar eine bestimmende Beweistatsache; sie lässt allerdings für sich keine unmittelbaren Schlüsse auf den zur Tatzeit entgegen stehenden Willen der Nebenklägerin zu.

bb) In diesen Fällen ist das gerichtliche Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert. Eine unbeschränkte Akteneinsicht des Verletzten ist hier mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar.

(1) Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat mit ihren aus aussagepsychologischen Erkenntnissen entwickelten Grundsätzen für die Beweiswürdigung und deren Darstellung in den schriftlichen Urteilsgründen den Maßstab konkretisiert, der sich aus der freiheitssichernden Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 GG für das faire rechtsstaatliche Verfahren ergibt (vgl. etwa BVerfG [Kammer] Beschluss vom 30. April 2003 - 2 BvR 2045/02, NJW 2003, 2444, 2445). Hiernach muss sich der Tatrichter - gerade auch mit Blick auf die eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten eines Angeklagten (BGH, Beschluss vom 20. April 2004 - 4 StR 67/04) - bewusst sein, dass die Aussagen des Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen sind und eine lückenlose Gesamtwürdigung der Indizien von besonderer Bedeutung ist. Die Urteilsgründe müssen dieses Bewusstsein und beweiswürdigende Vorgehen in intersubjektiv-vermittelbarer Weise erkennen lassen (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juli 1999 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.; ferner Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rn. 11a m.w.N.).


(2) Bei einer diesen Maßgaben verpflichteten Glaubhaftigkeitswürdigung kommt - außer bei sehr einfach strukturierten Lebenssachverhalten (vgl. nur Volbert/Steller in: Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 826; Greuel, Wirklichkeit - Erinnerung - Aussage, S. 38; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 4. Aufl., S. 53) - der inhaltlichen Konstanz aufeinander folgender Vernehmungen desselben Zeugen als eines von zahlreichen Realitätskriterien wesentliche Bedeutung zu (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172; zuletzt etwa BGH, Urteil vom 28. Mai 2014 - 2 StR 70/14, BeckRS 2014, 13948). Dem liegt namentlich zugrunde, dass differenzierte Erinnerungen an selbst erlebtes Geschehen länger im Gedächtnis behalten werden, erlebnisfundierte Schilderungen deswegen bei wiederholter Befragung mehr Übereinstimmungen als erfundene Aussagen aufweisen und gleichwohl auftretende Erinnerungsverluste ungleichmäßig verlaufen (vgl. nur Volbert/Steller a.a.O.; Greuel, a.a.O.; Arntzen, a.a.O., S. 51). Sämtliche Inhalte früherer Vernehmungen, die Entstehung und Entwicklung der Aussagen des einzigen Belastungszeugen sind deshalb strengbeweislich aufzuklären [§ 244 Abs. 2 StPO] und - naheliegend nicht durch den Belastungszeugen selbst - zum Inbegriff der Hauptverhandlung zu machen (§ 261 StPO). Dieser Hintergrund ermöglicht in der Zusammenschau mit der Aussage des Belastungszeugen in der Hauptverhandlung die gebotene Konstanzanalyse.

cc) Die Aussagekraft des für die Beweiswürdigung wesentlichen Realitätskriteriums der Aussagekonstanz wird indes durch die Akteneinsicht des einzigen Belastungszeugen entwertet und gefährdet daher eine den vorstehenden Maßgaben entsprechende gerichtliche Beweiswürdigung.

(1) Erhält die einzige Belastungszeugin im Rahmen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation - naheliegend vermittelt über ihren Beistand (§ 397a StPO) - Kenntnis von Inhalten ihrer früheren Vernehmungen oder ihrer spontanen Angaben, kann eine Würdigung der Aussagekonstanz nicht mehr vollständig entsprechend den vorstehend benannten Maßgaben erfolgen. Anhand der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung wäre eine sichere Unterscheidung zwischen der Wiedergabe real erlebten Geschehens und schlichtem Referieren ihrer zuvor im Wege der Einsicht in die Verfahrensakten zur Kenntnis genommenen Inhalte früherer Vernehmungen nicht mehr möglich (vgl. auch SK-StPO/Velten, 4. Aufl., § 406e Rn. 19; BeckOK-StPO/Eschelbach, 18. Ed., § 261 Rn. 55.1; Löwe/Rosenberg/Wenske, a.a.O., § 397 Rn. 11; Lauterwein, a.a.O., S. 123 f.; Meister, Die Versagung der Akteneinsicht des Verletzten, § 406e Abs. 2 StPO [2011], S. 179). Überdies wäre bei umfassender Aktenkenntnis eine Anpassung des Aussageverhaltens des einzigen Belastungszeugen an die jeweils aktuelle Verfahrenslage nicht auszuschließen (vgl. bereits Schünemann, NStZ 1986, 193, 199).

(2) Diese hiermit zu besorgende Beeinträchtigung eines für die Glaubhaftigkeitsprüfung wesentlichen Realitätskriteriums ist mit der tatgerichtlichen Sachaufklärungspflicht nicht vereinbar (§ 244 Abs. 2 StPO). Diese gebietet eine erschöpfende Nutzung der zugezogenen Beweismittel zur bestmöglichen Wahrheitserforschung. Umfassende Akteneinsicht des Verletzten erweist sich in der hier vorliegenden Beweiskonstellation ausnahmsweise als strukturelles Aufklärungsdefizit (vgl. etwa - zu den mit der Sachaufklärungspflicht korrespondieren Maßgaben des § 58 Abs. 1 StPO - BGH, Beschluss vom 7. November 2000 - 5 StR 150/00, NStZ 2001, 163, ferner KK-StPO/Senge, 7. Aufl., § 58 Rn. 11 und - zum Fragerecht des Verletztenbeistands (§ 240 StPO) - BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 1 StR 424/04, NStZ 2005, 222;).



(3) Das Rechtsmittel der Revision erweist sich nicht als zureichende Kompensation für dieses konkret zu besorgende tatgerichtliche Aufklärungsdefizit. Die Beweiswürdigung ist - entsprechend der durch § 261 und § 337 StPO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht - ureigene Aufgabe des Tatrichters. Sie unterliegt nur in engen Grenzen auf eine Sachrüge hin revisionsgerichtlicher Überprüfung (hierzu nur KK-StPO/Ott, 7. Aufl., § 261 Rn. 81 ff. m.w.N.). Dieser - trotz besonderer Anforderungen an die Darstellung der Beweiswürdigung in den schriftlichen Urteilsgründen - strukturell begrenzte nachträgliche Rechtsschutz ist mit den Erkenntnismöglichkeiten des Tatrichters als sachnächstem Richter nicht vergleichbar. Dessen besondere Erkenntnismöglichkeiten aus dem Inbegriff der Verhandlung gewinnen überdies - wie hier - an besonderer Bedeutung, wenn der konkret beschrittene Rechtszug nur eine Tatsacheninstanz vorsieht. In diesen Fällen hat der Angeklagte nur in einer Instanz die Möglichkeit, das Verfahrensergebnis zu beeinflussen; die Qualität der Rechtsprechung und Aufklärung in der Tatsacheninstanz und die Qualität ihrer Urteile entscheidet hier in besonderer Weise über die Effektivität der Strafverfolgung im Ganzen und damit auch über ihre Akzeptanz in der Rechtsgemeinschaft (vgl. Rissing-van Saan in FS Krey [2010], S. 431, 442).

(3) Soweit der Senat damit in einem hier vorliegenden Ausnahmefall der gerichtlichen Pflicht zur Wahrheitserforschung grundsätzlich den Vorrang vor den Informationsrechten eines Nebenklägers gewährt, entspricht er einer auch aus dem Gesetzgebungsverfahren erkennbaren und überzeugenden Wertentscheidung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22; ferner Barton, StRR 2009, 404 ff.). Rechtspolitische Bestrebungen, den Nebenkläger - im Zuge der mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz; BGBl. 2009 I S. 2280) erstrebten Entkopplung von Privat- und Nebenklage (vgl. hierzu Wenske, a.a.O., § 406e Rn. 1) - nach Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) ein unbeschränkbares Akteneinsichtsrecht zu gewährleisten (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 3. September 2009, BT-Drucks. 16/12098, S. 35) konnten sich im Gesetzgebungsverfahren gerade nicht durchsetzen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 1. Juli 2009, BT-Drucks. 16/13671, S. 22 sowie BT- Drucks. 16/12812, S. 15). Soweit die Gesetzesmaterialien als möglichen Anwendungsbereich des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO das Akteneinsichtsgesuch eines der Tatbeteiligung verdächtigen Angehörigen eines Getöteten erkennen lassen (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22), handelt es sich ausdrücklich um eine Beispielskonstellation, die den - schon vom Wortlaut her nicht näher konkretisierten - Anwendungsbereich der Vorschrift nicht begrenzt.

cc) Mangels näherer Ausführungen in den Antragsschriften der Nebenklägervertreter vermag der Senat über das allgemeine Informationsinteresse der Nebenklägerinnen hinaus keine Gründe zu erkennen, die eine sofortige Akteneinsicht geböten. Ob und - bejahendenfalls - mit welchem Gewicht solche Umstände im Einzelfall in die hier vorgenommene Ermessensentscheidung einzustellen wären, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.

dd) Auch mildere Mittel sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Eine Verpflichtungserklärung des Nebenklägervertreters, die Akteninhalte der Nebenklägerin nicht zur Kenntnis zu geben, ist weder durchsetzbar noch mit der gebotenen Sicherheit zu kontrollieren.

ee) Der Senat hat daher den Umfang der Akteneinsicht auf den in der Beschlussformel ausgewiesenen Teil der Verfahrensakten beschränkt. Erfasst von der Versagung sind danach namentlich die Vernehmungen der Nebenklägerinnen, die Vernehmungen und informatorischen Befragungen des Angeklagten sowie die hieran jeweils anschließenden Eindrucks- und Ermittlungsvermerke. Im Übrigen war die Akteneinsicht zu gewähren (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 18).

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