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OLG Naumburg Urteil vom 25.01.2016 - 1 U 109/15 - Haftung eines aus einer Einsatzkolonne nach links ausscherenden Feuerwehrfahrzeugs
OLG Naumburg v. 25.01.2016: Zur Haftung eines aus einer Einsatzkolonne nach links ausscherenden Feuerwehrfahrzeugs
Das OLG Naumburg (Urteil vom 25.01.2016 - 1 U 109/15) hat entschieden:
Bewegt sich ein mit blauem Blinklicht gekennzeichneter Verband von ca. 50 Feuerwehrfahrzeugen zum Zwecke der Hochwasserbekämpfung auf der rechten Spur einer innerstädtischen mehrspurigen Straße, haftet der Halter des einzelnen Verbandsfahrzeuges dem auf der linken Spur überholenden Verkehr nach §§ 7 ff. StVG für den gesamten Schaden, wenn es dort deshalb zu einer Kollision des Verbandsfahrzeuges mit dem Überholenden kommt, weil sich in Höhe einer Auffahrt ein Dritter vor dem Verbandsfahrzeug in den Verband einzuordnen versucht und damit ein der Vermeidung des Auffahrens dienendes Ausweichmanöver auf die linke Fahrspur provoziert.
Im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander kommt es nicht darauf an, ob der Überholende unmittelbar vor der Kollision unter Benutzung der gleichen Auffahrt hinter dem Verbandsfahrzeug einscherte und sofort auf die linke Fahrspur wechselte.
Siehe auch Sonderrechte - Einsatzfahrzeuge - Rettungsfahrzeuge und Fahrstreifenwechsel - Spurwechsel
Gründe:
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 II; 313a I ZPO abgesehen.
I.
Die zulässige Berufung des Beklagten zu 2. hat in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil des Landgerichts (BeckRS 2015, 13851) beruht auf keiner Rechtsverletzung (vgl. § 513 I ZPO). Insbesondere kommt es nicht auf eine Beweisaufnahme zum nur in Details streitigen Unfallhergang an. Bereits nach dem Vorbringen des Beklagten zu 2. erweist sich das Urteil des Landgerichts als zutreffend. Der aus übergegangenem Recht geltend gemachte und der Höhe nach unstreitige Schadensersatzanspruch der Klägerin ist nach §§ 7 I; 17 II, I StVG i.V.m. § 86 I 1 VVG begründet.
1. Auf die vom Landgericht ebenfalls bejahte Haftung des Beklagten zu 2. bei Amtspflichtverletzung kommt es nicht an. § 839 BGB enthält nur für schuldhafte Amtspflichtverletzungen eine erschöpfende Sonderregelung (Staudinger/Heinz Wöstmann, BGB, Neubearb. 2013, § 839 Rdn. 34). Gefährdungshaftungstatbestände, wie der § 7 StVG, sind daneben uneingeschränkt anwendbar (Staudinger a.a.O. Rdn. 35; Erman/Mayen, BGB, 14. Aufl., § 839 Rdn. 18 jew. m.w.N.).
2. Die Beschädigung des Fahrzeuges des Versicherungsnehmers der Klägerin beim Betrieb des Feuerwehrfahrzeuges des Beklagten zu 2. sowie die Regulierung dieses Sachschadens durch die klagende Kaskoversicherung sind zwischen den Parteien unstreitig. Der Beklagte zu 2. nimmt für sich den aus § 17 III 1, 2 StVG folgenden Haftungsausschluss in Anspruch und behauptet auf seiner Seite ein unfallursächliches unabwendbares Ereignis, woran die Berufung festhält.
Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, der Fahrer des Fahrzeuges des Beklagten zu 2., also der Beklagte zu 1., habe den Unfall durch Verbleiben auf der rechten Spur vermeiden können. Die Vorfahrtsverletzung durch den auf den M. Ring auffahrenden PKW der Frau K. habe den Beklagten zu 1. nicht gezwungen, auf die linke Fahrspur auszuweichen und den Unfall mit dem Zeugen O. zu riskieren. Es habe nicht dem Beklagten zu 1. oblegen, sich auszusuchen, mit welchem Fahrzeug er kollidiere. Dass ihn eine Risikoabwägung zum Handeln veranlasst habe, sei nicht ersichtlich.
Dies hält zumindest im Ergebnis einer Überprüfung durch den Senat stand.
Nach den Feststellungen des Landgerichts bewegte sich das Feuerwehrfahrzeug des Beklagten zu 2. in einem Verband i.S.v. § 27 StVO, der aus ca. 50 Fahrzeugen bestand. Ein solcher Verband ist wie ein Verkehrsteilnehmer zu behandeln. Deshalb könnte in Erwägung zu ziehen sein, die Unabwendbarkeit mit Blick auf den gesamten Verband zu beurteilen. Wenn das Fahrzeug der Zeugin K. die Feuerwehr des Beklagten zu 2. behinderte und zum Ausweichen nötigte, spricht viel dafür, dass zwischen dem Fahrzeug des Beklagten zu 2. und dem Vorausfahrenden kein solcher Abstand vorhanden war, der es Frau K. erlaubte, sich gefahrlos in den fließenden Verkehr einzuordnen. Ein Verband ist nach § 27 II StVO aber gerade verpflichtet, angemessene Abstände für den übrigen Verkehr frei zu lassen. Ein solcher Abstand hätte hier den Unfall zweifelsohne verhindern können, sodass bereits unter diesem Gesichtspunkt kein unabwendbares Ereignis vorliegt.
Ist allein auf das Fahrzeug des Beklagten zu 2. und den Beklagten zu 1. abzustellen, gilt nichts anderes. Der Beklagte zu 2. verweist während des gesamten Rechtsstreits auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.1984 (NJW 1985, 490), zu der auch das Landgericht eine Abgrenzung gesucht hat. Es kommt aber nicht erst darauf an, ob der Beklagte zu 1. beim Auffahren der Zeugin K. auf den M. Ring jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (vgl. § 17 III 2 StVG). Der an dem Verhalten eines Idealfahrers ausgerichtete Begriff des unabwendbaren Ereignisses verlangt eine sich am Schutzzweck der Gefährdungshaftung für den Kraftfahrzeugbetrieb ausrichtende Wertung. Diese Wertung hat unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrsumstände zu erfolgen. Die Prüfung darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat. Vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) ideal verhält. Vom Idealfahrer wird eine Fahrweise verlangt, die auf Grund allgemeiner Erfahrung geeignet ist, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH NJW 1992, 1684, 1685; OLG Koblenz NZV 2006, 201, 202). Hierauf stellt im Wesentlichen das bereits aus der Klageschrift stammende Argument der Klägerin ab, der Beklagte zu 1. habe sich angesichts der zu passierenden Auffahrt auf einfahrende Fahrzeuge rechtzeitig einstellen müssen. Dies ist auch die Auffassung des Senats.
Bewegte sich das Fahrzeug des Beklagten zu 2. in der Innenstadt auf einer mehrspurigen Straße in einem langen Verband, musste der Beklagte zu 1. damit rechnen, dass auch andere Verkehrsteilnehmer über die Auffahrten auf den M. Ring drängten. Ein Idealfahrer hätte sich hierauf eingestellt und dabei zum einen § 27 II StVO und zum anderen dem vorhersehbaren Versuch anderer Verkehrsteilnehmer Rechnung getragen, in Lücken des Fahrzeugverbandes einzufahren, mögen sie auch noch so klein sein. Die Einhaltung äußerst möglicher Sorgfalt verlangt, alle möglichen Gefahrenmomente zu berücksichtigen, wozu auch fremde Fehler gehören.
3. Da auch für den Zeugen O. der Unfall mit Sicherheit nicht unabwendbar war, kommt es für die Haftung der beteiligten Fahrzeughalter darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht wurde (§§ 17 II, I StVG).
Das Landgericht hat insoweit ausgeführt:
Es sei zwischen dem vergleichsweise groben, wenn auch nicht schuldhaften Verstoß des Feuerwehrfahrzeuges und dem Beitrag des Versicherungsnehmers der Klägerin, welchem kein Vorwurf zu machen sei, abzuwägen. Auch wenn sich der Zeuge O. wie von den Beklagten behauptet verhalten habe, so sei der Schutzzweck des § 27 StVO dennoch nicht tangiert.
Auch dies trifft - wenn auch nur im Ergebnis - zu.
Bei der Würdigung der Verursachungsbeiträge der beteiligten Fahrzeuge kommt es vorwiegend auf die sich beim Unfall verwirklichenden Betriebsgefahren an. Insoweit wiegt der Verursachungsanteil des Feuerwehrfahrzeuges ungleich schwerer, was zur Alleinhaftung des Beklagten zu 2. führt.
Gemäß § 2 I 1 StVO müssen Fahrzeuge die rechte Fahrbahn benutzen. Es ist möglichst weit rechts zu fahren (§ 2 II StVO). Auf § 7 I 1 StVO kommt es nicht an, weil der Verband rechts fuhr. Als Fahrzeug eines Verbandes durfte die Feuerwehr des Beklagten zu 2. auch nicht ohne weiteres nach links ausscheren, zumal gemäß §§ 7 V 1; 5 IV 1 StVO der Fahrstreifen nur gewechselt werden darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, hier des links überholenden Zeugen O., ausgeschlossen ist. Jeder Fahrstreifenwechsel ist, wie das Überholen (der Frau K.) auch, rechtzeitig und deutlich unter Benutzung der Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen(§§ 7 V 2; 5 IVa StVO). An alldem fehlte es beim Ausweichmanöver des Beklagten zu 1. auf die linke Fahrspur, auf der sich der Zeuge O. nach der Verkehrsunfallanzeige der Polizei, dem unstreitigen Ablauf der Fahrzeugkollision sowie dem Tatbestand des angefochtenen Urteils (vgl. § 314 ZPO) bereits befand. Dies führte zu einer erheblichen Erhöhung der Betriebsgefahr, ohne dass sich der Beklagte zu 2. auf Sonderrechte stützen kann. Die Nichtbeachtung der genannten Vorschriften war nicht zur Erfüllung der wahrgenommenen hoheitlichen Aufgabe dringend geboten (vgl. § 35 I StVO). Es handelte sich um eine verkehrsbedingte Reaktion, die nichts mit dem Hochwasserschutzeinsatz zu tun hatte, sondern nur bei Gelegenheit erforderlich wurde. Außerdem befreit § 35 StVO nicht von den allgemeinen Sorgfaltsanforderungen und rechtfertigt in keinem Fall die Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer. Das blaue Blinklicht des Verbandes (§ 38 II StVO) brachte keinen weitergehenden Vorrang mit sich, sondern mahnte nur zur erhöhten Vorsicht. § 27 StVO begründet für sich keinen Vorrang. Die einzelnen Verbandsmitglieder dürfen auf die Einhaltung der Vorschrift weder vertrauen noch deren Einhaltung erzwingen (Burrmann/ Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 27 StVO Rdn. 8).
Die Betriebsgefahr des auf der linken Fahrspur fahrenden PKW tritt dahinter zurück. Die vom Beklagten zu 2. eingewandten Verkehrsverstöße des Herrn O. mögen vorgelegen haben. Sie sind allerdings nicht unfallursächlich geworden. Es fehlt am notwendigen Zurechnungszusammenhang. Die Betriebsgefahr und insofern ein Sorgfaltsverstoß des Fahrers sind nur zu berücksichtigen, soweit der entstandene Schaden nach Art und Entstehung unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt. Es muss sich um einen Nachteil handeln, der aus dem Bereich der Gefahren stammt, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen wurde (BGH NJW 2014, 2190, 2191). Als das Fahrzeug des Beklagten zu 2. auf die linke Spur auswich, durfte sich der überholende Herr O. dort befinden. All die zuvor möglicherweise stattgefundenen Verstöße waren beendet und die dem zugrunde liegenden Vorschriften hatten nicht den Zweck, dem ausweichenden Feuerwehrfahrzeug eine unbefahrene linke Fahrspur oder das Nichtüberholtwerden zu gewährleisten.
§ 27 II StVO will die Unterbrechung des Verbandes verhindern. Darüber hinaus mag die Norm der Verhinderung eines Auffahrunfalls dienen, wenn das Verbandsfahrzeug, vor dem unterbrechend eingefahren wird, nicht mehr rechtzeitig bremsen kann. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2. befand sich aber unstreitig vor der vom Zeugen O. benutzten Lücke, sodass es von der Fahrweise des Geschädigten nicht betroffen wurde. Nichts anderes gilt für das Vorfahrtsrecht des durchgehenden Verkehrs (§ 18 III StVO).
Als Einfahrender musste sich der Zeuge O. zunächst in den fließenden Verkehr einordnen, bevor er zum Überholen überging. Diese Pflicht dient aber ebenfalls nur dem Schutz des nachfolgenden und nicht des vorausfahrenden Verkehrs (BGH NJW 1986, 1044).
Einmal auf die linke Spur gewechselt, durfte der Zeuge O. vom Beklagten zu 1. dort nicht gefährdet werden. Er konnte auf die Beibehaltung der Spur durch den Beklagten zu 1. vertrauen. Mit einem plötzlichen Ausscheren aus dem Verband war aus seiner Sicht nicht zu rechnen. Eine zum Überholverbot führende unklare Verkehrslage i.S.v. § 5 III Nr. 1 StVO bestand für den Zeugen O. ebenso wenig. Es ist nicht vorgetragen, dass sich dem Zeugen bei dem Verkehrsvorgang erschließen musste, die Zeugin K. könne sich nur unter Missachtung der Vorfahrt des Beklagten zu 1. auf den M. Ring einordnen und werde den Beklagten zu 1. dadurch zum Ausweichen auf die linke Spur zwingen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10; 713 ZPO.
Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung fordern die Entscheidung des Revisionsgerichts.