Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss vom 31.10.2016 - 7 L 2479/16 - Einmaliger Konsum von Kokain und Entzug der Fahrerlaubnis

VG Gelsenkirchen v. 31.10.2016: Einmaliger Konsum von Kokain und Entzug der Fahrerlaubnis


Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss vom 31.10.2016 - 7 L 2479/16) hat entschieden:
Ein Fahrerlaubnisinhaber ist zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, wenn er Kokain konsumiert hat. Die Einnahme von Kokain schließt die Kraftfahreignung unabhängig davon aus, ob unter der Wirkung dieser sog. harten Droge ein Kraftfahrzeug geführt worden ist oder nicht (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV; vgl. auch: Nr. 3.14.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung des gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach, Mai 2014). Schon der einmalige Konsum sog. harter Drogen wie Kokain ist ausreichend, die Kraftfahreignung zu verneinen (so auch OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 - 16 B 332/07 -; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 16. Februar 2004 - 12 ME60/04 - und 16. Juni 2003 - 12 ME 172/03 -, DAR 2003, 432 f.; OVG Brandenburg, Beschluss vom 22. Juli 2004 - 4 B 37/04 -; OVG Saarland, Beschluss vom 30. März 2006 - 1 W 8/06 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. November 2004 - 10 S 2182/04 -, VRS 108 (2005), 123 ff.).


Siehe auch Kokain im Fahrerlaubnisrecht und Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde


Gründe:

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt (unter 2.) - keine hin-​reichenden Erfolgsaussichten (§ 166 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).

2. Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 7061/16 des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 5. Oktober 2016 wiederherzustellen,
ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Zur Begründung verweist die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung, denen sie folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Klage- und Antragsvorbringen Folgendes auszuführen: Die Entziehungsverfügung findet ihre Grundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Fahrerlaubnis-​Verordnung -FeV-​. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen, der sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Ungeeignet ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wer Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV aufweist.

Der Antragsteller ist zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, weil er Kokain konsumiert hat. Die Einnahme von Kokain schließt die Kraftfahreignung unabhängig davon aus, ob unter der Wirkung dieser sog. harten Droge ein Kraftfahrzeug geführt worden ist oder nicht (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV; vgl. auch: Nr. 3.14.1 der Begutachtungs-​Leitlinien zur Kraftfahreignung des gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-​Gladbach, Mai 2014). Schon der einmalige Konsum sog. harter Drogen wie Kokain ist ausreichend, die Kraftfahreignung zu verneinen,
so auch OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 - 16 B 332/07 -; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 16. Februar 2004 - 12 ME60/04 - und 16. Juni 2003 - 12 ME 172/03 -, DAR 2003, 432 f.; OVG Brandenburg, Beschluss vom 22. Juli 2004 - 4 B 37/04 -; OVG Saarland, Beschluss vom 30. März 2006 - 1 W 8/06 -; VGH Baden-​Württemberg, Beschluss vom 22. November 2004 - 10 S 2182/04 -, VRS 108 (2005), 123 ff.
Der Kokain-​Konsum des Antragstellers ist forensisch nachgewiesen durch das Gutachten des Labors L. vom 8. September 2016. Danach konnten im Blut-​Serum des Antragstellers 51 µg/l Cocain und 618 µg/l Benzoylecgonin festgestellt werden.

Soweit der Antragsteller nunmehr vorträgt, ihm sei am Tag zuvor von dritter Seite etwas in sein Getränk getan worden, was er für einen harmlosen und legalen Stimmungsaufheller gehalten habe, gilt Folgendes: Zwar kann eine im Regelfall eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln nur bei einem willentlichen und bewussten Konsum angenommen werden. Allerdings geht nach allgemeiner Lebenserfahrung einem positiven Drogennachweis typischerweise ein entsprechender Willensakt voraus. Der von dem Antragsteller geltend gemachte Fall einer versehentlichen bzw. missbräuchlich durch Dritte herbeigeführten Rauschmittelvergiftung stellt sich dagegen als ein Ausnahmetatbestand dar, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann. Die Behauptung einer unbewussten Drogenaufnahme ist daher grundsätzlich nur beachtlich, wenn der Betroffene nachvollziehbar und plausibel darlegt, wie es dazu gekommen sein soll. Erst nach einer solchen Schilderung kann sich die Frage ergeben, zu wessen Nachteil eine gleichwohl verbleibende Ungewissheit über den genauen Hergang der Ereignisse ausschlägt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2012 - 16 B 231/12 -, juris, mit weiteren Nachweisen zur Senatsrechtsprechung; siehe auch OVG Rh.-​Pf., Beschluss vom 25. Januar 2012 - 10 B 11430/11 -, juris; OVG M.-​V., Beschluss vom 4. Oktober 2011 - 1 M 19/11 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 10. Dezember 2007 - 11 CS 07.2905 -, juris.
Diesen Anforderungen wird der pauschale Vortrag des Antragstellers, er habe noch nie illegale Drogen konsumiert und auch tags zuvor nicht gewusst, dass es sich um ein Rauschmittel gehandelt habe, bereits nicht ansatzweise gerecht. Vielmehr ist der jetzige Vortrag des Antragstellers als Schutzbehauptung zu werten. Denn die Polizei hat in ihrer Sachverhaltsdarstellung vom 28. August 2016 aufgenommen, der Antragsteller habe auf mehrmalige Frage nach einem Betäubungsmittelkonsum einen solchen zunächst verneint, dann angegeben, dass ein solcher lange zurück liege, sodann behauptet, am Nachmittag konsumiert zu haben und schließlich eingeräumt, am Tag zuvor mit seinem Bruder konsumiert zu haben. Nach erfolgter Belehrung bestätigte der Antragsteller seine letzte Angabe, mit seinem Bruder ein weißes Pulver konsumiert zu haben. Er wisse allerdings nicht, was das gewesen sei, da er betrunken gewesen sei. Dass er davon ausgegangen sei, es handele sich um ein legales Mittel, hat der Antragsteller nicht behauptet. Eine solche Annahme wäre zudem auch lebensfremd. Der jetzigen Behauptung eines unbewussten Drogenkonsums kann vor diesem Hintergrund nicht geglaubt werden.

Bei feststehender Ungeeignetheit steht dem Antragsgegner kein Ermessen zu. Angesichts dessen bestehen keine Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung.

Zudem ergibt auch eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache losgelöste Interessenabwägung, dass das Interesse des Antragstellers daran, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, hinter dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung zurückstehen muss. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2015 - 16 B 74/15 -, juris m. w. N.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis betrifft, ist ungeachtet der im Streit stehenden Fahrerlaubnisklassen, nach dem Auffangwert zu bemessen. Dieser ist im vorliegenden Eilverfahren zu halbieren.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 - juris.