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OLG Köln Beschluss vom 22.10.2004 - 8 Ss-OWi 48/04 - Der Betroffene kann sich auch im Bußgeldverfahren in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen

OLG Köln v. 22.10.2004: Der Betroffene kann sich auch im Bußgeldverfahren in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen


Das OLG Köln (Beschluss vom 22.10.2004 - 8 Ss-OWi 48/04) hat entschieden:
  1. Die Fürsorgepflicht des Gerichts, die in §§ 137 Abs. 1, 265 Abs. 4 StPO einen Ausdruck gefunden hat, gebietet es, eine Hauptverhandlung in Gegenwart des gewählten Verteidigers zu ermöglichen, wenn nach Bedeutung der Bußgeldsache und ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit dem Betroffenen nicht zuzumuten ist, sich allein zu verteidigen.

  2. Nach § 137 Abs. 1 S. 1 StPO kann sich der Betroffene in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes des Verteidigers bedienen. Dabei ist ein solcher Anspruch auch im Bußgeldverfahren keinesfalls auf die Fälle notwendiger Verteidigung beschränkt.

Siehe auch Verteidigung in Straf- und OWi-Sachen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gem. § 349 Abs. 4 StPO und Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des AG Köln mit folgenden Ausführungen zum Sachstand und zur Rechtslage begründet:
„I. Mit Bußgeldbescheid vom 18. 2. 2004 hat der Oberbürgermeister der Stadt K. gegen den Betr. wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach den §§ 37 Abs. 2, 1 Abs. 2, 49 StVO; §§ 24, 25 StVG; 132.1 BKat; § 4 Abs. 1 BKatV; § 19 OWiG ein Bußgeld in Höhe von 125,00 Euro sowie ein Fahr-verbot von einem Monat festgesetzt (Bl. 6f. Bußgeldvorgang). Hiergegen hat der Betr. form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

Das zur Entscheidung berufene AG Köln - 802 OWi 231/04 - hat Termin zur Hauptverhandlung bestimmt auf den 14. 6. 2004. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. 5. 2004 hat der Betr. wegen eines bereits gebuchten Familienurlaubs in Kroatien um Verlegung des Termins gebeten. Daraufhin hat das AG einen neuen Termin zur Hauptverhandlung bestimmt auf den 28. 6. 2004.

Mit Schriftsatz vom 4. 6. 2004 hat nunmehr der Verteidiger des Betr. aus urlaubsbedingten Gründen um Verlegung des Termins gebeten. Nachdem der Verteidiger von der Geschäftsstelle des AG am 11. 6. 2004 telefonisch darüber in-formiert worden ist, dass der Hauptverhandlungstermin bestehen bleibe und der Betr. sich auch durch einen anderen Verteidiger vertreten lassen könne, hat der Verteidiger mit am 16. 6. 2004 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 15. 6. 2004 den Verlegungsantrag wiederholt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Betr. Wert darauf lege, von einem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden und das Gericht als Ausfluss des Gebots eines fairen Verfahrens und seiner prozessualen Fürsorgepflicht dem Antrag auf Verlegung des Termins nachzukommen habe. Zur Stützung seines Antrags hat der Verteidiger seinem Schriftsatz den Beschluss des BayObLG vom 23. 7. 2004 - 1 ObOWi 255/02 - beigefügt. Am 22. 6. 2004 hat die Geschäftsstelle des AG den Verteidiger von der Verfügung der Vorsitzenden unter-richtet, dass der Hauptverhandlungstermin nicht noch einmal verlegt werden könne, da er schon einmal auf Antrag des Betr. verschoben worden sei.

Daraufhin hat der Verteidiger mit am 22. 6. 2004 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag mitgeteilt, dass der Betr. nicht zum Hauptverhandlungstermin erscheinen werde.

Zu der Hauptverhandlung am 28. 6. 2004 sind weder der Betr. noch sein Verteidiger erschienen. Daraufhin ist der Einspruch des Betr. durch Urteil vom selben Tag gem. § 74 Abs. 2 OWiG mit folgender Begründung verworfen worden:
„Der Betr. ist in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben. Zwar hat der Verteidiger beantragt, den Termin zu verlegen, da er selbst in Urlaub sei. Eine Verhinderung des Betr. hat er nicht dargelegt. Den Vertagungsantrag hat das Gericht zurückgewiesen, da der Termin bereits schon einmal auf Antrag des Betr. verlegt wurde, weil er selbst in Urlaub war.

Der Einspruch ist daher nach § 74 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) verworfen worden.”
Gegen dieses, dem Betr. am 19.7.2004 zugestellte Urteil, hat er mit bei Gericht am 16. 8. 2004 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. . 2004 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese begründet. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung des Gebots eines fairen Verfahrens.

II. Die Rechtsbeschwerde hat mit der ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge (vorläufigen) Erfolg. Bei der erhobenen Rüge handelt es sich um eine Rüge der Verletzung der Fürsorgepflicht bzw. des Verstoßes gegen das Gebot des fairen Verfahrens (vgl. BayObLG, NJW 1995, 3134 = NZV 1995, 330 = VRS 89, 209; SenE vom 24.3. 1994 - Ss 114/94 Z - = VRS 87, 207; SenE vom 4. 6. 2004 - Ss 145/02 B-76B). Die Rüge greift durch.

Das Beschwerdegericht kann nicht nachprüfen, ob das Tatgericht sich mit dem Antrag auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins durch den Verteidiger des Betr. und den dazu vorgebrachten Gründen auseinandergesetzt hat und gegebenenfalls ohne Rechtsfehler vom Fehlen einer genügen-den Entschuldigung für das Ausbleiben des Betr. in der Hauptverhandlung ausgegangen ist, weil es sich hiermit in den Urteilsgründen nicht befasst hat.

Nach § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG kann sich ein Betr. in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen (vgl. BayObLG, NStZ 2002, 97). Dabei ist ein solcher Anspruch auch im Bußgeldverfahren - und trotz § 228 Abs. 2 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG - keinesfalls auf die Fälle notwendiger Verteidigung (§§ 140, 145 StPO; § 71 Abs. 1 OWiG) beschränkt (vgl. OLG Zweibrücken, StV 1992, 568 = NZV 1993, 81 = VRS 83, 366; BayObLG, NJW 1995, 3134; SenE vom 9. 7. 1996 - Ss 319/96 Z = VRS 92, 261; SenE vom 4. 6.2002 - Ss 145/02 B 76B).

Die Fürsorgepflicht, die u. a. in § 137 Abs. 1 StPO – und z. B. auch in § 265 Abs. 4 StPO - Ausdruck gefunden hat (vgl. BayObLG, NJW 1995, 3134 und NStZ 2002, 97), gebietet es vielmehr, eine Hauptverhandlung in Gegenwart des gewählten Verteidigers zu ermöglichen, wenn es nach der Bedeutung der Bußgeldsache und ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit dem Betr. nicht zuzumuten ist, sich allein zu verteidigen (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 63, 458; OLG Zweibrücken, a.a.O.; NZV 1996, 162; SenE a.a.O.; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 71 Rdn. 30 a).

Nichts anders folgt aus dem Gebot des fairen Verfahrens, wonach der Betr. gem. Art. 6 Abs. 3 c MRK das Recht hat, den Beistand seiner Wahl zu erhalten. Dieses Recht ist sowohl bei der Terminsbestimmung als auch bei Entscheidungen über Anträge auf Terminsverlegung oder Aussetzung der Hauptverhandlung zu beachten (vgl. BGH, StV 1981, 89).

Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass in der von dem Tatgericht vorgenommenen Abwägung diese Interessen des Angekl. und seines Verteidigers keine ausreichende Berücksichtigung gefunden haben. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Urlaub des Verteidigers grundsätzlich zu den anzuerkennenden Gründen gehört (vgl. OLG Celle, StV 1984, 503; OLG Frankfurt, StV 1997, 402; OLG München, NStZ 1994, 451; sowohl auch schon OLG Hamm, NZV 1997, 90).

Für den Betr., für den - unwiderlegt - Rechtsanwalt B. der Anwalt seines Vertrauens ist, besteht ein besonderes Interesse daran, sich in dem nicht ganz einfachen, mit erheblichen Folgen verbundenen Bußgeldverfahren (125 Euro Geldbuße, ein Monat Fahrverbot, vier Punkte) gerade von diesem Anwalt vertreten zu lassen.

Schließlich ist der angefochtenen Entscheidung auch nicht zu entnehmen, warum dem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers nicht leicht hätte entsprochen werden können. Das Bußgeldverfahren unterlag keinem besonderen Beschleunigungsgebot. Als Beweismittel waren lediglich drei Zeugen geladen und der Verlegungsantrag des Verteidigers lag dem Tatgericht drei Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin vor.

In der Nichtberücksichtigung bzw. Nichterörterung der geschilderten Umstände liegt nicht nur ein Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BayObLG, DAR 2000, 578; BayObLG, Beschluss vom 23. 7. 2002 - 1 ObOWi 255/02 -; Steindorf in Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., § 80 Rdn. 41).

Das angefochtene Urteil ist daher gem. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG in Verbindung mit § 353 StPO aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des AG Köln zurückzuverweisen.”
Dem ist - mit folgenden, aber nicht entscheidungserheblichen - Einschränkungen beizutreten: Befasst hat sich das AG in seinem Urteil mit dem Antrag des Verteidigers auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins sehr wohl. Auch kommt es nicht darauf an, ob dem Antrag auf Terminsverlegung „leicht” oder schwerlich hätte entsprochen werden können. An der Beeinträchtigung des Angekl. in seinem Recht auf Beistand durch den gewählten Verteidiger ändert dies nichts.

Der Verteidiger ist im Übrigen zu S. 3 der Rechtsbeschwerdebegründung darauf hinzuweisen, dass es nicht um seine Entschuldigung für sein Ausbleiben im Termin geht (vgl. hierzu SenE vom 26. 3.2004 - Ss 125/04 Z). ..."