Das Verkehrslexikon

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Verschiedene Fallgestaltungen hinsichtlich der Strafbarkeit gem. § 6 PflVG

Verschiedene Fallgestaltungen hinsichtlich der Strafbarkeit gem. § 6 PflVG


Siehe auch

Verstöße gegen die gesetzliche Pflichtversicherung

und

Zu den Voraussetzungen der Strafbarkeit nach § 6 PflVG




Anmerkung:

   Seit Erstellung dieses Artikels hat der Gesetzgeber - in manchmal umfassender Weise - Vorschriften geändert, die für das hier behandelte Thema relevant sind. Dies betrifft vor allem Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) sowie den Ersatz von Vorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungsverordnung (StVZO) durch solche der Fahrzeugzulassungsverordnung (FZV). - Beispiel: Ersatz des § 29c StVZO durch § 25 FZV.



Entscheidend für den rechtmäßigen Gebrauch eines Kfz im öffentlichen Straßenverkehr ist nicht, ob der Versicherungsschutz besteht, sondern es kommt auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Versicherungsvertrages an (BGH NJW 1984, 877 = VRS 67, 154). Ausreichend, um einer Bestrafung zu entgehen, ist also nicht die gesetzliche Nachhaftung, weil in diesem Fall ein Vertrag nicht mehr besteht.

Dies ist für jeweils einzelne Fallgestaltungen unterschiedlich zu beurteilen:



Obliegenheitsverletzungen

Gegebenheiten, die nur im Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer eine Rolle spielen (wie z. B. Obliegenheitsverletzungen und daraus folgende Leistungsfreiheiten und Regressansprüche) sind im Rahmen der Strafbarkeit völlig bedeutungslos, denn sie ändern nichts daran, dass der vertragliche Versicherungsschutz bestand, als das Fahrzeug gebraucht wurde.





Nachhaftung

Zum Schutz des geschädigten Dritten muss die Kfz-Haftpflichtversicherung für einen gewissen Zeitraum noch im Außenverhältnis infolge des Direktanspruchs haften, auch wenn der Versicherungsvertrag nicht mehr besteht.

Gemäß § 25 FZV ist der Versicherer gehalten, der Zulassungsstelle das Nichtbestehen der Kfz-Haftpflicht anzuzeigen. Die Nachhaftungszeit beträgt für inländische Fahrzeuge einen Monat und beginnt frühestens mit dem Ende des Versicherungsvertrages. Sie endet einen Monat nach der Anzeige an die Zulassungsstelle.

Für ausländische Fahrzeuge beträgt die Nachhaftungsfrist fünf Monate (bzw. nur fünf Wochen, wenn es sich um eine Versicherung mit einer Laufzeit von weniger als 10 Tagen handelte), wenn eine Versicherungsbescheinigung (Grüne Karte) nicht vorgelegt wird oder das Ende der Versicherung aus der Versicherungsbescheinigung hervorgeht.

Da in allen Nachhaftungsfällen das Versicherungsverhältnis beendet ist, ein Versicherungsvertrag also nicht mehr bestand, ändert der in der Nachhaftungszeit gegebene Versicherungsschutz nichts an der Strafbarkeit nach § 6 PflVG.





Rückwirkendes Außerkrafttreten der vorläufigen Deckung, Blanko-Doppelkarte und gestohlene Doppelkarte:

Mit der Annahme des Antrags des Kunden auf Abschluss eines Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrags durch das Versicherungsunternehmen kommt dann der eigentliche Hauptvertrag zustande. Ohne weitere gesetzliche Regelungen würden nun die beiden Verträge (Hauptvertrag und Vertrag über die vorläufige Deckung) nebeneinander bestehen. Um hier Klarheit zu schaffen bestimmt § 1 Abs. 4 AKB:

   "Die vorläufige Deckung tritt rückwirkend außer Kraft, wenn der Antrag unverändert angenommen, der Versicherungsschein aber nicht innerhalb von zwei Wochen eingelöst wird und der Versicherungsnehmer die Verspätung zu vertreten hat."


Da durch die Erteilung der vorläufigen Deckung - die im Innenverhältnis zwischen Versicherungsunternehmen und Kunden ohnehin an keine bestimmte Form gebunden ist, ja sogar mündlich durch einen Abschlussagenten zugesagt werden kann - ein Versicherungsvertrag zustande gekommen ist, kommt eine Strafbarkeit nach § 6 PflVG auch nicht in Betracht.

Händigt ein Versicherer eine Blanko-Versicherungsbestätigung (also eine "Doppelkarte" ohne Namen und Anschrift des Versicherungsnehmers) aus und wird dann ein Kfz von einer anderen Person mit dieser Blanko-Bestätigung zugelassen, so kommt gleichwohl der Versicherungsschutz über die vorläufige Deckung zustande (Feyock / Jacobsen / Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl. 2002, Rdnr. 2 zu § 9 KfzPflVersVO).

Wird jedoch die Versicherungsbestätigung gestohlen und zur missbräuchlichen Verwendung für eine Kfz-Zulassung verwendet, besteht kein Versicherungsschutz, weil zwischen Dieb und Versicherungsunternehmen keine rechtsgeschäftlichen Beziehungen bestehen. Da in einem solchen Fall auch keine äußerer Rechtsschein erzeugt wurde, auf Grund dessen außenstehende Dritte auf das Bestehen von Versicherungsschutz vertrauen durften, entsteht auch im Schadensfall kein Direktanspruch gem. § 3 Nr. 1 PflVG (Feyock / Jacobsen / Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl. 2002, Rdnr. 20 zu § 9 KfzPflVersVO). Der Dieb bzw. die Person, die ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr benutzt, dessen Zulassung mit einer gestohlenen Doppelkarte erschlichen worden ist, macht sich also nach § 6 PflVG strafbar.






Rücktrittsfiktion gem. § 38 VVG:

§ 38 VVG (Erste Prämie) bestimmt:

   (1) Wird die erste oder einmalige Prämie nicht rechtzeitig gezahlt, so ist der Versicherer, solange die Zahlung nicht bewirkt ist, berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten. Es gilt als Rücktritt, wenn der Anspruch auf die Prämie nicht innerhalb von drei Monaten vom Fälligkeitstage an gerichtlich geltend gemacht wird.

(2) Ist die Prämie zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls noch nicht gezahlt, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei.


Bis zur Ausübung des Rücktrittsrechts bzw. bis zum Verstreichen der zur Rücktrittsfiktion führenden Frist bestand der Versicherungsvertrag, sodass erst ein Gebrauchmachen von dem unversicherten Kfz von diesem Zeitpunkt an strafbar sein kann; eine rückwirkende Strafbarkeit ist nicht denkbar.

Hierzu hat das Kammergericht Berlin VRS 102, 128 ff. = NZV 2002, 200 (Beschl. v. 26.11.2001 - (3) 1 Ss 185/01 (106/01)) entschieden:

   "Bei der gegebenen Sachlage liegt es nämlich nicht fern, daß der ... abgeschlossene Haftpflichtversicherungsvertrag noch vor dem ... (Tattag) in Wegfall gekommen sein kann. Danach gilt es als Rücktritt, wenn die Erstprämie nicht bezahlt und der Anspruch auf die Prämie nicht innerhalb von drei Monaten vom Fälligkeitstag an gerichtlich geltend gemacht worden ist. Diese Vorschrift ist immer dann mit in Betracht zu ziehen, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - die Erstprämie nicht bezahlt und der Versicherer - wie anscheinend auch hier - deshalb Schritte mit dem Ziel unternommen hat, sein Rücktrittsrecht nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VVG auszuüben (vgl. OLG Zweibrücken DAR 1989, 274, 275). Letzteres deutet darauf hin, daß der Anspruch auf die Erstprämie nicht gerichtlich geltend gemacht worden ist, so daß das Wirksamwerden des Rücktritts kraft der Fiktion in § 38 Abs. 1 Satz 2 VVG nur noch vom Ablauf der Dreimonatsfrist abhängt (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.). Sobald diese Frist abgelaufen ist, besteht für das Fahrzeug kein Haftpflichtversicherungsschutz mehr und der Tatbestand des § 6 PflVG ist objektiv erfüllt, wenn das Fahrzeug danach auf öffentlichen Wegen oder Plätzen gebraucht oder der Gebrauch gestattet wird. Sollte sich ergeben, daß der Tatbestand des § 6 PflVG objektiv verwirklicht worden ist, so kommt eine Bestrafung des Angeklagten wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz dann in Betracht, wenn er davon, daß der Versicherungsvertrag bei Nichtzahlung der Erstprämie drei Monate nach ihrer Fälligkeit auch ohne Benachrichtigung durch den Versicherer kraft Gesetzes endet, - etwa aufgrund seiner Erfahrung als Kfz- Händler oder entsprechender auch für Laien verständlicher Hinweise in den Vertragsunterlagen, die den Versicherungsnehmern regelmäßig überlassen werden, - Kenntnis hatte oder hätte Kenntnis haben können."





Rückwirkender Fortfall der Kündigung bei Prämienverzug:

§ 38 Abs. 3 VVG bestimmt:

   (3) Der Versicherer kann nach Fristablauf den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen, sofern der Versicherungsnehmer mit der Zahlung der geschuldeten Beträge in Verzug ist. Die Kündigung kann mit der Bestimmung der Zahlungsfrist so verbunden werden, dass sie mit Fristablauf wirksam wird, wenn der Versicherungsnehmer zu diesem Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug ist; hierauf ist der Versicherungsnehmer bei der Kündigung ausdrücklich hinzuweisen. Die Kündigung wird unwirksam, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb eines Monats nach der Kündigung oder, wenn sie mit der Fristbestimmung verbunden worden ist, innerhalb eines Monats nach Fristablauf die Zahlung leistet; Absatz 2 bleibt unberührt.


Durch die Kündigung wird der Versicherungsvertrag beendet. Eine Zahlung seitens des Versicherungsnehmers innerhalb der genannten Fristen stellt den Versicherungsschutz rückwirkend (nach zunächst eingetretenem Vertragsende) wieder her.

Da der Versicherungsvertrag (nicht nur der Versicherungsschutz) zum Tatzeitpunkt bestanden haben muss, ist ein Gebrauchmachen vom Kfz im öffentlichen Straßenverkehr nach dem Eintreten der Kündigungswirkungen strafbar; die spätere Zahlung stellt keinen Fall einer straflos machenden "tätigen Reue" dar (BGH NJW 1984, 877; Heinzlmeier DAR 2006, 225 ff.(226)). Ob dies anesichts der Änderung der gesetzlichen Bestimmung des § 38 Abs 3 VVG so noch gilt, kann Anlass zu Zweifeln geben.

In strafrechtlicher Hinsicht ist allerdings zu beachten, dass dem Betroffenen der Erhalt der Kündigung, die in der Praxis oft nur durch einfachen Brief versandt wird, bewiesen werden muss. Hierzu reicht nicht aus, dass die Absendung der Mahnung und der Kündigung feststehen, sondern der Empfang der Briefsendungen muss darüber hinaus durch weitere positive Beweisanzeichen festgestellt werden. Im Strafrecht sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht anwendbar (OLG Köln VRS 56, 296; KG VRS 102, 128 ff. = NZV 2002, 200)

Der BGH hat selbst im Zivilrecht den Beweis der Absendung eines Einschreibens nicht als ausreichend dafür angesehen, dass der Brief den Empfänger auch tatsächlich erreicht hat (BGHZ 24, 308 ff. (Urt. v. 27.05.1957 - II ZR 132/56)). Daher ist die Absendung der Schriftstücke in einfachem Brief erst recht nicht ausreichend, in strafrechtlicher Hinsicht auch vom Empfang derselben auszugehen.



Veräußerung des Fahrzeugs:

Die Veräußerung eines Kfz lässt den Bestand des Haftpflichtversicherungsvertrages unberührt. Der Erwerber tritt von Gesetzes wegen in den Vertrag ein (§§ 69, 158h VVG, 6 Abs. 1 AKB). Jedoch steht dem Erwerber ein Kündigungsrecht gem. §§ 70 VVG, 6 Abs. 2 Satz 1 AKB zu.

Allerdings muss sich der Erwerber nach herrschender Auffassung vergewissern, ob für das erworbene Fahrzeug tatsächlich Kfz-Haftpflichtversicherungsschutz besteht. Gebraucht der Erwerber das unversicherte Kfz ohne eine solche Erkundigung im öffentlichen Straßenverkehr, handelt er fahrlässig (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., 2004, Rdnr. 17 vor § 29a StVZO; KG VRS 56, 296).

Allerdings darf der Erwerber den Angaben des Veräußerers vertrauen, wenn es nachvollziehbar keinen Anlass gab, sich nicht auf die falschen Angaben des Veräußerers zu verlassen. In einem solchen Fall kann der Fahrlässigkeitsvorwurf entfallen (Heinzlmeier DAR 2006, 225 ff. (227)).






Benutzung des Kfz durch Dritte, Schwarzfahrt, Diebstahl:

Ebenso wie ein Erwerber muss sich auch ein sonstiger Kfz-Benutzer, der mit dem Halter nicht identisch ist, über das Bestehen eines Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrages vergewissern; die Verletzung dieses Gebots löst den Vorwurf des fahrlässigen strafbaren Gebrauchs gem. § 6 PflVG aus. Auch hier kommt es im Einzelfall aber darauf an, ob Grund bestand, etwaigen Angaben einer verfügungsberechtigten Person zu misstrauen (Feyock / Jacobsen / Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl. 2002, Rdnr. 22 zu § 6 PflVG; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., 2004, Rdnr. 17 vor § 29a StVZO).

Auch hier muss zwischen dem Bestehen des Versicherungsschutzes gegenüber Dritten und dem Bestehen des Versicherungsvertrags unterschieden werden: Bestand der Vertrag, dann ist auch der Dieb oder sonstige Schwarzfahrer nicht nach § 6 PflVG strafbar; bestand der Versicherungsvertrag nicht, dann ist zwar der Dritte geschützt (§ 3 PflVG), jedoch kann der Benutzer des Kfz, dem das Nichtbestehen des Vertrages infolge von vorwerfbarer Fahrlässigkeit unbekannt war, nach § 6 PflVG bestraft werden.



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