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Urteil vom 09.09.2008 - I-9 U 73/08 - Kollision auf abschüssiger Straße zwischen abschleppendem und abgeschleppten PKW

OLG Hamm v. 09.09.2008: Zur Haftung bei einer Kollision auf abschüssiger Straße zwischen abschleppendem und abgeschleppten PKW


Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 09.09.2008 - I-9 U 73/08) hat entschieden:

  1.  Kommt es beim Abschleppen eines Pkw durch einen anderen auf abschüssiger Straße zu einer Kollision zwischen beiden Fahrzeugen, haftet der abgeschleppte Führer und Halter ebenso wie dessen Haftpflichtversicherer dem geschädigten „Schlepper“ aus §§ 7 Abs. 1, 3 PflVersG a.F., weil sich der Unfall „beim Betrieb“ des abgeschleppten Pkw ereignet hat.

  2.  Ist ein Verschulden zu Lasten des jeweiligen Fahrzeugführers nicht erweislich, ist eine unterschiedliche Gewichtung der jeweiligen Betriebsgefahr nicht zu begründen.

  3.  Ein etwaig daneben aus § 670 BGB folgender Aufwendungsersatzanspruch bestände in entsprechender Höhe.


Siehe auch
Schleppen und Abschleppen von Fahrzeugen
und
Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung

Gründe:


I.

Der Kläger beansprucht von den Beklagten Schadensersatz in Höhe von 8.784,48 Euro wegen eines Verkehrsunfalls am 3. Juli 2006 auf der P-Straße in F. Als der Kläger mit seinem Pkw Hyundai den Beklagten zu 1) - einen Bekannten - mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw Audi mittels einer Abschleppstange abschleppte, stieß der abgeschleppte Pkw Audi an einer abschüssigen Stelle seitlich gegen den abschleppenden Pkw Hyundai.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien und Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens die Beklagten nach § 670 BGB für grundsätzlich ersatzpflichtig gehalten, diesen Aufwendungsersatzanspruch wegen dem Kläger nach § 254 BGB anzurechnender Betriebsgefahr seines Pkw Hyundai um 20 % gekürzt und unter Reduzierung der Unkostenpauschale um 5,-- Euro dem Kläger einen Betrag von 7.023,58 Euro zuerkannt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Zweitbeklagte, zugleich als Streithelferin des Erstbeklagten, mit der Berufung. Sie meint, ein Anspruch des Klägers aus § 670 BGB sei schon deshalb zweifelhaft, weil der Kläger nur eine Gefälligkeit geleistet, aber keinen rechtsverbindlichen Auftrag angenommen habe. Außerdem scheitere der Anspruch daran, dass der Kläger den Unabwendbarkeitsnachweis nicht geführt habe und deshalb für seinen Schaden selbst einstehen müsse. Letztlich seien Aufwendungsersatzansprüche nach § 670 BGB nicht von der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung erfasst. Ein Anspruch des Klägers aus § 7 StVG komme ebenfalls nicht in Betracht, weil sich der abgeschleppte Pkw Audi nicht "in Betrieb" befunden habe. Die Zweitbeklagte behauptet weiterhin, dass der Kläger zu stark gebremst und dadurch den Unfall verschuldet habe und rügt in diesem Zusammenhang das Übergehen ihres Antrags auf mündliche Anhörung des Sachverständigen T.




II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagten aufgrund des Unfalls vom 3. Juli 2006 ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 7 Abs. 1, 3 PflVG a. F. zu. Dieser Anspruch beschränkt sich jedoch wegen der Betriebsgefahr des Pkw Hyundai auf die Hälfte des dem Kläger unstreitig entstandenen Schadens von 8.779,48 Euro.

1. Der Unfall hat sich beim Betrieb des abgeschleppten Pkw Audi ereignet.

Lediglich in der älteren höchstrichterliche Rechtsprechung wird noch angenommen, dass bei einem Schleppzug nur eine einheitliche, vom Halter und Fahrer des schleppenden Fahrzeugs zu vertretende Betriebsgefahr vorliege, weil nur so der Einheitlichkeit des Betriebsvorgangs Rechnung getragen werde (BGH, Urteil vom 30.10.1962, NJW 1963, 251 m. w. N.). Hingegen wird in neuerer obergerichtlicher Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass jedenfalls ein mit Seil oder Stange abgeschleppter Pkw, der gelenkt werden muss, eine von dem abschleppenden Fahrzeug gesonderte, eigenständige Gefahrenquelle bilde und als "im Betrieb" befindlich anzusehen sei (OLG Köln, Urteil vom 07.03.1986, DAR 1986, 321). Der Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an. Zum einen befindet sich das mit Seil oder auch Stange abgeschleppte Fahrzeug nach der inzwischen ganz überwiegend vertretenen (weiteren) verkehrstechnischen Auffassung im Betrieb, denn es bewegt sich im öffentlichen Verkehr. Zum anderen ist die ältere höchstgerichtliche Rechtsprechung durch die Änderung der Gesetzeslage überholt. Nach der Neufassung des § 7 StVG durch Änderungsgesetz vom 19.07.2002 wird nunmehr auch dem Anhänger im Rahmen eines Fahrzeugsgespanns eine eigene Betriebsgefahr zugesprochen. Dann ist aber erst recht dem abgeschleppten Fahrzeug, das nicht nur gezogen, sondern darüber hinaus auch selbständig gelenkt wird, eine eigenständige Betriebsgefahr zuzuerkennen.




2. Da keiner der unfallbeteiligten Fahrer Unabwendbarkeit für sich in Anspruch nehmen kann, kommt es auf eine Abwägung der Verursachungsanteile nach § 17 StVG an.

Auch nach der ergänzenden Beweisaufnahme ist weder ein Fahrfehler des Beklagten zu 1) noch ein Fahrfehler des Klägers erweislich. Der Sachverständige T hat weder feststellen können, dass der Beklagte zu 1) zu spät gebremst hat, noch dass der Kläger zu stark verzögert hat oder zu schnell gefahren ist. Vielmehr hat der Sachverständige im Rahmen seiner ergänzenden Anhörung vor dem Senat noch einmal überzeugend erläutert, dass der streitgegenständliche Unfall sich ohne weiteres durch das Zusammenwirken der abschüssigen Unfallörtlichkeit mit dem Bewegungsspielraum der Abschleppstange in der Abschleppöse erklären lässt. Aufgrund des Spiels der Abschleppstange in der Öse ist es gerade auf einer abschüssigen Strecke möglich, dass das abgeschleppte Fahrzeug die seitlichen Führungskräfte überwindet und das abschleppende Fahrzeug überholt ohne dass es darüber hinaus einer zu starken oder gar abrupten Bremsung durch das abschleppende Fahrzeug bedarf.

Sind nach allem lediglich die Betriebsgefahren der unfallbeteiligten Fahrzeuge gegeneinander abzuwägen, so bewertet der Senat die Betriebsgefahr des schleppenden Fahrzeugs ebenso hoch wie diejenige des abgeschleppten Fahrzeugs. Dabei kann es nicht darauf ankommen, wer die Hauptverantwortlichkeit für den Abschleppvorgang trägt - dies wäre im Streitfall nach § 15 StVO der Kläger. Vielmehr ist entscheidend, dass das abschleppende Fahrzeug dem abgeschleppten Fahrzeug ebenso gefährlich werden kann, wie umgekehrt das abgeschleppte Fahrzeug dem abschleppenden Fahrzeug. Dies hat der Sachverständige T noch einmal bestätigt.



3. Soweit daneben möglicherweise auch ein Aufwendungsersatzanspruch des Klägers nach § 670 BGB in Betracht kommt, weil Einigkeit darüber bestand, dass der Kläger den Beklagten zu 1) abschleppen sollte und die hierin liegende Beauftragung des Klägers angesichts des mit dem Abschleppvorgangs verbundenen hohen Schadensrisikos mit Rechtsbindungswillen erfolgte und also kein bloßes Gefälligkeitsverhältnis vorlag, so geht dieser Anspruch jedenfalls nicht über die nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zuzuerkennende Haftungsquote der Beklagten hinaus. Denn der Umfang der Ersatzpflicht für unfreiwillige Schäden im Rahmen des § 670 BGB richtet sich nach allgemeinen Regeln, so dass insbesondere § 254 BGB Anwendung findet. Über diese Vorschrift muss sich der Kläger aber die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs ebenso anrechnen lassen wie im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG. Eine Modifizierung der §§ 249 ff. BGB zugunsten einer höheren Entschädigung des Klägers kommt entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht in Betracht. Soweit das Landgericht dies damit zu begründen sucht, dass der Kläger unentgeltlich allein im Interesse des Beklagten zu 1) tätig geworden sei, so liegt das im Wesen eines jeden Auftrags und rechtfertigt deshalb allein noch nicht eine abweichende Bewertung.

Nach allem kann der Kläger hälftigen Schadensersatz in Höhe von 4.389,74 Euro beanspruchen. Der Zinsanspruch und der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten gründen sich auf §§ 286, 288 BGB.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711 ZPO; Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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