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Landgericht Hamburg Urteil vom 20.07.2018 - 331 O 309/15 - Entladung eines LKW mit Gabelstapler

LG Hamburg v. 20.07.2018: Betriebsgefahr bei der Entladung eines LKW mit Gabelstapler


Das Landgericht Hamburg (Urteil vom 20.07.2018 - 331 O 309/15) hat entschieden:

   Wird ein Kraftfahrzeug in seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel entladen, handelt es sich bei dem Entladevorgang um einen Betrieb im Sinne von § 7 StVG. Dazu gehört auch das Abladen mit dem eigens dafür mitgeführten Stapler, selbst wenn dieser wegen einer bauartbeschränkten Geschwindigkeitsbegrenzung gemäß § 8 StVG als Arbeitsmaschine selbst keiner Haftung nach § 7 StVG unterliegt. Eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs im Sinne von § 7 StVG besteht bis zum Wiederaufladen des Staplers fort.


Siehe auch
Anhänger - Hänger - Lkw-Zug
und
Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung


Tatbestand:


Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 09.06.2015 in der Straße J. in H. geltend. Der Kläger ist Eigentümer eines Pkws Jeep Grand Cherokee mit dem Kennzeichen …. Die Beklagte ist Kraftfahrhaftpflichtversicherer eines Sattelzuges mit dem Kennzeichen …. Zu dem Sattelzug gehört ein mitversicherter Gabelstapel. Am Unfalltage stand der Sattelzug in der J. … und der Fahrer des Sattelzugs entlud diesen mit Hilfe des Gabelstaplers. Beim Passieren des Sattelzuges wurde das Fahrzeug des Klägers seitlich durch die Gabeln des Staplers beschädigt. Mit der Klage begehrt der Kläger einen Schaden in Höhe von 8.480,85 €.

Reparaturkosten Kfz wie Blatt 4 netto
gemäß Gutachten

7.226,61 €
Wertminderung gemäß Gutachten 200,00 €
Gutachterkosten gemäß Rechnung 709,24 €
Nutzungsausfall 5 Tage à 65,00 € (Gruppe H) 325,00 €
Kostenpauschale 20,00 €


Der Kläger behauptet, er habe den Stillstand des Staplers abgewartet, um dann den links der Fahrbahn stehenden Sattelzug passieren zu können. Als er an dem Stapler vor dessen Gabel entlangfuhr, sei dieser unvermittelt gegen die linke Seite seines Pkws gestoßen. Die Gabeln seien zum Zeitpunkt der Kollision nicht abgesenkt gewesen. Dadurch sei gegen berufsgenossenschaftliche Schutzgesetze verstoßen worden.




Der Kläger beantragt,

  1.  an den Kläger 8.480,85 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2015 zu zahlen,

  2.  an den Kläger 679,10 € vorgerichtliche Kosten nebst 5 Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

  3.  hilfsweise den Kläger von einer Vergütungsforderung seiner Prozessbevollmächtigten in dieser Höhe nebst 5 Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der Be- und Entladevorgang sei bereits abgeschlossen gewesen. Der Stapler sei bauartbedingt nicht mit einer höheren Geschwindigkeit als 20 km/h zu fahren, so dass gemäß §§ 7, 8 StVG, § 115 VVG eine Haftung ausgeschlossen sei. Der Kläger habe versucht, sich bei zu engem verbleibenden Raum zwischen rechtem Bordstein und dem stehenden Stapler hindurchzuzwängen. In dieser Weise sei es zur Kollision der Arbeitsmaschine mit dem sich in Bewegung befindlichen Pkw gekommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen P. und T., außerdem ist der Kläger persönlich angehört worden. Auf die Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen. Zudem ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens. Auf das Gutachten des Sachverständigen W. vom 05.10.2017 (Bl. 92 ff.) wird Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf hälftigen Ersatz seines materiellen Schadens in Höhe von 4.240,42 € gemäß §§ 7Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG.

Der Verkehrsunfall hat sich sowohl beim Betrieb des klägerischen Sattelzugs als auch beim Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten ereignet (§ 7 Abs. 1 StVG). Wird ein Kraftfahrzeug in seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel entladen, handelt es sich beim Entladevorgang weiter auch um einen Betrieb im Sinne von § 7 StVG. Dazu gehört im vorliegenden Fall insbesondere auch das Abladen mit dem eigens dafür mitgeführten Stapler, selbst wenn der Stapler wegen einer bauartbeschränkten Geschwindigkeitsbegrenzung gemäß § 8 StVG selbst nicht einer Haftung nach § 7 StVG unterliegt. Voraussetzung für eine Haftung des Sattelzugs nach § 7 Abs. 1 StVG ist, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als einer der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine besteht. Eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG ist danach im vorliegenden Entladevorgang weiterhin bis zum Wiederaufladen des Staplers gegeben, da das Kraftfahrzeug in einem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel genutzt wird (vgl. BGH v. 5.7.1988 - VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65 [67] = MDR 1988, 1047). Hierbei sind sogar die von dem Ladegut selbst ausgehenden Gefahren vom Schutzbereich des § 7 Abs. 1 StVG mitumfasst (BGH v. 5.7.1988 - VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65 [67] = MDR 1988, 1047). Denn es ist hierbei abzustellen auf die besondere Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in den in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere darstellt. Die somit an sich bestehende Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG ist danach auch nicht nach § 8 StVG ausgeschlossen.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Verkehrsunfall bei Anwendung höchster Sorgfalt für jeden der Unfallbeteiligten vermeidbar gewesen wäre, liegt ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG für keinen der Beteiligten vor. Die beiderseitigen Verursachungsbeiträge sind daher gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gegeneinander abzuwägen. Dabei kann das Gericht dieser Abwägung allein unstreitige oder erwiesene Tatsachen zugrunde legen. Auf dieser Grundlage erachtet das Gericht eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 50:50 für angemessen. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Entladevorgang des Sattelzugs beim Zurückfahren des mitgeführten Staplers auf die Fahrbahn ereignet hat. Kommt es bei einem solchen Fahrmanöver zu einem Verkehrsunfall, so steht bereits nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins fest, dass der betreffende Fahrzeugführer gegen § 10 StVO verstoßen und sich nicht so verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, hier - des auf der Baustraße fahrenden Verkehrs - ausgeschlossen war. Zudem liegt vorliegend auch ein der Beklagten ebenfalls nach § 823 BGB anzulastender Verstoß gegen gesetzliche Unfallverhütungsvorschriften vor, da die Gabel des Staplers in erheblicher Höhe in den Verkehrsraum ragte.


Ein Mitverschulden des Klägers steht zur Überzeugung der Kammer jedoch anhand der Beweisaufnahme ebenfalls fest. Es kann zwar nicht festgestellt werden, dass der Stapler bereits geraume Zeit gestanden habe. So hat der Zeuge T. selbst erklärt, dass er fuhr und die Gabel des Staplers dabei senkte und auch der Sachverständige geht anhand des Schadensbildes nur von nahezu Stillstand aus. Das Gericht geht jedoch aufgrund der Angaben der Zeugen T. und P. davon aus, dass die Geschwindigkeit auf der Baustraße auf 10 km/h begrenzt war und der Kläger diese jedoch deutlich überschritten hat. Da der Kläger den Entladevorgang nach eigenen Angaben wahrgenommen hatte, wäre der Unfall bei entsprechender Aufmerksamkeit und Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschränkung unschwer zu vermeiden gewesen. Auch wenn dem Stapler ein nach Anscheinsgrundsätzen feststehender schuldhafter Verkehrsregelverstoß gegen § 10 StVO anzulasten ist, fällt im vorliegenden Fall die erhöhte Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs im „verkehrsberuhigten“ und abgesperrten Raum danach mit ebenfalls 50% ins Gewicht.

Die Schadenshöhe ist durch die glaubhaften Ausführungen des Klägers hinsichtlich Reparatur und Nutzungsausfall hinreichend belegt. Zinsen in Höhe von 5 %-​Punkten über dem Basiszinssatz p.a. kann die Klägerin ab dem 21.08.2015 geltend machen gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 3 BGB. Die Beklagte hat die Regulierung endgültig verweigert.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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