1. | Das Erlöschen der Betriebserlaubnis ist geregelt in § 19 Abs. 2 S. 2 StVZO. Für den vorliegenden Fall relevant ist dabei § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StVZO, wonach die Betriebserlaubnis erlischt, wenn an dem Fahrzeug Änderungen vorgenommen werden, durch die eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern zu erwarten ist. Erforderlich ist dabei ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit. |
2. | Die Rechtsauffassung, die Anbringung jeglicher getönter Folie an den vorderen Seitenscheiben führe zum Erlöschen der Betriebserlaubnis eines Fahrzeugs ist rechtlich unzutreffend. Es muss - insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der konkreten Beschaffenheit der verwendeten Folie vorgenommen werden. |
3. | Auch die Auffassung, dass Änderungen an den Scheiben, die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind, immer zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führen, sind seit der Neufassung des § 19 Abs. 2 StVZO durch die Änderungsverordnung vom 16. Dezember 1993 überholt. Es trifft zwar zu, dass auf solchen Scheiben angebrachte Folien in einer amtlich genehmigten Bauart ausgeführt sein müssen (§ 22a Abs. 1 Nr. 3 StVZO). Das führt aber nicht dazu, dass, wenn das nicht der Fall ist, geringere Anforderungen an eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 19 Abs. 5, 69a Abs. 2 Nr. 1a StVZO, 24 StVG zu stellen wären und auf die Feststellung einer zu erwartenden Gefährdung von Verkehrsteilnehmern verzichtet werden dürfte. |
„Vorliegend stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen die sich aus § 40 Abs. 1 S. 3 StVZO ergebende gesetzliche Regelung, wonach Scheiben aus Sicherheitsglas, die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind, klar, lichtdurchlässig und verzerrungsfrei sein müssen, ein Erlöschen der Betriebserlaubnis gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO indiziert. Das Amtsgericht hat sich vorliegend auf diesen Standpunkt gestellt und – unter Bezugnahme auf § 22a Abs. 1 Nr. 3 StVZO – ausgeführt, die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs sei erloschen, da entgegen der Vorgaben aus der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung eine getönte Folie an den vorderen Seitenscheiben des Fahrzeugs angebracht worden sei, welche nicht in einer amtlich genehmigten Bauart ausgeführt worden sei. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass durch nicht zugelassene, getönte Fensterscheiben der Verkehr beeinträchtigt werde. Das Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation sei nicht erforderlich. Das Gericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wie groß der von der Folie verdeckte Bereich ausfiel (insbesondere etwa ob die Folie vollflächig angebracht worden war) und weiterhin keine Feststellungen zu der durch die Folie hervorgerufenen Verdunkelung. Angaben zu Tönungsgrad und Lichtdurchlässigkeit der angebrachten Folie finden sich im Urteil nicht. Es wurde auch nicht festgestellt, dass die verwendete Folie nicht über eine „Allgemeine Bauartgenehmigung“ verfügte. Der durch das Tatgericht gezogene Schluss, die Anbringung jeglicher getönter Folie an den vorderen Seitenscheiben führe zum Erlöschen der Betriebserlaubnis eines Fahrzeugs ist – zumindest in dieser Eindeutigkeit – nach hier vertretener Auffassung rechtlich unzutreffend. Das Amtsgericht hätte – insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der konkreten Beschaffenheit der verwendeten Folie vornehmen müssen. ... Als Anhaltspunkt dafür, was unter Änderungen zu verstehen ist, die das Erlöschen der Betriebserlaubnis zur Folge haben, kann der Beispielkatalog des Bundesverkehrsministeriums vom 09.06.1999 (VkBl. 1999, 54; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 12) zu Änderungen an Fahrzeugen und ihren Auswirkungen auf die Betriebserlaubnis von Fahrzeugen herangezogen werden (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 19, Rn. 56). Die Anbringung getönter Folien ist in dem Katalog nicht genannt. Dieser ist zwar nicht abschließend, aber auch wenn nach dem Beispielskatalog ein Erlöschen der Betriebserlaubnis als Regelfolge angegeben ist, verbietet sich eine schematische Anwendung. Es ist vielmehr in jedem Fall eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose erforderlich (vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 12). Dies muss daher erst recht auch im vorliegenden Fall gelten. Wie bereits oben ausgeführt, hätte das Gericht Feststellungen zu Lichtdurchlässigkeit und Größe der angebrachten Folie treffen können und angesichts der sich ergebenden Verdunkelung des Sichtbereichs des Fahrers eine Abwägung vornehmen müssen, ob sich hieraus – unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Vorgaben – eine (abstrakte) Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ergibt. ... Der pauschale Hinweis des erstinstanzlichen Gerichts, der Gesetzgeber gehe beim Anbringen einer getönten Folie immer von einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aus, genügt jedenfalls nicht. Dieser Rückschluss lässt sich weder aus dem Gesetz noch aus den vorliegenden Gesetzesmaterialien ziehen. Dass der Gesetzgeber keine Automatismen wollte, ergibt sich vielmehr daraus, dass die frühere Regelung des § 19 Abs. 2 StVZO, wonach jede Veränderung von Teilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, zu einem Erlöschen der Betriebserlaubnis führte, gestrichen worden ist. Der Gesetzgeber hat diese weitreichende Folge als „bedenklich“ angesehen und deshalb auf das Erfordernis der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer abgestellt (VKBl 94, 149; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 1). Eine Beschäftigung mit den Umständen des konkreten Einzelfalls wäre vorliegend auch geboten gewesen, um eine Abgrenzung zu den weiteren in Betracht kommenden Ordnungswidrigkeitstatbeständen vornehmen zu können. Einerseits käme vorliegend auch der Bußgeldtatbestand des §§ 30 Abs. 1, 69a Abs. 3 Nr. 1 StVZO, BKatV Anlage Nr. 214.2 in Betracht, der lediglich darauf abstellt, dass ein Kraftfahrzeug in Betrieb genommen wird, das sich in einem Zustand befindet, der die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt. Ein Erlöschen der Betriebserlaubnis ist hier gerade nicht erforderlich. Als Auffangtatbestand wäre auch ein Verstoß gegen §§ 40 Abs. 1 S. 3, 69a Abs. 3 Nr. 12 StVZO, 24 StVG (Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs unter Verstoß gegen die Vorgaben aus § 40 Abs. 1 S. 3 StVZO) in Betracht gekommen, der keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer voraussetzt (vgl. insoweit AG Siegen, Urteil vom 08.02.2012 – 431 OWi 35 Js 2392/11 – 876/11, BeckRS 2012, 14998; hier wurde wegen eines gleichgelagerten Sachverhalts lediglich auf Grundlage des genannten Ordnungswidrigkeitstatbestands ein Bußgeld gegen den Betroffenen verhängt, von einem Erlöschen der Betriebserlaubnis wurde nicht ausgegangen). Durch das Unterlassen der gebotenen Einzelfallprüfung hat das Gericht die Bedeutung des stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verkannt.“ |