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Kammergericht Berlin (Urteil vom 25.11.2021 - 22 U 46/21 - Zum Überholen bei unklarer Verkehrslage mit (beabsichtigtem) anschließendem Fahrstreifenwechsel

KG Berlin v. 25.11.2021: Zum Überholen bei unklarer Verkehrslage mit (beabsichtigtem) anschließendem Fahrstreifenwechsel




Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 25.11.2021 - 22 U 46/21) hat entschieden:

  1.  Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten durch Überholen bei unklarer Verkehrslage mit (beabsichtigtem) anschließendem Fahrstreifenwechsel sind nicht zurechenbar, wenn der Überholvorgang rechtzeitig abgebrochen wird und das überholende Fahrzeug noch in seinem (endenden) Fahrstreifen anhält.

  2.  Verkehrsteilnehmer sind gegenüber Fahrzeugen mit gelbem Blinklicht (nur) zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet und haben daher auf die besondere Gefahr, hier wegen der Überlänge, entsprechend zu achten.


Siehe auch
Unklare Verkehrslage
und
Fahrstreifenwechsel - Spurwechsel

Gründe:


I.

Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nur teilweise begründet. Der Senat folgt im Wesentlichen den tatsächlichen - unangegriffenen - Feststellungen des Landgerichts, vermag jedoch die Feststellung zum Überschreiten der Leitlinie durch den geschleppten Lkw und die rechtlichen Schlussfolgerungen nicht zu teilen.

Der Klägerin als Eigentümerin des Pkw steht gegen die Beklagten als Führer sowie Haftpflichtversicherer der in Höhe von 12.665,24 € geltend gemachte Schadenersatzanspruch wegen des Verkehrsunfalls vom 1. Juli 2019 in Berlin auf der von der Beusselstraße abgehenden Zufahrt zur A 100 in Richtung Seestraße gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB; §§ 7, 17, 18 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB (nur) in Höhe von 5.877,12 € zu. Im Übrigen steht der Klägerin der Anspruch wegen eines anzurechnenden (Mit-) Verschuldens des Fahrers ihres Pkw zur Hälfte und wegen eines Teils der Schadenspositionen insgesamt nicht zu.




1. Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung zu Unrecht nur nicht ausschließen können, dass das von dem Beklagten zu 1. - im Rahmen einer Umsetzung - abgeschleppte Abschleppfahrzeug in den von dem Fahrer des Pkw der Klägerin genutzten linken Fahrstreifen geraten sein muss. Vielmehr steht das schon aufgrund des Fotos der Endstellung des geschleppten Lkw fest, das sich zweifelsfrei nicht mit den abweichenden Bekundungen der Zeugen in Einklang bringen lässt und diese widerlegt. Es zeigt ein Überschreiten bzw. Befahren der Leitlinie durch die Vorderachse des (rückwärts) geschleppten Lkw. Die Situation im Übrigen ergibt sich ebenfalls klar, insoweit ist den Feststellungen des Landgerichts zu folgen. Das Abschleppgespann und ihm nachfolgend das Fahrzeug des Ordnungsamtes fuhren in dem Linksabbiegerfahrstreifen voran. Das - nach der unbestrittenen Angabe des Beklagten zu 1. anlässlich seiner Anhörung - 22 m lange Gespann befuhr nach dem Linksabbiegen zwar zunächst beide Fahrstreifen, ordnete sich sodann jedoch in den rechten (von zwei) Fahrstreifen ein. Im Anschluss trat ein weiterer Bus-Lkw-Sonderfahrstreifen rechts hinzu, während der linke Fahrstreifen in ca. 80 m, von der Einmündung gemessen, bzw. 50 m, von dem Hinzutreten des rechten Sonderfahrstreifens gemessen, endete bzw. die Verschmälerung des Fahrstreifens begann. Das Gespann blieb in dem - nun mittleren - Fahrstreifen. Eine Überbreite lag nicht vor. Der Fahrer des Pkw der Klägerin versuchte den linken Fahrstreifen zu nutzen, um das Fahrzeug des Ordnungsamtes sowie das Gespann zu überholen, was ihm nicht mehr gelang. Er kam jedoch noch vor der Verengung des linken Fahrstreifens in diesem zum Stehen. An welcher Stelle der Pkw (rechte Seite) sowie der abgeschleppte Lkw (rechte vordere Stoßstange [hier also links]) kollidierten ist im Übrigen ungeklärt und lässt sich auch durch ein Gutachten, das nur die relative Kollisionsstellung ermitteln könnte, nicht klären. Aufgrund der Endstellung steht jedoch fest, dass der abgeschleppte Lkw in den linken Fahrstreifen gelangt sein muss. Das ist zudem plausibel, weil es mit dem Gespann nicht möglich gewesen sein dürfte, dass der geschleppte Lkw, der lediglich auf der Vorderachse rollte, dem Verlauf des mittleren Fahrstreifens folgen konnte, weil die Verschwenkung für ein 22 m langes Gespann relativ eng ausfällt. Dementsprechend hat auch der Beklagte zu 1. wegen der Verschwenkung erklärt, er könne nicht sagen, in welcher Position sich der geschleppte Lkw befunden habe. Im Übrigen wäre dieser Punkt rechtlich auch unerheblich, weil andernfalls eine ungeklärte Sachlage anzunehmen wäre (s.u. 7.).

2. Daraus folgt jedoch - anders als das Landgericht angenommen hat - kein zurechenbares Verschulden des Fahrers des Pkw der Klägerin wegen eines verbotenen Überholens bei unklarer Verkehrslage nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Gleiches gilt im Übrigen im Hinblick auf § 7 Abs. 5 StVO, der hier ebenfalls zu beachten war, weil der Fahrer des Pkw der Klägerin einen anschließenden Fahrstreifenwechsel beabsichtigte. Bei diesen Normen handelt es sich nicht um die Sanktionierung bloßen Verhaltensunrechts. Vielmehr muss der Schutzzweck der Normen beeinträchtigt und die Verstöße bzw. Sorgfaltspflichtverletzungen in diesem Rahmen zurechenbar sein. Das ist zweifellos nicht der Fall, wenn - wie hier - der Überholvorgang rechtzeitig abgebrochen und der Fahrstreifenwechsel aus dem endenden Fahrstreifen nicht eingeleitet wird, also die Gefährdung, deren Vermeidung den Normen zu Grunde liegt, nicht eintritt. Es galt zudem § 7 Abs. 3 StVO, so dass der Fahrer des Pkw der Klägerin den Fahrstreifen frei wählen durfte. Zwar mag u.U. eine mittelbare Verursachung und damit eine Zurechnung im Hinblick auf eine (noch verständliche) Schreckreaktionen dennoch allein durch den Überholversuch in Betracht kommen, wie das Landgericht an anderer Stelle ausgeführt hat. Eine solche wird aber zum einen von keinem der Beteiligten behauptet oder angedeutet und das Gericht darf sich auch nicht auf unbelegte Annahmen stützen. Zum anderen verkennt das Landgericht die Darlegungs- und Beweislast. Die Beklagten haben das ursächliche Verschulden des Fahrers des Pkw der Klägerin darzulegen und zu beweisen. Sie hätten also eine Schreckreaktion des Beklagten zu 1. zunächst vortragen und beweisen müssen. Der Beklagte zu 1. hat dergleichen aber nun gerade nicht geschildert, sondern lediglich ausgeführt, er habe gebremst. Dass es eine plausible und damit zurechenbare Schreckreaktion sein sollte, gerade in den Gefahrenbereich zu lenken und nicht hier etwa in den rechten Sonderfahrstreifen auszuweichen, überzeugt zudem offensichtlich nicht.

3. Soweit das Landgericht einen Seitenabstandsverstoß i.S.v. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO erwähnt hat, ist dies nicht näher begründet worden. Es dürften insofern die Regeln für das Fahren in Fahrstreifen vorrangig sein (mindestens je 25 cm zur Leitlinie). Konkrete Feststellungen hierzu sind nicht getroffen worden und auch nicht möglich. Die Beweisaufnahme hat dazu nichts erbracht.

4. Der Fahrer des Pkw der Klägerin verstieß jedoch gegen die ihn im Hinblick auf das am Abschleppfahrzeug eingeschaltete gelbe Blinklicht (Rundumleuchte als Warnleuchte) treffende gesteigerte allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 1 Abs. 2 StVO i.V.m. § 38 Abs. 3 StVO). Das gelbe Blinklicht warnt vor Gefahren. Es darf - als Rundumleuchte - z.B. als Warnleuchte an Pannenhilfefahrzeugen (§ 52 Abs. 4 Nr. 2 StVZO) eingesetzt werden, wenn die Voraussetzungen des § 38 Abs. 3 S. 3 StVO vorliegen. Es dient u.a. zur Warnung vor ungewöhnlich langsam fahrenden Fahrzeugen oder vor Fahrzeugen mit ungewöhnlicher Breite oder Länge oder mit ungewöhnlich breiter oder langer Ladung. Die Warnleuchte gibt zwar kein Vorrecht, verpflichtet andere Verkehrsteilnehmer aber zu besonderer Sorgfalt (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 38 StVO Rn. 13; KG VM 1993, 27; OLG Koblenz, Urteil vom 01. September 2003 - 12 U 716/02 -, juris Rn. 28 - VRS 105, 414, 417). Eine Überbreite lag nicht vor und ist auch nicht geltend gemacht. Vorliegend betrug die Länge des Gespanns 22 m, was eine Überlänge darstellt (vgl. § 32 Abs. 3 bis Abs. 4a StVZO; max. Länge für Kfz. mit Anhänger 12 m; max. Länge i.Ü. 18,75 m) und die Warnung hier tatsächlich erklärt. Dem hätte der Fahrer des Pkw der Klägerin Rechnung tragen müssen. Bei sorgfaltsgemäßer Einschätzung war offensichtlich, dass die oben zu 1. dargestellte Strecke, selbst wenn das Gespann langsam abgebogen sein sollte, für ein Überholen mit anschließendem Fahrstreifenwechsel unter Beachtung der aus § 7 Abs. 5 StVO folgenden äußersten Sorgfaltspflichten, insbesondere ein Wechsel erst nach Erlangung eines ausreichenden Vorsprungs vor dem Fahrzeug, vor dem eingeschert werden soll, objektiv unzureichend war. Das Gespann war 22 m lang. Dahinter fuhr das Fahrzeug des Ordnungsamtes, so dass mindestens 30 m zu berücksichtigen waren. Diese Strecke zuzüglich der im weiteren Verlauf gefahrenen Strecke des Gespanns sowie des Ordnungsamtsfahrzeuges musste der Fahrer des Pkw zunächst aufholen, was angesichts der relativ kurzen Strecke bei der geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erkennbar nicht unter Einhaltung der beim Fahrstreifenwechsel erforderlichen Sorgfaltspflichten mehr möglich war. Die Annahme, das Gespann werde in den Sonderfahrstreifen nach rechts wechseln, mag verständlich sein. Sie war jedoch unsicher und durfte unter Beachtung der Sorgfaltspflichten nicht zu Grunde gelegt werden. Jedenfalls war ein solcher Wechsel ersichtlich unterblieben und damit bereits rechtzeitig widerlegt, zumal wegen der durchgezogenen Linie (Fahrstreifenbegrenzung; Zeichen 295 [§ 41 Abs. 1 StVO, Anlage 2]), die im weiteren Verlauf den Sonderfahrstreifen begrenzte, der Lkw nur am Beginn des Fahrstreifens, der noch mit einer Leitlinie getrennt war, aber nicht mehr an späterer Stelle den Fahrstreifen wechseln durfte.

Das alleine würde jedoch - wie oben zu §§ 5 Abs. 3 Nr. 1, 7 Abs. 5 StVO ausgeführt - die Haftung ebenfalls nicht rechtfertigen. Maßgeblich ist, dass wegen des Grundes der Warnung durch die Warnleuchte besondere Aufmerksamkeit geschuldet war und im Hinblick auf die Überlänge hätte erkannt bzw. ernsthaft damit hätte gerechnet werden müssen, dass im Zuge der Verschwenkung der angehängte Lkw nicht den mittleren Fahrstreifen werde einhalten können. Der Fahrer des Pkw der Klägerin hat anlässlich seiner Zeugenvernehmung angegeben, er habe keine Vollbremsung gemacht, sondern normal gebremst, was belegt, dass er - wenn er die Situation richtig eingeschätzt hätte - rechtzeitiger hätte abbremsen und noch deutlich vor dem Bereich, in dem sich der Fahrstreifen verengte, hätte anhalten können. Unabhängig davon hätte er aber aus dem geschilderten Grund schon nicht so weit vorfahren dürfen und dem Gespann den "Rangierraum" rechtzeitig einräumen müssen.




5. Dem Beklagten zu 1. fällt aber - was das Landgericht nicht berücksichtigt hat -

ebenfalls ein Verschulden zur Last, weil er die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten zum Einhalten der Spur sowie zur Anzeige des (teilweisen) Fahrstreifenwechsels verletzte. Ihn traf die aus § 7 Abs. 1, Abs. 3 StVO folgende Pflicht zum Spurhalten im Fahrstreifen (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2006 - VI ZR 75/06 - NZV 2007, 185 [6]; Heß in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. (2020), § 7 StVO Rn. 1; Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 27 Rn. 216) sowie im Hinblick auf den tatsächlich gegebenen (teilweisen) Fahrstreifenwechsel die Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO. Zudem lag ein Verstoß gegen das Verbot zu Zeichen 340 Nr. 1 (§ 42 Abs. 2 StVO Anhang 3) vor, die Leitlinie nicht zu überfahren, wenn dadurch der Verkehr gefährdet wird. Als Lkw-Fahrer mussten ihm die Besonderheiten beim Abschleppen bewusst sein, so dass er verpflichtet war, der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, die die hier gegebene Besonderheit übersehen, zu vermeiden. Wenn ein Folgen der Verschwenkung im mittleren Fahrstreifen nicht ohne Missachtung des seitlichen Mindestabstandes und Überschreiten der Leitlinie möglich war, dann hatte er dies rechtzeitig anzuzeigen und - was in diesem Fall ausnahmsweise erlaubt ist - rechtzeitig beide Fahrstreifen so zu belegen gehabt, dass anderen Verkehrsteilnehmern hinreichend erkennbar war, dass ein Vorbeifahren bzw. Überholen nicht in Betracht kam, und so dafür Sorge zu tragen, dass jedes Missverständnis ausgeschlossen war (Senat, [Hinweis-] Beschluss vom 6. August 2020 - 22 U 99/19 - [nicht veröffentlicht]; Urteil vom 3. September 2020 - 22 U 162/19 - [nicht veröffentlicht]). Andernfalls darf nicht ohne jede Rücksichtnahme auf im benachbarten Fahrstreifen Bevorrechtigte und rechtzeitige Anzeige (mindestens fünf Sekunden zuvor Blinker setzen) deren Fahrstreifen mitgenutzt werden. Hier kam zudem (tatsächlich) eine teilweise Nutzung des (möglicherweise freien) Bus-Lkw-Sonderfahrstreifens in Betracht.

6. Im Ergebnis der Abwägung der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteile nach §§ 17 Ab

s. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 3, 9 StVG; § 254 BGB ist eine hälftige Quotelung angemessen. Auf Seiten der Beklagten ist die höhere Betriebsgefahr zu berücksichtigen sowie der Umstand, dass der Beklagte zu 1. als Lkw-Fahrer mit entsprechendem Führerschein und entsprechender Erfahrung die Gefahrensituation besser einschätzen kann, als ein Pkw-Fahrer, der keine näheren Grundkenntnisse zum Führen eines Lkw besitzt. Zulasten der Klägerin ist aber zu berücksichtigen, dass das Verhalten des Fahrers ihres Pkw angesichts der ihm bekannten räumlichen und örtlichen Bedingungen zumindest objektiv waghalsig, rücksichtslos und unvorsichtig war, unabhängig davon, ob er sich verschätzt hatte. Die Annahme, der Lkw werde in den Sonderfahrstreifen wechseln, mag verständlich sein, durfte aber mangels konkreten Anhaltspunktes und Abwartens auf einen solchen Wechsel nicht Grundlage der Entscheidung zum Überholen mit anschließendem Fahrstreifenwechsel sein. 7. Nur ergänzend wird angemerkt, dass als abweichendes Ergebnis der Beweiswürdigung lediglich die Unaufklärbarkeit des Kollisionsorts ernsthaft in Betracht kommt. Auf dieser Grundlage ließe sich aber für keinen der beteiligten Fahrer ein ursächliches Verschulden feststellen und zu Grunde legen, so dass nur jeweils die Haftung aus der Betriebsgefahr verbliebe, was ebenfalls zu einer hälftigen Quotelung geführt hätte. Daher hätte die Würdigung des Beweisergebnisses insoweit auch offen bleiben können.

8. Zu den einzelnen Schadenspositionen gilt Folgendes:

a) Der Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 9.185 € (Wiederbeschaffungswert von 18.400 € abzüglich Restwert von 9.215 €) ist unstreitig und daher zu ersetzen.

b) Gleiches gilt für die Kosten des von der Klägerin eingeholten Gutachtens (1.732,64 €).

c) Die unstreitigen Abschleppkosten (285,60 €) sind wegen der in erster Instanz bereits vorgetragenen und unbestrittenen Rückabtretung i.V.m. § 398 BGB der Klägerin zu ersetzen.


d) Hinsichtlich des geltend gemachten Nutzungsausfalls (1.357 € [23 Tage * 59 €]) ist ausnahmsweise unschädlich, dass die Voraussetzungen (Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit) nicht konkret vorgetragen worden sind, weil die Beklagten dies nicht bestritten haben. Sie haben jedoch die Wiederbeschaffungsdauer (1. bis 23. Juli 2019) beanstandet, worauf die Klägerin nichts Näheres vorgetragen hat. Soweit die Klägerin erst nach der mündlichen Verhandlung (§ 296a ZPO) klargestellt hat, dass am 23. Juli 2019 ein - am 16. September 2019 zugelassenes - Ersatzfahrzeug bestellt wurde, ist dies irrelevant. Es handelt sich um eine Ersatzanschaffung (anderer Fahrzeugtyp, deutlich jünger), die nicht der Wiederbeschaffung eines vergleichbaren gebrauchten Fahrzeuges diente. Ersatzfähig ist jedoch nur die erforderliche Wiederbeschaffungsdauer eines dem Unfallfahrzeug gleichwertigen Fahrzeugs, die nicht vorgetragen ist. Der Senat unterstellt mangels anderer Anhaltspunkte als naheliegend, dass eine Wiederbeschaffung zumindest zum Zeitpunkt der Veräußerung des Unfallfahrzeuges am 10. Juli 2019 hätte möglich sein können. Da der Unfall gegen 18:55 Uhr am 1. Juli 2019 erfolgte, sind für den Zeitraum vom 1. bis 10. Juli 2019 9 Tage, also 531 € (9 Tage * 59 €) anzusetzen.

e) Für den Ansatz einer Pauschale für Ab- und Anmeldekosten (80 €) fehlt jedoch eine Rechtsgrundlage. § 287 ZPO soll die Beweisanforderungen zum Umfang des Schadens erleichtern, aber nicht dem Anspruchsteller den ihm möglichen konkreten Vortrag ersparen. Insoweit wird ergänzend auf die Ausführungen zum Ausnahmecharakter der allgemeinen Kostenpauschale hingewiesen. Es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts, die jeweils gültigen Gebührensätze in Erfahrung zu bringen.

f) Die Höhe der Kostenpauschale setzt der Senat in ständiger Rechtsprechung mit 20 € (statt geltend gemachter 25 €) an.

Der pauschale Ansatz von Kosten ist ein auf den Bereich von Verkehrsunfällen beschränkter Ausnahmefall (vgl. BGH mit Urteil vom 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11 - II.3.c) [11]), weshalb Zurückhaltung geboten ist. Bei der Regulierung von Verkehrsunfällen handelt es sich um ein Massengeschäft, bei dem dem Gesichtspunkt der Praktikabilität besonderes Gewicht zukommt und das gewisse Abwicklungsmaßnahmen (Kosten durch Kontakte mit Versicherung, Gutachter und Anwalt, Werkstattbesuche u.ä.) regelmäßig erfordert, was als Schätzungsgrundlage gemäß § 287 ZPO genügen mag. Die ursprünglichen Bemessungsgrundlagen stammen jedoch aus einer Zeit als es weder Telefon- noch Internetflatrates gab. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass der Kontakt mit Versicherungen per E-Mail erfolgt. Aus diesem Grund scheiden inzwischen einige Bereiche der Unkosten aus, weil mit ihnen nicht regelmäßig zu rechnen ist. Dies gleicht jedenfalls die zwischenzeitliche Teuerung aus.

g) Damit ergeben sich folgende anzusetzende Beträge:

   (1) WBA (18.400 € abz. 9.215 € =) 9.185,00 €
(2) Gutachten 1.732,64 €
(3) Abschleppkosten 285,60 €
(4) Nutzungsausfall für 9 Tage (je 59 €) 531,00 €
(5) Ab- und Anmeldekostenpauschale 0,00 €
(6) Kostenpauschale 20,00 €
Summe 11.754,24 €
Davon 50 % 5.877,12 €

9. Der Klägerin steht dagegen (zumindest derzeit) kein Anspruch auf Ersatz ihrer außergerichtlichen Kosten zu, die - wie im Termin auf Nachfrage geklärt worden ist - ihr bislang nicht in Rechnung gestellt worden sind.



Zunächst ergäbe sich nach dem geringeren Gegenstandswert unter der Annahme einer 1,3-fachen Rahmengebühr ein zurechenbarer Betrag nur in Höhe von 571,44 €, der aber dennoch nicht zugrunde gelegt werden kann. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass im Falle von Rahmengebühren nicht die Fälligkeit genügt, sondern die dem Mandanten gestellte Gebührenrechnung erforderlich ist. Bei Gebührenforderungen, die - wie hier - auf Rahmengebühren beruhen, wird durch die dem Mandanten gestellte Gebührenrechnung der Rahmen verbindlich bestimmt, weshalb die verbindliche Gestaltung erst durch die Gebührenrechnung erfolgt und diese daher unverzichtbare Voraussetzung ist. Die Berechnung in der Klage genügt ebenso wenig, wie eine Rechnung gegenüber dem Anspruchsgegner oder sonstigen Dritten. In dem Zusammenhang merkt der Senat an, dass es gelegentlich vorkommt, dass jeweils inhaltlich verschiedene Berechnungen gegenüber der Rechtsschutzversicherung, gegenüber dem Gegner und schließlich in der Klage erfolgen. Das zeigt deutlich, dass auf die Gebührenberechnung nach § 10 RVG generell nicht verzichtet werden kann, denn das Gericht bestimmt nicht erstmals die Gebührenhöhe im Prozess, sondern hat die verbindliche Gebührenberechnung inhaltlich zu überprüfen.

10. Dementsprechend ist auch der Zinsanspruch nur anteilig gemäß §§ 286, 288 BGB begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO; § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO.

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