Die Abgrenzung einer fahrlässig begangenen Alkoholstraftat von einer vorsätzlich begangenen ist weder für das Strafmaß noch für etwaige Führerscheinmaßnahmen von besonders ausschlaggebender Bedeutung.
Dass dennoch vielfach um die Schuldform gekämpft wird, liegt daran, dass für das Verfahren Rechtsschutzdeckung nur besteht, wenn der Betroffene nur wegen fahrlässiger Begehung der Straftat verurteilt wird.
Dabei bezieht sich das Fahrlässigkeitskriterium keineswegs auf die konsumierte Alkoholmenge (wie vielfach angenommen wurde und wird), sondern lediglich auf die Selbsteinschätzung seiner Fahrtüchtigkeit durch den Betroffenen selbst.
BGH v. 08.06.1995:
Zugunsten des Angeklagten ist von einer fahrlässigen Begehungsweise einer Trunkenheitsfahrt auszugehen, wenn mit Ausnahme der Blutprobe keine Feststellungen zu Alkoholaufnahme getroffen werden können.
BGH v. 22.08.1996:
Die Annahme der Rechtsfigur der "actio libera in causa" ist bei Alkohol-Verkehrsdelikten mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, sofern Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB vorliegt.
LG Potsdam v . 16.12.2003:
Den Straftatbestand der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB verwirklicht auch derjenige, der sich im Verlaufe der Fahrt der Möglichkeit seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bewusst wird und dennoch die Fahrt fortsetzt. Zur Feststellung des Vorsatzes reicht alleine die Blutalkoholkonzentration nicht aus; vielmehr müssen weitere Indizien hinzutreten, die darauf schließen lassen, dass dem Täter zumindest die Möglichkeit seiner Fahruntüchtigkeit bewusst ist. Solche Indizien ergeben sich beispielsweise aus dem Fahrverhalten des Täters oder seines Verhaltens bei einer polizeilichen Kontrolle. Ein solches Indiz liegt etwa darin, dass der Täter angesichts einer polizeilichen Verkehrskontrolle ein Wendemanöver ausgeführt und diese Kontrolle zu umgehen versucht.
OLG Hamm v. 21.07.2004:
Der Rückschluß von einer hohen BAK auf das Vorliegen von Vorsatz ist unzulässig: im Zweifel ist von Fahrlässigkeit auszugehen.
OLG Hamm v. 07.10.2004:
Bei einer Straßenverkehrsgefährdung oder einer Trunkenheitsfahrt kann der Vorsatz hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit in der Regel nicht allein mit einer hohen Blutalkoholkonzentration begründet werden. Vielmehr müssen weitere Feststellungen zu Trink- und Tatverlauf getroffen werden, die auf ein vorsätzliches Handeln schließen lassen.
OLG Brandenburg v. 10.06.2009:
Bei der Trunkenheit im Verkehr kann die Annahme einer vorsätzlichen Tat nicht allein auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration gestützt werden.
OLG Brandenburg v. 13.07.2010:
Eine vorsätzliche Tatbegehung im Sinne des § 316 Abs. 1 StGB ist nur dann gegeben, wenn der Täter seine Fahrunsicherheit kennt oder mit ihr zumindest rechnet und sie billigend in Kauf nimmt, gleichwohl aber am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt. Ob dieses Wissen von der Fahruntauglichkeit als innere Tatseite nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung festgestellt ist, hat der Tatrichter unter Heranziehung und Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs, dessen innerem Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters während und nach der Fahrt zu entscheiden. Eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr kann aber nicht bereits aus einer hohen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit geschlossen werden. Vielmehr müssen zu einer hohen Blutalkoholkonzentration noch weitere Umstände hinzukommen, die den Schluss rechtfertigen, der Täter habe seine Fahruntüchtigkeit gekannt und dennoch am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Fähigkeit des Täters, seine Fahruntüchtigkeit aufgrund der Trinkmenge einzuschätzen, umso geringer sein wird, je weiter der Entschluss zur Fahrt vom Trinkende entfernt liegt.
OLG Köln v. 21.12.2010:
Im Falle der Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter regelmäßig verpflichtet, auch Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen. Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen nach Lage des Einzelfalles besonders bedeutsamen Umständen sind im Allgemeinen zur näheren Bestimmung des Schuldgehalts der Tat als Grundlage für eine sachgerechte Rechtsfolgenbemessung erforderlich. Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort und Blutalkoholwert keine weiteren, für den Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich sind, weil der Angeklagte schweigt und Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen wären, so ist dies im Urteil hinreichend klarzustellen. Das Fehlen einer - zumindest knapp gefassten - Darstellung seiner Einlassung stellt in aller Regel einen materiell-rechtlichen Mangel dar.
OLG Hamm v. 16.02.2012:
Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und sie billigend in Kauf nimmt. Nach der wohl einhelligen Meinung der Oberlandesgerichte kann das Vorliegen von vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nicht bereits aus einer hohen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit geschlossen werden. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit kennt. Vielmehr müssen weitere auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweisende Umstände hinzutreten.
OLG Köln v. 04.09.2012:
Überlegungen lange vor Trinkende, wie man später nach Hause kommen werde, der Versuch, nach dem Trinkende noch in einem Hotel unterzukommen und ein hoher Alkoholisierungsgrad sind für sich keine tragfähigen Argumente, um anzunehmen, der Angeklagte sei sich bei Fahrtantritt seiner Fahruntüchtigkeit bewusst gewesen. Dies gilt umso mehr, wenn er sich möglicherweise infolge eines kurzen Zwischenschlafes wieder erholt gefühlt haben mag.
BGH v. 06.12.2012:
Kommt es bei einer fahrlässig begangenen alkoholbedingten Trunkenheitsfahrt zu einem Unfall und entfernt sich der Kfz-Führer unerlaubt und in Kenntnis der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit vom Unfallort, so ist die Fahrt nach dem Unfall als selbständige Handlung und als vorsätzliche Trunkenheitsfahrt zu ahnden.
OLG Brandenburg v. 05.02.2013:
Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und sie billigend in Kauf nimmt. Allein die hohe Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit rechtfertigt anerkanntermaßen nicht den Schluss auf eine vorsätzliche Tatbegehung; vielmehr müssen weitere auf einen Vorsatz hindeutende Umstände hinzutreten. Zu würdigen sind dabei insbesondere – soweit feststellbar – die Täterpersönlichkeit, der Trinkverlauf, der Zusammenhang zwischen Trinkverlauf und Fahrtantritt sowie das Verhalten des Täters vor und während der Fahrt.
KG Berlin v. 03.03.2014:
Allein aus der Menge des getrunkenen Alkohols und der Höhe der Blutalkoholkonzentration darf nicht ohne Weiteres eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung gefolgert werden. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit auch erkennt.
OLG Düsseldorf v. 08.06.2017:
Allein aus einer hohen Blutalkoholkonzentration des Täters zur Tatzeit kann nicht auf einen Vorsatz hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit geschlossen werden. Denn einen naturwissenschaftlich oder medizinisch gesicherten Erfahrungssatz, dass derjenige, der eine Alkoholmenge trinkt, die zu einer die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit übersteigenden Blutalkoholkonzentration führt, seine Fahruntüchtigkeit auch erkennt, gibt es nicht. Die Vorsatzbeurteilung hat auf der Basis einer Feststellung und Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten Umstände des Einzelfalles zu erfolgen.
OLG Dresden V: 10.10.2018:
Aus der Blutalkoholkonzentration allein kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf vorsätzliches Handeln in Bezug auf die Fahruntüchtigkeit geschlossen werden.
OLG Karlsruhe v. 23.04.2019:
Anforderungen an die tatrichterliche Feststellung von vorsätzlicher Begehungsweise bei einer Trunkenheitsfahrt
OLG Celle v. 21.11.1995:
Zwar rechtfertigt bei einer Trunkenheitsfahrt (StGB § 316) die Höhe des festgestellten Blutalkoholgehalts (hier: 2,0 bis 2,5 g Promille) allein nicht den Schluss, der Angeklagte habe gewusst oder im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich gehalten, er sei fahruntüchtig. Jedoch liegt der Schluss auf vorsätzliche Tatbegehung jedenfalls dann nahe, wenn der Angeklagte von vornherein mit dem Auto zur Gaststätte gefahren ist, um größere Mengen Alkohol zu trinken, wenn er die Menge des getrunkenen Alkohols kennt und durch mehrfache Vorverurteilungen wegen Trunkenheit im Straßenverkehr über die Wirkung alkoholischer Getränke informiert ist.
OLG Saarland v. 06.02.2008:
Bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 %o liegt zumindest bedingter Vorsatz dann nahe, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist und in Fahrbereitschaft Alkohol konsumiert hat. Äußert sich ein einschlägig vorbestrafter Angeklagter nicht, kann dennoch aus schweren Fahrfehlern darauf geschlossen werden, dass er sich seiner Fahruntüchtigkeit bewusst war.
OLG Celle v. 25.10.2013:
Ein Berufskraftfahrer weiß um die besonderen Gefahren einer Alkoholaufnahme vor Fahrtantritt und nimmt deshalb in der Regel seine Fahruntauglichkeit in Kauf, wenn er trotz Alkoholkonsums eine Fahrt antritt.
BGH v. 09.04.2015:
Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt daher voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und sich damit abfindet. Maßgeblich ist, ob der Fahrzeugführer eine so gravierende Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit zumindest für möglich hält und sich mit ihr abfindet oder billigend in Kauf nimmt, dass er den im Verkehr zu stellenden Anforderungen nicht mehr genügt.
KG Berlin v. 12.02.2021:
Zu einer Zäsur der Dauerstraftat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr wird es regelmäßig auch dann kommen, wenn ein alkoholbedingtes Unfallereignis nur deshalb keinen Unfall im Rechtssinne (§ 142 Abs. 1 StGB) darstellt, weil an dem gegnerischen Fahrzeug wegen Vorschäden keine zusätzliche Werteinbuße eingetreten ist. Fährt der Täter nach einem jedenfalls derart alkoholbedingten Zusammenstoß weiter, so wird dies regelmäßig aufgrund eines neuen Tatentschlusses des sich seiner Fahrunsicherheit nun bewusst gewordenen Fahrers geschehen.