Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Vorweggenommene Beweiswürdigung - Beweisantizipation

Beweisantizipation - vorweggenommene Beweiswürdigung




Gliederung:


-   Allgemeines
-   Ungeeignetes Zeugenangebot
-   PKH-Verfahren
-   Kostenentscheidungen



Allgemeines:


Beweisfragen

Beweismittel




OLG Celle v. 31.08.2010:
Die Ablehnung eines Beweisantrags des Betroffenen auf Vernehmung seines Bruders, der nach dem Vortrag des Betroffenen Fahrzeugführer zum Zeitpunkt der Geschwindigkeitsüberschreitung gewesen sei und der ihm "wie ein Ei dem anderen" ähnele, mit der Begründung, der Betroffene sei aufgrund des bei der Messung gefertigten Lichtbildes identifiziert und die Beweiserhebung damit nicht erforderlich, verletzt den Betroffenen in seinem Beweisantragsrecht.

BGH v. 21.07.2011:
Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich anzusehenden Beweisangebots stellt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Der Umstand, dass der Vortrag einer Partei widersprüchlich sein mag, rechtfertigt die Nichterhebung eines angebotenen Beweises nicht. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere auch zu berichtigen; dies kann nur im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.

OLG Brandenburg v. 21.06.2012:
Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG verpflichtet, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Den Umfang der Beweisaufnahme hat der Amtsrichter - unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache, § 77 Abs. 1 Satz 2 OWiG - nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. In § 77 Abs. 2 OWiG ist für die Beweisaufnahme im Bußgeldverfahren zudem eine über das Beweisantragsrecht in der Strafprozessordnung (§ 244 Abs. 3 bis 6 StPO) hinausgehenden Sondervorschrift normiert. Danach kann das Gericht, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, einen Beweisantrag auch dann ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.




OLG Nürnberg v. 03.02.2016:
Wird ein angebotener Zeugenbeweis - vorliegend zu einem Unfallhergang und einer durch den Unfall verursachten Verletzung - nicht erhoben, weil das Gericht dessen Bekundungen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst, stellt dies eine unzulässige Beweisantizipation dar. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG und stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.

OLG München v. 18.11.2016:
Die Entscheidung, auf eine beantragte sachverständige unfallanalytische Begutachtung eines strittigen Unfalls zu verzichten, darf nicht auf eine (unzulässige) vorweggenommene Beweiswürdigung gestützt werden. Denn eine Festlegung vor Erholung der Beweise, dass sich die tatrichterliche Überzeugung unabhängig von - noch nicht voraussehbaren - Beweisergebnissen unter keinen Umständen mehr ändern könne, ist dem Zivilprozessrecht fremd.

- nach oben -



Ungeeignetes Zeugenangebot:


Zeugen - Zeugenbeweis

OLG Zweibrücken v. 02.08.2016:
Völlig ungeeignet kann ein Zeuge sein, wenn er für lange zurückliegende Vorgänge benannt ist und es unmöglich erscheint, dass er diese zuverlässig in seinem Gedächtnis behalten hat. Dies hat der Tatrichter anhand allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände, die dafür oder dagegen sprechen, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Wahrnehmungen im Gedächtnis behalten hat, zu beurteilen. Hierbei ist in Grenzen eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und dabei auch der Freibeweis zulässig und geboten, wobei jedoch feststehen muss, dass eine verwertbare Aussage keinesfalls zu erwarten ist.

- nach oben -




PKH-Verfahren:


Prozesskostenhilfe - PKH - Beratungshilfe

OLG Koblenz v. 18.01.2008:
Die Beweisantizipation ist im Prozesskostenhilfeverfahren - im Unterschied zum Erkenntnisverfahren - in engen Grenzen zulässig. Trägt die Gesamtwürdigung der vorliegenden Umstände und Indizien (Beweisprognose) die Annahme, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde, darf die Prozesskostenhilfe versagt werden.

KG Berlin v. 19.02.2009:
Im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens ist die Vorwegnahme der Würdigung einer Beweisaufnahme in begrenztem Umfang zulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn die für das Einholen eines Unfallrekonstruktionsgutachtens zum Zwecke des Nachweises der behaupteten Sorgfaltspflichtverletzung des Kraftfahrers als Ursache für den Unfall des geschädigten Fußgängers erforderlichen Anknüpfungstatsachen fehlen.

OLG Celle v. 26.07.2012:
Bei der Bewertung der hinreichenden Erfolgsaussicht gilt das Verbot der Beweisantizipation nur begrenzt. Eine Beweisantizipation ist zulässig, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfsbedürftigen als außerordentlich gering, wenn nicht sogar ausgeschlossen erscheinen lässt und eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die den Prozess selbst finanzieren müsste, wegen des absehbaren Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde.

OVG Berlin-Brandenburg v. 02.08.2012:
Wird Prozesskostenhilfe für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren begehrt, ist die Würdigung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Prozesskostenhilfeverfahren nach den gleichen Maßstäben wie im vorläufigen Rechtsschutz zulässig.

OLG Düsseldorf v. 25.08.2015:
Im Prozesskostenhilfeverfahren ist eine Beweisantizipation möglich, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfebedürftigen als ausgeschlossen erscheinen lässt und wenn eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen müsste, wegen des absehbaren Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde.

- nach oben -





Kostenentscheidungen:



Kostenfestsetzung - Kostenfestsetzungsverfahren

OLG Saarbrücken v. 29.05.2015:
Das Beweisergebnis im Strafverfahren kann im Zivilverfahren zulässigerweise urkundlich verwertet und einer Beweiswürdigung unterzogen werden. Eine derartige Verwertung ist keine Beweisantizipation. Bei der nach § 91 a ZPO wegen des Verfahrensausgangs anzustellenden Prognose ist eine Beweisantizipation auch nicht schlechthin unzulässig. Denn ganz allgemein sind bei einer Entscheidung nach § 91 a ZPO naheliegende hypothetische Entwicklungen zu berücksichtigen.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum