Das Verkehrslexikon

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Radfahrerschutzhelm - Fahrradhelm

Radfahrerschutzhelm - helmfreies Radfahren als Mitverschulden?




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
-   Kinderfahrradsitz ohne Helm



Einleitung:


Es ist auch heute noch fraglich, ob unter den Radfahrern eine Verkehrsanschauung dahingehend besteht, dass das Tragen eines Fahrradschutzhelms zur Eigensicherung nötig ist. Hiervon abhängig wird das Problem gesehen, ob das Nichttragen eines Helms ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB darstellt.

Nach den Informationen der Bundesanstalt für Straßenwesen trugen in der Altersgruppe bis zehn Jahre in 2002 33 %, in 2003 38 % und in 2004 41 % der Kinder innerorts einen Fahrradhelm, wobei über alle Altersgruppen hinweg der Anteil der helmtragenden Fahrradfahrer in 2002 5 %, in 2003 6 % und in 2004 ebenfalls 6 % betrug (Quelle: OLG Düsseldorf NZV 2007, 38 f., Urt. v. 14.08.2006 - I-1 U 9/06).


In neuester Zeit zeigt sich eine Tendenz in der Rechtsprechung, generell beim Nichttragen eines Radfahrerschutzhelms und verkehrsunfallbedingten Kopfverletzungen ein Mitverschulden anzunehmen, vgl. OLG Schleswig (Urteil vom 05.06.2013 - 7 U 11/12):

   "Entgegen der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Karlsruhe NZV 1991, 25; OLG Nürnberg DAR 1991, 173; OLG Stuttgart VRS 97, 15, 18; OLG Nürnberg DAR 1999, 507; OLG Hamm NZV 2001, 86; OLG Hamm NZV 2002, 129, 131;OLG Düsseldorf NZV 2007, 619; OLG Saarbrücken NZV 2008, 202, 303) begründet nach Auffassung des Senats das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch Fahrradsturz auch den Vorwurf des Mitverschuldens eines Radfahrers, wenn er am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt.

aa) Das Hauptargument derjenigen, die - zumindest bei Erwachsenen - ein Mitverschulden ablehnen, besteht in dem Fehlen einer gesetzlichen Verpflichtung, da das Tragen eines Helmes bisher nach § 21 a Abs. 2 StVO nur für Fahrer von Krafträdern mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h vorgeschrieben ist. Dafür würden Gründe der Rechtssicherheit und Praktikabilität sprechen, die der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 10.04.1979, VI ZR 146/78, NJW 1979, 1363-​1366; ebenso Greger, Zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr, 1985, Band 2, § 9 Rn 37 f) für die Frage der Anschnallpflicht in Personenkraftwagen als entscheidend betrachtet habe (vgl. OLG Nürnberg DAR 1991, 173; OLG Stuttgart VRS 97, 15).

Dem ist entgegenzuhalten, dass der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ein Mitverschulden des Geschädigten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften angenommen hat, wenn dieser „diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt“ (BGH, Urt. v. 30.01.1979, VI ZR 144/77, NJW 1979, 980 mwN); er müsse sich insoweit „verkehrsrichtig“ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimme, sondern auch durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (BGH aaO.).

So hatte es für die Mithaftung eines geschädigten Motorradfahrers, der Kopfverletzungen erlitten und keinen Schutzhelm getragen hatte, lange vor Einführung der Helmpflicht im Januar 1976 ausgereicht, dass sich bereits zur Unfallzeit im Juli 1961 ein „allgemeines Verkehrsbewusstsein“ dahingehend gebildet hatte, dass dem Schutzhelm größte Bedeutung zur Abwehr und Minderung von Unfallverletzungen zukam (BGH, Urt. v. 09.02.1965, VI ZR 253/63, NJW 1965, 1075).

Diese Ansicht hat sich auch ganz überwiegend in der Literatur durchgesetzt, die es für sinnvoll erachtet, den Fortschritt der Sicherheitstechnik bei § 254 BGB auch dann zu berücksichtigen, wenn der Gesetzgeber (noch) schweigt (Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 254 Rn 51 mwN).

Im Bereich sportlicher Betätigungen wie Reiten oder Skifahren, wo es ebenfalls an einer gesetzlich geregelten Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms fehlt, hat sich nach der Rechtsprechung dagegen seit langem eine Obliegenheit zum Tragen von Helmen im Sinne des § 254 BGB gebildet. Dies wird damit begründet, dass sich z.B. auf den Skipisten die Anzahl der Skifahrer und die dort gefahrenen Geschwindigkeiten stark erhöht hätten, so dass die Mehrzahl der Skifahrer inzwischen mit einem Helm unterwegs sei (OLG München DAR 2012, 205). Warum dies bei einem Radfahrer, der im Straßenverkehr einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt ist, anders sein soll, erschließt sich nicht.

bb) Dass sich das „allgemeine Verkehrsbewusstsein“ in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren in den letzten Jahren ebenfalls stark gewandelt hat, dürfte außer Frage stehen."

Für Unfallereignisse bis zum Jahre 2011 hat der BGH (Urteil vom 17.06.2014 - VI ZR 281/13) jedenfalls noch ein generelles Mitverschulden bei Kopfverletzungen abgelehnt.


Für Unfälle bis Mai 2017 hat das Landgericht Kiel (Urteil vom 18.12.2018 - 12 O 177/18) entschieden:

   „Ein Verschulden der volljährigen Klägerin lag nicht darin, dass sie keinen Fahrradhelm trug. Für dieEin Verschulden der volljährigen Klägerin lag nicht darin, dass sie keinen Fahrradhelm trug. Für die Zeit bis 2011 hat dies der Bundesgerichtshof bereits entschieden (NJW 2014, 2493). Der Beklagte hat nicht dargetan, dass die Erforderlichkeit des Tragens eines Fahrradhelms inzwischen allgemein angenommen werde. Nach einer Veröffentlichung der Bundesanstalt für Straßenwesen

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trugen im Jahr 2017 über alle Altersgruppen hinweg lediglich 19% der Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen einen Schutzhelm, so dass von einer allgemeinen Überzeugung keine Rede sein kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) das Recht einschließt, vermeidbare Risiken einzugehen, gerade bei der Freizeitgestaltung.“

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer

Radfahrer-Unfälle

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Allgemeines:


OLG Nürnberg v. 23.10.1990:
Solange für Radfahrer nicht das Tragen von Schutzhelmen gesetzlich vorgeschrieben ist, braucht sich der Radfahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Kraftfahrer das Fehlen eines Schutzhelms nicht als Mitverschulden entgegenhalten zu lassen.

OLG Nürnberg v. 29.07.1999:
Das Nichttragen eines Schutzhelmes durch einen Radfahrer begründet kein Mitverschulden.

OLG Hamm v. 26.09.2000:
Der Umstand, daß ein erwachsener Radfahrer keinen Schutzhelm getragen und womöglich deshalb bei einem Sturz schwere Körperverletzungen erlitten hat, begründet keinen Mitverschuldensvorwurf, weil eine allgemeine Verkehrsanerkennung der Notwendigkeit einer solchen Schutzmaßnahme (noch) nicht festzustellen ist.

AG Köln v. 14.03.2005:
Zum Schutz der Gesundheit von Kindern sowie der allgemeinen Verkehrssicherheit ist die strikte Einhaltung der Sicherungsvorschriften von Kindern erforderlich. Jeder Fahrer ist daher verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ein mitfahrendes Kind während der gesamten Fahrt ausreichend gesichert ist und auch bleibt.

LG Krefeld v. 22.12.2005:
Jedenfalls bei besonders gefährdeten Radfahrern, insbesondere bei Kindern, stellt das Nichttragen eines Schutzhelms ein schuldhaftes Außerachtlassen der eigenen Interessen dar, welcher den Vorwurf des Mitverschuldens begründet.

OLG Düsseldorf v. 14.08.2006:
Angesichts der bei Kindern und Erwachsenen üblichen Helmtragequoten bestehen Zweifel daran, ob eine Verkehrsanschauung dahin angenommen werden kann, das Tragen eines Fahrradhelms sei zur Eigensicherung nötig (hier Verneinung eines Mitverschuldens wegen des fehlenden Helms).

OLG Düsseldorf v. 12.02.2007:
Wer mit seinem Rennrad seinen Freizeitsport auf öffentlichen Straßen ausübt, muss grundsätzlich - anders als Freizeitradler ohne sportliche Ambitionen - einen Schutzhelm tragen. Anderenfalls trifft ihn im Falle einer Kopfverletzung ein Mitverschulden, das seinen Schadensersatzanspruch mindern oder ausschließen kann.


OLG Düsseldorf v. 18.06.2007:
Die Frage, ob ein Radfahrer-Schutzhelm zu tragen ist, kann nicht pauschal für alle am Straßenverkehr teilnehmenden Radfahrer gleich beantwortet werden. Vielmehr erscheint es im Hinblick auf die vollkommen unterschiedlichen Fahrweisen und die damit einhergehenden Gefahren und Risiken geboten, eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Radfahrergruppen vorzunehmen, u.a. auch danach, ob der Radfahrer einen Radweg benutzt oder auf der Straße fährt, wobei wiederum zwischen einer innerörtlichen und einer außerörtlichen Verkehrssituation zu unterscheiden ist.

OLG Saarbrücken v. 09.10.2007:
Das fehlende Tragen eines Fahrradhelms begründet erst dann mit den Mitverschuldensvorwurf gemäß § 254 BGB, wenn sich der Radfahrer als sportlich ambitionierter Fahrer besonderen Risiken aussetzt oder wenn in seiner persönlichen Disposition ein gesteigertes Gefährdungspotenzial besteht.

OLG Brandenburg v. 15.06.2010:
Stürzt ein verunglückter Radfahrer kopfüber auf die Straße, wobei er multiple Frakturen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen sowie eine Mittelgesichtsfraktur erlitt, und ist er auf eine Gesichtshälfte gestürzt, legt dies nahe, dass der Verunglückte auch von einem üblichen Fahrradhelm nicht geschützt worden wäre. Unter diesen Umständen erscheint die schlichte Behauptung des für ein Mitverschulden des Verunglückten darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten, der Schaden wäre nicht eingetreten, wenn der Verunglückte einen Fahrradhelm getragen hätte, als Behauptung „ins Blaue“ und deshalb unbeachtlich.

LG Koblenz v. 04.10.2010:
Die Nichtbenutzung eines Fahrradhelms begründet kein Mitverschulden des verletzten Radfahrers im Sinne der § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG. Die für eine Mithaftung des ein Rennrad benutzenden verletzten Radfahrers nötige Voraussetzung, wonach das Tragen des Schutzhelms zur Unfallzeit nach dem allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich gewesen sein muss, ist nicht erfüllt.

OLG München v. 03.03.2011:
Der Umstand, dass der durch einen Verkehrsunfall verletzte Radfahrer keinen Fahrradhelm trug, wirkt sich zusätzlich auf die Haftungsquote aus und bewirkt, dass ein Mitverschuldensanteil bei der Haftungsabwägung zu berücksichtigen ist. Bei einem Radler, der ein Rennrad mit Klickpedalen im freien Gelände benutzt, spricht bereits der Anscheinsbeweis für eine "sportliche Fahrweise", welche eine Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelms begründet.

OLG Schleswig v. 05.06.2013:
Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen - sich verkehrswidrig verhaltenden - Verkehrsteilnehmer (Kfz; Radfahrer usw) und erleidet er infolge des Sturzes unfallbedingte Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich grundsätzlich ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen.

OLG Celle v. 12.02.2014:
Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen, sich verkehrswidrig verhaltenden Verkehrsteilnehmer und erleidet er infolge des Sturzes unfallbedingte Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich gleichwohl nur in Ausnahmefällen - nämlich wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition, beispielsweise aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht - ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen (in Abweichung von: OLG Schleswig, Urteil vom 5. Juni 2013, 7 U 11/12).

BGH v. 17.06.2014:
Der Schadensersatzanspruch eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, ist jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert.

OLG Hamm v. 04.08.2017:
Dass eine Radfahrerin bei einem Unfall im Jahre 2013 keinen Fahrradhelm trug, begründet kein Mitverschulden, da zum damaligen Unfallzeitpunkt keine Helmpflicht bestand und das Nicht-Tragen eines Radfaherschutzhelms damals bezüglich des Mitverschuldens noch sehr unterschiedlich beurteilt wurde.

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LG Kiel v. 18.12.2018:
Eine Radfahrerin trifft bei Verletzungen, die aus einem Unfall vom Mai 2017 herrührten, keinen Mitverschuldensvorwurf, weil sie keinen Radfahrerschutzhelm trug. Nach einer Veröffentlichung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) trugen im Jahr 2017 über alle Altersgruppen hinweg lediglich 19% der Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen einen Schutzhelm, so dass von einer allgemeinen Überzeugung keine Rede sein kann.

OLG Nürnberg v. 28.08.2020:
Zumindest im Alltagsradverkehr begründet das Nichttragen eines Helms nach wie vor kein Mitverschulden des verletzten Radfahrers. Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass Radfahren eine Tätigkeit darstellt, die generell derart gefährlich ist, dass sich nur derjenige verkehrsgerecht verhält, der einen Helm trägt, besteht weiterhin nicht (Anschluss und Fortführung von BGH, Urteil vom 17. Juni 2014, VI ZR 281/13).

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Kinderfahrradsitz ohne Helm:


OLG Celle v. 11.06.2008:
Es ist nicht grob fahrlässig, wenn die Mutter eines bei einem Fahrradunfall verletzten 5jährigen Kindes zugelassen hat, dass ihr Sohn ohne Fahrradhelm in einem Kindersitz transportiert wird.

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