Das Verkehrslexikon

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Unabwendbares Ereignis - höhere Gewalt - Haftungsausschluss

Unabwendbares Ereignis / höhere Gewalt - Gefährdungshaftung




Gliederung:


   Einleitung
Weiterführende Links
Allgemeines
Beweislast
Betriebsgefahr und höhere Gewalt
Richtgeschwindigkeit
Sicherheitsabstand

Unachtsames Überqueren der Fahrbahn durch Fußgänger außerhalb von Überwegen und Fußgängerfurten
< Hochgeschleuderte Steine, Dreck, Fahrzeugteile, Reifen

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Einleitung:


Im bis zum 31.07.2002 geltenden Schadensrecht war die Haftung aus dem Straßenverkehrsgesetz (Gefährdungshaftung) ausgeschlossen, wenn der Halter des Fahrzeugs beweisen konnte, dass der Unfall ein sog. unabwendbares Ereignis war. Dies hatte z. B. zur Folge, dass die Haftung gegenüber deliktsunfähigen Kindern völlig wegfallen konnte.

Um dieses unerwünschte Ergebnis zu vermeiden, insbesondere nach der Veränderung der Altersgrenzen bei Kindern, wurde der Begriff des unabwendbaren Ereignisses in § 7 StVG durch den der höheren Gewalt ersetzt. Um aber bei der Haftungsabwägung zwischen unfallbeteiligten Kfz-Haltern dennoch für den Fall der Unabwendbarkeit eine Haftungsfreistellung zu eröffnen, wurde das unabwendbare Ereignis in die Abwägungsnorm des § 17 StVG verlagert.


Insoweit bleiben die Ausführungen zur Unabwendbarkeit in älteren Gerichtsentscheidungen und Kommentierungen für diesen Bereich weiterhin beachtlich.

Den Begriff der höheren Gewalt, welche die Haftung für die Betriebsgefahr ausschließt (§ 7-Abs. 2 StVG), definiert das Landgericht Leipzig (Urteil vom 10.01.2019 - 4 O 2474/17) folgendermaßen:

   Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter (betriebsfremder) Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht.

Zur Definition eines unabwendbaren Unfallereignisses hat das OLG Köln (Urteil vom 20.10.1993 - 2 U 48/93) ausgeführt:

   "Der Begriff "unabwendbares Ereignis" i.S.v. § 7 II StVG meint ein schadenstiftendes Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.d. § 276 BGB hinaus Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln im Augenblick der Gefahr im Rahmen des Menschenmöglichen (vgl. etwa BGHZ 113, 164, 165; 117, 337, 340; BGH DAR 1987, 19 = NJW-RR 1987, 150; Senat NZV 1992, 233; Jagusch/Hentschel, 32. Aufl., § 7 StVG Rn. 30 jew. m.w.N.). Da die Haftung des § 7 StVG keine Haftung für Verhaltensunrecht ist, sondern auch dem Ausgleich von Schäden aus erlaubtem Kraftfahrzeugbetrieb dient, verlangt die Rspr. zu Recht, dass, wer sich nach § 7 II StVG entlasten will, sich wie ein "Idealfahrer" verhalten haben muss (BGHZ 113, 164, 166; 117, 337, 340 f; Jagusch/ Hentschel a.a.O., jeweils m.w.N.). Die Prüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in die Gefahrensituation geraten wäre und ob der Schädiger in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat (BGHZ 117, 337, 341). Die Beweislast dafür trifft denjenigen, der sich entlasten will (vgl. z.B. BGH DAR 1987, 19; Senat a.a.O.; ..."

Siehe auch OLG Stuttgart (Beschluss vom 05.03.2012 - 13 U 24/12):

   "Entgegen der Auffassung der Berufung ist die Haftung der Beklagten nicht nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen.

a) Der Begriff „unabwendbares Ereignis“ im Sinne dieser Vorschrift meint nicht die absolute Unvermeidbarkeit des Unfalls, sondern ein schadenstiftendes Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinaus (vgl. etwa OLG Koblenz, NZV 2006, 201, 202; Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 17 StVG Rn. 8). Den Unabwendbarkeitsnachweis hat derjenige zu führen, der sich auf die Unabwendbarkeit beruft (vgl. etwa OLG München, Beschluss vom 16.05.2008 - 10 U 1701/07 - Tz. 41 [juris] m. w. N.), wobei zu diesem Nachweis zwar nicht die Widerlegung aller nur denkmöglicher Unfallverläufe gehört, für die kein tatsächlicher Anhalt besteht, doch schon bloße Zweifel am unfallursächlichen Fahrverhalten die Feststellung der Unabwendbarkeit ausschließen (s. etwa König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 17 StVG Rn. 23)."

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Weiterführende Links:


Zum Begriff der Unabwendbarkeit

Ein Anspruch auf vollen Schadensersatz aus einem Unfall unter Beteiligung von mehreren Kfz besteht nur bei Unabwendbarkeit

Der Mithaftungsausschluss wegen der Unabwendbarkeit des Unfalls kommt nur unter Kfz-Haltern zum Tragen

Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen

Sicherheitsabstand

Haftung für hochgeschleuderte Steine, Dreck, Fahrzeugteile, Reifen

Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung

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Allgemeines:


OLG Köln v. 20.10.1993:
Zum Inhalt des Begriffs "unabwendbares Ereignis"

KG Berlin v. 02.10.2003:
Unabwendbar mit der Folge eines Haftungsausschlusses nach § 7 Abs. 2 StVG ist ein unfallursächliches Ereignis, wenn es durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, also die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente.

BGH v. 18.01.2005:
Nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. ist ein Schädiger von Schäden freizustellen, wenn sich diese auch bei vorsichtigem Vorgehen nicht vermeiden lassen und weitere Schutzmaßnahmen, die mit einem zumutbaren Aufwand erreichbar waren, nicht zu einem besseren Schutz geführt hätten.

OLG Celle v. 12.05.2005:
Die Definition der "höheren Gewalt" im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG n. F. entspricht derjenigen, die die Rechtsprechung - bezogen auf diesen auch in anderen Vorschriften des deutschen Rechts verwendeten Begriff - entwickelt hat

OLG Koblenz v. 04.10.2005:
Die Prüfung der Unabwendbarkeit darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein "Idealfahrer" reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein "Idealfahrer" überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre.

OLG München v. 02.02.2007:
Bei § 17 Abs. 3 StVG handelt es sich dogmatisch um einen neben § 7 Abs. 2 StVG tretenden Ausschlusstatbestand, welcher nur aus praktischen Gründen als Grenze der nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG möglichen Abwägung behandelt werden soll. Die Fragen der Unabwendbarkeit und der Haftungsverteilung sind deshalb streng voneinander zu trennen.

LG Meinungen v. 29.03.2007:
Eine 100 %ige Haftung Fahrradfahrers ist auch nach der Änderung der schadensrechtlichen Vorschriften im Jahre 2003, insbesondere § 7 Abs. 2 StVG, möglich. Die Abschaffung des Unabwendbarkeitsnachweises nach § 7 Abs. 2 StVG schließt nicht eine Enthaftung für die nach § 7 StVG begründete Betriebsgefahr über den Mitverschuldenseinwand der § 9 StVG, § 254 BGB aus. Eine Reduzierung der Gefährdungshaftung auf null ist bei der Abwägung mit dem Mitverschulden des Geschädigten nicht ausgeschlossen, wenn der Betriebsgefahr ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten gegenübersteht.

KG Berlin v. 06.10.2010:
Die Feststellung, der Unfall sei für den Kläger kein "unabwendbares Ereignis" (§ 17 Abs. 3 StVG) gewesen, begründet nicht zugleich den Vorwurf, schuldhaft gegen Verkehrspflichten verstoßen zu haben.




OLG Nürnberg v. 26.01.2012:
Fährt ein Linienbus auf einen vorausfahrenden, seine Geschwindigkeit reduzierenden Pkw auf und werden dabei Fahrgäste des Linienbusses verletzt, so haften die Fahrzeughalter des Linienbusses und des Pkw den Verletzten aus Gefährdungshaftung gesamtschuldnerisch in vollem Umfang. Gegenüber den verletzten Fahrgästen kann sich der Halter des Pkw nicht darauf berufen, der Auffahrunfall sei für ihn unabwendbar gewesen. Die Haftungsbefreiung nach § 17 Abs. 1 u. 3 StVG wirkt nur im Innenverhältnis des Haftungsausgleichs zwischen den beteiligten Fahrzeughaltern.

LG Berlin v. 23.08.2012:
Ein Verkehrsunfall ist ein unabwendbares Ereignis, wenn er auch bei äußerster möglicher Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Den Nachweis hat derjenige zu führen, der sich auf die Unabwendbarkeit beruft. Dieser Nachweis ist nicht geführt, wenn nach der Beweisaufnahme ungeklärt bleibt, welches von beiden Fahrzeugen in die Spur des anderen geriet. In diesen Fällen ist von einer Haftungsquote von 50/50 auszugehen.

OLG Schleswig v. 04.01.2018:
1. Unabwendbarkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG bedeutet nicht absolute Unvermeidbarkeit eines Unfalles. Es kommt nicht nur darauf an, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat, sondern auch ob der Idealfahrer überhaupt in diese Gefahrenlage gekommen wäre. Dabei trägt die Beweislast derjenige, der sich darauf beruft.

2. Reflexhaftes Fahrverhalten - insbesondere ein Ausweichen auf die Bankette - schließt die Unabwendbarkeit nicht aus. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird jedoch nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) "ideal" verhält (zeitliche Vermeidbarkeit).


LG Leipzig v. 10.01.2019:
Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter (betriebsfremder) Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht.

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Beweislast:


OLG München v. 29.10.2010:
Für die Unabwendbarkeit im Rahmen des § 17 III StVG ist der in Anspruch genommene Halter beweisbelastet. Die Unabwendbarkeit muss sich nach h.M. auf das Unfallereignis selbst und die eingetretenen Schadensfolge beziehen. Dabei können nur solche Umstände der Beurteilung zugrunde gelegt werden, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen; eine Unaufklärbarkeit von Umständen geht zu Lasten des Halters. Im Rahmen der Abwägung nach § 17 I und II StVG gilt der Grundsatz, dass jeder Halter die Umstände beweisen muss, die zu Ungunsten des anderen Halters berücksichtigt werden sollen. Dies führt bei Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens hinsichtlich derselben Tatsache bei § 17 II StVG und § 17 III StVG zu wechselnden Beweislastentscheidungen. Falsch wäre es, aus dem Umstand, dass sich eine Partei nicht entlasten kann, das Gegenteil als bewiesen anzusehen.

OLG München v. 28.02.2014:
Für die Unabwendbarkeit im Rahmen des § 17 III StVG ist der in Anspruch genommene Halter beweisbelastet. Im Rahmen der Abwägung nach § 17 I und II StVG gilt dagegen der Grundsatz, dass jeder Halter die Umstände beweisen muss, die zu Ungunsten des anderen Halters berücksichtigt werden sollen.

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Betriebsgefahr und höhere Gewalt:


LG Regensburg v. 28.10.2004:
Die Betriebsgefahr kann bei einem Fußgänger- oder Radfahrerunfall hinter dem Verschulden des nicht motorisierten Verkehrsteilnehmers zurücktreten, auch wenn keine höhere Gewalt vorlag.

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Richtgeschwindigkeit:


Siehe auch Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen

Rechtsprechung:
Kein sog. unabwendbares Ereignis bei Überschreitung der Richtgeschwindigkeit.

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Sicherheitsabstand:


Sicherheitsabstand

OLG Celle v. 28.03.2012:
Auch ein Idealfahrer muss im fließenden Verkehr nicht jeweils einen solch großen Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug halten, dass er auch für den Fall, dass ihm ein beliebig schweres Fahrzeug mit beliebig hoher Ausgangsgeschwindigkeit auffährt, durch die von den genannten Parametern abhängige kollisionäre Geschwindigkeitsänderung keinesfalls auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgeschoben werden kann.

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Unachtsames Überqueren der Fahrbahn durch Fußgänger außerhalb von Überwegen und Fußgängerfurten:


KG Berlin v. 06.06.2006:
Fußgänger, die eine Fahrbahn außerhalb von Fußgängerüberwegen oder den Markierungen von Lichtzeichenanlagen überqueren wollen, haben sich sorgfältig davon zu überzeugen, dass die Fahrbahn frei ist. Kommt es zu einem Zusammenstoß des querenden Fußgängers mit einem Kraftfahrzeug, indiziert dies ein grobes Verschulden des Fußgängers, insbesondere die unzureichende Beobachtung der Verkehrslage, hinter dem die Betriebsgefahr des Kfz regelmäßig zurücktritt.

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Hochgeschleuderte Steine, Dreck, Fahrzeugteile, Reifen:


Haftung für hochgeschleuderte Steine, Dreck, Fahrzeugteile, Reifen

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