Das Verkehrslexikon

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Betriebsgefahr bei Fußgängerunfällen

Berücksichtigung der Betriebsgefahr bei Kfz-Unfällen mit Fußgängern




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Stichwörter zum Thema Fußgänger und Fußgängerunfälle

Fußgänger allgemein und Verkehrsunfälle mit Fußgängerbeteiligung

Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung

Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern

Unfälle mit Kindern

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Allgemeines:


LG Regensburg v. 28.10.2004:
Die Betriebsgefahr kann bei einem Fußgänger- oder Radfahrerunfall hinter dem Verschulden des nicht motorisierten Verkehrsteilnehmers zurücktreten, auch wenn keine höhere Gewalt vorlag.

KG Berlin v. 06.06.2006:
Fußgänger, die eine Fahrbahn außerhalb von Fußgängerüberwegen oder den Markierungen von Lichtzeichenanlagen überqueren wollen, haben sich sorgfältig davon zu überzeugen, dass die Fahrbahn frei ist. Kommt es zu einem Zusammenstoß des querenden Fußgängers mit einem Kraftfahrzeug, indiziert dies ein grobes Verschulden des Fußgängers, insbesondere die unzureichende Beobachtung der Verkehrslage, hinter dem die Betriebsgefahr des Kfz regelmäßig zurücktritt.

KG Berlin v. 26.02.2009:
Der Fußgänger muss auf den bevorrechtigten Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn achten und darf nicht versuchen, vor einem herannahenden Fahrzeug die Fahrbahn zu überqueren. Jedenfalls bei regem Straßenverkehr muss der Fußgänger damit rechnen, dass sich auch im linken Fahrstreifen Fahrzeuge nähern, die durch im rechten Fahrstreifen herannahende Fahrzeuge verdeckt sind. Betritt der Fußgänger dennoch schnellen Schrittes die Fahrbahn, handelt er grob fahrlässig mit der Folge, dass die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs, von dem er im linken Fahrstreifen angefahren wird, gegenüber dem Alleinverschulden des Fußgängers vollständig zurücktritt.

KG Berlin v. 24.06.2010:
Verletzt ein Fahrzeugführer beim rückwärts Einparken in eine Parklücke mit der ausschwenkenden linken Fahrzeugseite einen auf der Fahrbahn befindlichen 16jährigen Fußgänger, der zuvor unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3, 4 StVO ein Absperrgitter überstiegen hatte, um an unzulässiger Stelle die Fahrbahn zu überqueren und auch bemerkt hatte, dass das Fahrzeug rückwärts einparken würde, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr gegenüber dem groben Eigenverschulden des Fußgängers zurück. Eine Pflicht des rückwärts einparkenden Kraftfahrers, der vor Beginn des Rückwärtsfahrens den rückwärtigen Verkehrsraum überprüft hatte, vor Einschwenken in die Parklücke den Verkehrsraum links neben seinem Fahrzeug nochmals darauf zu überprüfen, dass sich dort kein anderer Verkehrsteilnehmer befindet, besteht nicht gegenüber dem grob verkehrswidrig handelnden Fußgänger, mit dem er nicht hat rechnen müssen.


OLG Köln v. 25.11.2010:
Das allenfalls leichte Verschulden eines Kfz-Führers und die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs treten hinter dem groben Eigenverschulden eines stark alkoholisierten Fußgängers, der dunkel gekleidet bei Dunkelheit auf der dunklen Fahrbahn liegt, vollständig zurück.

OLG Düsseldorf v. 15.11.2011:
Dass Fußgänger an einer durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung die Fahrbahn nur bei Grünlicht überqueren dürfen, ist eine elementare Verhaltensregel. Das Auf-die-Fahrbahn-Laufen bei Rot ist in hohem Maße grobfahrlässig. Die Betriebsgefahr des bei Grün in die Kreuzung einfahrenden Kfz tritt hinter dem groben Verschulden des Fußgängers zurück.

LG Essen v. 27.02.2012:
Überquert ein Fußgänger unaufmerksam ohne auf sich nähernde Fahrzeug zu achten die Fahrbahn und wird dabei für den in Anspruch genommenen Kfz-Führer durch ein vorausfahrendes Fahrzeug verdeckt, ist der Unfall für den Kfz-Führer unvermeidbar und tritt die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs hinter dem Verschulden des Fußgängers gänzlich zurück.

BGH v. 19.08.2014:
Der Ersatzanspruch des Fußgängers, den keine Gefährdungshaftung trifft, darf gemäß § 9 StVG, § 254 BGB nur dann gekürzt werden,, wenn feststeht, dass er den Schaden durch sein Verhalten mitverursacht oder mitverschuldet hat. Erforderlich hierfür ist die Überzeugung des Gerichts nach dem Beweismaß des § 286 ZPO. Die Darlegungs- und Beweislast für ein Fehlverhalten des Fußgängers trifft dabei Fahrer und Halter des Kfz.

OLG Celle v. 19.03.2015:
Überquert eine Fußgängerin in deutlich alkoholisiertem Zustand (hier: 1,75 Promille Blutalkoholgehalt) bei Dunkelheit und schlechter Beleuchtung eine Straße, ohne dabei die Verkehrsverhältnisse zu beachten, entfällt hierbei die Betriebsgefahr seitens eines mit ihr deshalb kollidierenden Kraftfahrzeugs, weil dieser Unfall durch das grob verkehrswidrige Verhalten der Fußgängerin verursacht worden ist.

LG Berlin v. 02.07.2015:
Betritt ein 11 Jahre und 9 Monate altes Mädchen die Fahrbahn, ohne zuvor auf etwaigen herannahenden Kfz-Verkehr zu achten und kommt es zum Unfall mit einem herannahenden Kfz, spricht für sein grobes Verschulden der Fußgängerin der Beweis des ersten Anscheins mit dem Ergebnis, dass die Betriebsgefahr des die Betriebsgefahr des Kfz hinter dem Verschulden des Mädels zurücktritt.

AG Ludwigshafen v. 13.09.2017:
Fährt ein Kraftfahrer beim Ausparken mit seinem Fahrzeug auf einen vor dem Fahrzeug stehenden Fußgänger zu, um diesen zum Beiseitetreten zu nötigen, und schlägt dieser sodann mit der Faust auf die Motorhaube, ohne dass insoweit ein Rechtfertigungsgrund eingreift, verwirklicht sich grundsätzlich die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs, so dass der - vom Fahrer personenverschiedene - Halter des beschädigten Kraftfahrzeugs sich eine Mithaftung anrechnen lassen muss. In diesem Fall kann eine hälftige Schadensteilung angemessen sein.

OLG München v. 12.01.2018:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. z.B. Beschluss vom 19.08.2014, Az.: VI ZR 308/13, NJW 2014, 3300) darf der Ersatzanspruch des Fußgängers, den im Gegensatz zu den Beklagten keine Gefährdungshaftung trifft, gem. § 9 StVG, § 254 BGB nur gekürzt werden, wenn feststeht, dass er den Schaden durch sein Verhalten mitverursacht oder mitverschuldet hat.

2. Die volle Haftung ohne Berücksichtigung der Betriebsgefahr trifft Fahrer und Halter des Kfz auch dann, wenn ungeklärt bleibt, wie die Ampelschaltung zum Zeitpunkt des Fahrbahnquerens durch den Fußgänger war.




OLG Düsseldorf v. 10.04.2018:
Eine Vernachlässigung der Betriebsgefahr kommt bei einem Fußgängerunfall nur in Ausnahmefällen in Betracht. Auch ein grob fahrlässigen Verhalten genügt dafür nicht. Mangels weiterer erschwerender Umstände ist auch zu berücksichtigen, ob der Unfall für den Fahrer unabwendbar war. Hätte auch ein Idealfahrer bei weit vorausschauender und überobligatorisch vorsichtiger Fahrweise den Unfall nicht verhindern können, so spricht dies dafür, die Haftung aus § 7 StVG gänzlich in den Hintergrund treten zu lassen.

OLG Hamm v. 30.09.2020:
Für einen Fahrzeugführer besteht aufgrund des Vertrauensgrundsatzes kein Anlass, die Geschwindigkeit zu drosseln, solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Fußgänger die Straße queren wird, ohne auf den Vorrang des fließenden Verkehrs zu achten. - Ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr kommt aber nicht in Betracht, wenn ein Idealfahrer bei sachgemäßem und geistegegenwärtigem Verhalten aufgrund einer weit vorausschauenden und überobligatorisch vorsichtigen Fahrweise den Unfall hätte vermeiden können.

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